Marianne Krug und Irmgard M. Burtscher
Die Bildungsinitiative „Es funktioniert?!“ vereint in sich innovative frühpädagogische Konzepte und fokussiert diese auf die elementare technische Bildung von jüngeren Kindern und Grundschulkindern. Seit 2005 wurden in Zusammenhang mit „Es funktioniert?!“ in Bayern thematisch unterschiedlichste technische Projekte pragmatisch und zugleich reflektiert in Szene gesetzt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass solche Projekte auf andere Lernbereiche in den Bildungseinrichtungen ausstrahlen. Auch auf die Elternhäuser wirken sie sich oft inspirierend aus und vermitteln ein Bild lebendigen zeitgemäßen Lernens im Alltagskontext.
Eine reflektierte Standortbestimmung nach 15 Jahren, im Bewusstsein, dass sich die pädagogischen Voraussetzungen in den Bildungseinrichtungen für Kinder bis 10 Jahre durch Covid-19 zurzeit gerade stark verändern und Projektarbeit nicht gerade begünstigen.
1. Der Rahmen
Wir blicken auf 15 Jahre gesammelte Good-Practice-Beispiele von Technik-Projekten mit Kindern. Ein reichhaltiger Erfahrungsschatz an innovativer Praxis aus bayerischen Kindergärten, Horten und Grundschulen lässt uns die daraus gewonnenen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen über den Radius des Bundeslandes hinaus weitergeben und zur Diskussion stellen.
Ermöglicht wurde „Es funktioniert?!“ 2005 vom Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft e.V. in München (bbw). Dies hatte zunächst ausschließlich Kindergärten/Kindertageseinrichtungen, später auch Grundschulen und Horte dazu eingeladen, Technikprojekte mit Kindern durchzuführen, den Projektverlauf zu dokumentieren, in Wort und Bild und dann die Projektdokumentation einzureichen. Eine jährlich neu zusammengestellte Jury, bestehend aus Pädagog*innen, Vertreter*innen der Wirtschaft, der Wissenschaft und Bildungspolitik, der Medien und des pädagogischen Beratungsteams, sichtete die Dokumentationen und wählte jedes Jahr bemerkenswerte Projekte mit hohem Anregungspotential für die Auszeichnung aus. Deren Urheber*innen erhielten Preise für ihre Einrichtungen. Pädagog*innen, Eltern und die jungen Tüftler wurden (zunächst überregional) zu Treffen im Großraum München eingeladen und geehrt.
Ab dem Jahr 2010 fanden die Veranstaltungen dann in den Einrichtungen vor Ort in feierlichem Rahmen statt, um die regionale Öffentlichkeit noch stärker einzubinden.
Zudem wurden jährlich zwei bis drei bayernweite Fortbildungen ausgeschrieben und abgehalten. Immer wieder konzipierten wir neue Weiterbildungsformate, oft an ungewöhnlichen Orten, etwa in Betrieben oder technischen Ausbildungszentren der Wirtschaft – Lernorte, welche die teilnehmenden Pädagog*innen besonders inspirierten. Außerdem stellte das bbw eine Webseite mit Anregungen zur pädagogischen Umsetzung (www.tezba.de) bereit und finanzierte eine geschäftsführende Ansprechpartnerin mit pädagogisch-technischer Doppelqualifikation. Getreu dem Motto “Praxis lernt von Praxis“ reicherte sich die Webseite von “Es funktioniert?!“ im Laufe der Jahre durch ausgezeichnete Praxisbeispiele aus Kindergärten, Horten, Ganztagesbetreuungsgruppen in Schulen und Grundschulklassen an. Hinzu kamen einschlägige Texte zur elementartechnischen Bildung, welche sich mit der aktuellen Debatte um MINT-Bildung auseinandersetzten. Damit entstand und entsteht bis heute ein reicher Schatz an durchdachten und auch pragmatischen, partizipativen Forschungspfaden von Kindern in das Reich der Technik – Anregung und Ermutigung für andere Pädagog*innen, sich mit Kindern auf ähnliche Wege zu begeben.
