Antje Bostelmann
"Die Hälfte der Berufe, die es im Jahr 2030 geben wird, ist heute noch nicht erfunden", meint der Wissenschaftler Gerd Leonhard. Dieser Satz macht deutlich, in welchem Umbruch sich unsere Gesellschaft durch die Digitalisierung befindet.
Wenn jedoch von Digitalisierung in der frühen Bildung die Rede ist, klingt das in den Ohren vieler Eltern gar nicht gut. Sie befürchten, dass ihre Kinder nun auch noch im Kindergarten auf Tablets rumdaddeln und auf Bildschirme starren. Und das sind keine abwegigen Gedanken. Viele Kindergärten machen sich gerade erst auf den Weg, den neuen Anforderungen zu genügen. Es ist ein Weg in eine unbekannte Welt.
Die schnelle Entwicklung der Technologie und die daraus resultierenden rasant verlaufenden Änderungen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens heben den Vorsprung auf, den die ältere Generation normalerweise gegenüber der nachwachsenden Generation hat. In Bezug auf die Digitalisierung lernen Erwachsene und Kinder gemeinsam.
Es gibt bundesweit nur sehr wenige Fortbildungen für Fachkräfte und Eltern zu dem Thema. Die meisten der weltweit erhältlichen, gut durchdachten Materialien für digitale Bildungsangebote in Kindergarten und Schule müssen aktuell noch teuer aus Übersee beschafft werden. Es kann also passieren, dass der Kindergarten Fehler macht. Doch die Kita ist nicht allein verantwortlich für die Kinder von morgen. Eltern und Pädagog/innen arbeiten gemeinsam daran, dass aus den Kindern von heute zur Verantwortung fähige Erwachsene werden. Beide Seiten müssen sich deshalb mit den Veränderungen auseinandersetzen. Beide Seiten müssen den Kindern, die mit den digitalen Technologien aufwachsen, zur Seite stehen. Die heutigen Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen helfen, die Welt zu verstehen.
Die Idee, Kinder von digitaler Technologie fernzuhalten, bedeutet ganz praktisch, sie nicht darüber zu informieren, ihnen keine Möglichkeiten zu geben, die digitale Welt zu erfahren und auszuprobieren. Wer mit der ihn umgebenden Realität keine Erfahrungen machen und diese nicht ausprobieren kann, wer nicht an der Seite eines zuversichtlichen Erwachsenen in die Welt hineinwachsen darf, der ist der Welt ausgeliefert.
Pädagog/innen und Eltern, die den Kindern die Auseinandersetzung mit der digitalen Entwicklung unserer Gesellschaft verweigern, erziehen "digitale Straßenkinder": Kinder, die alleine klar kommen müssen; Kinder, die selbst Erklärungen für ihre Lebensrealität finden und alleine Erfahrungen mit allen Risiken, Chancen, Gefahren und Nützlichkeit machen - und dies alles auf einer Basis von Angst und Verboten.
Eltern und Pädagog/innen dürfen da nicht mitmachen. Es ist die Pflicht eines jeden Erwachsenen, die Lebensrealität der ihm anvertrauten Kinder bei den Erziehungs- und Bildungsbemühungen zu berücksichtigen. Deshalb ist es für Eltern und Pädagog/innen gleichermaßen wichtig, sich mit der digitalen Welt auseinander zu setzen und sich diese voller Mut und Zuversicht anzueignen. Denn nur so kann es uns gelingen, die Kinder in eine für uns alle heute noch fremde Zukunft hinein zu geleiten.
Der digitale Kindergarten
Bildungsarbeit mit digitalen Medien darf sich nicht auf den Einsatz von Tablets beschränken. Vielmehr geht es darum, eine Welt zu entdecken und zu entschlüsseln, die für Erwachsene und Kinder gleichermaßen neu ist.
Der Kindergarten ist längst digital. Sehr viele Tätigkeiten und Prozesse werden mit Hilfe digitaler Technologien ausgeführt. Die Eltern haben sich seit Jahren daran gewöhnt, per E-Mail mit ihrer Einrichtung zu kommunizieren. Verwaltungsprozesse werden durch Software unterstützt; digitales Fotografieren und Filmen unterstützt pädagogisch initiierte Dokumentationsprozesse. Und auch Tablets tauchen in den Einrichtungen immer häufiger auf und werden von den Fachkräften im pädagogischen Alltag benutzt.
Der Einsatz digitaler Geräte im Kindergarten bringt viele Vorteile mit sich, spart Zeit und erweitert die Möglichkeiten für spannende Bildungsangebote. Die neuen Technologien sind für den Kindergarten von großem Vorteil, wenn auf einige wichtige Punkte geachtet wird:
1. Die wenigsten digitalen Medien sind Bildschirmmedien
Die Kinder sitzen zu Hause genug vor dem Fernseher. Daher müssen sich pädagogische Institutionen beim Einsatz der neuen Technologien auf die Fahnen schreiben, die Bildschirmzeit der Kinder nicht noch mehr zu verlängern.
