Quelle: Erstveröffentlichung in klein & groß. Mein Kita-Magazin. 1/2020– Teil 1: „Mit Kindern sprechen über Sterben und Tod“
Elke Schlösser
„Schmerz ist der Preis, den wir für Liebe zahlen“
Elke Schlösser
1. Einführung
Wie kann man mit Kindern sprechen über Sterben und Tod? Ein Thema, das einen Grenzbereich menschlichen Erlebens berührt, mit vielen Unsicherheiten und Ängsten (auch für Erwachsene) verbunden ist und gesellschaftlich noch immer zu den sensiblen Themen gehört. Gerade weil die Antworten auf Fragen rund um die Thematik nicht einfach zu geben sind, lohnt es, sich Zeit zu nehmen und verschiedene Aspekte des Themas – mit Bezug auf die besondere Situation „Kindheit“ – näher zu beleuchten. Die thematische Gliederung dieser Fachartikelreihe stellt sich daher so dar:
Teil 1:
Kinder fragen nach dem Tod und allem, was damit zusammenhängt, weil sie alles „zur Welt“ Gehörende verstehen wollen und für alles, was für sie unverständlich ist, Erläuterungen brauchen. Daher sind auch Erklärungen zum Ende des Lebens für sie grundsätzlich interessant. Sie fragen dann dazu, obwohl keine unmittelbare eigene Betroffenheit besteht.
Teil 2:
Kinder fragen nach Sterben und Tod, weil sie in ihrem persönlichen Leben durch den Verlust eines Lebewesens (Tier oder Mensch), also durch eigene Betroffenheit, mit dem Thema konfrontiert sind.
Teil 3:
Kinder fragen nach Sterben und Tod, weil sie selbst durch eine lebensbedrohliche Erkrankung in der Situation der Betroffenen sind.
Der Grad der kindlichen Betroffenheit steigt von Situation 1 bis 3 zunehmend und damit auch die Anforderungen an die Erziehenden, die auf das jeweilige Kind in der jeweiligen Situation gut, angemessen und stärkend reagieren wollen, um gemeinsam mit ihm an der Thematik und Situation zu wachsen.
Situation 1 und 2 gehören mit größter Wahrscheinlichkeit zum Leben jeden Kindes. Es wird somit früher oder später, beiläufig oder intensiv, unberührter oder bewegter, nach den Phänomenen „Sterben und Tod“ fragen. Es wird mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit im Laufe seiner Kindheit mit dem Sterben von Menschen konfrontiert werden:
- in der Familie (Großeltern, Geschwister, Eltern etc.)
- bei eigenen Freunden, Bekannten, Nachbarn oder denen der Eltern
- in der Natur in Bezug auf Pflanzen und Tiere
- in Geschichten, Filmen, Nachrichten
Vielleicht wird es auch direkt mit dem eigenen Sterben konfrontiert oder mit der Möglichkeit des Sterbens (z.B. Leukämie-Erkrankung und Behandlung). Die meisten Kinder überleben in unserem Land ihre Kindheit und können ihr Erwachsenenleben dazu nutzen, ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu leben, ehe sich die Lebenslinie neigt. Doch wie begegnet man Kindern in dieser dramatischen Situation?
Dazu soll der dritte Artikel dieser Reihe Gedanken anbieten, in der Hoffnung, dass uns Pädagog*innen diese Anforderung im Umgang mit Kindern erspart bleibt.
2. Die Bedeutung von Fragen zur Endlichkeit im Kindesalter
Kinder leben in einer Welt, in der sie zunächst aufgrund ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung viele Dinge nicht wissen und viele Zusammenhänge nicht überblicken. Sie unterliegen einer natürlichen kindlichen Unreife. Im Grunde kann man sagen, dass der Mensch sein ganzes Leben lang versucht – mit steigenden Fähigkeiten – diesen Mangel auszugleichen. Dabei gibt es sicher keinen Menschen, dem es gelingt, absolutes Wissen und völliges Verständnis über alle Zusammenhänge der Welt und des Lebens zu erlangen. Die menschliche Lernfähigkeit und die geistig-seelische Reifung ermöglichen jedoch, immer mehr Wissen und individuelle Weisheit zu erlangen. Die Fähigkeit zur Reflexion über Sterben und Tod ist dem Menschen als Last und als Chance mitgeben. Und so fragen schon recht junge Kinder danach.
