Aus: Armin Krenz/Klaus Schüttler-Janikulla (Hrsg.): Handbuch für ErzieherInnen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort. Landsberg: mvg-verlag 2002
Margarete Blank-Mathieu
Einleitung
"Unser täglich Brot" ist genmanipuliert - solche und andere Zeitungsmeldungen erreichen uns täglich. Fast jedes Lebensmittel kam inzwischen irgendwann "ins Gerede", ob es sich um den als besonders gesund geltenden Fisch, eine Verunreinigung des Speiseöls, gespritzte Äpfel oder um die alltäglich wiederkehrende Sorge wegen BSE-Kühen handelt. Eigentlich weiß keiner mehr, was wirklich unbedenklich ist und welche Lebensmittel wir unseren Kindern noch geben können.
Manche Eltern verharmlosen diese Meldungen, essen, was sie gewohnt sind, und sind der Meinung, die Kinder mit solchen Dingen nicht verunsichern zu dürfen. Andere wollen, dass wir in unseren Tageseinrichtungen mit den Kindern zusammen selbst das Vesper zubereiten, die Zutaten dafür von besonders zuverlässigen Händlern, besser noch vom Bauern selbst, beziehen. Dazwischen sind die Unentschiedenen, die Eltern, die versuchen, den goldenen Mittelweg zu gehen, und immer dann, wenn eine Horrormeldung erfolgt, eine Zeit lang dieses Lebensmittel meiden.
1. Naturprodukte kennen lernen und verarbeiten
Schon immer haben wir in den Kindergärten mit den Kindern zusammen gekocht, gebacken und selbst Gemüse angebaut. Dies ist der beste Weg, um die natürlichen Wachstumsbedingungen, die besonderen Voraussetzungen und die Verarbeitungsmethoden kennen zu lernen.
Wie aus einem Samen eine Pflanze entsteht und was sie benötigt, um wachsen zu können, wird an ganz einfachen Beispielen erfahrbar. Wir legen einen Bohnenkern in ein Einmachglas. Dieses befüllen wir mit Erde. Der Bohnenkern soll dabei sichtbar bleiben. Dann gießen wir das Ganze und stellen es an einen hellen Platz. Jedes Kind darf entscheiden, ob es "seine" Pflanze lieber in die Garderobe (einen kühleren) oder ins Gruppenzimmer über der Heizung stellen möchte. So können wir die unterschiedliche Wachstumsgeschwindigkeit beobachten, aber auch sehen, dass Pflanzen, die langsamer wachsen, fester werden und nicht so rasch Läuse bekommen. Apropos Läuse - schon machen die Kinder die ersten Erfahrungen mit Pflanzenschädlingen. Was ist dagegen zu tun? Mit den Kindern gemeinsam können wir nun überlegen, wie wir diese wirksam und umweltverträglich bekämpfen. Und wenn die Bohnenpflanze dann im Mai in den Garten ausgepflanzt wird, so können wir sie weiter wachsen sehen. Wenn wir Glück haben, werden wir sogar Bohnen ernten.
Wir sollten Projekte immer so anlegen, dass die Kinder auch einen Erfolg sehen und nicht nachher die Pflanzen achtlos wegwerfen. Das bedeutet aber, dass wir auch den jahreszeitlichen Ablauf bedenken und miteinander besprechen müssen.
Einen raschen Erfolg sehen wir beim Auspflanzen von Kressesamen, die nicht einmal Erde benötigen. Kresse auf ein selbstgebackenes Brot mit Butter, das ist eine köstliche Zwischenmahlzeit. Im Frühling sind Keimlinge verschiedener Pflanzen besonders beliebt. Wir nehmen dazu einen Keimapparat, der schon für wenig Geld zu haben ist, und haben dann immer Keimlinge als Brotbelag oder zu Salaten, auch zum Kochen vorrätig. Kinder können dabei die verschiedenen Samen keimen sehen und die unterschiedlichen Keimlinge beobachten. Hierzu eignen sich Fertigmischungen, aber auch normale Samen, die vom Vorjahr übrig geblieben sind, wie Rettichsamen, Gartenkräuter, Linsen, Mungobohnen etc.
