"Sensibel wirst Du als Erzieherin nur, wenn Du Dich mit dem Thema auseinander setzt"Interview mit Antje Elsbeck zum Thema Sexualpädagogik im Kindergarten

Norbert Kühne

Antje Elsbeck ist seit 13 Jahren Leiterin eines AWO-Kindergartens in NRW. Erzieherin ist sie seit 25 Jahren.

Norbert Kühne: Der größte Teil der Erzieherinnen wird - mindestens innerlich - die Augen verdrehen, sobald man ihn auf "Sexualerziehung in der Kindertagesstätte" anspricht. Das ist bei Ihnen anders?

Antje Elsbeck: Kinder bringen ihre Sexualität und die gemachten Erfahrungen schon mit in die Einrichtung, deswegen kann man die Augen nicht davor verschließen. Und das wollen wir auch nicht.

Norbert Kühne: Warum haben Sie sich intensiver mit Sexualerziehung auseinander gesetzt?

Antje Elsbeck: Die Konzeption zur Sexualerziehung haben wir vor vier Jahren formuliert; wir setzen uns aber schon seit vielen Jahren damit auseinander. Es gibt immer wieder Situationen - zum Beispiel bei Rollenspiel -, in denen eine Erzieherin unsicher ist. Die Situationen betreffen unterschiedliche Themen. Aber Sexualität gehört auch dazu: Kinder entkleiden sich beim Doktorspiel, und man weiß genau, dass die betroffenen Eltern Bedenken haben. Da muss man als Erzieherin wissen, wie man sich angemessen verhält. Und so sind wir langsam in die Diskussion dieses Themas gekommen. Außerdem habe ich einmal an einem "sexualpädagogischen Institut" eine Fortbildung dazu gemacht.

Norbert Kühne: Von der Idee zur Realisierung geht vermutlich ein steiniger Weg. Welche Erfahrungen haben Sie in der ersten Zeit mit diesem Konzept gemacht?

Antje Elsbeck: Wir scheuen uns nicht, auch Hilfe zu suchen. Einmal hatten wir einen Sexualpädagogen in der Einrichtung; ich habe die Eltern darauf verpflichtet zu kommen. Andernfalls hätten die Eltern ein Stück Vertrauen zu uns verloren. Wir wollten, dass sie sich über wichtige Fragen der Sexualerziehung vom Fachmann informieren lassen, um unser Konzept verstehen zu können.

Es kommt immer wieder zu Situationen, in denen Eltern nachfragen: Wenn die Kinder etwa mit ihrem Körper spielen... Die Eltern haben dann häufig Angst. Wir geben ihnen dann konkrete Informationen mit, die sie in Ruhe durchlesen können. Wir erzählen ihnen auch, wie wir damit umgehen. Wir sagen ihnen z.B., dass in die Scheide oder in den Penis keine Gegenstände gesteckt werden sollen, weil sich die Kinder damit verletzen können. Das ist ja eine Sorge der Eltern.

Im Sommer gibt es draußen in unserem Garten Kinder, die sich ausziehen - und andere, sie das nicht wollen. Wir haben den Garten aber nach außen abgeschirmt, damit er nicht unbedingt eingesehen werden kann. Die Kinder müssen auch geschützt werden vor Blicken und Eingriffen Fremder - das gehört Schutz ihrer Intimsphäre.

Da war ich früher weniger vorsichtig. Auch wenn Kinder im Flur spielen und sich ausziehen wollen, achten wir auch darauf, dass sie das nicht unbedingt in Zeiten tun, wenn Besucher wahrscheinlich sind.

Norbert Kühne: Die Eltern sind dabei sicherlich ein gesondertes Problem - vor allem die türkischen und arabischen Eltern, kann man sich vorstellen. Wie bereiten Sie heutzutage Eltern vor, die ihre Kinder bei Ihnen anmelden?

Antje Elsbeck: Wir hatten einmal einen Elternabend, bei dem ich fragte, wie klärt ihr Eure Kinder auf? Werden die überhaupt aufgeklärt? Bei türkischen und arabischen Migranten gibt es auch Eltern, die offen sind, und andere Eltern, die das Thema tabuisieren. Türkische Eltern sagten mir: Wenn Ihr aufklärt, finden wir das in Ordnung.

