Adultismus – wie Kinder in Kitas diskriminiert werden

Fea Finger

Der Begriff „Adultismus“ leitet sich vom englischen „adult“ (erwachsene Person) ab und verweist in der Kombination mit der Endung -ismus auf eine gesellschaftlich verankerte Machtstruktur wie es auch bei anderen Formen von Diskriminierung der Fall ist. Adultismus benennt das Ungleichgewicht von Macht zwischen Kindern und Erwachsenen und zeigt damit auch, dass Kinder im alltäglichen Leben auf Grund ihres jüngeren Alters diskriminiert werden können (vgl. Liebel, 2020, S. 22).

Dieses Machtgefälle findet sich in pädagogischen Beziehungen und Interaktionen genauso wie den Entscheidungen der Fachkräfte an vielen Stellen des Alltags in Kindertageseinrichtungen wieder. Sicherlich sind nicht alle Handlungen im gleichen Maße kritisch zu betrachten und doch zeigt sich in der Praxis immer wieder, wie tief adultistische Verhaltensweisen sitzen, wenn sie nicht reflektiert und verändert werden. Immer dann, wenn Erwachsene ganz selbstverständlich davon ausgehen, etwas besser zu können oder besser zu wissen, wie ein jüngerer Mensch und dass sie deswegen ohne dessen Einverständnis über ihn entscheiden können, ist das adultistisch. Natürlich passiert das in den meisten Fällen nicht mit böser Absicht der Erwachsenen. Doch nimmt man sich einen kurzen Moment, um darüber nachzudenken merken wir schnell: diese Gedanken sind alltäglich und sie sind überall, auch in Kindertageseinrichtungen, zu finden.

Hier werden Kinder zwar in kleinen Abstimmungsprozessen gefragt, was es zum gemeinsamen Frühstück geben soll oder es finden sogar Kinderkonferenzen statt. Gleichzeitig sind die Teilhabemöglichkeiten der Kinder im Alltag der Kita eingeschränkt. Vieles von dem, was den Tag über geschieht fällt nicht auf, denn es ist ganz selbstverständlich für Erwachsene, dass sie Entscheidungen treffen und einen Rahmen vorgeben. So kommt es immer wieder zu Situationen, in denen ein Kind hinausgeschickt wird, weil es den Morgenkreis stört, um zu lernen, dass das eigene Handeln nicht ohne Folgen bleibt. Oder das Kind, dem gerade gedroht wurde, dass es nicht mit zum Ausflug kann, wenn es nicht sofort aufräumt? Es kennt doch genau die Regel und muss lernen, sich daran zu halten!

Ebenen von Macht

Die Macht der Fachkräfte zeigt sich in vier Ebenen (vgl. Winkelmann, 2022, S. 28ff.). Auf Ebene der Handlungs- und Gestaltungsmacht entscheiden sie beispielsweise, wie der Tagesablauf der Einrichtung aussieht. Pädagogische Fachkräfte gestalten außerdem die Räume und bestimmen, welche Themen der Kinder wie aufgegriffen werden. Indem von Kindern erwartet wird, dass sie, ohne zu fragen Anweisungen folgen nutzen Fachkräfte ihre Definitions- und Deutungsmacht denn sie haben bereits fest gelegt, welches Verhalten sie für gut oder schlecht befinden. Auch die Regeln werden oft ausschließlich von den Fachkräften einer Einrichtung festgelegt. Hier lässt sich eine Parallele zu anderen Formen von Diskriminierung ziehen, denn bei den meisten gibt es Regeln, die zwar von einer Personengruppe aufgestellt werden aber für eine andere Personengruppe gelten (vgl. Richter, 2013, S. 7).

Verfügungsmacht ist die dritte Ebene der Macht, die Fachkräfte haben. Sie entscheiden darüber, welches Spielmaterial immer zugänglich ist und welches nicht. Sie wissen außerdem, welche Ressourcen vorhanden sind und entscheiden, für was diese genutzt werden.