Im Frühling ziehen wir Tomatenpflanzen (sie eignen sich besonders gut, weil sie lange benötigen und gut im Zimmer vorzuziehen sind), die wir dann Mitte Mai in unserem Garten auspflanzen. Dazu genügt oft schon ein kleiner Erdstreifen vor einer sonnigen Mauer.
Und unserer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt: Das ganze Jahr hindurch ist es möglich, unsere Naturprodukte selbst herzustellen oder zu verarbeiten. Äpfel und Nüsse werden am besten im Herbst gesammelt (natürlich mit der Genehmigung des Besitzers). In der Gärtnerei bekommen wir Salat oder Rettiche und können uns gleichzeitig die Gärtnerei ansehen.
Jeden Tag können wir etwas zu unserem Vesper beitragen. So lernen die Kinder nach und nach unsere heimischen Produkte kennen.
Viele Mühlen verkaufen uns nicht nur Mehl, sondern sind auch bereit, den Mahlvorgang zu erklären. Mit "alten" Kaffeemühlen oder richtigen Getreidemühlen können wir auch im Kindergarten Getreide mahlen. Daraus lassen sich Brötchen oder Kuchen herstellen. Spätestens jetzt sehen wir, dass wir noch viele andere Zutaten benötigen, die nicht im Garten wachsen.
Die Kinder möchten nun aber auch wissen, woher diese Dinge, z.B. die Hefe oder die Butter, stammen! Es würde unsere Kindergartentage ausfüllen, wollten wir allen Dingen persönlich nachgehen. Vieles wird die Kinder interessieren, anderes weniger. So entscheiden wir nach den Interessen der Kinder, welche Schwerpunkte wir setzen.
2. Inhaltsstoffe und Zusammensetzung unserer Nahrungsmittel hinterfragen
Und irgendwann taucht auch die Frage auf, warum Alexander kein Joghurt essen darf und Sabrina keine Brötchen aus Weizenmehl. Ein anderes Kind darf vielleicht keine Orangen oder keine Erdbeeren essen. Warum das so ist, führt uns zu spannenden Projekten.
Welche Inhaltsstoffe enthalten unsere Nahrungsmittel? Ein besonderer Geruch gibt Hinweis auf den Inhalt, der Geschmack zeigt, ob z.B. Zucker enthalten ist (Stärke im Brot wandelt sich durch die Vermischung mit dem Speichel und längerem Kauen in Zucker um). Was können wir riechen oder schmecken?
Es gibt viele Möglichkeiten, sich spielerisch mit solchen Fragen zu beschäftigen. Einige Grundstoffe können wir isoliert versuchen, wie Zucker, Salz, Gewürze, Mehl... Andere können wir weder schmecken noch riechen.
Je weiter die Lebensmittel verarbeitet sind, desto weniger wissen wir etwas über die einzelnen Zutaten. Das Butterbrot ist noch relativ einfach zu analysieren, mit der Milchschnitte wird dies schon erheblich schwieriger. Suppe, die wir aus Gemüse aller Art herstellen und lediglich Salz hinzugeben, ist von den Grundstoffen her leicht nachzuvollziehen, wie aber ist es mit Fertigsuppen?
Gut, wenn wir eine Fabrik in der Nähe haben, die uns einen Blick in ihre Arbeitsabläufe tun lässt. Nicht alles, was künstlich scheint, ist auch künstlich. Viele natürlichen Lebensmittel werden auch hier verarbeitet.
3. Herstellung unserer Nahrungsmittel kennen lernen
In einer solchen Fabrik sehen wir, dass die fertigen Produkte z.B. in Dosen eingeschweißt werden, um sie haltbar zu machen. Manchmal werden sie dazu auch tiefgefroren. Salate werden stark heruntergekühlt und vakuumverpackt. Andere Früchte werden getrocknet, z.B. Bohnenkerne oder Mohn. Das können wir im Kindergarten auch: Wir ernten die Bohnen, die holzig geworden sind, und verwenden die Kerne. Wir machen aus überreifen Tomaten Tomatenmark. Zwetschgen lassen sich dörren und dadurch haltbar machen, Zucker lässt Marmelade haltbar werden, und mit Salz kann man Fleisch oder Fisch haltbar machen. Viele Möglichkeiten lassen sich auch im Kindergarten ausprobieren.
