Der Umgang mit dem Tod im Kindergarten

Gertrud Ennulat

Kinder brauchen schützende Räume, in denen ihr Ich wachsen und größer werden kann. Gleichzeitig werden in der Erfahrung des Todes an das Kind Anforderungen gestellt, für die es eigentlich noch zu klein ist, die es auf Grund seines Entwicklungsstandes noch nicht bewältigen kann.

Doch der Tod hält sich nicht an altersgemäße Entwicklungsgesetze, setzt vielmehr alle menschlichen Übereinkünfte außer Kraft. Kein Kinderschutzbund kann ihn verhindern! Eine Erzieherin muss deshalb die Spannung aushalten, die sich aus dieser Einsicht ergibt. Niemand kann das Kind vor Schicksalsschlägen bewahren.

Jede Erzieherin, die von dem Wunsch geleitet wird, dem Kind Schutz zu geben, stößt an eine Grenze ihrer Pädagogik, wenn sie sich im Kindergarten dem Thema Tod stellt. In diesem Spannungsfeld von offenem und geschütztem Raum spielt sich ab, was mit dem Kind und dem Tod zu tun hat.

Aufgabe des Kindergartens ist es daher, den gegensätzlichen Stimmungen Raum zu geben, die Freude und die Trauer zu akzeptieren, die Wut und die grenzenlose Neugierde zu tolerieren. Nur dann entsteht für das trauernde Kind ein sicherer Boden allseitiger Akzeptanz, und dieser erlaubt ihm, die Schritte zu tun, welche für die Bewältigung seiner Trauer notwendig sind.

1. Die Rolle der Erzieherin

Der situationsorientierte Ansatz, der zur konzeptionellen Grundlage vieler Kindergärten gehört, benötigt offene und fachlich kompetente Mitarbeiterinnen. Der Umgang mit Themen aus dem Erlebnisfeld des Kindes verlangt ein großes Maß an Empathie. Sie ist das Gegenteil von kühler Sachlichkeit, vertritt eine Sache mit nachhaltiger Beteiligung. Empathie teilt sich mit, schwingt mit im inneren Betroffensein.

Eine Erzieherin muss die Fähigkeit zur Empathie haben bzw. in sich entwickeln. Die Kinder können ihr dabei helfen, sofern sie den Erfahrungen der Kinder mit dem Tod offen begegnet. Wie kann dies geschehen?

Zunächst geht es um die innere Bereitschaft, sich auf das Phänomen Tod einzulassen. Die nächsten Schritte gehen scheinbar von alleine, wenn sich die Tür zum Thema geöffnet hat. Vermehrt nehmen sich Gedanken und Phantasien Raum, die sich mit dem Sterben beschäftigen. Vielleicht meldet sich der Wunsch nach entsprechender Literatur für Kinder und Erwachsene.

Auf einmal können auch eigene Kindheitserinnerungen wach werden. "Wie war das doch damals, als meine Katze eines Tages tot im Garten lag, weil sie Mäusegift gefressen hatte?" fragt sich die Erzieherin. Die eigenen Erinnerungen im Hinblick auf den Tod bauen eine Brücke zu den Erlebnissen der Kinder, d.h., das Kindheits-Ich der Erzieherin kommuniziert mit den Kindern in der Gruppe. Darin liegt eine Chance zur Aufarbeitung. Der Kontakt mit dem inneren Kind kann dann als kreative Kraft in die tägliche Arbeit miteinfließen.

Offenheit und die Fähigkeit, Erlebnisse nachzuvollziehen, machen die Erzieherin aber auch verletzlich, denn die Tür zur eigenen Kindheit und zu den Kindern in der Gruppe lässt auch negativ erlebte Emotionen ein. Diese wollen ausgehalten und verarbeitet sein.

Auf den ersten Blick scheint viel verlangt zu werden, doch können diese Prozesse auch recht natürlich verlaufen. Die Offenheit dem eigenen Kindheits-Ich gegenüber verringert die Gefahr, die Bedürfnisse der Kinder zu übersehen. Was die Erzieherin im Interesse der Kinder wahrnimmt, kommt schließlich auch ihr zugute.

Dieser Prozess verläuft in einem Dreierschritt: Die Erzieherin nimmt ein Kind in seiner Verhaltensweise wahr. In der Reflexion nimmt sie das Wahrgenommene in sich hinein. Kinder spüren dies intuitiv. An Tagen, an denen sie im Mittelpunkt der Reflexion stehen, fließt ihnen vermehrt seelische Energie zu, intensiviert sich die Beziehung. Oft möchte das so bedachte Kind an diesem Tag der Erzieherin etwas schenken, ihr seine Zuwendung zeigen.

Wer ein Kind so wahrnimmt, macht sich dessen Probleme und Nöte teilweise zu eigen. Das daraus resultierende Verhalten spiegelt die innere Arbeit. Im Umgang mit dem Thema Tod öffnet dies die Kinder, und sie können sich freier darauf einlassen.

Botschaften des trauernden Kindes wahrnehmen und aufgreifen

Andreas hat seinen Vater verloren. Er gehört zu den Kindern, welche das Erlebnis des Todes noch nicht direkt in Worte fassen. Was er äußert, geschieht vieldeutig auf der Symbolebene. Von der Erzieherin verlangt dies eine gute Wahrnehmung, denn was das Kind spielt und wie es agiert steht in Bezug zu seinem Erleben. Wichtig im Prozess seiner Trauerverarbeitung ist, dass das, was er ausdrückt, gesehen und aufgenommen und in einen Bedeutungszusammenhang gestellt wird.

Einige Wochen nach dem Tod des Vaters bringt Andreas ein neues Kuscheltier mit: Es ist der kleine Löwe aus dem Walt Disney Film "König der Löwen". Dessen Handlung weist Parallelen zum Erleben des Jungen auf. Der König der Löwen ist gestorben, und der kleine Löwe wird vaterlos, ist aber noch nicht groß genug, um das Reich zu regieren, muss viele Gefahren und Demütigungen durchleiden, bis er am Ende der neue König sein kann.

Dieses Identifikationsobjekt erlaubt dem Kind, mit seinen Trauer- und Verlustgefühlen in Kontakt zu bleiben. Über viele Wochen wird es mitgenommen, wird zum Verbindungsglied zwischen dem Zuhause und dem Kindergarten. Auf der Spielebene kann die Erzieherin mit dem Jungen sprechen. Er erzählt, wie schlimm es für den kleinen Löwen sei, ohne Vater in der Welt zu stehen, weil er nun allein für sich sorgen muss. Auf diese Weise kann Andreas auch die Äußerung der Erzieherin annehmen: "Dem kleinen Löwen geht es wie dir." Kopfnickend stimmt er zu.

Anfangs hatte die Erzieherin Mühe, sich auf die nonverbale Kommunikationsebene einzustellen. Doch gelingt es dem Jungen, sich mit seiner schrecklichen Erfahrung im Kindergarten zu integrieren. Er bleibt sozial eingebunden, seine Weiterentwicklung zeigt keine regressiven Tendenzen. Zu Hause leidet er unter der Vaterferne, reagiert auf jegliche Veränderung im Tagesablauf mit Wutausbrüchen oder Weinen. Der Kindergarten mit seinen stabilisierenden Ritualen bildet eine deutliche Gegenwelt zum Elternhaus. Für das Kind gewinnt die Erzieherin an Bedeutung, weil es mit ihr Erlebnisse teilen kann, die sich in ihrer Qualität unterscheiden von allem, was zu Hause geschieht.

Versteckte Trauer kann nicht immer gefunden werden. Das trauernde Kind ist eines unter vielen innerhalb einer Gruppe. Folgende Fragen und Überlegungen können jedoch helfen, die feinen Botschaften des trauernden Kindes aufzunehmen:

  1. Spüre ich das Kind heute? Vermittelt es mir den Eindruck, dass es hier und jetzt im Raum ist?
  2. Hat das Kind Kontakt zu den anderen Kindern?
  3. Was lese ich in seinem Gesichtsausdruck? Was für Bilder oder Phantasien entstehen in mir?
  4. Was bringt das Kind in seinem unsichtbaren Rucksack von zu Hause mit?
  5. Sucht das Kind Augenkontakt, Körperkontakt zu mir?
  6. Was bewirkt sein Anblick bei mir? Verändert sich meine Stimmung?

Eine Erzieherin kann nicht zur Kindertherapeutin werden. Aber sie kann dem trauernden Kind immer wieder die Gewissheit geben: Ich sehe dich!

2. Über den Tod sprechen

Gespräche über den Tod brauchen in erster Linie eine Atmosphäre der Offenheit und gegenseitigen Achtung, in der Gefühle jeglicher Art geäußert werden können. Wichtig ist es, die Kinder erzählen zu lassen. Doch auch wenn die Äußerungen der Erzieherin kurz erscheinen, kommt ihr eine wichtige Rolle zu. Sie initiiert den kleinen Gesprächskreis, eröffnet das Gespräch mit ihrem Impuls und sitzt in einer ruhigen, abwartenden und gleichzeitig gespannten Haltung, um zu hören, was die Kinder äußern wollen.

Meist entsteht dann ein offener stiller Raum, in den die Kinder mit ihren Gesprächsbeiträgen hineingehen können. Erzählung reiht sich an Erzählung. Gut ist es, wenn die Erzieherin nach einigen Beiträgen diese zusammenfassend wiedergibt, dabei stets das gefühlsmäßige Erleben in Worte fasst. Im Hinblick auf sprachlich wenig versierte Kinder ist dieses Echo notwendig. Wortgewaltige Kinder finden häufig individuelle Ausdrücke. Ein Blick in die vertrauten Gesichter der Kinder zeigt der Erzieherin, wo sich jedes Kind emotional befindet. Stumme Kinder kann sie mit einer direkten Anrede in die Gesprächsrunde mit einbeziehen.

Beim Sprechen über den Tod kann es häufiger als bei Alltagsthemen der Fall sein, dass manche Kinder überhaupt nicht den Mund aufmachen. Zwar wirken sie sehr konzentriert zuhörend, zeigen jedoch keine Bereitschaft, ins Gespräch einzusteigen. Es bleibt nun dem Feingefühl der Erzieherin überlassen, herauszufinden, ob sie vielleicht stellvertretend für diese Kinder sprechen muss. Sterben und Tod bleiben angsterzeugende Themen, die bei aller pädagogischen und psychologischen Aufbereitung ihre schicksalhafte Zeichnung nicht verlieren.

Ein wichtiger Grundsatz jedoch soll alles Sprechen über den Tod im Kindergarten begleiten: Gefühle und Befindlichkeiten der direkt Betroffenen müssen Ausdruck finden. Jede Blockierung ist ein Hinweis darauf, dass es an Möglichkeiten zur Umsetzung gefehlt hat.