Das Mittel, im lebenslangen Prozess des Wissens- und Reifeerwerbs voranzukommen, ist also, zu fragen. Und ebenso wie Kinder wissen wollen
- warum es regnet,
- wohin die Sonne am Abend geht,
- warum ein schweres Schiff schwimmt und
- warum ein in die Luft geworfener Ball nicht in den Himmel verschwindet,
so wollen sie auch irgendwann (unspektakulär) etwas über Sterben und Tod wissen.
Da es sich um ein Thema handelt, das auch für Erwachsene ein besonderes ist, besteht die Gefahr, dass wir zu diesem Thema unbewusst eine „Frag‘ mich das lieber nicht“-Haltung ausstrahlen. Kinder spüren mit ihren sensiblen „Antennen“, wenn wir einem Thema lieber ausweichen möchten, weil wir uns damit unwohl, unsicher, befangen oder geängstigt fühlen. Sie stellen evtl. ihr natürliches Frageverhalten zu diesem Punkt ein, quasi um uns zu „schonen“. Dies sollten wir stets reflektieren.
Nicht nur der Aspekt der „Schonung des Erwachsenen“ ist bei Kinderfragen wichtig zu beachten. Selten machen wir uns im Alltag klar, dass Kinder sich über jede noch so beiläufige Erklärung, wie auch über jede ausführliche Antwortgebung, in aller Stille ihr Weltbild zusammensetzen. Kinder
- beobachten uns und ziehen ihre Rückschlüsse,
- sehen uns handeln,
- hören uns reden und
- kommen zu dem Fazit: „So ist also die Welt!“
Hierdurch wird klar, dass, je nachdem wie wir handeln und sprechen, ein bestimmtes kindliches Weltbild entsteht, mit entmutigenden oder ermutigenden Botschaften, mit dem Eindruck, die Welt ist ein „guter Platz“ oder ein „gefährlicher Ort“ (oder mit Varianten dazwischen).
Kinder „glauben“ oft mehr dem persönlichen Verhalten der von ihnen beobachteten Erwachsenen, als den Worten. Jedes Wort ist eine Antwort. Jedes Lächeln, jedes Zunicken, jede Umarmung, jedes Stirnrunzeln, Nichtbeachten und über Fragen hinweggehen auch. Alles ist Antwort – daraus wird die Verantwortung für unser tagtägliches Verhalten den Kindern gegenüber deutlich.
Dabei gilt es insbesondere bei allen grundsätzlichen Lebensfragen ehrlich und authentisch zu antworten bzw. sich zu verhalten. Fragende Kinder brauchen unsererseits eine wohlwollende Haltung, die ihn zeigt, dass es keine dummen oder unwichtigen Fragen gibt, weder bei Kindern, noch bei Erwachsenen, sondern dass der Mensch fragen muss, um sich selbst, das Leben und die Welt zu begreifen.
Erziehende müssen jedoch nicht auf alle Fragen eine vollständige und korrekte Antwort wissen. Ich kann sagen, dass ich über eine besondere Frage erst nachdenken muss und dann wieder auf das Kind zukommen werde. Ein Versprechen, das ich dann einhalten muss, um nicht unglaubwürdig zu sein. Dem Kind darf durchaus deutlich werden, dass sich Erwachsene sich bei bestimmten Fragen nicht sicher fühlen. Manche Antworten lassen sich gemeinsam herausfinden. Die gemeinsame Suche nach Antworten, gerade bei wichtigen Lebensfragen, ist dann für die Erwachsenen-Kind-Beziehung sehr bereichernd.
3. Sinnvolle Gespräche mit Kindern über das Thema "Sterben und Tod"
Kinder sind geborene Philosophen: Sie stellen häufig wie von selbst die eigentlichen Fragen, wie die nach
- dem Sinn aller Dinge, die sie entdecken und beobachten,
- allen Bedeutungen und Zusammenhängen, die ihnen wichtig sind und
- dem Sinn des Lebens, Sterbens und Todes.
Da, wo keine vernunftmäßig-schlüssigen Antworten greifbar sind, wird vom jungen Kind mit Phantasie logisch gemacht, was an Wissen und Erklärungen zu einer Sinnfindung fehlt. Der Einsatz von Phantasie hilft, ist berechtigt, hat aber den Nachteil, manchmal zu falschen Auffassungen zu führen. Daher ist die Wahrheit auf Dauer und mit steigendem Alter ein besserer Lebenshelfer als die Phantasie. Es klar: altersgerechte Aufklärung ist stärkender und hilfreicher als ausweichende, nicht korrekte Vertröstungen. Beziehen wir dies nun auch auf den Bereich „Sterben und Tod“.