Die Digitalisierung unserer Gesellschaft drückt sich nur zu einem kleinen Teil durch neu und weiterentwickelte Bildschirmgeräte aus. Das Wort "Digitalisierung" beschreibt die Veränderung unserer Gesellschaft durch stark verbesserte Produktionstechnologien, einen enormen Zuwachs an Möglichkeiten, Dinge selbst zu entwickeln und selbst herzustellen, die wachsenden Möglichkeiten für jedermann, zu programmieren und in Echtzeit rund um den Globus zu kommunizieren.
Für Bildungseinrichtungen ist es daher wichtig, sich nicht auf Bildschirmgeräte zu fokussieren. Stattdessen sollten sich Kindergarten und Schule um einen ganzheitlichen Ansatz bemühen, der Erwachsenen und Kindern hilft, die digitale Welt zu verstehen. Vom Konsumenten zum Produzenten ist der Leitsatz, den Einrichtungen dabei nicht aus den Augen verlieren sollten.
2. Die Digitalisierung der frühkindlichen Bildung braucht mehr als Tablets
Viele Kindergärten überlegen zurzeit, Tablets einzuführen. Sie glauben damit, die Bildungsarbeit in ihrer Einrichtung zu digitalisieren. Tablets sind für die Pädagog/innen sinnvolle Werkzeuge, die die Dokumentationsarbeit erleichtern und in vielen Alltagsprozessen helfen, Zeit zu sparen.
Zur Digitalisierung von Bildungsprozessen führt der Einsatz von Tablets aber nicht. Es geht wie immer im Kindergarten darum, gemeinsam mit den Kindern die Welt zu entdecken, zu entschlüsseln und sich selber zu eigen zu machen. Seit einigen Jahren gibt es in dieser zu entdeckenden Welt auch viele digitale Dinge und Funktionen. Für die Entwicklung von Bildungsangeboten und Methoden, die den Kindern eine Basis für ein späteres Leben in einer heute noch nicht vorstellbaren Zukunft geben, braucht es deshalb viel mehr als Tablets:
- Es braucht die Beschäftigung mit Technik, Strom und technischen Bauteilen, denn alle digitalen Geräte basieren auf Stromkreisen, haben einen Schalter und brauchen Strom.
- Es braucht Methoden, damit Kinder und Erwachsene sich ein Verständnis vom Programmieren erarbeiten können. Dabei helfen das Verstehen des Algorithmusbegriffes und ein wenig Mut, um sich selbst einige Programmiersprachen anzueignen.
- Es braucht Wissen darüber, mit welchen Technologien die Dinge, die wir täglich konsumieren, hergestellt werden. Es ist heute kinderleicht, solche Produktionsprozesse nachzuvollziehen, Maschinen selbst zu programmieren und auszuprobieren. Diese Möglichkeit gibt es in FAB-Labs, die in jeder großen Stadt zu finden sind. Produktionstechnologien werden durch Computer gesteuert, deren Software immer verständlicher und immer einfacher anwendbar ist.
- Es braucht die Erfahrung im Umgang mit Informationstechnologien und Medien. Denn das Internet wird von jedem Menschen benutzt und verändert daher unsere Gesellschaft und unsere Demokratie.
- Es braucht die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Globalisierung, wie Erderwärmung, Hunger und Umweltverschmutzung. Denn diese Probleme bedrohen unsere Zukunft und dürfen in dem großen Wandel, der sich gerade vollzieht, nicht vergessen werden.
Eltern und Fachkräfte in Kindergarten müssen bei der Auseinandersetzung mit dem Thema "digitale Bildung" größer denken und dürfen sich nicht auf Tablets fokussieren. Der Einsatz digitaler Medien im pädagogischen Alltag ist nicht das Ziel. Das Ziel ist die lernende Auseinandersetzung mit der digitalen Welt. Geräte wie Tablets, kleine Roboter oder Technikbausteine sind Werkzeuge, die uns dabei helfen.
Zum Weiterlesen
Bostelmann, A./Engelbrecht, C./Mattschull, H.: Strom, Technik und Computer im Kindergarten. 33 einfach umsetzbare Projektideen. Berlin: Bananenblau 2017
Bostelmann, A./Fink, M.: Digital Genial. Erste Schritte mit Neuen Medien im Kindergarten. Berlin: Bananenblau 2014
Liukas, L.: Hello Ruby. Programmier dir deine Welt. Berlin: Bananenblau 2017