Vertrauen aufbauen

Ein Kind kommt scheinbar sprachlos auf die Welt, denn seine Äußerungsformen sind zunächst nicht sprachlich im engeren Sinn. Erst in der vertrauten Beziehung zu einem Erwachsenen bildet sich seine Sprache aus den kindlichen Vorformen heraus. Sie stellt das wichtigste menschliche Kommunikationsmittel dar.

Die Dreijährigen im Kindergarten verfügen über genügend sprachliche Möglichkeiten, um ihre Bedürfnisse und Anliegen in Worte fassen zu können. Darüber hinaus können sie einfache Sachverhalte wiedergeben. Mit zunehmendem Alter vergrößert sich der kindliche Wortschatz, differenziert sich, weil Eigenschaften von Dingen ebenso wie eigene Gefühle und Stimmungen benannt werden.

Beim Sprechen macht das Kind einen Schritt aus sich heraus. Bei sprachgehemmten oder schüchternen Kindern wird sichtbar, welche Mühen dieses Aus-sich-heraus-Treten bereiten kann. War das Kind im Schweigen auf sich bezogen, so kann es nun in die Gemeinschaft mit einem Menschen eintreten. Da dem Sprechen der Akt des Heraustretens vorausgeht, ist immer auch ein Wagnis mit ihm verbunden. Es ist ja nicht von vornherein klar, wie das Gegenüber meine Worte aufnimmt.

Was für das Sprache-Finden des Kindes gilt, trifft auch auf die Erzieherin zu. Bei jeder Äußerung dem Kind gegenüber macht auch sie diesen Schritt aus sich heraus. Beide Seiten sind am Gespräch gleichberechtigt beteiligt. Beide brauchen Vertrauen, um sich auf die Worte einzulassen. Die Sprache der Erzieherin muss für das Kind verständlich sein; sie verzichtet auf die spezifischen Worte der Erwachsenensprache. In diesem Prozess hat es das Kind einfacher. Es bleibt bei seiner Sprache, während die Erzieherin die ihr gemäße Erwachsenensprache teilweise verlässt.

Vielen Erwachsenen fällt es schwer, die Worte der Kinder ernst zu nehmen, werten diese abschätzig als Kinderjargon oder Babysprache, neigen sich von ihrer "Hochsprache" zum Kind herunter und wundern sich spätestens dann, wenn diese Kinder wortkarg und einsilbig antworten.

Nur wenn es heißt: "Du, Kind, bist mit deiner Sprache mir als Erzieherin mit meiner Sprache gleichberechtigt", stellt sich die Offenheit her, die Grundlage jeder sprachlichen Kommunikation ist. Da der Erwachsene wortgewaltiger als das Kind ist, besteht immer die Gefahr, dass er seine Worte auch als Machtmittel benutzt. Auch dies behindert das Gespräch. Andererseits ist das Kind auf den sprechenden Erwachsenen angewiesen, um seine Sprache täglich zu üben, seinen Wortschatz zu erweitern. Ein unbehindertes Gespräch entsteht dann, wenn sich der Erwachsene leiten lässt von dem Bemühen, genau hinzuhören und genau zu schauen, wo sich das Kind emotional befindet. Auf diese Weise herrscht die notwendige innere Einstimmung.

Wenn es um die Erfahrung von Trauer und Tod geht, steht dem Kind oft nur das Eigenschaftswort traurig zur Verfügung, um seine Verfassung zu verbalisieren. Häufig können Kinder auch dieses Wort nicht mehr eindeutig anwenden, weil die positiv besetzten Worte wie fröhlich, lustig, glücklich, happy, geil und cool zuerst gelernt und auch mehr benutzt werden. Deshalb kann es geschehen, dass ein Kind sagt: "Heute geht es mir gut!", während seine Verfassung an diesem Tag eher das Bild eines niedergedrückten Kindes vermittelt. Für solche Kinder hat die Erzieherin eine wichtige sprachvermittelnde Funktion. Ihre Äußerung: "Du hast gesagt, es gehe dir gut. Doch wenn ich dich ansehe, habe ich den Eindruck, es geht dir aber gar nicht gut", fasst in Worte, was das Kind nonverbal mitteilt. Jetzt kann es durchaus sein, dass das Kind die Flucht ergreift, weil es das nicht hören will. Das Gegenteil kann ebenso der Fall sein, und das so gespiegelte Kind bestätigt die Beobachtung der Erzieherin. Ihre Worte waren klärend. Nun weiß das Kind, was mit ihm ist. War es bisher unkontrolliert und störend bei den Spielen der anderen Kinder, kann es nun bewusster auf sich achten, weil es sich gefühlsmäßig einordnen kann.

Auf diese Spiegelung durch den Erwachsenen sind Kinder sehr stark angewiesen. Wer sich als Erzieherin angewöhnt, im Gespräch mit Kindern immer auch in wenigen Worten ihre Befindlichkeit miteinzubeziehen, trägt dazu bei, dass diese sich klarer einschätzen können und sich akzeptiert und wertgeschätzt fühlen. Die Kinder merken, vor der Erzieherin brauche ich mich nicht angstvoll zu verbergen, wenn ich mich schlecht fühle. Die sieht mich, wie ich bin. Und ich darf so sein, werde auch nicht ausgeschimpft. Diese Erfahrung bewirkt eine angstfreie, gute Atmosphäre, in der Kinder sich entfalten können.

Wie schon an anderer Stelle gesagt, können Trauergefühle vielfarbig und sehr widersprüchlich sein. Es bestehen Erwartungen und Vorstellungen, wie sich ein trauerndes Kind verhalten soll. Das gängige Bild ist das in Tränen ausgebrochene Kind, das im Betrachter das Bedürfnis weckt zu trösten. Gerade weil die eindeutige Signalwirkung der Tränen so automatisch wirkt, will nicht einleuchten, warum bei Kindern die Trauer so schwer auszumachen ist.

Für die Erzieherin ist es wichtig, zu wissen, dass dies durchaus normal und natürlich ist und den Erscheinungsformen des sprunghaften Trauerns der Kinder entspricht. Nie darf einem Kind deswegen ein Vorwurf gemacht werden. "Du bist ja gar nicht traurig, du hast den kleinen Bruder wohl nicht sehr lieb gehabt!" bedeutet eine niederschmetternde Aussage für ein Kind. Sie beweist ihm, es ist nicht in Ordnung. "Nicht einmal richtig trauern kann ich, ich bin schon schuld, dass der kleine Edi gestorben ist." Kritik am Trauerverhalten von Kindern kann zu einer zerstörerischen Kraft werden.

Thomas hat seine Mutter durch Selbstmord verloren. Sein Vater konnte es der Erzieherin in seinem Beisein mitteilen. Ein solcher Freimut im Umgang mit dem Suizid ist sehr selten, denn nach wie vor gehört diese Todesart in die Tabuzonen unserer Gesellschaft. Für den Jungen war es gut, mitzuerleben, wie klar und eindeutig sich sein Vater über den Freitod seiner Mutter äußern konnte. Als Folge davon muss sich keiner vor dem andern verstecken!

An manchen Tagen aber wird der Junge bei nichtigen Anlässen wütend, tritt mit den Füßen gegen alles, was ihm in den Weg kommt, und kümmert sich nicht um die Reaktionen der Kinder. Pia schimpft: "Der will immer der Stärkste sein!" Matthias weint: "Jetzt hat er mir schon wieder meine Garage kaputtgemacht. Blöder Thomas."

Soll die Erzieherin die Kinder daran erinnern, wie schwer es Thomas hat, weil sich seine Mama umgebracht hat? Das würde alle überfordern, den Jungen in eine Sonderrolle drängen und ihn aus der Gruppe ausschließen. Deshalb geht sie mit Thomas in einen ruhigen Teil des Raumes, was beiden guttut. Der Gesichtsausdruck des Kindes verändert sich; es zuckt um seine Mundwinkel, und Tränen rollen über sein Gesicht, als es sagt: "Ich weiß, ich weiß, ich soll nicht mit den Füßen treten!" Die Erzieherin weiß, das Problem des Jungen ist nicht sein Umgang mit Aggressionen. Dahinter verbirgt sich seine Trauer. Deshalb fragt sie: "Wie geht es dir denn zu Hause, jetzt, wo die Mama nicht mehr da ist?" Es dauert eine Weile, bis Thomas antworten kann: "Nicht gut. Ich muss immer an sie denken, wenn ich im Bett liege."

Erzieherin: "Und wenn du an die Mama denkst?"
Thomas: "Dann mein ich grad, sie ist wieder da!"
E: "Du meinst grad, sie ist wieder da."
Thomas: "Ja."
E: "Komm, wir gehen Uno spielen."
Das ist Thomas' Lieblingsspiel. Schnell bildet sich eine fröhliche Runde kartenspielender Kinder.

Immer sind es diese Kurzgespräche, die dem Jungen weiterhelfen. Oft geht ihnen ein Konflikt voraus, dessen Signalwirkung die Erzieherin versteht. Sie schenkt dem Jungen ungeteilte Zuwendung. Ihre direkte Frage nach der Veränderung zu Hause ermutigt das Kind zu sagen, wie es ohne Mutter zurechtkommt. Durch die einfache Wiederholung bekräftigt die Erzieherin seine Aussage und erreicht, dass er sich weiter öffnen kann. Das Ende des Gesprächs bringt den Jungen stets wieder in die Gruppe zurück. Da der Junge großes Vertrauen zu seiner Erzieherin hat, wehrt er sich gegen diese Zweiergespräche nicht. So konnte sich bei der Erzieherin ein gutes Gespür für dieses Kind entwickeln.

Kinder drücken ihre Befindlichkeit weniger mit Hilfe von Eigenschaftswörtern aus als Erwachsene. Sie benutzen vielmehr erklärende Sachaussagen, die dann den Rückschluß auf ihre Gefühle zulassen. Jonas wirkt heute schlechtgelaunt. Auf die Frage der Erzieherin: "Was ist heute mit dir los?" antwortet er: "Mein Schokoladenmüsli war alle."

Auch kann im Erleben der Trauer ein Kind seine Gemütsverfassung nicht ursächlich mit dem Tod der Mutter oder eines anderen Verstorbenen in Verbindung bringen. Eher ist es so, dass die Stimmung sich indirekt ausdrückt und erst im nachfolgenden Gespräch sich finden lässt.

