Susanna Roux
Dem Thema sozial-emotionaler Entwicklung im frühen Kindesalter wird gegenwärtig zugunsten kognitiver Entwicklungsbereiche nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei kann hier auf eine lange Tradition frühpädagogischer Bildungsbemühungen zurückgeblickt werden (Roux/ Fried/ Kammermeyer 2008).
Die Bedeutung der Thematik in den Bildungscurricula
Schaut man die Bildungsprogramme der Bundesländer für die Frühpädagogik durch, so weisen diese alle einen mehr oder weniger ausdifferenzierten Teil auf, der sich sozial-emotionaler Entwicklung in frühen Jahren zuwendet.
In Rheinland-Pfalz sollen Kinder in Kindereinrichtungen beispielsweise unterstützt werden: "...eigene Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu akzeptieren, (oder etwa, S.R.) sich in den Anderen hineinzuversetzen" (vgl. Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend 2004, S. 55). Es geht hier darum, die Gestaltung von Gemeinschaft und Beziehungen zu ermöglichen. Kinder sollen lernen, Freundschaften zu knüpfen oder Grenzen zu akzeptieren. Sie sollen zudem lernen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, aber auch eigene Konflikte selbständig zu lösen. Schließlich wird angestrebt, sich in sozialen Bezügen verständigen zu können.
Im Vergleich dazu findet sich im baden-württembergischen Bildungsplan ein eigenes Bildungs- und Entwicklungsfeld unter dem Namen Gefühl und Mitgefühl (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Baden-Württemberg 2006, S. 108 ff.; Hervorhebung dort): Es wird angezielt, dass Kinder in den Einrichtungen "(...) ein Bewusstsein für die eigenen Emotionen entwickeln" oder etwa "(...) ein Gefühl für positives Nichtstun, Trödeln und die 'Seele-baumeln-lassen'".
Solche Zielkataloge sind aber sehr allgemein gehalten, kaum je konkret und daher nicht übertragbar auf die Praxis. Sie sprechen zudem nur Teilbereiche des sozial-emotionalen Entwicklungsspektrums an, wie noch gezeigt werden soll. Es ist nicht ausreichend, "ein Bewusstsein für die eigenen Emotionen zu entwickeln". Dies ist eine wichtige Aufgabe neben anderen.
Vermisst wird also in den Programmen der Länder eine differenziertere Vorstellung zur Sozial- und Emotionsentwicklung in jungen Jahren. Auch fehlt eine hinreichende Begründung der Bedeutung sozial-emotionaler Kompetenzen für andere Entwicklungs- und Bildungsbereiche. Und selbst daraus ableitbare frühpädagogische Förderaspekte sind nicht zu entnehmen.
Was kann in der Praxis getan werden, um die kindliche Entwicklung in diesen Bereichen zu unterstützen? Damit das Kind etwa lernt, selbständig seinen Alltag zu organisieren, Konflikte mit anderen sozial verträglich auszuhandeln oder auf Gefühle und Stimmungen anderer Rücksicht zu nehmen.
Soll pädagogisch-professionell damit umgegangen werden, muss auf ein fundiertes Grundlagenwissen zurückgegriffen werden können. Dieses kann helfen, sich über eigene soziale und emotionale Aufgaben und Verhaltensweisen sowie soziale und emotionale Verhaltensweisen von Kindern und ihrem gegenseitigen Einfluss bewusst zu werden. Schließlich geht es darum, situationsangemessene und kindgerechte Möglichkeiten der Unterstützung zu finden. Dass diese nicht immer gelingt, zeigt das folgende (nicht-fiktive!) Beispiel.
Im Kindergarten wird gerade das Thema "Meine Familie" behandelt. Der fünfjährige Max arbeitet an seinem Familienhaus. Jedes Fenster steht für ein Familienmitglied. In jedes Fenster darf Max ein Bild eines Familienmitglieds kleben oder malen. Als er in eines der Fenster auch seinen Vater einfügen möchte, sagt seine Erzieherin: "Nein Max, der Papa kommt hier nicht rein, der wohnt doch nicht mehr bei euch!"