Auf Ebene der Mobilisierungsmacht können pädagogische Fachkräfte Kinder überzeugen, etwas zu tun und ihren Erwartungen zu entsprechen. Dabei können sie freundlich und empathisch agieren oder in strengem Ton Instruktionen aussprechen und alles dazwischen. Auch die Entscheidung, wie sie etwas tun obliegt letztlich der Tatsache, dass sie Macht gegenüber Kindern ausüben können.

Kinderrechte und Adultismus

Erst bei genauerem Hinsehen können wir erkennen, dass Kinderrechte schnell und unbemerkt verletzt werden indem Erwachsene ihre mächtigere Position einnehmen. Das kann ungewollt und unbewusst passieren aber genau so können Entscheidungen und Handlungen durch Erwachsene und im Fall der Kindertageseinrichtungen durch pädagogische Fachkräfte ganz bewusst umgesetzt werden. Das geschieht z.B. überall da, wo Fachkräfte Entscheidungen für und über Kinder treffen, ohne dass die Kinder dabei mit einbezogen werden. Und dass, obwohl sie durch die Kinderrechte und ganz konkret durch das Recht auf Partizipation an allen sie betreffenden Entscheidungen teilhaben können sollten. Das hat manchmal wichtige Gründe wie den Schutz der Kinder.

Manchmal wurde aber auch die Macht der Erwachsenen nicht oder nicht genug hinterfragt. Es ist nötig, dass pädagogische Fachkräfte immer wieder reflektieren, wo sie Macht abgeben könnten, damit Kinder ihr Recht auf Partizipation mehr wahrnehmen können und außerdem auch andere Rechte wie das Recht auf gewaltfreie Erziehung gewahrt bleiben. Was nun so drastisch klingt zeigt sich im pädagogischen Alltag deutlich. Denn unter Gewalt ist nicht erst körperliche Gewalt zu verstehen, sondern auch subtile Gewalt, die sich in der Sprache, in Blicken und Gesten den Kindern gegenüber ausdrückt (vgl. Maywald, 2019, S. 12) und so auch der Entwicklung eines gesunden Selbstbildes schaden kann.

Weiterführend ergibt, dass Adultismus eine Art Grundlage für weitere Formen der Diskriminierung bildet, die wir auf Grund unserer eigenen adultistischen Erfahrungen nur schwer erkennen können. In der Folge üben wir sie selbst aus und akzeptieren sie, ohne uns darüber bewusst zu sein. Wir müssen reflektieren und aktiv umlernen um beispielsweise Rassismus, Sexismus und Ableismus ihr Fortbestehen zumindest zu erschweren.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Schutz vor Diskriminierung ein Menschenrecht ist, das auch in der UN- Kinderrechtskonvention formuliert wurde. Dabei stehen Merkmale wie Geschlecht, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit im Mittelpunkt. Die Tatsache, dass Menschen auch auf Grund ihres Alters diskriminiert werden können, wurde dabei nicht berücksichtigt und wird erst seit Kurzem als Problem erkannt und benannt. Immer wieder werden auch entsprechende Maßnahmen gefordert (vgl. Liebel, 2020, S. 22).

Auswirkungen von Adultismus

In der Reflexion der eigenen Macht und ihrer Ausübung stoßen Fachkräfte schnell auf Widersprüche. So sind manche überzeugt, zwar Macht zu haben aber nicht zu nutzen. Andere sind sich sehr klar darüber, dass sie Macht haben und sie zu Gunsten der Kinder einsetzen. Adultismus und die Ungleichbehandlung von Kindern fällt nicht auf, weil die meisten erwachsenen Personen in ihrer Kindheit selbst Adultismus erfahren haben (vgl. NBCI, 2004, S. 11). Sie haben Adultismus verinnerlicht und aus ihren Erfahrungen abgeleitet: So geht man eben mit Kindern um. Das Adultismus verinnerlicht wird bedeutet auch, dass Kinder irgendwann selbst glauben, weniger wert zu sein als Erwachsene und grundsätzlich weniger zu können. Sie fangen an zu glauben, dass Erwachsene über sie bestimmen dürfen, generell mehr Macht haben und mehr wissen als Kinder und sie gewöhnen sich daran, weniger wert und weniger vertrauenswürdig zu sein als Erwachsene (vgl. Richter, 2013, S. 8).