Karlas kleiner Bruder ertrank vor einem Jahr beim Baden im Baggersee. Seither hat sich das ehemals fröhliche Mädchen in ein sehr ängstliches Kind verwandelt. Sie ist überangepaßt und bestrebt, immer alles recht zu machen, benötigt permanente Ermutigung. Ihre Freundin blättert in einem Bilderbuch, weist auf eine Badeszene am Wasser hin. Karla hält sich die Augen zu. Leila findet das blöd, imitiert die Freundin, macht sich lustig über sie. Gleichzeitig ist es ihr unangenehm, als diese auch noch zu heulen anfängt.

Die Erzieherin setzt sich zu den Kindern, denn auch ihr geht Karla oft auf die Nerven. Sie nimmt Karlas Hände in die ihren. Gemeinsam schauen sie die Seite an.

Erzieherin: "Karla, sag doch der Leila, was dir an dem Bild nicht gefällt."
Karla: "Alles."
Leila: "Ich mag so gerne schwimmen gehen."
E: "Karla, du magst nicht am Badesee sein. Dort kann es ja auch gefährlich werden."
Karla nickt.
Leila: "Ja, ich weiß, das ist, weil der Frederick ist doch ertrunken."
E: "Ja, das stimmt. Der kleine Frederick ist ertrunken. Und du hast das alles mitansehen müssen. Das war schlimm. Hast du es der Leila mal erzählt?"
Karla: "Die weiß das. Aber der Frederick ist jetzt im Himmel."
E: "Und du, gehst du mit der Leila ins Schwimmbad, wenn es heiß ist?"
Karla schüttelt den Kopf.
Leila: "Nie geht die mit mir schwimmen. Das find ich so blöd."
Karla weint wieder.
E: "Vielleicht braucht die Karla einfach noch ein wenig mehr Zeit."

Für Karla brachte der Tod des Bruders eine deutliche Verengung ihres Lebensspielraums. Ihre Trauer zeigt sich in ihrem Verhalten, Gefahren zu vermeiden. So versucht sie, ihr seelisches Gleichgewicht zu halten. Die Erzieherin gewinnt mehr und mehr den Eindruck, die Regression des Kindes verfestige sich. Die pädagogischen Mittel des Kindergartens können in diesem Fall nicht weiterhelfen. Das Mädchen braucht therapeutische Unterstützung.

Berücksichtigung des Elternhauses

Im Hinblick auf das Kind befindet sich die Erzieherin im gesicherten institutionellen Rahmen des Kindergartens. Sie handelt gemäß ihres Auftrages, erfährt Solidarität von ihren Kolleginnen und vom Träger. Immer aber bleibt der Kindergarten ein Ort neben dem Elternhaus. Je nach der häuslichen Situation können sich Rivalitäten zwischen diesen beiden Einflussbereichen ergeben.

Für Kinder, die den Tod erfahren haben, erhält der Kindergarten eine besondere Wichtigkeit. Diese wird allerdings beeinträchtigt, wenn sich die Sichtweisen der Eltern von denen des Kindergartens sehr unterscheiden.

Der Wunsch des Kindergartens gilt der offenen Kommunikation. Diese kann abrupt zum Stillstand kommen, wenn es um den Tod geht. Eltern können nicht gezwungen werden, sich dieser Fragen anzunehmen. Offenheit lässt sich nicht erzwingen, sie kann nur wachsen. Und Eltern haben ihre Grenzen, die sie respektiert wissen wollen.

Wenn Eltern davon überzeugt sind, das Sprechen über den Tod schade ihrem Kind, kann die Erzieherin zwar pädagogisch informieren und um Verständnis bitten, doch damit müssen die Widerstände der Mutter oder des Vaters noch nicht verschwinden. Auch diese Eltern wollen in ihrer Sichtweise akzeptiert sein. Nie darf sich die Erzieherin in ihrer Enttäuschung über festgefahrene Meinungen dazu hinreißen lassen, die Position der Eltern dem Kind gegenüber zu unterhöhlen. Dieses gerät sonst in einen entsetzlichen Loyalitätskonflikt.

Wenn Differenzen zwischen Kindergarten und Elternhaus auftreten, ist es für das Kind besser, diese beiden Welten klar unterschieden zu erleben. Zu Hause hört es dann beispielsweise von der Mutter, sie findet es nicht gut, mit ihm über den Tod zu reden. Im Kindergarten wiederum erlebt es die Offenheit der Erzieherin diesem Thema gegenüber.

Die Standpunkte der Eltern können im übrigen durchaus auch zur Bereicherung beitragen. Sie müssen gehört werden, denn in der Frage des Todes sind auch tiefe religiöse und weltanschauliche Fragen berührt.

Wenn zum Elternhaus eine Beziehung besteht, erleichtert diese das Sprechen über den Tod. Notwendige Rückfragen können beantwortet werden. Oft sind diese wichtig, weil Kinder Ereignisse, die sie emotional sehr betreffen, nie sachgemäß schildern können. Meist berichten sie nur den Teil eines Ereignisses, der ihnen am meisten angst macht.

Peter erzählt beispielsweise, die Mama sei für zwei Wochen in der Klinik. Immer wieder formuliert er diesen Satz. Erst im Gespräch mit der Erzieherin wird deutlich, dass die Mutter noch zu Hause ist. Sie muss erst morgen weg. Das Erzählen des Kindes kreist ausschließlich um die Trennung von der Mutter. Angst wird spürbar, es ist die Angst, verlassen zu werden. Aber auch die Unsicherheit, wie eine so lange Zeit beim geschiedenen Vater verlaufen wird. Im Gespräch legt sich die Angst, denn die Zeit ohne die Mutter wird klarer und überschaubarer für das Kind. Auf einmal freut sich der Junge auf neue Spiele beim Vater. Er hat sich an die neue Situation angepasst.

Der Kindergarten leistet Tag für Tag viel solcher Orientierungsarbeit. Für die Kinder ist dies Voraussetzung, um sich im Leben zurechtzufinden.

Ist Sarahs Oma nun gestorben oder nicht? Diese Frage bewegt die Erzieherin, denn so ganz beiläufig hat das Mädchen erwähnt, ihre Oma sei gestorben. Überrascht und auch ein wenig vor den Kopf gestoßen, versucht die Erzieherin mit dem Kind zu sprechen. Doch es will sich kein Dialog ergeben, und auch kein Mitgefühl. Dieses braucht die Emotion des Gegenübers, und die fehlt bei dem Mädchen.

Sarah sagt ihren Satz und scheint selbst nicht zu verstehen, was sie da sagt. Aus ihren Erläuterungen ergab sich keine Aufhellung, eher machte die Schilderung der verwandtschaftlichen Beziehungen, die Sarah anfügte, um die verstorbene Oma als die Mutter des Vaters zu identifizieren, einen verwirrenden Eindruck, da sie das Kind in große sprachliche Not brachte. Das Sprechen mit der Erzieherin brachte keine Ordnung in das Durcheinander. Diese spürte, wie sie selbst alles Gehörte nicht ernst nehmen wollte.

Da die Eltern des Kindes Elternabende nie besuchen, auch andere Aktivitäten des Kindergartens meiden, fehlt die Rückkoppelung mit dem Elternhaus. Die Erzieherin fragt sich: "Soll ich anrufen, ob die Oma gestorben ist?" Doch sie verlässt sich auf ihr Gefühl und beobachtet das Kind in den nächsten Tagen vermehrt. Sarahs Kontaktaufnahme mit der Erzieherin besteht ausschließlich im Erzählen von der Oma. Sie erwähnt die Beerdigung, aber der Papa will seine Ruhe haben, will nicht darüber reden.

Nun hat die Erzieherin den sicheren Eindruck, dass das, was Sarah gefühlsmäßig erlebt, die Gleichgültigkeit widerspiegelt, mit der die Eltern dem Tod der Großmutter gegenüberstehen. Deren Haltung wirkt unklar, beiläufig und verdrängend. Das Kind hängt mit seinem neuen, fragmentarischen Wissen förmlich in der Luft und kann es nicht einordnen. Auf diese Weise entwickelt sich bei ihm auch kein richtiges Trauergefühl. Wenn die Erwachsenen so diffus reagieren, hat es ein Kind schwer! Der Erzieherin, der nichts anderes übrigbleibt, als die kurzen Erzählungen des Kindes aufzunehmen, versucht an Stelle des sprachohnmächtigen Kindes, Worte zu finden. Dies kann nur geschehen, wenn ein gutes Einfühlen in das Kind besteht, und wird, weil die Eltern nie präsent sind, auch unvermeidbar von Zweifeln begleitet.

Gesprächsbeispiele

Das Haustier eines Kindes ist gestorben

Haustiere sind wichtige Begleiter im Alltag eines Kindes. Wenn sie sterben, hinterlassen sie eine schmerzhafte Lücke und konfrontieren das Kind meist zum erstenmal mit dem Tod.

Wenn das Haustier eines Kindes aus der Gruppe gestorben ist, kann die Nachricht die Erzieherin auf vielfältige Weise erreichen. Vielleicht erzählt das Kind gleich bei der Begrüßung am Morgen, was mit seinem Tier geschehen ist. Wenn erst wenige Kinder im Raum sind, kann die Erzieherin mit dem Kind darüber gleich sprechen. Das ist sehr wichtig, denn es ist ein Ereignis, welches das Kind als erstes loswerden musste; seine innere Anspannung wird für die Erzieherin spürbar.

Erzieherin: "Dein Meerschweinchen ist gestorben?"
Annette: "Ja, das ist jetzt tot!"
E: "Und wie ist das passiert? Erzähl mir das."
Annette: "Es lag einfach im Käfig und ist nicht mehr aufgestanden."
E: "Es lag im Käfig und ist nicht mehr aufgestanden."
Annette: "Ja, du, ich hab es gerufen und den Käfig aufgemacht. Da hab ich es gestreichelt. Aber da war es immer schon tot."
E: "Du hast mir ja oft erzählt, wie gerne du dein Meerschweinchen streichelst und wie es dann manchmal piepst vor Freude."
Annette: "Aber wenn es tot ist, kann ich es gar nicht mehr so streicheln."
E: "Du spürst mit deinen Fingern, es ist anders."
Annette: "Ja, es ist so steif und hat immer die Augen zu."

Während des Gesprächs schaut das Mädchen suchend immer wieder im Raum herum. Als endlich ihre Freundin erscheint, springt sie schnell zu ihr. Die beiden verschwinden in der Puppenecke.

Das kurze Gespräch gibt dem Kind die Gelegenheit, mitzuteilen, was geschehen ist, seine innere Anspannung zu verringern. Dabei muss kein ausführlicher Bericht entstehen, schließlich wird dem Kind erst langsam und allmählich bewusst, was passiert ist. Sein Erleben kennt keine logische Abfolge des Geschehens.