Wir arbeiteten von Anfang an im pädagogischen Beratungsteam, das auch die konzeptionellen Grundlagen für diese Initiative geliefert hatte. Mit Hereinnahme der Grundschulen und Horte ab 2010 in die angesprochene Zielgruppe kam Helga Fell, Grundschullehrerin, Fortbildnerin und Autorin, dazu. Der pädagogische Rahmen von „Es funktioniert?!“ war mit seiner Konzentration auf das Projektlernen in Alltagssituationen, außerdem durch einen weiten Technikbegriff gesetzt (unsere Definition von „elementarer Technik“ setzt an der bewährten vor allem auch handwerklichen Kindergartentradition an und soll den Blick der Pädagog*innen auf Alltagsphänomene lenken und sie einladen, Technik als etwas zu begreifen, das mit ihrer und der Lebenswelt der Kinder zu tun hat). Zur Diskussion gestellte Qualitätskriterien für gelingende Projektarbeit (Alltagsbezug der Themen, Partizipation in allen Projektphasen, Öffnung der Lernsituation und Bildungspartnerschaften, Pädagog*innen als Mitforschende sowie die Dokumentation von Lernschritten im Prozess und damit eine motivierende Transparenz und Reflexion im Geschehen, an der alle Beteiligten teilhaben konnten) machten von Anfang an für die interessierten Einrichtungen die favorisierten Wege des Lernens deutlich und ließen dennoch einen großen Spielraum für vor-ort-spezifische Kreativität und Tüftlerfreude. Die ausformulierten fünf Qualitätskriterien zielten außerdem auf eine Einbettung der Einzelprojekte und der gesamten Initiative in die allgemeine fachpädagogische Diskussion ab. Es war erstaunlich, welche Vielfalt und Bandbreite an ausgezeichneter Qualität das Anregungspotential dieser fünf Kriterien bot.
Die pragmatische und dennoch fachlich anspruchsvolle Ausrichtung von „Es funktioniert?!“ war uns aus zwei Gründen wichtig: Einmal wollten wir das welterkundende intrinsische Lernen jüngerer Kinder ins Zentrum aller frühen MINT-Aktivitäten stellen und Pädagog*innen für solch ein Vorgehen sensibilisieren. Andererseits war uns als überzeugten, begeisterten (ausgestattet mit fachlichem Expertinnenwissen, s. Krug 2002, Burtscher 2002) Vertreterinnen der pädagogischen Zunft die fundamentale Kritik und Sorge seitens der Wirtschaft an unsteten Arbeitshaltungen, mangelnder Sozialkompetenz und beobachteter Unselbstständigkeit von Auszubildenden zu Berufsbeginn durchaus „unter die Haut gegangen“. Solche Fundamentalkritik muss in allen Stufen des Bildungswesens zu denken geben. Gerade weil es bei der Bildung in den frühen Jahren, um die grundlegende Herausbildung von Lernhaltungen und Strategien des konstruktiven und wertschätzenden sozialen Miteinanders geht, liegen auch Anfragen an das frühe Lernen in dieser Kritik. Vom eigenständigen Tüfteln und partizipativen Lernen in Projektgruppen bei alltäglich sich stellenden technischen Handlungssituationen erhofften sich 2005 alle Initiatorinnen von „Es funktioniert?!“ nachhaltige und vor allem motivierende Bildungsgelegenheiten für Kinder. Die Praxisverläufe, sowie evaluative Gespräche mit Teilnehmenden, auf die wir nun im Zeitraum von 15 Jahren blicken können, bestätigten dies. Wir kommen zum Ergebnis: Kinder, die in Projektgruppen miteinander tüfteln und forschen, entwickeln eine ungeahnte Ernsthaftigkeit und soziale Verantwortung und verfolgen ihre Fragen mit in sich nachvollziehbaren Schritten. Sie bleiben am Thema, sind bemüht, sich verständlich zu machen und leisten selbst erstaunliche Transfers in ihre Lebenswelt.
