Leicht gekürzt aus: Petra Wagner (Hrsg.):
Handbuch Kinderwelten. Vielfalt als Chance - Grundlagen einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Freiburg, Basel, Wien: Herder 2008, S. 171-183. Mit Genehmigung des Herder-Verlages
Stephanie Gerlach
Ist dieses Thema nicht eher "privat"?
Für alle Kinder, ganz gleich, wie ihre Familie zusammengesetzt ist, ist der Kindergarten ein Ort, an dem sie - vielleicht erstmals - die Chance haben, mit der Vielfalt an Lebens- und Familienformen in Berührung zu kommen. Für Erzieherinnen und Erzieher bedeutet dies eine Herausforderung.
Wenn man mit Kindern lebt und/oder arbeitet, kommt mit Sicherheit irgendwann die Sprache auf das Thema "Lesbischsein/ Schwulsein". Sei es, dass Jungs das Wort "schwul" als Schimpfwort austauschen, ohne zu wissen, was es eigentlich bedeutet, oder sei es, dass ein Mädchen aus der Kita am liebsten ihre Freundin heiraten möchte. Manche Kinder wissen schon, dass es seit einigen Jahren möglich ist, dass zwei Frauen oder zwei Männer heiraten können; vielleicht waren sie sogar schon auf einer Lesben- oder Schwulenhochzeit. Andere sind mit diesem Thema noch nie in Berührung gekommen.
Das Spiel mit den Rollen
Kinder spielen gern mit Geschlechtsrollen. Da zieht Jannick plötzlich ein Kleid an, und Sofia behauptet steif und fest, dass sie ab heute ein Junge sei. Nicht jedes Kind, das an diesen Spielen besondere Freude hat, wird lesbisch oder schwul. Doch manche Kinder entwickeln sich schon sehr früh "irgendwie anders" als die meisten anderen; und es ist wichtig, mit Kindern frühzeitig über das Themenfeld "gleichgeschlechtliche Lebensweisen" zu sprechen. Dabei ist es für Eltern ganz normal, ein wenig unsicher zu sein, denn Lesbischsein/ Schwulsein ist noch immer tabuisiert. Kinder fragen in der Regel ganz direkt und haben zunächst keine Vorurteile; und es ist wünschenswert, dass pädagogische Fachkräfte die Eltern im Umgang mit diesen Themen unterstützen. Eltern haben für ihre Kinder eine Vorbildfunktion, (nicht nur) was den Umgang mit Minderheiten betrifft.
Wenn sich Laura in Katharina verliebt, dann geht es um Gefühle, um Zusammenseinwollen. Und wenn Lars sich in seinen besten Freund Victor verknallt, dann wollen sie sich am liebsten jeden Tag sehen. Manchmal sind es eben "Laura und Katharina" statt "Katharina und Lars". Im Kindergartenalter ist dies häufig eine Phase und gehört bei vielen Kindern dazu. Ob sich diese Kinder später einmal mit einer Person des anderen oder des gleichen Geschlechts zusammentun, ist noch völlig offen und kann sich schließlich im Laufe des Lebens auch ändern.
Neues Familienphänomen: Regenbogenfamilien
Seit einigen Jahren sehen sich Kindertagesstätten mit einem relativ neuen Familienphänomen konfrontiert: den Regenbogenfamilien. Der Begriff "Regenbogenfamilie" bedeutet, dass in einer Familie mit Kind(ern) mindestens ein Elternteil lesbisch oder schwul ist und sich in irgendeiner Form der lesbisch-schwulen Community zugehörig fühlt. Ihr Symbol des Regenbogens steht mit seinen bunten Farben für die Vielfalt des Lebens.1)
In jeder achten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben Kinder (Statistisches Bundesamt 2005, S. 22). Wenn wir von einem Anteil von 5% Homosexuellen an der Gesamtbevölkerung ausgehen, von denen die Hälfte in einer Paarbeziehung lebt, bedeutet das, dass mindestens 200.000 Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aufwachsen. Dies sind konservative Schätzungen: Da Homosexualität nach wie vor stigmatisiert wird, geben sich manche bei einer offiziellen Befragung lieber nicht zu erkennen.
Wie entstehen Regenbogenfamilien?
Kinder aus Regenbogenfamilien sind entweder in eine gleichgeschlechtliche Beziehung hineingeboren worden, d.h. sie kennen nichts anderes, und es ist für sie das "Normale". Oder sie stammen aus vorangegangenen heterosexuellen Partnerschaften und haben eine Trennungserfahrung hinter sich: Trennt sich z.B. eine Frau vom Vater ihrer Kinder und beginnt eine neue Beziehung mit einer Frau, entsteht in der Folge eine Patchworkfamilie. Das Kind hat dann nicht von Anfang an lesbische Eltern, sondern die neue Regenbogenfamilie muss sich erst finden.
Mit Kindern leben - unabhängig von der sexuellen Orientierung
Der Wunsch, mit Kindern zu leben, ist unabhängig von der sexuellen Orientierung. Und so verwirklichen immer mehr Lesben und Schwule ihren Kinderwunsch nach ihrem "Coming out"2), und zwar über Insemination, Pflegschaft oder Adoption. Diese Kinder sind Wunschkinder und die Rahmenbedingungen wohl überlegt. Die Zahl der Regenbogenfamilien nimmt zu. Derzeit sind die Kinder mehrheitlich zwischen Babyalter und acht Jahren. Fachleute sprechen von einem Babyboom innerhalb der lesbisch-schwulen Szene.3)
Der Wunsch nach leiblichen Kindern
Besteht der Wunsch nach leiblichen Kindern, so ist der Zugang zu reproduktionstechnologischer Unterstützung stark eingeschränkt. Ärztlichem Fachpersonal wird von der Bundesärztekammer untersagt, lesbischen Paaren bei der Familiengründung behilflich zu sein. So bleibt beim Wunsch nach einem leiblichen Kind offiziell nur die Möglichkeit, im Bekannten- und Freundeskreis einen Samenspender zu finden oder im europäischen Ausland eine Samenbank aufzusuchen. Manchmal schließen sich auch lesbische und schwule Paare zusammen, um Elternschaft zu viert zu leben, oder lesbisch/ schwule Einzelpersonen bilden ein Erziehungskollektiv und erziehen die Kinder gemeinschaftlich.