Die Erzieherin ist die erste Person, mit der das Kind im Kindergarten sein Erlebnis teilt. Einfühlend und gleichzeitig sachlich kann sie mit dem Kind darüber sprechen. Ihre nüchterne Empathie hilft ihm, sich zu öffnen. Notwendig sind dabei kleine Fragen, welche den Sachverhalt der Begebenheit klären, denn diese Leistung kann ein Kind nicht allein erbringen. Dafür braucht es die Person der Erzieherin, muss in deren Gesicht schauen können, weil sich erst durch diesen Blick seine Gefühle und Affekte klären.

Die Worte und Formulierungen der mitfühlenden und mitdenkenden Erzieherin ordnen seine Aussagen und Gefühle, so dass sich die Erfahrung "ein Haustier ist gestorben" in einer kindgemäßen sprachlichen Form ausdrückt. Kinder teilen ihre Erlebnisse nicht systematisch mit. Häufig sind es Bruchstücke, die erst im Gespräch ein Ganzes ergeben. Diese Verarbeitungsweise schützt sie vor der Totalität des Erlebens.

Dennoch ist die Erzieherin ein wenig enttäuscht, denn sie hatte erwartet, das Kind würde mehr Trauer im Gespräch mit ihr ausdrücken. Und nun spielt es in der Puppenecke mit der Freundin. Sie nimmt sich vor, die Nähe der beiden Mädchen heute morgen vermehrt aufzusuchen. Folgendes Spiel ergibt sich nach einer Weile: Annette hat ein Meerschweinchen als Kuscheltier auf dem Arm, streichelt und liebkost es zärtlich. Auf einmal lässt sie es fallen und bricht in Tränen aus. Die Erzieherin nimmt das Kind in den Arm; schnell schart sich ein Kreis neugieriger Kinder um die beiden. Sie spürt, jetzt ist der Zeitpunkt da, um mit den Kindern über den Tod des Tieres zu sprechen.

Erzieherin: "Annette hat etwas ganz Trauriges erlebt."
Ute: "Ich weiß, ihr Meerschweinchen, die Susi, ist gestorben."
Anton: "Unsere Katze ist auch mal unters Auto gekommen. Da war die auch tot. Da ist die gar nicht mehr heimgekommen."
Udo: "Und unser Hund, der hat so eine Krankheit gehabt, da hat der Doktor gesagt, er kriegt eine Spritze, dass er einschläft. Und dann ist der auch totgegangen."
Ina: "Bei uns im Garten hab ich mal eine tote Maus gesehen, die hat die Augen offen gehabt."
E: "Viele von euch haben schon Tiere gehabt, die dann gestorben sind. Der Anton hat gesagt, seine Katze ist nicht mehr heimgekommen."
Anton: "Da war ich ganz traurig und hab geweint, weil das war nämlich meine Katze."
E: "Ja, das Tier, das ihr lieb habt, das ist dann einfach verschwunden, kommt nie wieder."
Pia: "Ich hab mal einen Wellensittich gehabt, der ist auch gestorben, und dann hab ich auch geheult."
E: "Es tut weh, wenn das Meerschweinchen stirbt."
Pia: "Und ich muss immer noch an meinen Vogel denken."
E: "Die Annette hat erzählt, ihr Meerschweinchen sei ganz steif gewesen."
Anton: "Bei meiner Katze ist das Blut herausgelaufen. Das hat mir meine Mama erzählt."
E: "Könnt ihr der Annette erzählen, was ihr mit dem toten Tier gemacht habt?"
Ina: "Mein Papa hat der toten Maus ein Loch gebuddelt. Und dann hat er sie reingelegt, und dann hab ich Blumen draufgelegt."
Udo: "Unser Hund musste beim Tierarzt bleiben. Der tut die toten Tiere zu so einem Haus."
E: "Ja, es gibt ein Haus, wo man die toten Tiere abgeben kann."
Pia: "Ich hab meinen Vogel in eine Schuhschachtel gelegt. Und der Opa hat ein Loch im Garten gemacht. Da hab ich die Kiste reingetan."
Annette: "Mein Papa hat gesagt, er will mein Meerschweinchen auch so in die Erde tun, und ich darf helfen."
E: "Jetzt bin ich richtig froh, dass die Annette nicht mehr weinen muss und mit uns sprechen konnte. Vorhin war sie ganz traurig und betrübt. Manchmal ist das einfach so. Da müssen wir Trauriges aushalten. Aber dann geht es vorüber."

Die Gesprächsrunde bestätigt, dass bereits Kinder vielfältig mit dem Tod in Berührung kommen. Sie können genau beschreiben, wie das tote Tier aussah. Die große Anteilnahme der Kinder verweist auf eine später in der Schule festzustellende Tatsache: Diese erste Todeserfahrung prägt sich tief und nachhaltig ins Gedächtnis ein, denn in vielen Aufsätzen erzählen die Kinder bei traurigen Ereignissen vom Tod ihres ersten Haustieres.

Kinder bringen einen toten Vogel mit

Wenn Kinder mit Gleichaltrigen schon alleine in den Kindergarten gehen dürfen, passiert es oft, dass sie auf dem Weg verweilen, auch mal im Gebüsch nach Interessantem stöbern, dabei auf einen toten Vogel, eine tote Maus, einen toten Regenwurm stoßen. Da sie keine Abscheu vor dem Toten kennen, nehmen sie das leblose Tier in die Hand, bringen es in den Kindergarten mit. Am Eingang treffen sie andere Kinder; im Nu hat sich eine Gruppe um den toten Vogel gebildet. Für die Erzieherin ist es an der Zeit, die Situation aufzugreifen, schließlich haben die Kinder das Thema ja angestoßen. Stolz erzählen die beiden Jungen von ihrem Fund, halten ihn abwechselnd in der Hand, genießen es auch, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen.

Die Erzieherin wirkt hin- und hergerissen zwischen dem Bemühen, den Kindern und dem toten Vogel Raum zu geben, und den möglichen Verstößen gegen die Gebote der Hygiene. Es ist ja ein totes Tier, das sich im Anfangsstadium der Verwesung befindet. Der Appell an Hygienevorschriften würde die spontane Gesprächssituation zerstören. Das Austeilen von Plastikhandschuhen würde dem kindlichen Bedürfnis nach Berührung nicht Rechnung tragen. Was also tun?

Es ist immer hilfreich, eine solche Situation in Worte zu fassen, denn das lässt die Kinder teilhaben an der Entscheidung.

Erzieherin: "Tom und Ole haben einen toten Vogel gefunden. Jeder möchte ihn in die Hand nehmen. Das ist gar nicht so einfach, ein totes Tier zu berühren. Ich schlage euch vor, wir gehen in unseren Gruppenraum, bilden einen Stuhlkreis und legen den Vogel in die Mitte."

Aus dem ungeordneten Pulk der Kinder im Eingangsbereich des Kindergartens bildet sich nun ein geordneter Kreis, der ein Zentrum hat. In der Mitte liegt der Vogel auf einem kleinen Kissen. Die aufgeregte Stimmung hat sich beruhigt. Die Erzieherin weist die Kinder darauf hin, ihre Finger nicht in den Mund zu stecken, wenn sie den toten Vogel berührt haben.

Das Bedürfnis der Kinder, über das tote Tier zu sprechen und es anzufassen, ist groß. Beide Bedürfnisse finden in der folgenden Runde ihren Ausdruck:

Erzieherin: "Das ist das erste Mal, dass ein totes Tier in unserem Kreis liegt. Wie geht es euch dabei?"
Micha: "Mich macht das ganz traurig, weil, ich will nicht, dass der tot ist, der soll fliegen."
Jonas: "Mir macht das nix aus, weil, das hab ich schon oft gesehen. Ich kann den auch in die Hand nehmen!"

Er tut es und löst unter den Jungen Unruhe aus, denn jeder will nun seinen Mut unter Beweis stellen. Die Stille des Anfangs ist verschwunden, es geht nur noch darum, wer sich traut, ein totes Tier zu berühren. Im Hinblick auf die Äußerung von Micha muss die Erzieherin wieder an das Empfinden der Kinder anknüpfen, denn das coole Verhalten der Buben kann auch als emotionale Schutzbarriere verstanden werden.

Erzieherin: "Ich merke, wie ihr alle den toten Vogel gerne anfassen wollt."
Leila: "Mein Papa hat gesagt, das darf ich nicht machen, weil, die, wo tot sind, die Tiere, die verfaulen, und dann kann man krank werden."
Jonas: "Ich hab schon viele angefasst, das hat mir nix gemacht!"
E: "Dann hast du Glück gehabt. Leila hat recht, wenn wir ein totes Tier anfassen, müssen wir uns hinterher ganz fest die Finger mit Seife abwaschen. Dann macht es uns nicht krank. Martina, geh doch mal hin, und setz dich neben den Vogel!"
Martina: "Der ist ganz still, und an den Federn ist er ganz dreckig."
E: "Probier mal, ihn zu berühren."
Martina: "Die Federn sind ganz weich, aber der tut ja nix mehr."
E: "Was die Martina gemacht hat, können auch andere Kinder tun. Wer möchte zum Vogel hingehen? Erzählt, was ihr fühlt!"
Pia: "Ich denk, der muss jetzt gleich wegfliegen. Wo ich ganz klein war, hat mein Papa mal einen Vogel heimgebracht, der war aus dem Nest gefallen. Und dann sind wir zum Tierarzt. Dann ist der wieder geflogen. Und der kann nie mehr fliegen?"
E: "Nein, dieser Vogel kann nie mehr fliegen. Er ist tot."
Max: "Ich mag wissen, warum der totgegangen ist."
E: "Max will wissen, warum der Vogel starb. Da muss etwas passiert sein."
Till: "Vielleicht hat ihn die Katze totgebissen. Unsere Katze, die lauert immer auf Vögel."
E: "Vielleicht war es die Katze."
Pia: "Böse Menschen, die wo keine Tiere mögen, die tun Gift auf den Boden."
E: "Vielleicht wurde der Vogel vergiftet."
Jonas: "Das find ich gemein!"
Martina: "Der ist verhungert, der hat keine Würmer mehr gefunden."
E: "Wir wissen nicht, was geschehen ist. Aber der tote Vogel kann nicht auf dem Teppich liegenbleiben."
Till: "Ich mag den nimmer angucken."
Jonas: "Schmeiß ihn doch in die Mülltonne!"
Martina: "Das tut dem weh!"
E: "Tote Tiere gehören nicht in die Mülltonne."
Tom: "Ich hab den Vogel ja gefunden mit dem Ole. Der gehört uns. Und den nehme ich wieder mit. Wir beerdigen den heute mittag bei mir im Garten in meinem Beet. Meine Mama ist zu Hause."