4. Herkunft unserer Lebensmittel
Viele Lebensmittel können wir selbst anbauen, auf den Feldern und in Obstgärten besehen, sie uns beim Müller oder Bauern besorgen. Andere gibt es nur in Geschäften. Haben wir beim Bauern gesehen, wie Schweine oder Hühner dort leben? Was bekommen sie zu fressen? Ist das Fleisch, das wir im Supermarkt kaufen, auch von einem Bauern wie dem, den wir besucht haben? Ja, wie leben eigentlich die Tiere, deren Fleisch wir essen?
Der Kostenfaktor ist uns vielleicht schon aufgefallen, wenn wir etwas beim Bauern oder im Reformhaus gekauft haben. Vieles ist dort teurer als im Supermarkt um die Ecke. Warum dies so ist, wird uns deutlich, wenn wir mit den Kindern die Lebensbedingungen der meisten Schlachttiere bedenken. Unsere Kinder sind es uns schuldig, dass wir die Herstellung von Fleisch in unserer Industriegesellschaft nicht verniedlichen, ihnen aber auch nicht Angst machen. Dass Tiere in Massentierhaltungen gegen Krankheiten geimpft werden müssen, dass Obst, um es verkaufen zu können, gespritzt wird, dass Bananen und Tomaten grün geerntet und lange lagerbar sein müssen, das sind die Auswirkungen unseres Konsumverhaltens.
Nicht immer kann man dies auch schmecken. Bei den Tomaten, die wir an der Südseite unseres Kindergartens selbst gezogen haben, und denen aus dem Supermarkt merken wir aber einen deutlichen Geschmacksunterschied. Selbst die Äpfel mit den schorfigen Stellen vom Nachbarn schmecken viel besser als die rotbackigen, glänzenden aus dem Laden.
5. Fertigprodukte - vorgefertigte Lebensmittel
Nicht immer ist das so. Die Fertigsuppe kann genauso gut schmecken wie die von uns selbst gekochte und dauert nur einen Bruchteil der Zeit. Und viele Haushalte verwenden mehr und mehr vorgefertigte oder fertig gekaufte Produkte. Maultaschen werden noch selten selbst hergestellt; man kauft sie im Supermarkt oder beim Metzger. Der Kartoffelbrei aus der Packung ist oft sogar schon mit Milch zubereitet und braucht nur noch mit heißem Wasser aufgerührt zu werden. Wir können nicht alle Produkte selbst herstellen. Und die Fertigprodukte müssen nicht schlechter sein als was wir selbst herstellen können.
Die Reklame spielt hier für Kinder eine besondere Rolle. Sind sie doch längst als Verbraucher entdeckt und geben vielfach den Ton an, was die Mutter oder der Vater kauft, und sagen deutlich, was sie essen mögen oder ablehnen. Nahrungsmittel werden in der Reklame oft mit Gesundheit und Wohlbefinden in Verbindung gebracht. Wenn ein bestimmter Schokoriegel bereit steht, so wird das Spielen schöner, und die Mutter wartet am Ende mit einer Überraschung. Eltern wird von der Werbung vorgegaukelt, dass Getränke mit Vitaminzusatz besser sind. Zwischenmahlzeiten werden am besten durch Fertigprodukte abgedeckt, die immer zur Verfügung stehen und keine Vorbereitungszeit benötigen. Hier sollte man an einem Elternabend mit den Eltern zusammen überlegen, wie wir mit solcher Reklame umgehen und wie die Aussagen für unsere Kinder zu bewerten sind.
6. Kinder als Verbraucher von morgen
Uns ist schon lange bewusst, dass sich manches verändern muss, wenn wir unsere Kinder gesund erhalten und die zunehmende Neigung zu Allergien nicht noch verstärken wollen. Woher diese erhöhte Allergieneigung kommt, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Eventuell sind aber auch Zusatzstoffe in unseren Lebensmitteln mit auslösend. So ist eine gesunde, abwechslungsreiche und bewusste Ernährung ein Ziel, das wir zusammen mit der Elternschaft in unseren Einrichtungen anstreben sollten.