Betrachtet man diese Szene nüchtern, kann Folgendes konstatiert werden:
- Die soziale Ordnung von "Familie", wie sie der kleine Max realisiert (seine Eigenperspektive), ist nicht deckungsgleich mit derjenigen seiner Erzieherin (deren Fremdperspektive).
- Max hat mit seiner Bildgestaltung emotionale Nähe ausgedrückt, die seine Erzieherin nicht wahrgenommen hat, wahrscheinlich auch nicht wahrnehmen kann.
Damit Professionelle kindgemäß agieren können, müssen sie sich aber solcher Ungleichheiten bewusst werden und eine Strategie entwickeln, damit umzugehen.
Was wissen wir über die sozial-emotionale Entwicklung im frühen Kindesalter? Welchen Herausforderungen stehen Kinder in dieser Zeit gegenüber?
Der leichteste Weg, sich dieser Frage zu nähern, ist die Rückblende in die eigene Geschichte. In welchen Situationen, bei welchen Tätigkeiten oder im Kontakt mit welchen Personen spielten Gefühle eine Rolle? Welche Erinnerungen sind besonders präsent? Sind es positive, sind es negative? Sind sie verbunden an Personen (Geschwister, Freunde) oder eher soziale Situationen (Streit), vielleicht aber auch Tätigkeiten? Wie wurden früher Empfindungen zum Ausdruck gebracht? Vielleicht über Worte ("du bist lieb"/ "Hau ab, du Blödmann"), Verhaltensweisen (streicheln/ schlagen), körperliche Reaktionen (zittern/ Herzklopfen) oder Vorstellungen und Gedanken ("die sind alle so böse zu mir"). Es wird deutlich, dass sozial-emotionale Erlebnisse nicht auf besondere Ereignisse in früheren Jahren reduziert werden können.
Alltäglich erfahren Menschen solche Beispiele. Dies gilt für Kinder als auch als Erwachsene. Unterschiede zeigen sich zwischen beiden beispielweise in der Häufigkeit, der Dauer, der Intensität der Empfindungen. Emotionen verlieren mit dem Alter zwar zunehmend an Bedeutung, aber es sind im Erwachsenenalter auch neue Emotionsqualitäten erkennbar, die Kinder noch nicht kennen, wie Dankbarkeit, tiefes Mitgefühl oder Liebe zu einem Partner.
Entwicklungsaufgabe für Kinder besteht in ihren ersten Lebensjahren darin, Kompetenzen zu erwerben, die sie befähigen, in sozialen Bezügen selbstständig und handlungsfähig zu werden und mit ihren Gefühlen sowie den Gefühlen anderer angemessen umgehen. Diese Entwicklungsaufgaben können Kinder nur in einem stabilen sozial-emotionalen Umfeld bewältigen.
Bereits das neugeborene Kind bringt die fundamentalen Voraussetzungen dafür mit: Es ist nämlich bereits auf sozialen Austausch ausgerichtet, es ist ein von Geburt an soziales und sozial-aktives Wesen (Schmidt-Denter 2005, S. 1) und wirkt selbst aktiv auf seine soziale Umwelt ein - zum Beispiel indem es den Kopf dreht, verstärkt saugt oder mit den Beinen tritt. Geht seine Mutter auf solche ersten sozialen Signale ein, antwortet das Kind schon bald mit Lächeln oder Gurrlauten. Interessanterweise scheinen Neugeborene soziale Stimuli besonders zu bevorzugen. Das zeigt sich etwa daran, wie ein Kind auf das menschliche Gesicht reagiert im Vergleich zu einer Maske.