Der tote Vogel bietet Anlass für vielfältiges Sprechen. Kinder sehen in Tieren ihre Freunde, können ganz aus dem Häuschen geraten, wenn sich z.B. ein Regenwurm über den Gehweg windet. Der Erwachsene beachtet ihn nicht. Das Kind aber nimmt ihn wahr und legt ihn behutsam auf seine Hand, bringt ihn ins Gebüsch in Sicherheit. Gespräche, in denen von Tieren die Rede ist, können oft lange dauern. Kinder verfügen bereits im Vorschulalter über ein großes Wissen und freuen sich, es auch kundzutun.

Die Gesprächsrunde über den toten Vogel konnte sich dem Anlass gemäß entwickeln. Biologische Einzelheiten wurden nicht angeschnitten, auch die Bezeichnung für den Vogel war für die Kinder nicht wichtig. Im Vordergrund ihres Sprechens stand das Phänomen Tod. Mit der Zusage, das Tier im Garten zu beerdigen, war der Stuhlkreis beendet. Die Erzieherin will sich jedoch bei der Mutter des Jungen, der den Vogel brachte, vergewissern, dass diese damit einverstanden ist. Für den Rest des Vormittags befindet sich der Vogel in einem kleinen, unbenutzten Raum.

Die Kinder konnten sich aus dem Kreis gut lösen. Ein weiteres Verweilen beim Thema war aus ihrer Sicht nicht notwendig. Da Kinder nie systematisch mit Ereignissen umgehen, ist es wahrscheinlich, dass die Rede erneut auf den toten Vogel kommt. Mit Hilfe eines kleinen, kindgemäßen Gedichtes kann das Erlebnis erneut belebt werden. Es ermöglicht den Kindern, sich aus der Distanz dem Geschehen noch einmal anzunähern, denn es bietet eine sprachliche Form, die von allen verstanden und geteilt wird.

    Kleiner toter Vogel

Kleiner toter Vogel,
kannst du nicht mehr fliegen?
Ich leg dich in die Erde.
Und deck dich ganz warm zu.
Ich kann dich nicht mehr sehen.
Wirst du jetzt unsichtbar?
Du, ich hab ganz gute Augen,
ich seh, wenn du aus der Erde fliegst,
hoch und immer höher bis zum Himmel.

Das Sterben von Tieren macht die Kinder mit dem selbstverständlichen Gesetz der Vergänglichkeit in der Natur bekannt. Diese Einsicht können sie meist akzeptieren, finden auch nach dem Tod eines geliebten Haustieres wieder ihre gewohnte Zuversicht und Neugierde.

3. Auf einen Todesfall eingehen: Situationsbeispiele

Eine entfernte Verwandte eines Kindes ist gestorben

Carina wird heute von ihrer Mutter zum Kindergarten gebracht. Sonst kommt das Kind mit seiner Freundin, deren Großmutter beide Mädchen begleitet. Die Mutter bittet die Erzieherin um ein kurzes Gespräch. Alles muss schnell gehen, da die Mutter in hektischer Eile ist.

Die Erzieherin wird darüber informiert, dass Carinas Mutter zur Beerdigung einer Großkusine muss, ihre Tochter aber nicht mitnimmt. Das Kind wird den Tag bei seiner Freundin verbringen, bleibt dort auch über Nacht. Die Mutter klagt darüber, dass das Mädchen sie mit seinen Fragen nerve, aber sie könne ja auch nichts ändern, und schließlich sei es ja nur eine entfernte Kusine gewesen, die verstorben ist. Aber zur Beerdigung müsse sie gehen.

Zwischen Tür und Angel kann die Erzieherin wenigstens noch ein paar Informationen erhalten, erfährt, welcher Art die Fragen sind, welche die Mutter so nerven. Carina will wissen, warum die Tante gestorben sei und wieso sie nicht mit zur Beerdigung darf.

Die Erzieherin hat das Anliegen der Mutter aufgenommen, wendet sich an ihre Kollegin, weil sie unsicher ist, wie sie reagieren soll. Dabei wird ihr Ärger über die Mutter deutlich; sie schimpft über die typische Anspruchshaltung mancher Eltern, die vom Kindergarten erwarten, dass er sich der Dinge annehme, die ihnen zu schwierig sind. Schließlich arbeiten dort ausgebildete Fachkräfte, die kriegen die Kinder schon wieder hin.

Der Ärger auf die Mutter überträgt sich teilweise auf das Kind, dessen lautes Toben der Erzieherin heute mehr auf die Nerven geht als an anderen Tagen. Im Zusammensein mit der Gruppe wird die innere Anspannung der Erzieherin kleiner. Sie schaut nach dem Mädchen, das mit zwei anderen Kindern im Toberaum herumtollt. Das ist nun keinesfalls die Situation, um mit ihr über den Tod der Tante zu sprechen. Andere Kinder fordern ihre Zuwendung. Der Vormittag nimmt seinen Lauf.

Tim, ein aufgeweckter Blondschopf im Vorschulalter, hat von zu Hause ein Heftchen mit Kriegsbildern mitgebracht. Fasziniert schaut er sie an, seine Freunde Jakob und Ali sitzen dabei, ahmen Schießgeräusche nach, zeigen auf die am Boden liegenden Männer, sagen immer wieder: "Alle tot, bum, alle tot!" Das letzte Bild zeigt einen Friedhof mit Kriegsgräbern. Schnurgerade dehnt sich die lange Reihe der gleichen Gräber. Ali will wissen, was auf den Steinen steht. Er wendet sich an die Erzieherin, die sich mit den Jungen in das Bild vertieft, die Aufschriften entziffert.

Auf einmal scheint sich das Thema Tod und Sterben ganz von alleine herauszubilden. Das Anliegen, das Carina unausgesprochen mit in die Gruppe bringt, findet seine Entsprechung in dem Tun der Jungen. Wie lässt sich dieses Zufalls-Phänomen erklären?

Jede Gruppe stellt mit ihrer Erzieherin eine Gemeinschaft dar, die durch ein Geflecht von vielgestaltigen Beziehungen miteinander verbunden ist. Jeden Tag kommunizieren die Kinder miteinander im Spiel, beim Essen, Toben und Miteinandersprechen. Diese Ebene des Miteinanders ist sichtbar, bewusst wahrnehmbar.

Daneben laufen innerhalb der Gruppe weitere Prozesse ab, unterschwellig, weniger deutlich wahrnehmbar. Sie werden dem unbewussten Bereich zugeordnet. Wenn Tim sein Kriegsheft an dem Tag mitbringt, an dem die Erzieherin über den Tod von Carinas Tante erfährt, dann lässt sich dieses Ereignis einordnen in diesen Bereich der unterschwelligen Kommunikation der Gruppe. Das Thema teilt sich unbewusst mit. Es braucht eine aufmerksam wahrnehmende Erzieherin, die offen ist für solche Ereignisse.

Wer als Erzieherin dieses nicht als Humbug abtut, kann sich meist darauf verlassen, dass ein Anliegen, das die Erzieherin oder ein Kind mit sich herumträgt, von anderen Gruppenmitgliedern in einer entsprechenden Art und Weise geäußert wird. Es war gut, dass sich die Erzieherin Zeit lassen konnte. Nun stellen die Kinder die Fragen um das Sterben und den Tod.

Mit Hilfe eines Epidiaskops projiziert die Erzieherin das Bild der Kriegsgräber an die Wand. Ein zweites Bild aus ihrer Bilder- und Materialkiste liegt bereit. Es zeigt Menschen in dunkler Kleidung an einem offenen Grab.

Die Kinder sitzen im abgedunkelten Raum. Das Bild der vielen Kriegsgräber hat keinen Bezug zu ihnen. Dieser wird erst hergestellt, als Tim erzählt: "Da liegen lauter tote Soldaten unter der Erde, und die sind alle totgeschossen." Reizwort für die Aufmerksamkeit der Kinder wird das Wort tot. Auf einmal ruft ein Kind: "Ich war schon mal auf einem Friedhof!" Die Erzieherin zeigt nun das Bild der Beerdigungsszene und spricht Carina direkt an.

Erzieherin: "Carina, deine Mama hat mir vorhin erzählt, sie muss heute zu einer Beerdigung. Deine Großtante ist gestorben."
Carina: "Ja, und ich find das so blöd von der Mama, ich darf nicht mit, ich will aber. Ich will da zugucken."
Tim: "Mein Papa war bei einer Beerdigung. Der sagt, das ist nix für Kinder!"
E: "Die Erwachsenen nehmen anscheinend Kinder nicht gerne mit zur Beerdigung."

Die Erzieherin schaltet das Epidiaskop aus, lässt das Tageslicht wieder in den Raum, möchte die Gesprächsrunde fortsetzen.

E: "Carina, erzähl uns doch ein wenig von deiner Tante."
Carina: "Die hat mir am Geburtstag immer ein ganz, ganz großes Paket geschickt. Und die Mama hat gesagt, jetzt krieg ich nix mehr."
Tom: "Doch, die schickt's vom Himmel."
Ole: "Die ist doch tot und kommt in die Erde."
Tina: "Warum ist die denn gestorben?"
E: "Wenn jemand gestorben ist, dann möchten wir gerne wissen, woran der Mensch starb."
Till: "Vielleicht hat die Krebs gehabt. Du, das weiß ich, wenn man Krebs hat, kann man ganz schnell tot gehen."
Tina: "Die war alt."
Ali: "Meine Tante in der Türkei ist auch gestorben, aber die kenn ich gar nicht."
Tim: "Wenn die Gift gegessen hat, stirbt man nämlich auch."
Carina: "Gestern Abend, wo ich im Bett war, da hab ich geweint."
E: "Du hast geweint. Es ist ja auch traurig, dass die Tante nun nicht mehr auf der Welt ist und dir keine Pakete mehr schicken kann."
Carina: "Und die Mama kommt erst ganz spät. Heut schlaf ich bei der Katrin."
E: "Da freut sich die Katrin. Aber die Mama fehlt dir schon ein bisschen."
Carina: "Ja, ich hab ja mit wollen."

Die Erzieherin macht ihr den Vorschlag, ein Bild von Mama bei der Beerdigung zu malen. Das Mädchen greift die Anregung auf, auch andere Kinder fangen an zu malen. Es entstehen Bilder, welche Gräber und Menschen zeigen. Die Erzieherin hat sich neben Carina gesetzt, schaut ihr beim Malen zu. Auf diese Weise kann sich das Kind besser mitteilen.

