Naturwissenschaft im Kindergarten

Barbara Perras-Emmer

In Natur-Wissen-schaf(f)t soll das Wort Wissen durch Können ersetzt werden, darüber waren sich alle Teilnehmerinnen aus Kindergärten unseres Landkreises mit dem anwesenden Dipl. Physiker Peter Koran einig. "Wir wissen alle theoretisch genug, nur können wir es praktisch kaum anwenden." Bereits den Kindergartenkindern wird alles bis ins kleinste Detail erklärt, die eigenen Erfahrungen mit Raum, Zeit und Material kommen zu kurz. In unserer Gesellschaft, die über einen immensen Wissensschatz verfügt, in der nahezu alles wissenschaftlich erklärbar ist, wird der Wert der Basisarbeit als breites Fundament für Wissen und Können unterschätzt.

Neben Lernen durch Bewegung und Intelligenzentwicklung durch Fühlen und Denken steht in der alltäglichen Arbeit im Vordergrund, dass sich Kinder ihr Wissen selbst aneignen können und wollen. Dazu dürfen und müssen sie möglichst vielfältige eigene Erfahrungen machen, um sog. Wissensnetze auszubilden. Diese schwachen, starken oder sogar sehr vielen starken Fäden bilden die Basis für (Dazu-)Lernen: Je mehr wir bereits wissen bzw. können, um so leichter lernen wir dazu. Die ersten Fäden zu knüpfen fällt im Schulalter und später meist sehr schwer, viele Kinder (und Erwachsene) haben Momente der echten Freude beim Lernen nie erlebt und glauben deshalb, Weiter-Lernen müsse so mühselig bleiben, wie es am Anfang war (Birkenbihl 2001, S. 78).

"Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat" (Birkenbihl 2001, S. 47. Wer Infofäden oder Infobündel im Netz hat - sie wirken wie geistige Magneten, um neue passende Informationen anzuziehen - , der kann neue Informationen, Ideen, Gedanken, Theorien, Strategien in großer Fülle wahrnehmen, begreifen, verarbeiten, sich merken und später als Intelligenz und Kreativität im Alltag nutzen. Wer aber an jenen Stellen im Wissensnetz nicht genug hat, der kann auch das nicht wahrnehmen, was vorhanden ist, es wird ihm von seinem eigenen Wahrnehmungsapparat genommen.

Es gehört leider zu den Selbstverständlichkeiten unserer Erziehung, das wir oft zunächst die lebendigen Wurzeln abschneiden und nachträglich versuchen, ihre natürliche Funktion auf künstlichem Wege zu ersetzen. Die Neugier des Kindes wird unterbunden und später, wenn der natürliche Antrieb zum Lernen bereits fehlt, werden ihm Nachhilfestunden bei Schulschwierigkeiten angeboten. Ein ähnliches Beispiel finden wir im Verhalten des Süchtigen, weil Menschen, die als Kinder ihre sehr intensiven Gefühle unterdrücken mussten, versuchen, mit Hilfe der Droge oder des Alkohols die verlorene eigene Erlebnisintensität wenigstens für kurze Zeit zurückzugewinnen (Miller 1983, 1997).

Wissensvermittlung aus zweiter Hand über Augen und Ohren beim Vorlesen aus Sachbüchern, bei Gesprächen und durchs Fernsehen kann letztendlich nicht die notwendige Basis für späteres Lernen und Können schaffen. Dabei wird die hohe Qualität der Bücher und Sendungen nicht in Frage gestellt, nur schaffen sie nicht die geeigneten Voraussetzungen, um die Informationen auch anwenden zu können.

Wieder einmal taucht die Frage auf: "Wie kann der Kindergartenbereich seinen Standpunkt vertreten, wenn in den Schule eine andere Arbeitsweise gefordert wird?" Wird er seinen schulvorbereitenden Aufgaben gerecht?

Dies ist sicher mit ja zu beantworten, wenn wir die Entwicklungspsychologie berücksichtigen. Im Alter bis zu 7 Jahren lernt das Kind vor allem durch Begreifen, Wahrnehmung und Bewegung, wiederholende und probierende Handlungen, Freude an seiner Tätigkeit, den Erwerb der Sprache und die Fähigkeit zur Begriffsbildung. Mit dem Eintritt in die Grundschule wird sein Denken abstrakter und unabhängiger von Anschauungsmaterial. Im Hinblick auf den neuen Lehrplan an den Grundschulen entstand die Hoffnung, dass in den ersten Schuljahren weiterhin Spiel- und Anschauungsmaterial zur Verfügung stehen.

Weniger ist mehr

Nicht auf die Menge von Wissen kommt es an, sondern darauf, wie viel von dem erworbenen Wissen angewendet, gespeichert und auf andere Bereiche übertragen werden kann. Alle Erzieherinnen verfügen in ihren Einrichtungen über genügend Materialien, um Kindern Erfahrungen wie Schwerkraft, Fliehkraft, das Gesetz der Trägheit usw. vermitteln zu können. Einige haben vielleicht noch nicht das Zutrauen, dass Kinder aus eigenem Antrieb lernen können und wollen. Besonders wichtig ist, dass Kinder Fragen stellen. Nur so bekommt jeder die Antwort, welche er im Augenblick für sich und sein Weiterkommen benötigt.

Die Naturerlebnisse in Kindergärten können sehr vielfältig sein:

  • Umgang mit Matsch und Lehm
  • Sammeln von Naturmaterialien, Gestalten mit Naturmaterialien
  • Betrachten durch Lupengläser und Mikroskop
  • Beobachtung der Natur im Jahreskreis
  • Einrichten eines Terrariums oder Aquariums
  • Pflegen von Gartenbeeten, Wachstum beobachten
  • Wetterstationen
  • Windspiele
  • Waldprojekte
  • Freispiel im Garten
  • Naturwanderungen
  • Frischblumen färben
  • Bewegungsbaustellen

und vieles aanderes mehr.

Wissen schaffen wir durch

  • Aktivität,
  • Körpererfahrung mit allen Sinnen,
  • fein- und grobmotorische Erfahrungen,
  • Möglichkeiten, Ausprobieren, eigenes Tun,
  • Raum,
  • Zeit,
  • Ergebnisse,
  • Umsetzen von Erfahrungen,
  • positive emotionale Lernsituationen,
  • wirkliche Annahme der einzelnen Kinder.

In Unkenntnis der dem Lernen zugrunde liegenden Prinzipien kann eine Erzieherin eine Reihe von Fehlern machen:

  • Sie greift unnötig oder zu früh in das Handeln und Probieren des Kindes ein.
  • Sie kann die Lernfreude der Kinder lähmen, indem sie ihnen vermittelt, selbst alles schon im Voraus zu wissen und den besten Weg zu kennen.
  • Sie hilft den Kindern sofort oder zu früh und lässt ihnen keine Zeit, alleine zurechtzukommen.
  • Sie kann ein Kind abhängig machen von äußeren Bewertungen.

Literatur

Birkenbihl, Vera F.: Das "neue" Stroh im Kopf. Landsberg/Lech, 38. Aufl. 2001

Miller, Alice: Am Anfang war Erziehung. Frankfurt/Main 1983

Miller, Alice: Das Drama des begabten Kindes - Eine Um- und Fortschreibung. Frankfurt/Main 1997

Zimmer, Renate: Handbuch der Bewegungserziehung. Freiburg/Breisgau, 5. Aufl. 1996

Lernen mit Bewegung. Neumarkter Tagblatt - Parsberg, 22. Mai 2001

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