Aus: Kita aktuell NRW, Nr. 5/2004, S. 100
Ulrich Braun
Mit dem Thema "Rücken" kann man nicht früh genug anfangen. Gerade die Kindertageseinrichtung ist ausgezeichnet geeignet, um Gesundheitsprävention durchzuführen. Bei diesem Präventionskonzept lernen auch Erzieherinnen und Eltern noch einiges dazu!
Es gibt seit vielen Jahren eine Zunahme von Kindern und Jugendlichen, die von ihrem Arzt zur Krankengymnastik in die Praxen geschickt werden - nicht nur wegen Haltungsschwächen, sondern zunehmend auch wegen Rückenbeschwerden. 35-60% aller Schulkinder haben Haltungsschwächen, 30-40% haben Koordinationsschwächen, 25-30% haben Übergewicht, 20-30% haben Herz-Kreislaufschwächen (BAG 1990). Dem kann man vorbeugen.
In Recklinghausen werden in einigen Kindertageseinrichtungen regelmäßig Kurse "Spaß und Bewegung mit Fritz Munter" angeboten. Inhalte und Ziele sind die kindgerechte Vermittlung einfachster anatomischer Kenntnisse, die Einübung rückengerechter Bewegungsmuster, die Verbesserung der Koordination und Muskelkraft, die Verbesserung des Körperbewusstseins und der Entspannungsfähigkeit und nicht zuletzt die Einbindung der Erzieherinnen und der Eltern in die Rückenschule.
Die Kursgebühren werden zu 80-100% durch die gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen von § 20 SGB V, aber nicht durch die privaten Krankenkassen, übernommen. Da die Kostenübernahme individuell geregelt wird, ist es erforderlich, bei jeder Krankenkasse nachzufragen.
Es nehmen immer auch Erzieherinnen teil, weil damit Fortbildung und Qualifizierung verbunden sind. Sie bekommen im Anschluss an den Kurs eine Fortbildungsbescheinigung, die dazu berechtigt, das Konzept in der Einrichtung weiterzuvermitteln. Und: das eigene (nicht-) rückengerechte Verhalten gerät ebenfalls in den Blick und ist damit auch beste Gesundheitsprävention für die Mitarbeiterinnen!
Die Einrichtung kann mit einem Zertifikat damit werben, dass der Kindergarten rückenschultauglich ist. So wird in dieser Einrichtung vermittelt, wie ein Kind sitzen oder stehen soll.
Die Gruppengröße beträgt mindestens 10 Kinder (sonst übernimmt die Krankenkasse die Kosten nicht), aber nicht mehr als 15 Kinder. Immer wieder nehmen auch Kinder kostenfrei teil, weil die Eltern sich nicht dafür engagieren, ihr Kind teilnehmen zu lassen, und keinen Antrag bei der Krankenkasse stellen (z.B. Kinder von Flüchtlingen). Es wird also grundsätzlich kein Kind ausgeschlossen.
Die Einnahme des Geldes von 25,- bis 30,- EUR, je nach Anzahl der teilnehmenden Kinder, erfolgt durch den Elternrat. Die Krankenkassen erstatten erst nach nachgewiesener Teilnahme den Eltern die Kosten.
Die Kursdauer beträgt 6 x 60 Minuten. Das Angebot findet während der Öffnungszeiten der Einrichtung statt, da es sich um ein fachliches Angebot im Rahmen von Gesundheitsprävention handelt. Für Erzieherinnen sind Fortbildungsinhalte ohne zusätzliche Überstunden integriert, und Eltern sind dankbar, dass der Kindergarten dies anbietet und sie nicht am Nachmittag noch einen zusätzlichen "Termin" ihrer Kinder organisieren müssen. Hinzu kommt zu den 6 x 60 Minuten ein Elternabend oder -nachmittag. In der Regel wird der Kurs einmal im Jahr durchgeführt, weil die Kinder nur begrenzt die Inhalte erinnern können.
Die Kinder lernen in dem Kurs die Wirbelsäule kennen (ein eindrucksvolles Anschauungsobjekt ist stets dabei) und erleben kindgerecht die Funktionsweise. Ein Schwamm wird zwischen zwei Holzstücken oder ein Luftballon zwischen zwei Kindern transportiert. Mit vielfältigen Übungen wird den Kindern ein "rückengerechtes Bewegungsmuster" und eine Verbesserung des Körperbewusstseins und der Entspannungsfähigkeit näher gebracht. Das Konzept sieht vor, dass der Kurs in der Grundschule wieder stattfindet, sodass eine Kontinuität im Erlernen eines rückengerechten Verhaltens gegeben ist.
Die Kurse dürfen nur von Physiotherapeuten mit einer Zusatzausbildung "Rückenschule" durchgeführt werden, wenn sie von den Krankenkassen anerkannt werden sollen. Wenn der Kurs mit einer solchen Fachkraft durchgeführt wird, hat das weitere Synergieeffekte. Sie kann beobachten, ob eventuell auch logopädische oder ergotherapeutische Hilfe erforderlich ist und gegebenenfalls Eltern darauf ansprechen. Als Therapeutin kann sie vielleicht manches Mal (leider) eher Eltern überzeugen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, als wenn Erzieherinnen Eltern in dieser Weise beraten.
Überwiegend wird dieses Angebot in den städtischen Kindertageseinrichtungen in Recklinghausen durchgeführt. Diese haben ihrer Arbeit einen Standard zur Gesundheitsförderung zugrundegelegt: "Die Gesundheitsförderung soll allen Kindern ein höheres Maß an selbstbestimmter Fürsorge für ihre Gesundheit ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit befähigen" (vgl. http://www.kindergartenpaedagogik.de/1026.html) Das Konzept der "Rückenschule" eignet sich als ein Baustein ausgezeichnet, um diesen Standard zu gewährleisten.
Das Landesjugendamt Westfalen-Lippe hält die Gesundheitsprävention und Bewegungserziehung für zentrale Elemente im Aufgabenspektrum der Tageseinrichtungen für Kinder. Die "Rückenschule in Tageseinrichtungen für Kinder" ist ein gelungenes Praxisbeispiel für eine Vernetzung mit externen Anbietern (Physiotherapeuten, Krankenkassen) und für die Erweiterung des Auftrages der "Gesundheitsvorsorge" (§ 15 Abs. 2 GTK) um einen wichtigen Präventionsbereich.