Ein schwarzes Viereck wird sichtbar. "Da kommt die Tante rein!" Dicke Schichten von Wachskreide umrahmen das Grab. Als das Mädchen anfängt, die Mutter zu malen, zögert es, schaut die Erzieherin fragend an. Diese spürt die Unsicherheit des Kindes und fragt: "Und die Mama?" Es fällt dem Kind schwer, den Platz der Mutter bei der Beerdigung zu bestimmen. Deutlich wird ihre Angst, weil ihre Mutter sich an diesem Ort befindet. Immer wieder umrahmt sie das Viereck.

Die Erzieherin schildert dem Kind in wenigen Sätzen, wie die Menschen an das Grab herantreten, eine Schaufel Erde und Blumen hinunterwerfen, um sich dann vom Grab wieder zu entfernen. Diese Sätze haben eine beruhigende Wirkung. Auf einmal kann das Mädchen ohne Mühe eine Gestalt malen, welche die Mama darstellt, fügt noch weitere Verwandte hinzu. Schnell ist das Bild fertig, und Carina geht raus in den Hof.

Die Erzieherin spürt ein Gefühl der Befriedigung über das, was sich zwischen ihr und dem Kind ereignete. Zwar war die Annäherung an das Thema nicht optimal, denkt sie, doch kam das innere Problem des Kindes zur Sprache. Carina hatte Angst, die Mama könne bei der Beerdigung in das Grab fallen und auch begraben werden. Die erläuternden Worte der Erzieherin halfen dem Kind, sich eine bewusste Vorstellung zu machen von den Vorgängen auf dem Friedhof. Nun weiß sie, die Mama wird wiederkommen.

Die Mutter schien in der Trauersituation überfordert, wandte sich an den Kindergarten, machte es der Erzieherin zur Aufgabe, sich dem Problem des Kindes zu stellen. Das Kind spürte zu Hause die Unsicherheit der Mutter, fing an zu nerven. Das tun Kinder meist dann, wenn sie dringend eine Antwort suchen, der Erwachsene sich ihnen aber verweigert. Auf diese Weise findet keine Entsprechung statt.

Im Gespräch mit den Kolleginnen berichtet die Erzieherin von den Erfahrungen des Vormittags, nimmt sich vor, bei der nächsten Mitarbeiterbesprechung vorzuschlagen, mit ihrer Gruppe einen Spaziergang über den Friedhof zu machen.

Eine dem Kind nahestehende Person liegt im Sterben

Im folgenden Beispiel rückt der Tod näher. Das verlangt von der Erzieherin veränderte Verhaltensweisen, denn das betroffene Kind und seine familiäre Bezugsperson bringen direkte eigene Erfahrungen in den Kindergarten hinein.

Seit einigen Tagen erscheint Laura zu unregelmäßigen Zeiten in ihrer Gruppe. Während sie sonst zu den ersten Kindern am Morgen gehört, kommt sie nun später, trödelt im Beisein der Mutter im Gang herum, läuft immer wieder zu ihr zurück, um sie zu umarmen, hat Mühe, sich von ihr zu trennen. Die Mutter beantwortet dieses kleinkindliche Verhalten mit Ungeduld und Widerstreben. Sie wartet nur auf eine günstige Gelegenheit, um fluchtartig den Kindergarten zu verlassen.

Da Laura ein Kind ist, das der Erzieherin sehr nahe steht, nimmt sie sich vor, mit der Mutter zu sprechen. Das Mädchen hat sich verändert; während sie sonst fröhlich, spontan und offen auf den neuen Tag zuging, wirkt sie nun häufig unruhig und verloren.

Beim Spielen im Hof bricht Laura in Weinen aus. Sie klagt über starke Bauchschmerzen, ruft nach der Mama. Die Erzieherin bettet sie auf eine Liege, setzt sich zu ihr, hält ihre Hand. Die Tränen wirken lösend, das Kind wirkt entspannter, mag aber nicht sprechen. Der Rest des Tages verläuft in den üblichen Bahnen.

Am nächsten Tag ergibt sich das Gespräch mit der Mutter, bei dem Laura dabei ist. Mit Tränen in den Augen erzählt die Mutter, ihr Vater sei vor einer Woche ins Krankenhaus gekommen, sein Zustand sei sehr ernst, man müsse mit dem Schlimmsten rechnen. Laura hält die Hand der Mutter, als wolle sie ihr beistehen. Der Schmerz der Mutter teilt sich auch der Erzieherin mit, ein Gefühl von Schwere wird spürbar. Sie möchte das Gespräch beenden. Doch die Mutter muss weitersprechen, erwähnt Lauras plötzlich auftretende Bauchschmerzen. Vielleicht haben die mit den Aufregungen zu Hause zu tun, meint die Mutter resignierend, zuckt hilflos mit den Achseln, entschuldigt sich für ihre Tränen und gibt Laura einen aufmunternden Klaps. Das Kind geht anstandslos mit der Erzieherin in den Gruppenraum, wirkt erleichtert.

Zwar hat sich an der ernsten Situation des Großvaters nichts geändert, doch brachte das Gespräch für das Kind eine Entlastung. Wie ist das zu erklären?

Für ein Kind sind Vater und Mutter die Garanten seines Lebens. Es gerät in große seelische Not, wenn die Eltern traurig sind, von Problemen gedrückt werden oder erkranken. Nicht zufällig antworten Kinder oft auf die Frage "Wie geht es dir?" mit einer Antwort, welche die Befindlichkeit der Mutter betrifft: "Meine Mama hat den ganzen Tag Kopfweh gehabt." Auf den ersten Blick müsste dies das Kind nicht tangieren, doch wenn Mutter oder Vater leidet, leidet das Kind mit. Es ist noch so verwoben mit der Psyche des Erwachsenen, dass es feinste seelische Schwingungen seismographisch aufnimmt. Laura erlebt die Angst und Unsicherheit der Mutter; der mögliche Tod des Großvaters rückt auf einmal bedrohlich nahe. Das Kind spürt die Hoffnungslosigkeit und Trauer des Erwachsenen.

Im Gespräch mit der Erzieherin konnten endlich die Fakten genannt werden. Für das Kind heißt dies: Jetzt weißt du, was für Sorgen meine Mama hat. Das bewirkt Klarheit und Transparenz. Im Umgang mit dem Bereich Tod und Sterben stellt sich diese Aufgabe immer wieder: Die Tatsachen müssen benannt werden! Leider tun sich viele Erwachsene damit schwer, meinen, das Kind vor den Realitäten des Lebens schützen zu müssen. So entsteht eine Atmosphäre der Heimlichtuerei, des Überspielens, die die Kinder betrügt, denn sie haben längst gespürt, dass sich ein Schatten über die Familie gelegt hat. So lange sie nicht informiert werden, fallen sie ihren Ängsten und Phantasien zum Opfer, suchen schuldhaft die Ursache in ihrem eigenen Verhalten und kommen ohne Hilfe aus der Bedrängnis nicht heraus.

Noch aus einem weiteren Grund war das Gespräch für das Kind wichtig: Gemeinsam mit der Erzieherin konnte sie den Anblick der weinenden Mutter aushalten. Zu Hause wirken ihre Tränen bedrohlicher als am neutralen Ort des Kindergartens. Während des Gesprächs stand das Mädchen zwischen den Menschen, die ihm am meisten bedeuten, weil sie ihm viel mütterliche Zuwendung schenken. Das Kind erfährt, wenn es Mutter schlecht geht, ist da noch eine andere Person, die sich um mich kümmert, der ich wichtig bin.

Bei allen häuslichen Sorgen spielt der Kindergarten eine wichtige kompensierende Rolle. Er wird zum Ort, wo verlässliche Menschen jeden Tag auf das Kind warten. Im Umgang mit der Gruppe und der Erzieherin gewinnt das Kind seelische Stabilisierung und Halt.

Im weiteren Tagesverlauf schaut die Erzieherin mit Laura ein Bilderbuch an, welches den Krankenhausalltag zum Thema hat. Andere Kinder gesellen sich dazu. Ein Gespräch beginnt, denn viele Kinder waren bereits in einer Klinik. Zum Glück wurden in den letzten Jahren auch diese Häuser offen für die Anliegen der Kinder.

Anna: "Meine Oma war auch ganz krank. Die Mama hat mich mitgenommen."
Leo: "Ich geh nicht gern ins Krankenhaus. Da stinkt es nach Blut."
Pia: "Ich war schon mal dort und hab viele Spritzen gekriegt."
Erzieherin: "Lauras Opa ist ganz schwer krank, und Laura macht sich Sorgen."
Sara: "Du, Laura, was hat denn der Opa?"
Laura: "Das kann ich nicht sagen."
E: "Der Opa hat einen Schlaganfall. Sein Gehirn funktionierte nicht richtig, deshalb ist er nun gelähmt, kann sich nicht mehr bewegen, kann auch nicht mehr sprechen."

Einige Kinder müssen das gleich ausprobieren, sie legen sich auf den Boden und spielen gelähmter Opa. Laura fängt an zu weinen und ruft schluchzend: "Ich will zu meinem Opa!"

E: "Wir fragen die Mama, ob sie dich nicht mitnehmen kann. Dann freut sich der Opa."
Laura: "Ja, ich mal ihm ein ganz großes Bild, das schenk ich ihm."

Nach dem Gespräch malen alle beteiligten Kinder; die Erzieherin wirkt erleichtert. Fürs erste ist es genug. Doch sie ahnt, die nächste Zeit wird durch das Geschehen um den im Sterben liegenden Großvater mitbestimmt werden.

In der nächsten Woche gehört die Frage nach der Befindlichkeit des Todkranken zum täglichen Ritual mit Laura. Auf diese Weise wird ihr Erleben in den Kindergarten integriert. Es ergeben sich häufig kurze Gespräche, doch verzichtet die Erzieherin auf die Form des großen Stuhlkreises, weil andere Kinder sich von ihr abwenden. Es wird ihr bewusst, dass sie dem Mädchen viel Energie gibt. Sie nimmt sich vor, sich weniger von dem Kind vereinnahmen zu lassen, reduziert die Einzelgespräche, geht dazu über, ihr Mitgefühl am langsamen Sterben des Großvaters durch zärtliche Gesten auszudrücken.

Nach vielen Wochen stirbt der Opa. Das Kind bringt am Tag nach seinem Tod ein Foto mit, das ihn mit seiner Enkelin zeigt. Stolz zeigt sie allen Kindern das Bild, fügt auch hinzu, jetzt sei der Opa gestorben, doch kann das Kind das Geschehen noch nicht realisieren. Die Szene auf dem Foto ist seine Realität.