Zum Leben eines jeden Kindes gehört ein Wissen um die Endlichkeit des Lebens und des Gefühls von Trauer. Ehe Kinder daran denken, dass es möglich ist, einen Menschen zu verlieren, erleben sie schon viele kleine Verluste, Enttäuschungen und Abschiede, ehe ihnen das Phänomen Tod bewusst wird. Die Auseinandersetzung mit dem Tod bleibt – einmal begonnen - ein lebenslanger Prozess. Er gelingt umso eher, je offener er geführt wird, denn Ignorieren ist zum Scheitern verurteilt, was in der Natur der Sache liegt.
Sind wir bereit zu authentischen und ehrlichen Gesprächen mit Kindern, so sind wir trotzdem evtl. unsicher, ob wir die richtigen Erklärungen und Worte wählen. Earl A. Grollman schrieb das Buch „Mit Kindern über den Tod sprechen“ (Konstanzer Taschenbuch, leider nur noch antiquarisch erhältlich). Darin stellt er sogenannte „Lesestücke“ in wörtlicher Rede vor. Er empfiehlt, in diesem Sinne mit Kindern über den Tod zu sprechen, altersgerecht und der entsprechenden Situation angemessen. Nachfolgend einige dieser LESESTÜCKE:
Wenn Du stirbst, dann bist Du tot. Versuche, dieses Wort auszusprechen, tot.
Das ist schwer zu sagen, nicht wahr? Nicht schwierig auszusprechen, aber schwer, den Mut zu haben, es zu sagen. Vielleicht, weil es ein so trauriges Wort ist … sogar etwas beängstigend.
Das ist nicht wie beim Spielen. „Peng! Ich hab‘ Dich erschossen! Du bist tot!“ Und dann fängt das Spiel wieder von vorn an. Wenn Menschen sterben, dann werden sie nie wieder lebendig.
Aber was bedeutet „tot“? Erinnerst Du Dich, als wir ein Tier sahen, dass von einem Auto angefahren war? Es lag da auf der Straße … reglos … es atmete nicht mehr … es bewegte sich nicht mehr … sein Herz schlug nicht mehr. Dieses Tier wird nie mehr atmen, wird sich nie mehr bewegen. Es war tot.
Genauso ist es beim Menschen. Der Körper bewegt sich nicht. Der Atem hat aufgehört. Das Herz schlägt nicht mehr. Der Körper ist reglos … ruhig und friedlich. Nichts tut mehr weh. Der Schmerz hat aufgehört, das Leben ist beendet.
Bist Du erstaunt, dass auch Erwachsene keine ausreichende Antwort darauf geben können, was der Tod bedeutet? Niemand versteht den Tod wirklich, aber wir können über alles sprechen. Du kannst etwas von mir lernen. Und ich lerne von Dir.
Wir können versuchen, einander zu helfen.
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Formulierungen dieser Art helfen vorbeugend, irreführende Phantasien, Ängste und Schuldgefühle zu vermeiden. Wir können Kinder zu bitten, Erklärungen sinngemäß zu wiederholen: So erfahren wir, was das Kind verstanden hat und ob wir richtig verstanden wurden. Kinder ziehen aus missverständlichen Erklärungen oft erstaunliche Schlüsse.
Ein Kind frug z.B.: „Wie lange dauert der Tod?“ Die erwachsene Person: „Der Tod ist von Dauer.“ Das Kind: „Dann ist es ja gut. Die Dauerwelle von Mama hält ja auch nicht lange!“
Erklärt man einem Kind, dass man stirbt, wenn man alt und krank ist, kann es Angst um die Eltern bekommen, denn das Kind empfindet seine Eltern als deutlich älter als es selbst. Ein Junge frug seine Eltern ständig nach deren Wohlbefinden. Er geriet in Panik, als der Vater eine Grippe bekam, aus Angst, er könne sterben. Dem Jungen musste klar gemacht werden, dass nicht jede Krankheit zum Tod führt und dass wir nicht wissen, wann wir sterben müssen. Aber das wir dies am ehesten tun, wenn wir alt sind und eine lebensbedrohliche Krankheit haben.
Pädagog*innen fragen sich, ob es ratsam ist, aus eigener Initiative und ohne situativen Anlass das Thema Tod anzusprechen, wobei ein systematisches, völlig ohne Zusammenhang begonnenes Gespräch zu dem Thema nicht als sinnvoll erscheint. Gehen wir so vor, treffen wir beim Kind vermutlich nicht auf ein eigengesteuertes Interesse. Günstiger ist es, das Thema durch Alltagsanlässe aufzugreifen:
- über absterbende Blätter im Herbst,
- zu Insekten, die in einem Moment noch leben, im nächsten Moment nicht mehr wie verendende Bienen auf dem Gehsteig.