Adultismus erkennen

Es liegt in der Verantwortung erwachsener Menschen, Adultismus zu verlernen. Das gilt ganz besonders dann, wenn es sich um Fachpersonal in Kindertageseinrichtungen und auch Schulen handelt. Außerdem müssen gängige Vorurteile über Kinder aufgebrochen werden und Situationen erkannt und benannt werden, die von Adultismus geprägt sind. Auch gesellschaftliche Normen und Werte in Bezug auf Kinder müssen neu gedacht und neu definiert werden (vgl. Richter, 2013, S. 10). Um sich eigene adultistische Verhaltensweisen bewusst zu machen und aktiv zu verändern können wir uns immer wieder folgende Fragen stellen:

Würde ich mich einer erwachsenen Person gegenüber auch so verhalten? Wäre meine Entscheidung die Gleiche? Diese Fragen können auch schon im Umgang mit sehr jungen Kindern in der Krippe helfen, Handlungsalternativen entdecken zu wollen. Indem wir in eine offene, zum Dialog bereite Haltung Kindern gegenüber eintreten werden echte Aushandlungsprozesse möglich und Partizipation kann auch in alltäglichen Situationen gelebt werden. Auch die Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder kann dabei helfen, Adultismus nicht den Alltag beherrschen zu lassen und Verletzungen nicht immer von einer Generation an die Nächste weiterzugeben (vgl. Finger, 2023, S. 14).

Literaturverzeichnis

Liebel, M.: Unerhört. Kinder und Macht. Weinheim Basel: Beltz, 2020

Maywald, J.: Gewalt durch pädagogische Fachkräfte verhindern. Freiburg im Breisgau: Herder, 2019

Richter, S.: Adultismus: die erste erlebte Diskriminierungsform? Theoretische Grundlagen und Praxisrelevanz unter: https://www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_richter_2013.pdf, 2013. Zugriff am 15.10.2023

NBCI Schweiz & Kinderlobby Schweiz: Not 2 young 2- Alt genug um. Rassismus und Adultismus überwinden. Schaffhausen: K2 Verlag, 2004

Finger, F.: Frei und selbst bestimmt? Von wegen. Adultismus in der Kita. In: Kindergarten heute, 4_2023, S. 10- 14, Freiburg im Breisgau: Herder

Winkelmann, A.S.: Machtgeschichten. Ein Fortbildungsbuch zu Adultismus für Kita, Grundschule und Familie. Limbach- Oberfrohna: edition claus, 3. Auflage, 2022

Weiterführende Literatur

Empfehlung zum Weiterlesen: Finger, Fea: Selbst aktiv statt fremd bestimmt. Gelingende Partizipation in Kita, Krippe und Kindertagespflege. Erscheinungsdatum: 22.01.2024, Herder Verlag

Autorin

Fea Finger ist Kindheitspädagogin B.A, hat mehrjährige Erfahrung in der Praxis von Krippe und Kindergarten als Leitung und stellvertretende Leitung gesammelt und ist seit 2020 Host des Podcasts „Fea´s naive Welt“. Außerdem ist sie Autorin und selbstständige Weiterbildnerin und Beraterin für pädagogische Fachkräfte zu verschiedenen Themen. Ihre Schwerpunkte liegen hier ebenfalls bei Adultismus und Partizipation.

Weitere Informationen: https://feafinger.de/ und auf Instagram: @feafinger

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