2. Zur Fachdiskussion
Im Vergleich zur Anfangssituation von „Es funktioniert?!“, als elementartechnische Bildung beinahe noch unbekanntes Terrain war, hat sich die Situation 15 Jahre später fundamental verändert: Heute gehört elementartechnische Bildung zur allseits propagierten MINT-Förderung in Kitas, Horten und Grundschulen, die inzwischen medial reichhaltig ausstaffiert ist. Spürbar ist nicht erst seit den Zwängen des Pandemie-bedingten Homeschooling eine vehement eingeforderte Fokussierung auf digitale Lernarrangements sowohl bei den Vermittlungsmethoden als auch bei Versuchen, IT selbst als Themenfundus für technische Bildung anzubieten. Eine enorme Entwicklung, deren Mehrwert für elementare Bildungsprozesse noch sorgfältig erforscht werden muss. Die Frage muss aber schon auch gestellt werden, wie sehr junge Kinder tatsächlich von der Computernutzung profitieren können, um elementar die Welt zu begreifen oder ob sich bei ihnen gelegentlich auch ein unzutreffender Eindruck verfestigt, dies alles seien Effekte „von Zauberhand“. Gewiss ist, dass Kinder schon früh erfahren, dass IT zum Alltagsleben dazu gehört, sie dadurch mit Spiel, Spaß und Unterhaltung versorgt werden und auch der Wissenshunger über die Welt leicht und schnell gestillt werden kann. Die grundsätzliche Frage ist allerdings, wie viel an sinnlichen Primärerlebnissen mit der dinglichen Umwelt und an tatsächlich gespürten physikalischen Kräften nötig sind, um konstruktiv und von Grund auf verstehend auf naturwissenschaftlich-technische Phänomene zugehen zu können. Wir meinen, der Zugang in Form von Projektarbeit ist nach wie vor ein äußerst produktiver Weg elementartechnischen Lernens.
Die Anfangsjahre von „Es funktioniert?!“ waren zunächst geprägt durch die Auseinandersetzungen mit den ersten Länder-Bildungsplänen für den Elementarbereich und mit den in den Jahren 2001 – 2003 veröffentlichten Positionspapieren bundeszentraler Gremien, wie etwa der Streitschrift des Bundesjugendkuratoriums (2001) oder des Forums Bildung (2002). Hier war, noch ohne Systematisierung einzelner Förderbereiche, eine intensivierte Bildungsanstrengung für die frühen Jahre angemahnt worden und es wurde unmissverständlich auf die besondere Art frühkindlicher Bildungsprozesse hingewiesen: In der Jugendhilfe angesiedelte Bildung sollte als „eigensinniger Prozess des Subjektes für die Entwicklung und das Hineinwachsen in Kultur und Gesellschaft“ verstanden werden und natürlich auch die Auseinandersetzung mit der dinglichen Umwelt umfassen (Bundesjugendkuratorium, 2001). Obwohl das große Vorbild, der schwedische Bildungsplan für die Arbeit mit ein- bis sechsjährigen Kindern (1998), sehr breit und allgemein die Eckpunkte der Bildungsarbeit skizziert und von der expliziten Benennung eines Förderkatalogs abgesehen hatte, kam es in fast allen deutschen Bundesländern in den Folgejahren zur Identifizierung von jedenfalls exemplarischen Förderkatalogen für die institutionell veranstaltete frühe Bildung. So befasste sich im „Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung“ (BEP), dem ersten publizierten Länder-Bildungsplan in Deutschland, bereits ein eigenes Kapitel in der Sparte der sog. „Themenbezogenen Bildungs- und Erziehungsbereiche“ mit „Naturwissenschaft und Technik“ (S. 260 - 279). Darin heißt es: „Kitas sind aufgerufen, den Forscherdrang und die Neugierde der Kinder aufzugreifen und durch attraktive Lernangebote weiterzuführen. ... Die bisher durchweg positiven Erfahrungen, vor allem in der naturwissenschaftlichen Bildungsarbeit mit Kindern, sind ermutigend, innerhalb dieses Bereichs auch den Bereich Technik offensiv aufzugreifen“ (S. 275, 2006).