Manche Kinder entwickeln Abwehrgefühle: "Du mit deinem blöden toten Opa!" Auch die Erzieherin sehnt sich nach der Normalität des Alltags im Kindergarten. Sie fürchtet die vielen unbequemen Fragen, auf die zu antworten es ihr so schwer fällt.

Laura darf an der Beerdigung teilnehmen. Einige Tage später malt sie einige Bilder, die alle eine Blumenwiese darstellen.

E: "Das ist das Bild, das du dem Opa ins Krankenhaus gebracht hast."
Laura blickt nicht auf, holt das nächste Blatt, malt dasselbe Bild.
E: "Jetzt kannst du es dem Opa aber nicht mehr bringen."

Das Mädchen bricht in Tränen aus. Die Erzieherin erschrickt, wirkt ratlos. Was soll sie dem Kind sagen? Dein Opa ist im Grab oder im Himmel? Warum muss das alles so schwer sein! Und dann auch noch Tränen! War meine Antwort falsch?

Der Anblick von Kindertränen macht viele Erwachsene hilflos. Der ganze Schmerz scheint nach außen zu fließen. Ein Kind so weinen zu sehen, das tut einfach weh! Und doch lässt es sich nicht vermeiden, denn es gibt die klugen Antworten nicht. Aber es gibt die Erfahrung des liebevollen Gegenübers beim Weinen! Ja, es tut weh, auch die Erzieherin leidet. Aber sie hält die Situation mit dem Kind aus. Und oft geschieht eine Veränderung. Wenn das Kind sein Jammertal durchschritten hat, wandelt sich seine Stimmung. Wer den Schmerz verkürzen will durch Ablenkung oder Überreden, der erweist dem Kind keinen guten Dienst. Laura beruhigt sich und sagt: "Weißt du was, ich krieg heute eine neue Puppe. Ich zeig sie dir morgen!" Die Aussicht auf die neue Puppe bildet die Brücke, um aus dem Schmerz wieder herauszugelangen.

Der Tod greift in die Familie eines Kindes ein

In einem Märchen der Brüder Grimm (Nr. 177) werden Krankheiten als die Boten des Todes bezeichnet. Sie haben u.a. den Sinn, die Menschen auf ihr natürliches Sterben am Lebensende vorzubereiten. Sie helfen gleichsam dabei, sich vom Leben zu verabschieden. Doch nicht immer gewährt der Tod den Menschen eine solche Zeit der Besinnung.

Der Tod kann plötzlich, schicksalhaft, ohne Vorwarnung, grausam und willkürlich ein Familienmitglied aus dem Leben reißen. Andreas erlebte den Tod seines Vaters, der durch einen unverschuldeten Autounfall ums Leben kam. Jeder, der davon erfuhr, erschrak, denn auf einmal wurde bewusst, wie unsicher und gefährdet unser Leben ist. Der Tod im Straßenverkehr kann jeden treffen.

Die Erzieherin erfährt die schlimme Nachricht von der Mutter eines Kindes, die bei dem Jungen im Haus wohnt. Einige Kinder der Gruppe stehen bei den beiden Frauen, denn sie wollen hören, was sich ereignet hat. Für die Erzieherin ist dies der erste Todesfall, den sie so hautnah erlebt. Sie schickt die Kinder in den Hof, benötigt eine kurze Zeit des Alleinseins und bittet ihre Kollegin, die bereits draußen ist, auf ihre Kinder mit aufzupassen.

Gedanken von ganz widersprüchlicher Art schießen ihr durch den Kopf: "Mein Gott, wie schrecklich! Das kann ich nicht! - Doch, ich muss da durch, das pack ich schon, das ist meine Aufgabe! - Ich will nicht, das ist mir zu schwer! Das sollen andere für mich tun!" Widerwillen, Abwehr, Erschütterung signalisiert ihr Inneres. Mit einem Ohr hört sie die Kinder im Hof toben, fühlt eine Last auf sich. Draußen gibt es Streitereien. Der Alltag ruft - und das ist gut so!

Obwohl uns das Erleben von Tod betroffen macht oder schockiert, müssen wir uns dem Alltag des Kindergartens zuwenden. Auch wenn die eigene Stimmung noch so nach unten zieht, muss der gewohnte Ablauf weitergehen, denn er bedeutet Kontinuität und damit Weiterleben. Es ist wichtig, sich durch den Alltag vorwärtsbewegen zu lassen, denn auf diese Weise erfahren wir eine stützende Kraft.

Im nachfolgenden Stuhlkreis spüren die Kinder das Besondere dieser Runde:

Erzieherin: "Andreas ist heute nicht da."
Erich: "Sein Papa ist mit dem Auto verunglückt."
Meike: "Mein Papa schnallt sich immer an."
Max: "Meine Mama hat auch schon einen Unfall gehabt."

Im Vordergrund der Äußerungen der Kinder steht das Ereignis des Verkehrsunfalls, verbunden mit dem Bemühen, die angesprochene Gefahr abzuwehren. In erster Linie löst die Nachricht große Angst bei den Kindern aus. Um nicht zu stark aus ihrem seelischen Gleichgewicht zu geraten, beschwören sie die Sicherheitsmaßnahmen, welche ihre Eltern ergreifen. Unausgesprochen hängt jedoch im Raum die Angst, das könnte ja auch meinem Papa oder meiner Mama passieren.

Viele Jungen wollen Einzelheiten des Unfalls erfahren, erzählen von Unfällen, die sie schon gesehen, von denen ihnen andere berichtet haben. Dabei entsteht viel Unruhe und Spannung, denn die Martinshörner der Notarzt- und Polizeiwagen werden im Raum auf einmal hörbar. Die Erzieherin gibt den Impuls zum Malen. Unfallbilder entstehen. Von Andreas ist nicht mehr die Rede. Ein Kind möchte ihm allerdings ein Bild malen, es bei ihm in den Briefkasten werfen.

Die Erzieherin motiviert weitere Kinder, Andreas Bilder zu schicken. Im Nu entfaltet sich betriebsame Malfreude, denn: "Der Andreas soll die meisten Bilder auf der ganzen Welt kriegen", ruft Leila. Eine Woge des Mitgefühls breitet sich unter den Kindern aus. Sie wollen dem Kind, das nun keinen Vater mehr hat, alles erdenklich Gute tun. Auf diese Weise findet die starke Spannung in der Gruppe ihr Ventil in einer Aktivität, die deutlich macht, wie viel Kinder im Vorschulalter leisten können, wenn sie von Emotionen gepackt werden.

Am Ende schreibt die Erzieherin Andreas und seiner Familie eine Kondolenzkarte, aber den Kindern gefällt der schwarze Rand ganz und gar nicht. Ihre farbenfrohen Bilder stehen in großem Kontrast zu diesem Brief. Tina fährt vorsichtig mit ihrem Zeigefinger über den schwarzen Streifen, prüft, ob der nicht doch vielleicht abgeht.

Auch wenn in der Gruppe nun nicht länger über Andreas' Verlust gesprochen wird, weil die Mal-Aktivität eine Distanzierung ermöglichte, verweist der schwarzumrandete Briefumschlag auf den Tod. Er hat im Kindergarten Einlass gefunden.

Am Tag nach der Beerdigung kommt Andreas in Begleitung seiner Großmutter wieder in die Gruppe. Die Erzieherin ist erleichtert, dass eine unbekannte Frau das Kind bringt, sie noch nicht mit der Mutter sprechen muss. Der Kloß im Hals löst sich. Sie kann sich dem Jungen zuwenden, ihre Freude darüber ausdrücken, dass er wieder da ist. Ihr ganzes Mitgefühl, Erschrecken und ihre Sorgen stecken in einer aufmunternd burschikosen Geste, mit der sie dem Jungen in die Seite knufft. Andreas reagiert sofort auf diese nonverbale Botschaft und läuft in seinen Gruppenraum.

Ein Stein fällt der Erzieherin vom Herzen. Ihre Phantasie hatte herzergreifende Bilder in Szene gesetzt, und nun läuft alles so verhalten, sachlich, liebevoll und fast nüchtern ab. Nie hätte sie gedacht, in einer solchen Situation humorvoll reagieren zu können. Auch Andreas lächelt, als er von ihr weggeht.

Verwunderlich ist das schon, dass hei einem so ernsten Ereignis wie dem Tod humorvolle Reaktionen möglich sind; dadurch löst sich die Schwere der Trauer und bewirkt wenigstens beim Miteinander-Sprechen eine gelöste Atmosphäre. Wenn Menschen im Angesicht des Todes lachen können, so steckt dahinter keine Blasphemie. Viel eher wirkt es wie ein Geschenk, wenn der Schleier des Schreckens sich für einige Momente hebt.

In früheren Jahrhunderten gab es den kirchlichen Brauch des Osterlachens. Als Zeichen dafür, dass das Leiden und Sterben vorbei ist, ertönte ein lautes Lachen im sakralen Raum: Der Tod wurde sprichwörtlich hinausgelacht. Die österliche Erfahrung der Auferstehung brach sich Bahn.

Natürlich steckt in manchem Lachen im Umfeld des Todes auch viel Unsicherheit, aber die findet auf diese Weise zumindest eine erste Ausdrucks- und Verarbeitungsform.

Das Gespräch mit der Großmutter lässt die Erzieherin Anteil nehmen am Geschehen der letzten Tage in Andreas' Familie. Sie erfährt, der Junge weigert sich, abends ins Bett zu gehen, kann das Alleinsein in der Dunkelheit nicht mehr ertragen und fragt immer wieder nach dem Hergang des Unfalls. Seine Gedanken drehen sich zu Hause nur um dieses Ereignis. Seine Mutter ist noch nicht in der Lage, unter Menschen zu gehen. In den nächsten Wochen wird die Großmutter bei der Schwiegertochter und den Enkelkindern leben.

Auch nach diesem Gespräch meldet sich der Wunsch nach Alleinsein in der Erzieherin. Was sie erlebt, ist so bewegend, traurig und berührend zugleich. Die Begegnung mit der Mutter des Verunglückten war so echt, tief und wesentlich, dass auch ein Gefühl tiefer Freude entsteht.

Für eine kurze Zeit verändern Erlebnisse wie Tod oder Geburt die Menschen. Ganz groß wird dabei das Bedürfnis, sich mitzuteilen. Das ist verständlich, denn Tod und Geburt sind nun mal zentrale menschliche Ereignisse, verkörpern sie doch Anfang und Ende des Lebens. Wer dies erlebt, wird verbunden mit den Polen des Lebens und überschreitet die Grenzen des normalen Alltags. Das Leben selbst scheint zu sprechen.