Seit 11 Jahren wird schon bei der Anmeldung im Kindergarten mit den Eltern über dieses Thema gesprochen. Auch wenn ich den Kindergarten vorstelle, spreche ich mit den Eltern über Sexualerziehung. So sage ich den Eltern, dass wir den Kindern in der Rollenspielecke nicht verbieten, sich umzuziehen oder nackt zu spielen. Dann gibt es Eltern, die sagen: Das ist normal, das finden wir okay.

Wir haben in diesem Fall allerdings Schwierigkeiten, dem einen Kind zu sagen: Du darfst Dich ausziehen, während das andere Kind das nicht dürfte. Das geht doch nicht. Also müssen wir uns um ein Konzept bemühen, auf das sich alle Eltern einlassen können.

Norbert Kühne: Haben Sie sich im Verlauf der Arbeit mit diesem Konzept dieses verändert? Verändern sich auch Ihre Erzieherinnen?

Antje Elsbeck: Wenn eine Erzieherin erzählt, mir ist das und das passiert, müssen wir auch über unsere Sexualität sprechen. Wir tun das! Oder wir erinnern uns, wie wir als Kinder mit unserem Körper umgegangen sind.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität ist sehr wichtig. Damit kann man besser verstehen, was passiert, wenn ein Kind mit sich spielt. Man kann sich besser in das Kind einfühlen. Man kann sich besser mit den Kindern identifizieren.

Oder wenn man überlegt, warum Kinder unterschiedliches Schamgefühl haben. Es gibt 2-jährige Kinder, die es nicht ertragen können, dass Kinder zuschauen, wenn sie gewickelt werden. Da darf nur die Erzieherin dabei sein. Andere Kinder finden es gut, wenn sie von älteren Kindern gewickelt werden.

Dann gibt es Kinder, die einnässen. Da müssen die Eltern kommen, um das Kind umzuziehen. Sensibel wirst Du als Erzieherin nur, wenn Du Dich mit dem Thema auseinander setzt.

Norbert Kühne: Ganz herzlichen Dank für Ihre Informationen!

Konzept "Sexualerziehung" der Einrichtung von A. Elsbeck

Die Sexualerziehung in unserem Kindergarten nimmt keine Sonderstellung ein, sondern ist Bestandteil der Sozialerziehung und Persönlichkeitsbildung.

Ziele: Wir möchten,

  • dass Kinder die eigene Sexualität als einen positiven Lebensbereich bejahen.
  • die Kinder in der Wahrnehmung ihrer Gefühle fördern.
  • die Kinder sensibilisieren, die eigenen Gefühle und die Gefühle anderer Menschen zu erkennen und darauf angemessen zu reagieren (Partnerschaft, Zärtlichkeit, Rücksichtsnahme, "Nein" sagen können).
  • dass die Kinder ihren eigenen Körper wahrnehmen und akzeptieren.
  • dass die Kinder eventuelle Ängste, Hemmungen ablegen und Sicherheit erfahren.
  • die Kinder im Finden und Erkennen der eigenen Identität unterstützen.
  • dass die Kinder den gleichberechtigten Umgang zwischen Mädchen und Jungen erleben und akzeptieren.
  • das Selbstwertgefühl von Mädchen und Jungen spielerisch stärken.
  • den Kindern Wissen über Sexualität vermitteln.

Umsetzung:

  • Wir sind sensibel für Fragen der Kinder und hören zu.
  • Wir achten darauf, dass das persönliche Schamgefühl eines Jeden respektiert wird.
  • Mit unserer Raumgestaltung schaffen wir den Kindern Möglichkeiten, ungestört zu spielen. Wir bieten ein geborgenes Umfeld (Kuschelecken, Decken, Nischen, gedämpftes Licht).
  • Den Kindern stehen viele Materialien zur Verfügung, die unter dem Aspekt der Sexualerziehung förderlich sind (Verkleidungsutensilien, Arztkoffer, Massagebälle, Rollen, Schwämme, Federn, Musik, Spiegel, Sinnesmaterialien usw.).
  • Wir stellen den Kindern ausgewähltes Bild- und Buchmaterial zur Verfügung.
  • Durch Angebote mit Materialien wie Kleister, Fingerfarbe, Lehm, Matsche, Erbsenbad usw. machen die Kinder wichtige Körpererfahrungen.
  • Weitere Möglichkeiten didaktischer Umsetzung der Sexualerziehung werden im Kinderartenalltag eingesetzt: Geschichten, Lieder, Sinnesspiele, Pantomime, Malen, Ratespiele, Erzählen, Wasserspiele, Turnen usw.
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