Dieses „offensiv Aufgreifen“ war allerdings durchaus umstritten: Auch wenn in der ersten Fassung des BEP eine zweiseitige Tabelle mit technischen Themenbereichen und „Einzelaspekten, die für Kinder von Interesse sind“ aufgeführt wurde, warnten viele, dass es nicht um einen festgelegten Themenkatalog mathematisch-, naturwissenschaftlich-technischer Art gehen könne, der in den Jahren vor der Einschulung abzuarbeiten sei. Einig waren sich die meisten in der Ablehnung eines „verschulten Kindergartens“, jedoch uneinig in der Frage, wie landauf-landab eine zeitgemäße, breit gefächerte Bildung im frühen Alter bewiesen und eine einigermaßen vergleichbare Qualität erreicht werden kann. Gleichwohl war allen klar, dass Kinder in ihrer materiellen Umwelt allen Phänomenen auf den Grund gehen wollen. Sie sind eben tagtäglich mit einer hochkomplexen technisch geprägten Umwelt konfrontiert und bekommen in der Erwachsenenwelt mit, wie technische Problemstellungen den Alltag durchdringen. Längst hatte die Welt des „hightech“ auch das Spiel der Kinder und den Spielwarenmarkt eingeholt.
Der Jahrtausendwechsel hatte zudem zu einer gesteigerten Sensibilisierung für Fragen zeitgemäßer Bildung geführt (s. Delphi-Studie, außerdem spannende Publikationen im Bereich Frühpädagogik, Entwicklungspsychologie und Hirnforschung, s. beispielsweise D. Elschenbroich 2001; A. Gopnik, P. Kuhl, A. Meltzoff 1999 ..., man könnte also in dieser Zeit durchaus von einer zweiten frühpädagogischen Aufbruchsstimmung sprechen) und so fühlten sich gerade im Bereich Naturwissenschaft/Technik auch Personen und Institutionen berufen, naturwissenschaftsdidaktische Vorschläge zu unterbreiten, die bisher nicht in der Frühpädagogik sichtbar waren: beispielsweise stiegen naturwissenschaftlich ausgebildeten Mütter, die Mängel im Bildungsangebot von Kitas und Grundschulen erkannt hatten, nun mit ihrem Know-how gewerbsmäßig ein und gründeten neue normsetzende Institutionen (beispielsweise ScienceLab seit 2002). Auch einschlägige Fachbereiche an Universitäten entdeckten die jüngeren Kinder als neue Zielgruppe für naturwissenschaftliche Bildung. Was folgte, war eine zunehmende Flut an Publikationen und Fortbildungsangeboten zur frühen MINT-Bildung, denen unterschiedliche frühpädagogische Konzepte zugrunde lagen, oft ohne diese jedoch explizit auszuweisen. Die aus frühpädagogischer Sicht wichtige Grundsatzfrage allerdings, ob es genügt, Fachdidaktik „kindgerecht“ aufzubereiten oder ob man mit elementarpädagogischer Herangehensweise in Alltagssituationen am angeborenen Forscherdrang von Kindern anknüpfen, ihren Denkbewegungen, Entdeckungen und Handlungen nachspüren und den eigenständigen Interessen der Kinder folgen solle – dies wurde meistens umgangen oder als nicht relevant angesehen. Gelegentlich konnte man fast annehmen, dass es hier am Verständnis für die spezielle Art, wie junge Kinder lernen, mangelte.
Die Antwort des Konzeptionsteams von „Es funktioniert?!“ war in dieser Situation: wir haben das Jahr 2005, zwar einen Inhaltsbereich, nämlich „elementare Technik“, einzugrenzen, aber den Technik-Begriff sehr weit zu fassen und die pädagogische Praxis dazu aufzufordern, Projekte im Alltag von Kindern, entlang von deren eigenständigen Auseinandersetzungen mit der physikalischen Umwelt, entstehen zu lassen und die Kinder partizipativ dabei zu begleiten. Wir legten großen Wert auf bewährte frühpädagogische Wege: von Kinderbeobachtungen, ihren Fragen und Interessen ausgehend, Kinder in ihrer Weltentdeckung mit einem reichhaltigen Methodenspektrum (vielerlei Medien ...) zu begleiten und zu unterstützen und vor allem eine geöffnete Lernlandschaft (Bildungspartner, andere Lernorte) mit einzubeziehen. Die Projektarbeit ließ ein hohes Maß an Partizipation der Kinder und Prozessorientierung aufgrund von laufenden Beobachtungen der Kinder zu. Dies erschien uns auch als passende Antwort auf die von Wirtschaftsvertretern formulierte aufrüttelnde Kritik an der Lebensferne des Bildungssystems.
