Die Lust auf Freiheit und Abenteuer - Erde, Feuer, Wasser und Luft

Aus: Wehrfritz Wissenschaftlicher Dienst (WWD) 2000, Ausgabe 74, S. 20-21  

Marianne Brauner

Lassen Sie sich entführen!

Machen Sie in Gedanken eine Reise in Ihre eigenen Kinderträume: zu den Orten, Gegebenheiten und Umständen, die Ihnen das Leben bunt, schillernd und elektrisierend erscheinen ließen.

Erinnern Sie sich?

Meistens stellten sich diese Gefühle ein, wenn Sie unter Gleichaltrigen waren, wenn keine "Aufsichtspersonen" dabei waren. Solche Erlebnisse fanden zum großen Teil im Freien statt, im Umgang mit der alltäglichen Umwelt. Spielzeug im eigentlichen Sinn, nämlich extra für Kinder hergestelltes "Zeug zum Spielen" spielte dabei kaum eine Rolle, eher schon Gegenstände aus der Erwachsenenwelt, die nicht mehr gebraucht wurden und dem Ordnungswillen derselben entgangen waren, oder eben einfach Fundstücke aus der Natur, wobei deren elementare Ausdrucksformen selbst als Lern-, Spiel-, Übungs- und Erlebnisfeld genutzt wurden.

Und was haben Sie alles dabei gelernt:

  • über die Zusammenhänge in der Natur,
  • über sich selbst, Ihre Fähigkeiten, Ängste und Leidenschaften,
  • über die physikalischen Gesetze verschiedener Konstruktionen,
  • über ihr kreatives Potential
  • und die Fähigkeit, sich mit anderen auseinanderzusetzen.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen mit Begriffen aus der Pädagogik wie:

  • Schulung der Grob- und Feinmotorik,
  • Förderung von sozialen Kompetenzen,
  • Einübung von Arbeitshaltungen (Aufmerksamkeit, Selbständigkeit, Durchhaltevermögen...),
  • Wissenserweiterung (wie funktioniert was und wann besser),
  • Schulung vom emotionalen Fähigkeiten wie Frustrationstoleranz, Umgang mit Stress ...

Leider waren solche Herausforderungen an die kindliche Kreativität, Schaffens- und Entdeckungsfreude häufig im Grenzbereich des Erlaubten - weil potentiell eher auch mit Gefahren verbunden - doch wie wichtig gleichzeitig für die Entwicklung vieler Bereiche der Persönlichkeit!

Die Bereitschaft und der Mut, etwas auszuprobieren, vielleicht sogar Risiken einzugehen. Die süße Lust, die eigenen Grenzen kennen zu lernen, ohne Zeitbegrenzung das "Jetzt" zu leben, frei von Zielen, die von außen gesetzt werden - das ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Ein Erwachsenenleben, welches an diese Kindheitserlebnisse anknüpfen kann, hat etwas Wertvolles gewonnen. Etwas, das dabei hilft, ein erfülltes Leben zu leben.

Warum ist das gerade heute so wichtig?

Die Lebenswelt von Kindern hat sich im Vergleich zu früheren Generationen ganz entscheidend verändert. Kindheit heute ist bei uns häufig bestimmt von einem Mangel an wirklich freier, verfügbarer Zeit, und Orten sowie Gelegenheiten, Abenteuer zu erleben. Wirtschaftlich geht es den Kindern durchschnittlich gesehen besser. Dieser Entwicklung steht jedoch eine Einschränkung kindlicher Lebens-, Erfahrungs- und Erlebnisräume gegenüber:

  • So hat der Straßenverkehr zugenommen, der spielende Kinder vertreibt und Unfallgefahren erhöht.
  • Die Umweltbedingungen (v.a. in Städten) werden immer schlechter.
  • Eine zunehmend an Gewinn und Erfolg orientierte Leistungsgesellschaft lässt immer weniger Rücksichten auf die Freiräume für Kinder zu und schränkt deren "Frei-Zeit" immer weiter ein.
  • Eine Ersatzwelt durch künstliche Wirklichkeiten aus zweiter Hand nimmt immer mehr Einfluss.

Kindheit heute findet kaum mehr draußen auf der Straße und in der Natur und im geringeren Umfang als früher im Alltag der Erwachsenen statt, sondern zunehmend in "pädagogischen Inseln" (Kinderkrippe, Kindergarten, Kinderhort, Schule, Förder- und Interessengruppen). Wenn Elementarpädagogik auf die verschiedenen Entwicklungen reagieren will, dann gilt es hier, Erfahrungsspielräume zu schaffen, die an anderer Stelle für die Kinder verloren gegangen sind. Dem Außenspielbereich kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu - als Stück lebendiger Natur - das elementare Erfahrungen und damit spannende Erlebnisse ermöglicht, aber auch Möglichkeiten der "ungezähmten" Auseinandersetzung mit den Elementen bietet. Kinder brauchen Abenteuer und lernen über Bewegung sich mit ihrer inneren und äußeren Welt auseinander zu setzen.

Die Förderung von Sinneserfahrungen

... scheint ein wichtiger Aspekt zu sein, wenn es um die Schulung der Wahrnehmung geht, die Lernen erst ermöglicht. Über unsere Sinne gewinnen wir Informationen aus unserer Umwelt über mehrere Sinneskanäle. Wahrnehmung und Erfahrung sind ein ganzheitlicher Vorgang, der mit vorangegangenen Erfahrungen verknüpft wird.