Doch das Leben geht weiter. Der Kindergartenbetrieb erlaubt ein kurzes Luftholen, dann fordert die Gruppe der Kinder ihr Recht.

Andreas sitzt derweil am Tisch, frühstückt mit seinen Freunden. Es schmeckt ihm, und die Gegenwart der vertrauten Kinder tut ihm gut.

Der Vormittag verläuft wie geplant. In wenigen Wochen ist Fastnacht, die Kinder werden sich als phantastische Tiergestalten verkleiden. Noch wissen nicht alle, was sie darstellen wollen. Gemeinsam schauen sie Dias von Tieren aus aller Welt an. Ein reges Gespräch beginnt, denn das durch Bücher und Fernsehen vermittelte Wissen der Kinder ist enorm. Andreas beteiligt sich nicht. Er reagiert jedoch lebhaft auf das Bild des kleinen Eisbären, geht ganz nahe an das Bild heran, um ja genau zu sehen. Die Erzieherin nimmt sein Interesse wahr, veranlasst die Kinder, sich wie der kleine Eisbär zu bewegen.

Den kleinen Eisbären Lars kennen die Kinder vom gleichnamigen Bilderbuch, auch von der Sendung mit der Maus. Er verkörpert im gezeigten Bild eine Erfahrung, die Kindern nicht erspart bleibt: Verlassensein, Einsamkeit, Isolation. Der Lebensraum dieses Tieres ist die Arktis, der Bereich der Kälte in ewigem Eis und Schnee. Übertragen auf die Ebene kindlichen Erlebens spiegelt diese Landschaft die Isolationserfahrungen der Kinder wider.

Andreas steckt in einer solchen Eislandschaft. Sein Vater hat die Welt der blühenden Wiesen verlassen. Kein Sonnenstrahl hat die Kraft, dorthin zu reichen. Tod bedeutet nun mal Kälte, Starre, Vereisung, Stillstand. Auch wenn der Junge wieder in den Kindergartenalltag eintaucht, so trägt er die neue Erfahrung in sich. Und noch hat diese keinen adäquaten Ausdruck gefunden. Aber sie drängt nach außen und bleibt am Bild des kleinen Eisbären Lars hängen. Auf einer Eisscholle stehend, blickt der weiße Bär nach links, treibt im Meer. Die Kinder lieben diesen Bären. Schnell ist ein Bezug zu ihm hergestellt.

Alex: "Der ist ganz allein."
Lea: "Der Lars sieht traurig aus."
Maxe: "Dem sein Papa ist weggegangen."
Ole: "Der friert."
Till: "Der Lars hat keine Freunde."
Andreas: "Der Lars wartet auf seinen Papa."
Erzieherin: "Ja, du kennst die Geschichte, wo der kleine Lars mit seinem Papa herumtollt und die beiden viel Spaß haben. Ja, Andreas, der Lars wartet auf seinen Papa."
Annette: "Dem sein Papa fängt sicher Fische. Der ist bloß weggegangen und holt Fische."
Pia: "Ich friere."
E: "Pia friert, denn dort, wo der Lars lebt, in der Arktis, da ist es ganz kalt. Manchmal bläst dort auch ein eiskalter Wind. Vielleicht können wir ihn hören!"

Es wird ganz still, die Erzieherin ahmt leise Windgeräusche nach, die Kinder machen mit, in Windeseile entsteht ein mächtiger Eissturm.

E: "Wenn der Wind so bläst, müssen wir es uns warm machen."

Die Kinder stehen von ihren Stühlen auf und bewegen sich mit steifen Beinen, schlagen sich die Arme an den Körper, um sich zu erwärmen. Aus der Bildbetrachtung entwickelt sich ein Spiel, das um die Kälteerfahrung kreist. Es geht darum, nicht zu erfrieren. Auf einen Wink der Erzieherin wenden sich die kleinen Eisbären einander tapsig zu; schwerfällig umarmen sich einige, andere massieren sich den Rücken oder die Arme. Andreas lässt sich auf das Spiel ein, das schnell in kleine Rangeleien und Raufereien übergeht. Sichtbar wird es dabei allen Kindern wieder warm.

Andreas bringt unsichtbar die neue Erfahrung des Verlassenseins mit. Wenn der Tod so plötzlich eine Lücke reißt, mischt sich ohnmächtige Wut mit hinein. Und mit ihr haben Trauernde oft die meiste Mühe. Warum hat der Papa mich verlassen? Er hatte mich nicht mehr lieb, darum hat er mir das angetan! Hätte ich ihn doch zurückgehalten, dann würde er noch leben!

Ohnmacht, Wut und Schuldgefühle wechseln einander ab. Auf dem Boden kämpft Andreas mit seinen Freunden. Wie kleine Bären sind die Jungen ineinander verbissen und verkeilt. Die Erzieherin kann sie gewähren lassen, ist froh um die hochroten Bubenköpfe. Wer ist der Stärkste? Andreas muss seine Kräfte beweisen. Er spürt sich - und das ist gut so!

Primär hat das Gefühl der Isolation seine Ursache im Erleben des Todes, sekundär in der Tatsache, dass weder die Erzieherin noch die anderen Kinder ein solches Erlebnis bereits erleiden mussten. Niemand hat spüren müssen, was es heißt, den Vater zu verlieren. Damit unterscheidet sich Andreas von den anderen - und das ist ihm gar nicht recht, denn eigentlich möchte er nur sein wie alle. Die im Kindergarten sollen bloß nicht davon reden, denn dann merken ja alle in der Gruppe, was bei uns zu Hause passiert ist! Auf einmal taucht ein Gefühl von Scham auf. Das trauernde Kind erlebt sich gezeichnet vom Schicksal, findet sich in seiner Selbsteinschätzung nicht mehr in Ordnung, trägt einen Makel.

Der Erzieherin wird klar: Über Worte findet sie keinen Zugang zu dem Jungen. Aber über die Bilder teilt er sich mit. In den nächsten Tagen muss er immer wieder den kleinen Lars auf seiner Eisscholle malen. Das Kind scheint sich nicht von seinem Platz zu bewegen. Und doch geschieht sehr viel, weil es sich gestaltend ausdrücken kann.

4. Ein Elternabend zum Thema

Muss das sein? Wer einen Elternabend zum Thema "Tod und Trauer" im Kindergarten anbietet, muss mit dieser Frage rechnen. Bei der Ankündigung dieser Thematik kann nicht von vornherein mit Zustimmung gerechnet werden. Solche Elternreaktionen dürfen Erzieherinnen jedoch nicht an ihrem Vorhaben zweifeln lassen (im Bereich der Sexualpädagogik sind ähnliche Widerstände zu beobachten). Die Verunsicherung wird freilich nicht offen zugegeben, sondern erscheint im Gewand rationaler Argumente:

  • "Das ist derzeit bei uns kein Problem."
  • "Die Kinder werden durch das Thema zu sehr belastet." (Ehrlich wäre es, die eigene Belastung zuzugeben.)
  • "An dem Abend kann ich nicht kommen, obwohl mich das Thema interessiert."
  • "Das betrifft mich nicht."
  • "Ich halte ein Sprechen darüber für eine Dramatisierung, die nicht gut ist."
  • "Dieses Thema gehört in den Rahmen der Familie."
  • "Es ist viel natürlicher, erst über dieses Thema zu sprechen, wenn es tatsächlich einen Todesfall gibt."

Diesen scheinbar rationalen Argumenten ist entgegenzuhalten, dass Kinder auf Tod und Trauer vorbereitet werden müssen, damit sie durch plötzliche Ereignisse nicht überfordert werden. Möglichkeiten der Verarbeitung können ein Stück weit auch gelernt werden und bedürfen entsprechender Impulse.

Der in letzter Zeit stark ins Bewusstsein gerückte Begriff der emotionalen Intelligenz verweist darauf, dass dem gefühlshaften Verarbeiten schwieriger Erlebnisse eine große Bedeutung zukommt. In der Auseinandersetzung mit dem Tod werden emotionale Kräfte geweckt und entwickelt. Es ist wichtig, dass Kinder mit diesem Bereich des Lebens vertraut werden, bevor sie ihn konkret erfahren. Sie sollen ihn als Teil des Lebens begreifen. Niemand muss Kindern das Thema Tod aufdrängen, und niemand kann den Tod aus dem Leben eliminieren. Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen.

Eltern, die Kinder im Kindergartenalter haben, werden oft in dieser Zeit zum erstenmal mit dem Tod im persönlichen Umfeld konfrontiert, wenn z.B. der Vater, die Mutter stirbt. Dann beginnen Kinder zu fragen, und dies kann bohrend und hartnäckig sein, so dass Erwachsene in Verlegenheit kommen können.

Eine Gesprächsmöglichkeit zwischen Eltern und Erzieherinnen kann hilfreich sein und sensibel machen für die Erlebnisweise der Kinder. Da Kinder abhängig sind von dem, was die Eltern äußern, dies unbewusst preisgeben oder tabuisieren, kann der Kindergarten über die Arbeit mit den Eltern bewusstseinsverändernd wirken.

Vorbereitung des Elternabends:

  • Die Einladung muss die Bedeutung des Themas "Wie kann ich mit meinem Kind über Sterben, Tod und Trauer sprechen?" für Kinder und Eltern darstellen.
  • Es ist zu überlegen, ob eine Referentin oder ein Referent eingeladen werden soll. Erfahrungsgemäß entlastet ein solcher Gast das Team; außerdem ist bei einem gefühlsmäßig stark aufgeladenen Thema für manche Eltern das Gespräch mit einer neutralen Person leichter. Andererseits kann auf eine Referentin oder einen Referenten auch verzichtet werden, wenn dem Team genügend Zeit zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Thema und zur Vorbereitung des Elternabends zur Verfügung steht.

Verlauf des Abends ohne Referentin/Referenten:

  • Am Anfang liegen Bilder bereit, die Situationen im Umfeld Sterben, Tod, Trauer zeigen. Jeder Gesprächsteilnehmer sucht sich ein oder zwei Bilder aus.
  • Vorstellungsrunde anhand der Bilder. Wichtig ist die klare Benennung der Gefühle, auch der Widerstände.

Weitere Gespräche über folgende Themen:

  • Wo ist mir der Tod schon begegnet?
  • Wie habe ich als Kind vom Tod erfahren?
  • Welche Erfahrungen habe ich mit meinen Kindern?
  • Besprechen des geplanten Friedhofbesuchs mit den Kindern

Quelle

Auszug aus: Gertrud Ennulat, "Kinder in ihrer Trauer begleiten" - Ein Leitfaden für Erzieherinnen, Herder 1998 (Restexemplare können über die Autorin bezogen werden: mail@ennulat-gertrud.de)

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