3. Projektbeispiele: „Es funktioniert?!“ 2005 – 2020
Manche naheliegenden Themen aus dem Alltag der Kinder wurden in den 15 Jahren von „Es funktioniert?!“ in Projekten vielfältig bearbeitet (wie Energie gewinnen und sparen, Murmelbahn, Baustellen, Feuer, Zahnrad, Wasserrad, Fahrrad, Maschinen bauen, mit Hebeln etwas bewegen, Spiegel, Gartenanlagen konstruieren, Transportmöglichkeiten, Lärmschutz ...), dennoch stellten sich die grundlegenden „Forschungsaufgaben“ jedes Mal neu und verbargen an jedem Ort und unter jeder Konstellation singuläre pädagogische Schätze: Kein Projekt glich dem anderen. Kinder wollen eben Probleme und Herausforderungen in ihrer Lebenswelt selbst anpacken und lösen. Aus eigenem Antrieb experimentieren sie mit der physikalischen Umwelt, in Bewegung, mit ihren Händen, mit Werkzeugen, mit ihren Worten, in Absprache untereinander. Kinder fragen Zuhause nach, sie tragen technische Knobeleien und knifflige Aufgaben in ihre Familien und stoßen auf Expertise, Interesse und Engagement der Eltern, die sich meist gerne beteiligen. Die Vorstellung vom forschenden Kind ist heute nicht mehr fremd und es gilt als „normal“, wenn sich Kindergartenkinder, Hortgruppen und Grundschulklassen in thematischen Bereichen bewegen, wo man sie noch vor 15 Jahren nie vermutet hätte.
So war und ist jede Juryarbeit, bei der im Mai jeden Jahres die eingereichten Dokumentationen gesichtet werden, eine höchst spannende Aufgabe: Wie wurden die 5 Kriterien in den Themen der Kinder und mit den Möglichkeiten der Unterstützung vor Ort umgesetzt? Immer wieder erstaunten uns die Fragen und Vorgehensweisen der Kinder und wie sensibel und methodisch-didaktisch einfallsreich Pädagog*innen Kinder begleiten.
Hier ein paar Beispiele für die Themen und Fragen der Kinder und wie sie gemeinsam angepackt wurden:
- In einem Kindergarten wehrten sich die Kinder dagegen, dass ihr verwittertes Gartenhaus ersatzlos abgerissen werden sollte. Sie beschäftigten sich daraufhin intensiv mit Verwitterungsprozessen, auch damit, wie Holz vor Verwitterung geschützt werden kann und erprobten technische Herangehensweisen und Werkzeuge, indem sie das alte Gartenhaus abrissen und ein neues errichteten.
- Kinder bauten für „ihren“ Opa Sepp, der sie jahrelang bei ihren Gartenarbeiten im Kindergarten unterstützt hatte, und dann bettlägerig wurde, einen fahrbaren Garten, mit vielen technischen Details und Pflanzen und Blumen, um ihm eine Freude zu machen und den Garten zu ihm zu bringen.
- Die „Müllmänner“ streikten ... Mülltonnen am Straßenrand quollen über. Sie wurden seit Wochen nicht mehr entleert. „Haben die Müllmänner Urlaub oder ist das Müllauto kaputt?“, fragten die Kinder. Das Interesse war geweckt, es folgten vielfältige Auseinandersetzungen mit den Fragen der Kinder zu Mülltechnik, von Materialerkundung für die Mülltrennung, über Greifzangentechnik für das Mülleinsammeln bis zu: „Igitt, eine Made in der Biotonne. Wie kommt die hierher?“
- Das Sonnensegel war kaputt gegangen ... Eigentlich wäre der Hausmeister dafür zuständig gewesen, das Sonnensegel zu reparieren. Aber nein, die Kinder packten selbst an und hatten viele Ideen, die sie gemeinsam erprobten. Das reparierte Sonnensegel ist übrigens immer noch vor Ort und tut seinen Dienst.