Wir müssen unsere Kenntnisse erweitern, uns mit der Zubereitung von Lebensmitteln mehr beschäftigen als bisher, Möglichkeiten von Projekten zu diesem Thema finden und Kinderfragen beantworten können. Alle Unsicherheiten, die Eltern im Zusammenhang mit BSE oder anderen Horrormeldungen erfahren, wirken sich auch auf die Kinder aus - entweder indem sie von uns Informationen erhalten wollen oder nicht mehr sicher sind, was sie essen können. Ist Fleisch gesundheitsschädlich, ist Müsli besser, essen wir zu Hause oder nur im Kindergarten "richtig", solche Fragen werden uns von Kindern in vielerlei Weise gestellt und müssen zunächst von uns selbst abgeklärt sein.
Wie schon anfangs bemerkt, gibt es viele Möglichkeiten, Kinderfragen nachzugehen und die Grundbedürfnisse nach genussvoller Nahrung zu befriedigen. In unseren Einrichtungen haben wir viele Möglichkeiten, gemeinsam mit den Eltern Projekte zu diesen Themenkreisen durchzuführen.
Gerne und genussvoll essen zu können, Freude am Wachsen und Zubereiten von Lebensmitteln zu bekommen, kritische Fragen stellen zu können, ohne Ängste zu produzieren, das ist die Voraussetzung, dass unsere Kinder kritische Verbraucher von morgen werden. Je mehr die Eltern mit einbezogen sind, desto eher wird diese "Gesundheitserziehung" Frucht tragen, da auch im Elternhaus unsere Überlegungen beim täglichen Essen mitgetragen und mitbedacht werden.
Schlussbemerkungen
Kinder sind es uns wert, dass wir sie in ihren Fragen und Bedürfnissen wertschätzen, das gilt auch im Hinblick auf die von ihnen bevorzugten Nahrungsmittel. Wenn sie gerne Süßes essen, so ist dies noch lange kein Grund, dass wir ihnen dies ausreden sollten. Wenn sie im Elternhaus erfahren haben, dass nur solche Kost gesundheitsfördernd ist, die im Reformhaus gekauft wird, so sollen wir ihnen nicht widersprechen.
Es geht hier nicht um eine Weltanschauung, sondern darum, Kinder zu bewussten Verbrauchern von morgen zu machen. Kinder müssen wissen, was in ihrer Lebenswelt passiert, und das umso mehr, wenn es sich um die tägliche Nahrung handelt. Sie müssen lernen, eigene Entscheidungen treffen zu können - und das können sie nicht, wenn ihnen bestimmte Informationen fehlen.
Die Horrormeldungen über Lebensmittelskandale landauf und landab müssen von den Kindern angesprochen werden können. Wir sollten Antworten bereit haben - oder wenigstens uns zusammen mit den Kindern auf die Suche nach ihnen machen. Das ist das mindeste, was wir tun können - zu unserem Wohl und zur Gesundheit der uns anvertrauten Kinder.
7. Literatur
Berger, Barbara: Was man zu Zeiten von BSE noch essen darf. In: Bildung, Erziehung, Betreuung von Kindern in Bayern, 6. Jahrgang 2001, Heft 1, S. 12-13, IFP München
ELF: Mit der Ernährungslok durch das Kindergartenjahr, Aktionshandbuch zur Ernährungserziehung im Vorschulalter, Bayerisches Staatsministerium, Sept. 2000
Kaplan, Karlheinz: Kompetenz zu einer gesundheitsbewussten Lebensführung, in: Bildung, Erziehung, Betreuung von Kindern in Bayern. 6. Jahrgang 2001, Heft 1, S. 12-13, IFP München
Renold, Sarah: Nein, aber Fein! Wenn Kinder von Allergie betroffen sind, Pro juventa, Zürich 2001
Shiva Vandana: Biodiversität, Plädoyer für eine nachhaltige Entwicklung, Haupt, Bern, Stuttgart, Wien 2001
Ernährung, Gesund essen, bewusst leben, Brockhaus, Mannheim 2001
http://www.meine-gesundheit.de (viele Beiträge der Apothekenzeitung "Meine Gesundheit")
Weitere Veröffentlichungen gibt es bei Krankenkassen, der Ernährungsberatung der AOK, Apotheken und Umweltverbände. Auch in Arztpraxen liegen Informationen zur Ernährung bei bestimmten Krankheiten und Allergien aus.