Die Rolle seines sozialen Umfeldes wird besonders deutlich, wenn ein Säugling beginnt zu Fremdeln. Dieses Fremdeln, diese Trennungsangst - im Allgemeinen um den achten Lebensmonat - ist ein wichtiger Meilenstein in der sozialen Entwicklung des Menschen. Jetzt zeigt sich, dass das Kind sicher zwischen fremden und bekannten Personen unterscheiden kann.
Die Entdeckung des eigenen Ichs und die Erkenntnis, dass andere Personen andere Gedanken, Wünsche, Empfindungen haben können, sind Aufgaben ab dem zweiten bis dritten Lebensjahr, in Begleitung zur sprachlichen Entwicklung. Das lässt sich an sozialen Worten (alle, ich, wir,) oder auch Emotionsworten (lieb, bös, lacht, weint...) im zunehmenden Wortschatz des jungen Kindes ablesen.
Ab dem Eintritt in den Kindergarten treten vor allem Veränderungen in den Beziehungen zum Vorschein (vgl. Mähler 2007, S. 170). Diese ergeben sich durch die partielle Ablösung von den primären Bezugspersonen (Mutter, Vater...). Die Kinder haben nun die Aufgabe, ihre sozialen Beziehungsräume zu erweitern. Sie müssen
- sich an andere soziale Systeme und ihre Regeln, wie die Kindergartengruppe, anpassen und zwar nun nicht mehr im geschützten Umfeld von ihnen in besonderer Weise zugeneigten Personen;
- neue Beziehungen zu anderen Kindern und Erwachsenen eingehen (das beginnt mit einer ersten Kontaktaufnahme, dem gemeinsamen Aushandeln geteilter Bedeutungen);
- insofern lernen, mit anderen zu kooperieren, sich in der Gruppe behaupten, mit anderen teilen.
Hinzu kommen Aufgaben im emotionalen Bereich: Das Kind muss mit der familiären Trennung und daraus eventuell entstehenden Frustrationen umgehen lernen.
Im Übergang zwischen Kleinkind- zu Vorschulalter lässt sich die Erweiterung der sozialen Kompetenzen vor allem an folgenden Meilensteinen ablesen (vgl. Mähler 2007, S. 171):
- der zunehmenden Fähigkeit zur Kooperation im Spiel,
- dem prosozialen Verhalten und der wachsenden Empathiefähigkeit sowie
- dem Aufbau von Freundschaften.
Mit Kooperation im Spiel ist das Koordinieren von Tätigkeiten zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels gemeint. Forschungsarbeiten weisen darauf hin, dass bereits mehr als 50% der Kinder vor ihrem dritten Geburtstag kooperatives soziales Fantasiespiel zeigen und fast 50% vor dem Alter von vier Jahren komplexes Fantasiespiel nutzen (Howes/ Tonyan 1999; zitiert nach Mähler 2007, S. 171).
Prosoziales Spiel - also Spiel, das auf den sozialen Austausch gerichtet ist - ist nur deswegen möglich, da Kinder dieses Alters sich von "der eigenen Person als Mittelpunkt des Interesses" - der egozentrischen Sicht- (Mähler 2007, S. 171) loslösen und die Perspektive auf das Gegenüber erweitern. Erst jetzt ist es möglich, dass das Kind sich in den anderen einfühlt.
Bezüglich früher Kinderfreundschaften ist bemerkenswert, dass jüngere Kinder Freundschaften zunächst über Spielpartner wahrnehmen, mit denen sie Besitztümer teilen oder gemeinsam etwas spielen. Etwas ältere Kinder verweisen darauf, dass ein Kind sie mag. Solche Freunde kann man daran erkennen, dass sie mehr Kooperation im Spiel und mehr Wechselseitigkeit zeigen. Zunehmend gewinnt auch das Geschlecht an Bedeutung, wobei der Gruppendruck bereits vorhanden bzw. groß ist. So hört man oft den Satz: "Spielst du noch mit Mädchen?" Man erkennt Freunde daran, dass sie intensiv sozial aktiv sind, häufigere und konstruktivere Konfliktlösungen suchen, Aufgaben effektiver bearbeiten sowie eine wechselseitige und intime Zusammengehörigkeit auf der Basis von Nähe und gegenseitiger Sympathie pflegen (Mähler 2007, S. 172).