- Das Wasser im Bach ist trüb und schmutzig geworden. „Warum?“, fragten die Kinder und „Könnte man das Wasser wieder sauber machen?“ Ja, das geht, schließlich hat ein Kind Erfahrung mit Wasserreinigen, weil es zu Hause ein Aquarium hatte. „Wir brauchen Filter!“ Diese konstruierten sie selbst und tüftelten am Bach, ob und wie sie das Wasser wieder „durchsichtig“ machen könnten. Zum Thema Filtertechnik erhielten sie dann auch im Aquarium in Nürnberg viele Impulse.
- „Ob das Gartenhaus die Schneelast wohl aushält?“, fragten die Kinder in einem strengen Winter und wurden über Wochen zu Wetterforschern. Eine Wetterstation im Außenbereich des Kindergartens entstand.
- „Warum bewegt sich die Materialschale mit den Bügelperlen von allein?“ Kinder erforschten mit allen Sinnen den Reibungswiderstand und bauten zum Schluss mit Hilfe eines geschenkten Kugellagers ein Geburtstagskuchenrolltablett.
- Die Kinder waren sich einig: Ihr Spielplatz ohne Schaukeln ist eigentlich kein richtiger Spielplatz. Die Frage kam auf: „Wie funktionieren Schaukeln eigentlich?“ Sie wurden zu Schaukelforschern.
- „Wir müssen für die Krippenkinder etwas bauen, damit es ihnen nicht zu laut wird beim Faschingsfest“, beschlossen die Kindergartenkinder. Sie konstruierten mit Eierkartons und allerhand anderem Material ein Lärmschutzversteck.
- Kinder wollten ihre Schatztruhe im Kindergarten vor Dieben sichern und bauten ihre eigene Alarmanlage.
- Das Vorbild der Kinder war Leonardo da Vinci, genau wie der geniale Tüftler wollten sie auch eine Maschine erfinden, die es noch nicht gibt. Sie bauten eine Seifenblasenventilatormaschine.
- „Wie funktioniert 3D?“, fragten sich Hort- und Schulkinder. Die Schulkinder erlebten, wie in ihrer Stadt ein 3D-Film gedreht wurde. In der Folge fanden sie eigene Lösungen, 3D zu erkunden und zu verstehen.
- Die Kinder erkundeten die Kraft der Sonne. Sie fühlten die Sonnenwärme auf unterschiedlichen Oberflächen wie Rutschbahn, Wiese, Sand ...
- „Warum fällt das Fahrrad nicht um? Wie funktioniert ein Fahrradständer?“, fragten die Kinder und erprobten Gleichgewicht und Balance.
- „Können wir nicht selber Gemüse anbauen?“, fragten die Kinder. Sie wurden aktiv, planten und bauten gemeinsam in vielen kleinen Schritten ein Hochbeet.
- Die Kinder waren fasziniert vom Farben mischen und experimentierten dazu. Dann wollten sie ein Kaleidoskop bauen, aber eines das nicht wie gewohnt, Farben spiegelt, sondern mischt. Das schafften sie.
- Radlwerkstatt: Die Kinder der 1.-4. Klasse inspizierten im Frühling, ob die Räder den Winter gut überstanden hatten. Nein, einige nicht. Was tun? Wegwerfen, meinten einige Kinder. „Nein, selber reparieren!“, riefen andere. Und so gingen sie vor: Checkliste erstellen, was fehlt, was muss gemacht werden, putzen, Ersatzteile besorgen, reparieren ... Sie besuchten eine Fahrradfabrik - danach wollten die Kinder selber ein Rad konstruieren und ein Design entwerfen.