Aber - Kinder und Jugendliche wachsen in einer sinnesfeindlichen, von geistigen Werten dominierten Gesellschaft auf. Es besteht die Gefahr, dass sich die sinnliche Wahrnehmung hauptsächlich auf das Sehen und Hören reduziert. Die Kinder werden einerseits überschwemmt von einer Vielzahl von Eindrücken, Informationen und Anforderungen, andererseits haben sie kaum die Möglichkeit, diese Masse an Informationen auch zu verarbeiten. Elementare Erfahrungen mit Erde, Feuer, Wasser, Luft sind reich an einer Fülle von Möglichkeiten zum sinnlichen Erleben. Damit werden Kinder sensibler und einfühlsamer im Umgang mit sich selbst, mit anderen und der Umwelt. Dies führt zu verantwortungsbewussten Entscheidungen und somit zu einer kompetenten Lebensführung.

Der Ursprung der Menschheit

... liegt in den Elementen, die sie sich im Laufe der Erdgeschichte auf eine Art und Weise entwickelt haben, die Leben auf der Erde erst möglich gemacht hat. Daraus hat sich in einer langen Evolutionsgeschichte in jüngster "Erdzeit" der Mensch entwickelt. Der Umgang mit den Elementen ist ein Ausflug in die Entdeckungsgeschichte der Menschheit, die von der Auseinandersetzung mit den Elementen geprägt ist. Feuer machen, Höhlen bauen, Nützliches sammeln, Tiere zähmen, jagen, Pflanzen anbauen machte das Leben unserer Vorfahren aus und fasziniert Kinder. Handelt es sich dabei doch um archaische Erfahrungen, auf die weiteres Wissen und Erkenntnisse aufgebaut werden.

Das Leben eines Kindes findet, wie Sie wissen, in den ersten 9 Monaten im Element Wasser, im Mutterleib statt. Auch das ist eine frühe Erfahrung, die sich meiner Meinung nach später in einer Vorliebe vieler Kinder für das nasse Element ausdrückt, vorausgesetzt, die Ängste der Erwachsenen haben diese Leidenschaft nicht allzu früh und allzu deutlich beeinträchtigt.

Unsere Lebensenergie

... entnehmen wir aus dem, was die Erde für uns bereithält. Wir essen, trinken und bereiten uns unsere Nahrung zu mit dem, was gewachsen ist, geerntet, geschlachtet und mit dem Element Feuer leichter verdaulich oder erst essbar gemacht worden ist. Im Winter wärmen wir unsere Behausungen mit der Energie des Feuers und zum Atmen ist die Luft lebensnotwendig.

Der Körper des Menschen besteht aus den vier Elementen, zum größten Teil aus dem Element Wasser. Sogar die Energie, die von den verschiedenen Charakteren der Menschen ausgeht, kann man den vier Elementen zuordnen, was unter anderem bei den Sternzeichen deutlich wird, die in Erd-, Feuer-, Luft- und Wasserzeichen unterteilt werden.

Unsere Umwelt

... ist ein Walten und Zusammenspielen der vier Elemente. Wer sich mit der Natur verbunden fühlt, wird das Bedürfnis haben, sie auch zu schützen und zu erhalten. Umwelterziehung basiert auf diesem "Sicheinlassen" und Erleben der Kräfte, die unser Leben erst ermöglichen und die aber durchaus auch eine zerstörerische, ja katastrophale Seite haben können. Sie haben etwas unbeherrschbares, verwandelbares, herausforderndes, das sich dem menschlichen "Eingreifen und Beherrschenwollen" immer wieder entzieht. Nicht wenige Menschen fühlen sich von diesem Aspekt elementaren Erlebens angezogen und fühlen sich dadurch herausgefordert oder einfach "näher am Leben" und vielleicht auch am Tod.

Tod und Leben

... sind zwei Seiten, die jedes Element in sich vereint. Feuer bedeutet Wärme und Zerstörung, bewegte Luft führt zu Orkanen, Erde bebt und Wasser nährt und überschwemmt, was beispielsweise in der Gegend am Nil die Grundlage der Ernährung der dortigen Bevölkerung darstellt. Diese Dualität macht vielleicht gerade die Faszination aus, die sich bei der Auseinandersetzung mit den Elementen schnell einstellt. Sogar unser Körper, der ja letztendlich aus den Elementen besteht, zerfällt wieder in diese nach dem Tod.

Wenn Kindern die Möglichkeit geboten wird, sich mit den vier Elementen auseinander zu setzen, damit zu spielen und Erfahrungen zu machen, gibt man ihnen die Möglichkeit, an die beschriebenen Lern- und Erlebnismöglichkeiten anzuknüpfen, und das Leben mit der ganzen damit verbundenen Dynamik und Dualität zu erfassen. Der Umgang mit den Elementen und mit der Natur insgesamt beinhaltet die Chance, sich selbst zu spüren, als Teil eines Ganzen wahrzunehmen, sich selbst und seinen Motiven näher zu kommen und sich damit weiterzuentwickeln.

Biografie

Marianne Brauner, Jahrgang 1961, ist staatl. anerkannte Erzieherin und hat zusätzlich ein Fachhochschul-Diplom im Bereich Sozialwesen. Sie verfügt über Erfahrungen in der Familienhilfe, der Suchtprävention und -beratung und ist seit 1996 als freiberufliche Referentin und im Allgemeinen Sozialdienst tätig.

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