Es zeigt sich übrigens in verschiedenen Studien, dass Freundschaften sich entgegen früheren Annahmen bereits im Kleinkindalter und auch im Vorschulalter als relativ stabil erweisen können (u.a. Mähler 2007, S. 171): Sie können über zwei bis drei Jahre anhalten und auch über das Vorschulalter hinaus reichen. Freundschaftsbeziehungen sind insofern mehr als gewöhnliche Gleichaltrigenbeziehungen.
Ob die soziale Entwicklung eines Kindes altersadäquat ausgebildet ist, kann u.a. an folgenden Fragen abgelesen werden (Beispiele aus Mayr/ Oberhuemer 2007): Findet das Kind leicht Kontakt zu anderen Kindern? Zählt seine Meinung bei anderen Kindern? Respektiert es die Grenzen der anderen Kinder? Kann es sich selbst verteidigen? Wirkt es ausgeglichen?
Bezüglich der emotionalen Entwicklung geht es in enger Verbindung mit der sozialen Entwicklung darum, zunächst die Emotionen und Reaktionen der primären Bezugspersonen wahrnehmen zu lernen, damit Kinder erfahren, dass auch sie selbst Emotionen haben. Das Kind ist in dieser Entwicklungsphase seinem sozialen Umfeld völlig ausgeliefert. Diese Entwicklungserfahrungen kommen nämlich nicht automatisch zum Vorschein, sie werden sozial vermittelt (interpsychische Emotionsregulation). Ziel ist es, letztlich unabhängig von seinen Bezugspersonen eigene Befindlichkeiten wahrzunehmen und auszudrücken und im sozial verträglichen Umgang einzusetzen (intrapsychische Emotionsregulation) (Janke 2007). Und die sozial-emotionale Entwicklung endet auch nicht mit der frühen Kindheit: Bis weit ins Jugendalter hinein entwickeln sich zum Beispiel das Wissen um Emotionen und der Umgang mit ihnen.
Dass der Einfluss des sozialen Umfeldes nicht unterschätzt werden darf, wird deutlich an folgendem Beispiel: Kinder, die dazu neigen, eigentlich freundlich gedachte mimische Ausdrucksweisen befreundeter Kinder als ärgerlich zu deuten, haben oft wenig befriedigende Beziehungen zu Gleichaltrigen und werden selbst eher als feindselig-abhängig von Pädagoginnen beurteilt (vgl. Saarni 2002, S. 16).
Zusammengenommen kann festgestellt werden, dass sich bereits im Alter von drei Jahren das emotionale sowie das soziale Leben eines jungen Kindes außerordentlich differenziert hat (bezüglich der emotionalen Entwicklung siehe Lewis 2000, S. 278): Die Kinder bringen ein basales Set an sozialen und emotionalen Empfindungen mit (Zufriedenheit, Interesse, Unzufriedenheit). Aus diesen entwickeln sich die so genannten ersten Emotionen, die Basisemotionen (Freude, Überraschung und Traurigkeit sowie Angst) in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres. Im dritten Lebensjahr entwickeln sich parallel zur sozialen Entwicklung die so genannten sozialen Emotionen, wie z.B. Stolz, Scham und Schuld. Eigene Empfindungen werden in ihrer sozialen Bedeutung kennen und anwenden gelernt.
Das ist gar nicht so leicht. Hier bergen sich viele Missverständnisse bzw. Entwicklungsaufgaben: So muss gemeinsam geklärt werden, wie soziale Situationen emotional definiert werden können. So freut sich zum Beispiel das eine sechsjähriges Kind, wenn es alleine einkaufen gehen darf, ein anderes aber weint, weil ihm die Situation fremd ist und es sich davor fürchtet.