- Ein Zauberstab war kaputt gegangen. Ein neuer musste her. Doch weder im Supermarkt noch im Internet wurden die Kinder fündig. So beschlossen sie: „Wir bauen selber einen Zauberstab“. Es folgten Materialbeschaffung, Experimente mit Füllflüssigkeit ... Am Ende des Projekts gab es nicht nur einen neuen Zauberstab, sondern gleich 3, die dazu noch unterschiedlich schnell zaubern konnten.
- Die Hortkinder wollten es genau wissen: „Wer hilft uns besser beim Lernen: PC, Tablett oder Smartphone?“ Kreativ, spielerisch und gestaltend wurden digitale Medien an Hand von Alltagsfragen erprobt und bewertet. Auch der begleitende Pädagoge betrat dabei Neuland. Sieger war das Tablett.
- „Wolkenschuh und Fellpantoffeln“, nannten Grundschulkinder ihr Projekt. Die 12 Kinder wollten wissen: „Woraus bestehen Schuhe?“. Sie zerlegten und untersuchten zuerst alte Schuhe von zuhause. Es folgten Materialerkundungen, Exkursion zu einem Schuster, der den Kindern ihre Fragen beantwortete. Daraufhin entwarfen die Kinder selber einen Schuh und stellten ihn auch her.
- „Kann man mit Papier wetterfeste Häuser bauen?“, wollten 27 Grundschulkinder der 2. Klasse wissen. Sie testeten Papierhäuser - werden sie den Regen aushalten? Nein, sie waren nicht wasserdicht. Wie kann man sie wasserdicht machen? Die Kinder experimentierten weiter und wurden fündig. Am Schluss gab es den „Kuscheltiertest“ unter dem imprägnierten Papierdach bei Starkregen. Und die Kuscheltiere blieben trocken!
- „Wir brauchen einen Hühnerstall“, sagten die Kinder. Im Kindergarten wurden Küken gebrütet.
Die Küken sollten aber im Kindergarten bleiben. Aber wie sollte das gehen? Viele Fragen und Überlegungen wurden gewälzt. Viele Informationen erhielten die Kinder bei der Besichtigung von Hühnerställen. Dann wurde der Kindergarten-Hühnerstall gebaut.
Solche Projektbeispiele aus 15 Jahren „Es funktioniert?!“ könnten noch lange fortgesetzt werden. Welche Erkenntnisse können daraus gezogen werden?
4. Bleibt bei den Kindern und den technischen Bildungsgelegenheiten in ihrer Lebenswelt!
Diese zentrale Botschaft möchten wir nach vielen hundert von uns gesichteten Projekten im Zusammenhang mit „Es funktioniert?!“ an Pädagog*innen weitergeben und aus unseren Erfahrungen folgern:
Widersteht, zumindest in diesem frühen Alter der Kinder, der Versuchung einer fachdidaktischen Vorstrukturierung von technischen Bildungssituationen und dem vorschnellen Einsatz konfektionierter Lernunterlagen.
Versteht euch als Lernmoderatoren und begreift gegebenenfalls eure mangelnde technische Kompetenz als Pädagog*innen als Ausgangspunkt für gemeinsames Forschen und für das Öffnen der Lernsettings hin zur Umwelt (Bildungspartner, andere Lernorte)!
So tragt ihr bei zur fruchtbaren Öffnung der Lernwelten Kindergarten, Hort und Grundschule und beschreitet einen naheliegenden nachvollziehbaren Weg der Partizipation mit Eltern u.a.
Die besten technischen Projekte kommen nicht via Vorlage aus didaktischem Material, auch nicht aus Bildungsplänen oder dem Grundschullehrplan. Dort können bestenfalls exemplarische Verläufe zur eignen Anregung der Pädagog*innen entnommen werden. Vielmehr gilt es in diesen frühen Lernjahren, technische Bildungsgelegenheiten im Alltag der Kinder zu erkennen und zu nutzen. Hierzu braucht es ein (neues) Einlassen auf die Welt von Kindern und gut überlegte Konzepte und Strategien von Seiten der Pädagog*innen. Sie werden dazu führen, dass Kinder spüren: Meine Fragen „passen hierher“, ich finde Menschen, die sich auch dafür interessieren. Und miteinander bekommen wir mehr heraus, bis „Es funktioniert“. „Es funktioniert?!“ - Projekte haben bewiesen, dass diese Pädagogik machbar ist.