Beobachtbares aus dem Alltag gibt uns viele Anlässe zur Verbindung mit diesem bedeutsamen Thema. Wir können mit einfachen Beispielen beginnen, das Thema stufenweise ausweiten, der Auffassungsgabe des Kindes und seinem Fragebedürfnis angepasst. Kinder signalisieren mit ihren weitergehenden Fragen, was sie zurzeit verarbeiten können. Man sagt: Ein Kind, das reif ist für eine Frage, ist auch reif für die Antwort. Kinder schützen sich oft, indem sie aufhören zu fragen, wenn ein Weiterfragen sie überfordern würde.
Hinsichtlich sprachlicher Bilder ist es kritisch eine Verbindung zwischen Schlaf und Tod herzustellen. Kinder können sehr erschreckt sein durch die Formulierung, dass jemand sanft entschlafen oder friedlich im Schlaf gestorben ist. Es können Ein- oder Durchschlafprobleme entstehen, aus Angst, nicht mehr wachwerden zu können. Auch Kindergebete mit ängstigenden Formulierungen wie: „Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt…“ können dem Kind Ohnmachtsgefühle vermitteln und die Angst, einer übermächtigen Instanz hilflos ausgeliefert zu sein.
Kinder phantasieren oft auch zu möglichen Daseinsformen nach dem Tod. Sie entwickeln evtl. eigenständig Vorstellungen zur Existenz oder Nichtexistenz nach dem Tod. Sehr naheliegend ist die Verbindung zu sinnbildlichen und/ oder religiösen Vorstellungen. Es ist nicht mehr als fair und klug, Kindern zu sagen, dass niemand – kein einziger Mensch – Gewissheiten zum Leben nach dem Tod hat, dass aber viele Menschen dazu nach Antworten suchen. Dass manche religiös bestimmte Vorstellungen haben, weil sie an Gott glauben, der ihnen ein Leben nach dem Tod verspricht, was sie tröstet und ihnen Hoffnung gibt. Wir sollten erklären, dass „im Himmel sein“ und „ins Paradies kommen“ Sinnbilder sind und eigene kindliche Vorstellungen ebenso wertvoll sind.
4. Wie viel können Kinder in den verschiedenen Altersstufen verstehen?
Ein Kleinkind kann sich unter dem Wort Tod noch nichts vorstellen. Aber es reagiert sehr wohl auf tatsächliche Verluste, z.B. durch Erspüren des emotional veränderten Klimas zu Hause. Heftige Gefühlsreaktionen wichtiger Bezugspersonen können die sichere Welt des Kindes durcheinander bringen. Sehr kleine Kinder können mit Reizbarkeit, Abweichungen im Schrei- und Essverhalten, Blasen- und Darmstörungen reagieren. Sie haben vor allem die Furcht, verlassen zu werden. Junge Kinder im Vorschulalter glauben oft nicht, dass der Tod endgültig ist. Für Kinder ist tot-sein einfach nur ein-bisschen-weniger-lebendig-sein. Sie sehen evtl.: Zeichentrickfiguren zerreißen durch Explosionen hundertfach und sie laufen bald danach unverändert weiter.
Zunächst halten kleine Kinder den Tod für etwas Zufälliges, das nicht alle Menschen betrifft: der Tod durch
- Autos betrifft nur die Anderen
- Gewalt kommt nur in den Nachrichten vor
- Krankheiten, von denen sie noch nie gehört haben, trifft aus sie nicht zu.
Der unbewusste Rückschluss kleiner Kinder ist oft: „Wenn ich nur gut aufpasse, keine nassen Füße bekomme („Kind, Du wirst noch totkrank!“), dann lebe ich mit etwas Glück ewig.“
Kleine Kinder bis 3 oder 3 ½ Jahre fragen eher wenig, größere Kinder beginnen die Dimension des Themas zu erkennen. Sie fragen häufiger, oft zigmal dasselbe um sicher zu gehen, dass die hundertste Antwort immer noch dieselbe ist, wie die erste.
Etwa vom 5. Lebensjahr an, ist schon eine gewisse Klarheit darüber vorhanden, was der Tod ist, dass er jedem Menschen bevorsteht und Endgültigkeit besitzt.
Kinder dieses Alters denken noch magisch, sie beschäftigen sich z.B. oft mit Vorstellungen von Gespenstern und Geistern. Sie erleben sich dabei als schwankend zwischen Angst und Faszination. Sachliche Erklärungen können sie jedoch nun besser begreifen.
Autorin
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