Außerdem lernt das Kind, dass bisherige positive oder negative soziale Erfahrungen (z.B. mit älteren Personen) seine Emotionen prägen.
Es geht auch darum, den emotionsgeladenen, nonverbalen Ausdruck kennen und deuten zu lernen. Dies stellt nach Saarni (2002, S. 11) die durchdringendste Form des kommunikativen Verhaltens dar. Hier kann man sich die hochgezogenen Augenbrauchen einer Mutter vorstellen, wenn ihr Kind ein verbotenes Wort nutzt, oder daran denken, dass offensichtliche Ablehnung auch durch das Zudrehen des Rückens ausgedrückt werden kann. Es existiert insofern ein ausgebautes Sprachsystem neben der verbalen Sprache.
Das Kind muss außerdem lernen und erfahren, dass die Enthüllung der Gefühle abhängig ist von der Art der Beziehung, in der Menschen stehen (Saarni 2002, S. 11): In engen Beziehungen gibt es andere Muster emotionaler Selbstoffenbarung als in weniger engen Beziehungen. Dies alles sind wichtige Entwicklungsaufgaben im frühen Kindesalter.
Dabei ist die sozial-emotionale Entwicklung schon sehr früh sehr eng mit anderen Entwicklungsbereichen verbunden (vgl. u.a. Lüdtke/ Kallmeyer 2007, S. 261): so zum Beispiel emotionale und kognitive Prozesse. Frühkindliche Emotionen beeinflussen nämlich auch die funktionelle Ausdifferenzierung des Gehirns und somit die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Diese wirken sich aus bis auf die Lernbereitschaft sowie die Lernprozesse (vgl. Lütke 2006, S. 161). Zum Beispiel wissen wir, dass der Emotion Interesse erhebliche Aussagekraft als Motor für das Lesen- und Schreibenlernen (bereits lange vor Schuleintritt) zugeschrieben wird (Brinkmann 2008).
Andererseits greifen viele aktuelle elementar- aber auch primardidaktische Lernkonzepte auf sozial-emotionale Elemente zurück. Als basale menschliche Bedürfnisse, die über alle Lebensalter hinweg grundlegend für Lernprozesse angesehen werden, gelten (vgl. Deci/ Ryan 2000; Krapp/ Ryan 2002): Kompetenzerfahrung - Selbstbestimmung (Autonomie) - soziales Eingebundenheit.
Das Bedürfnis nach Kompetenzerfahrung entspricht dem Wunsch, vorgegebene oder selbst gewählte Anforderungen bewältigen zu können und in der Lage zu sein, die eigenen Fähigkeiten bei Bedarf mit erträglichem Aufwand zu erweitern (Selbstwirksamkeit, "self-efficacy").
Das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit bezeichnet das Bestreben, mit anderen Personen innerlich verbunden zu sein bzw. einer Gruppe von Personen anzugehören, die einen akzeptiert. Man hat den Wunsch, von "signifikanten Anderen" (Eltern, Erzieherinnen, Lehrern, Gleichaltrigen), auch in Bezug auf die eigenen Einstellungen, Wertorientierungen, Handlungsziele usw., anerkannt zu werden und in ihren Kreis aufgenommen zu sein.
Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung oder Autonomie bezieht sich auf die Tendenz, sich selbst als die primäre Ursache des Handeins erleben zu wollen. Bereits ein junges Kind möchte im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst entscheiden, was zu tun ist, und sich durch andere nicht ständig kontrolliert und gegängelt fühlen. Das Bedürfnis nach Autonomie besagt nicht, dass jede Art der Beeinflussung von außen abgelehnt und völlige Unabhängigkeit angestrebt wird. In Verbindung mit den beiden anderen Grundbedürfnissen beinhaltet es vielmehr den Wunsch, insoweit eigenständig und eigenverantwortlich handeln zu dürfen, als für die gestellten Anforderungen hinreichend entwickelte Fähigkeiten und Kenntnisse zur Verfügung stehen und somit die Chance besteht, seine erworbenen Kompetenzen erfolgreich unter Beweis zu stellen.