5. Zum Schluss
Natürlich fragen wir uns, warum das „Feuer“ und die „Philosophie“ von „Es funktioniert?!“ so aufwändig zu erhalten ist und nicht die (vielleicht von uns doch erhoffte) Breitenwirkung in all den 15 Jahren erfahren hat, die wir uns eigentlich wünschen würden. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die beteiligten Kinder und Pädagog*innen haben in all den Jahren gezeigt, dass Pädagogik und Wirtschaft zusammen gedacht werden können. Kinder, die gelernt haben, eine aufkommende Frage in ein Handlungskonzept zu überführen und erlebt haben, wie es gelingt miteinander mehr heraus zu bekommen, können sich vielleicht ihre Lernlust und Neugier auf die Welt bewahren – damit wäre schon viel erreicht.
Mit diesem Beitrag endet unsere gemeinsame Zeit als pädagogische Beraterinnen von „Es funktioniert?!“. Wir sehen es als Glücksfall, dass wir so lange zusammenarbeiten konnten, dass wir uns als Forscher/Pädagoginnen in unseren Ansichten und Einstellungen so gut ergänzten und gegenseitig anregten und motivierten.
Auch wir haben uns vor 15 Jahren auf offenes pädagogisches Gelände gewagt und sind reichlich belohnt worden. Mit einem Dank an alle Beteiligten beenden wir diese Rückschau.
Literatur
Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen; Staatsinstitut für Frühpädagogik (Hrsg.): Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung: Weinheim u. a. 2006
Burtscher I. M.: Der Kindergarten - ein Ort zeitgemäßer Bildung?! Ein Beitrag zur Professionalisierung von ElementarpädagogInnen. Dissertation, Innsbruck 2002
Elschenbroich D.: Weltwissen der Siebenjährigen. Wie Kinder die Welt entdecken können. München: Antje Kunstmann Verlag 2001
Dephi-Befragung 1996-1998: Potentiale und Dimensionen der Wissensgesellschaft. Auswirkungen auf Bildungsprozesse und Bildungsstrukturen. Abschlussbericht zum „Bildungs-Delphi“. Integrierter Abschlussbericht. München 1998
Forum Bildung Abschlussempfehlungen. Berlin 10. 1. 2002
Gopnik A.; Kuhl P.; Meltzoff A.: Forschergeist in Windeln. Wie Ihr Kind die Welt begreift. München: Hugendubel Verlag. 2. Aufl. 2001
Krug M., Killmann E. (Hg.): Bildungsdebatte im Elementarbereich. Beschlüsse – Stellungnahmen – Positionen. KiTa spezial, KinderTageseinrichtungen aktuell, Sonderausgabe Nr. 3/2002
Autorinnen
Marianne Krug, Pädagogin M. A., war von 1973 bis 1993 im deutschen Jugendinstitut in der wissenschaftlichen Begleitung verschiedener elementarpädagogischer Modellprojekte tätig. Nach zwei Jahren als kommunale Gleichstellungsbeauftragte arbeitete sie in der Qualifizierung von Fachkräften der Elementarpädagogik und der Altenhilfe. Sie hat zahlreiche Publikationen, z. T. zusammen mit Hedi Colberg-Schrader, zum Situationsansatz veröffentlicht.
Irmgard M. Burtscher, Elementarpädagogin und Praxisforscherin Dr. phil. In Österreich absolvierte sie die Ausbildung zur (Sonder-)Kindergartenpädagogin und arbeitete in verschiedenen frühpädagogischen Praxisfeldern. Anschließend studierte sie Erziehungswissenschaften in Innsbruck und Palo Alto (Kalifornien). Es folgten Seminartätigkeiten, Publikationen und Projekte zum Thema elementare (MINT) Bildung.
Kontakt
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