Fühlt sich ein Kind sozial akzeptiert und wertgeschätzt durch die Erzieherin, durch die anderen Kinder, wird es eher bereit sein, sich den großen Themen der Welt zu öffnen. Sozial-emotional verunsicherte "gebundene" Kinder lassen sich kaum für Bildungsthemen begeistern.
Anhand von Forschungsergebnissen konnte insgesamt festgestellt werden, dass emotional warm und einfühlsam verlaufende Interaktionen mit kognitivem Wachstum positiv verbunden sind (vgl. u.a. Bornstein 1989; zitiert nach Nagel 2008, S. 103).
Im Klartext heißt dies, dass Kinder, die eine altersgemäße emotionale Kompetenz ausgebildet haben, leichter befriedigende soziale Kontakte knüpfen (u.a. Wertfein 2006, S.8), bei anderen beliebter sind (u.a. Petermann/ Wiedebusch 2003), ihnen der Schuleintritt leichter fällt (u.a. Denham 2006), sie in der Schule erfolgreicher sind (u.a. Raver 2002) und dass diese Kinder ein geringeres Risiko für die Entwicklung von Verhaltensstörungen haben (u.a. Izard 2002). Bei all dem gilt zu bedenken, dass diese Entwicklungen nicht uniform verlaufen und es individuelle Unterschiede gibt: z.B. zwischen schüchternen vs. aggressiven Kindern; ängstlichen vs. mutigen Kindern.
Welche pädagogischen Anforderungen lassen sich aus diesen Überlegungen resümieren?
Um Emotionen erkennen und ausdrücken zu können, um Emotionswissen anzureichern, um eigene Emotionen regulieren zu können - dazu verhelfen emotional reiche Erfahrungsräume und Bezugspersonen in Familie und Kindergarten, die Kinder dabei unterstützen, mit ihren sowie den Emotionen anderer angemessen umgehen zu lernen (u.a. Denham 1998; Graf 2004; Petermann/ Wiedebusch 2003; Saarni 2002; Wertfein 2006, S. 78):
Indirekt, man könnte auch sagen,
alltäglich oder auch
intuitiv erfolgt dies a) durch den positiven Umgang mit eigenen und kindlichen Emotionen. Erwachsene wirken hier als Modell für Kinder. Dazu gehört explizit auch, den Kindern zu zeigen, dass auch Erwachsenen der Umgang mit ihren Emotionen nicht immer leicht fällt!
Auch hilfreich ist b) ein positives Familien- oder Gruppenklima, das als fruchtbare Beziehungspflege dienen kann.
Schließlich stärken auch c) emotionszentrierte Curricula in Kindereinrichtungen das Emotionsthema indirekt.
Andererseits kann die Emotionsentwicklung auch direkt unterstützt werden - sozusagen in der emotional aufgeladenen Situation - durch a) feinfühlige Reaktionen auf etwa positive und negative kindliche Gefühlsäußerungen, durch b) das Anbieten von Hilfen zur Regulierung von Emotionen in der konkreten Situation bis hin zum so genannten Emotionscoaching, darunter versteht man häufige und offene Gespräche über Emotionen.
Dies wird gestützt durch folgende Erkenntnisse: Die Häufigkeit, mit der Vorschulkinder in familiären Gesprächen über Emotionen und ihre Gründe eingebunden sind, hängt bedeutend zusammen mit ihrer späteren Fähigkeit zu identifizieren, wie sich jemand fühlt (vgl. Harris 2000, S. 283).
"Die emotionale Kommunikation der Erwachsenen untereinander und mit ihren Kindern schafft ein Gerüst, das die Kinder nutzen, um ihren Erfahrungen Bedeutungen und affektive Tönungen zuzuschreiben" (Saarni 2002, S. 6). Dabei scheint es interessanterweise auch viel versprechend zu sein, teilzunehmen an Streitgesprächen: Es gibt nämlich auch Hinweise darauf, "(...) dass Kinder die größten Fortschritte beim sozialen Verstehen machten, wenn sie an den 'Familiendramen' emotionsgeladener Geschwister- und Eltern-Kind-Konflikte beteiligt waren" (Saarni 2002, S. 6; Hervorhebung dort). Eine übereilte Schonung der Kinder vor Konflikten könnte ihnen also wichtige Erfahrungsmöglichkeiten versperren.
Die Reaktionen der Erwachsenen sind jedenfalls für die Ausbildung der Emotionen höchst bedeutsam. "Wenn ein Kind sich zum Beispiel verletzt fühlt, es aber einen Elternteil hat, der in der Vergangenheit die verletzten Gefühle des Kindes oft abwertete oder sogar lächerlich machte, dann wird dieses Kind 'Verletzung' eher als einen Zustand betrachten, der unterdrückt, vermieden oder verleugnet werden sollte" (Saarni 2002, S. 8; Hervorhebung dort). Es ließen sich auch hierzu jede Menge Beispiele aus dem Alltag in Kindereinrichtungen finden.
Die eben kurz angesprochenen indirekten und direkten Strategien zur Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung werden mehr und mehr ergänzt durch Verfahren und Konzepte zum Training sozialer oder emotionaler Fähigkeiten und Fertigkeiten - auch bereits im Kindergarten. Dazu gehören beispielsweise Trainings zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenz im Kindergarten (Koglin/ Petermann, 2006). Ein Ansatz zur Förderung sozial unsicherer Kinder nennt sich zum Beispiel "Mutig werden mit Til Tiger" (Ahrens-Eipper/ Leplow 2004a, b). Es wendet sich an sozial unsichere Kinder ab fünf Jahren. Über zwei Einzel- und neun Gruppenstunden à 60 Minuten wird mit den Kindern selbstsicheres Verhalten praktisch geübt, indem alltägliche Situationen besprochen werden und praktische Handlungsstrategien "vermittelt" werden (Muskelentspannung, Gesprächsregeln, Kontakte knüpfen, etwas ablehnen, alleine einkaufen gehen). Hinzu kommen Entspannungsübungen sowie Empfehlungen an die Eltern.
Es kann davon ausgegangen werden, dass in einem sozial-emotional gehaltvollen und angereicherten Kontext auf solche Trainingsprogramme in der frühpädagogischen Praxis in aller Regel verzichtet werden kann.
Insgesamt bleibt festzustellen: Sozial-emotionale Entwicklung ist tatsächlich ein klassisches frühpädagogisches Thema - aktuell seit den Anfängen der institutionalisierten Kindergartenpädagogik rund um Friedrich Fröbel. Diese Aktualität rührt daher, dass die frühe Kindheit für die soziale und emotionale Entwicklung entscheidende Bedeutung hat.
Über den Austausch mit dem sozialen Umfeld erlangt das Kind notwendige emotionale Kompetenzen. Diese emotionalen Kompetenzen erleichtern andererseits wieder sozialen Umgang (diese Tatsache wird modern häufig mit Resilienz gleichgesetzt). Beide Kompetenzen sind eng verbunden mit der Entwicklung in anderen Bereichen: z.B. die Sprachentwicklung oder die kognitive Entwicklung. Insofern muss auch der Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung in der Frühpädagogik nennenswerte Beachtung zukommen.
Anmerkung
Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, der am 16.05.2008 anlässlich des vierten Studientages für Erzieherinnen zum Thema "Sozial-emotionale Entwicklung im frühen Kindesalter" an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau, gehalten wurde.
Literatur
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Autorin
Dr. Susanna Roux
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