Pflegschaft und Adoption
Ein Kind in Pflege zu nehmen ist eine Möglichkeit, Familie zu leben. Für schwule Paare ist eine Pflegschaft oftmals der einzige Weg zur Familie mit Kindern. Da es weiterhin keine Gleichbehandlung zwischen Homo- und Heterosexuellen gibt, sind Pflegschaft und Adoption allerdings nicht immer einfach zu realisieren. So gibt es keine Möglichkeit für lesbische und schwule Paare, ein Kind gemeinschaftlich zu adoptieren; offiziell kann bei einem lesbischen oder schwulen Paar nur eine der beiden Personen das Kind annehmen.
Die rechtliche Situation von Regenbogenfamilien
Regenbogenfamilien werden sichtbarer und selbstbewusster. Seit 2001 können lesbische und schwule Paare eine Lebenspartnerschaft begründen und sich eintragen lassen ("Eingetragene Lebenspartnerschaft"). Mit dieser Eintragung, im Volksmund "Homo-Ehe" genannt, bekommen die Paare die gleichen Pflichten wie Ehepaare, jedoch nicht die gleichen Rechte, z.B. im Steuerrecht oder im Beamtenrecht.
Eingetragene Lebenspartnerschaft & Kleines Sorgerecht
Dennoch gibt es für Lesben und Schwule mit Kindern gute rechtliche Gründe, sich eintragen zu lassen. Leben in der Lebenspartnerschaft Kinder, hat der nicht-biologische Elternteil mit der Eintragung automatisch ein so genanntes "Kleines Sorgerecht", das alle Fragen des Alltags umfasst.
Möglichkeit der Stiefkindadoption
Seit dem Jahr 2005 besteht die Möglichkeit der Stiefkindadoption. Hat beispielsweise eine der beiden Frauen der Lebenspartnerschaft ein leibliches Kind, kann ihre Partnerin das Kind adoptieren, vorausgesetzt, der biologische Vater (wenn er bekannt ist) stimmt zu. Das Jugendamt prüft, wie bei allen anderen Fällen auch, ob diese Adoption dem Wohl des Kindes dient. Studien zu lesbischen Familien in den USA haben ergeben, dass durch die Stiefkindadoption die Position des nicht-biologischen, sozialen Elternteils gestärkt wird und damit die innerfamiliale Bindung und das Zusammengehörigkeitsgefühl erhöht werden (Gartrell 1999/2000).
Was sagt die Forschung?
Bisherige Studien zeigen: Die Töchter und Söhne von lesbischen und schwulen Eltern entwickeln sich emotional, sozial und sexuell unauffällig (Berger et al. 2000). Sie verfügen häufig über eine hohe soziale Kompetenz (Rauchfleisch 1997). Welches Geschlecht die Eltern haben, ist dabei sekundär.
Expertinnen und Experten aus dem angloamerikanischen Raum attestieren den Kindern von lesbischen und schwulen Eltern eine bemerkenswerte psychische Stärke (Stacey/ Biblarz 2001). So zeigt eine Studie (Patterson 1994), dass die Kinder von lesbischen Müttern zwar höherem sozialen Stress (Hänseleien etc.) ausgesetzt sind als Kinder einer Vergleichsgruppe, zuhause aber offensichtlich so gestärkt werden, dass sie diesem adäquat begegnen und über eine größere allgemeine Zufriedenheit verfügen als die Kinder der Vergleichsgruppe. Das Erziehungsverhalten der Eltern könnte hier einen erheblichen Einfluss haben (Jansen/ Steffens 2006). Manche Autoren und Autorinnen stellen einen Zusammenhang zu anderen Untersuchungen her, wonach Lesben selbstbewusster, unabhängiger und weniger depressiv seien als heterosexuelle Frauen (Falk 1993; Kershaw 2000).
Sexuelle Orientierung - kein Maß für elterliche Fähigkeit
Die sexuelle Orientierung der Eltern ist für das Maß an elterlicher Fähigkeit nicht relevant. Wichtig für die kindliche Entwicklung sind die Qualität der Elternbeziehung (Golombok 2000) und die Zufriedenheit mit der eigenen Lebensform.
Eine vom Justizministerium in Auftrag gegebene umfassende Forschungsstudie "Kinder in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften" ist seit Ende 2006 am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg in Arbeit.
Sexuelle Orientierung der Eltern - für kleine Kinder keine Kategorie
Für kleine Kinder, die in Regenbogenfamilien hinein geboren werden, ist ihre Familie Normalität. Sie wissen in der Regel, dass es viele verschiedene Familien- und Lebensformen gibt und sie selbst mit zwei Mamas oder (seltener) mit zwei Papas aufwachsen.
"Ich habe eine Mama und eine Mami"
"Ich habe eine Mama und eine Mami, weil meine Eltern zwei Frauen sind", meint die fünfjährige Rosa dazu. Die sexuelle Orientierung der Eltern ist für kleine Kinder keine Kategorie. Zwei Mütter zu haben wird möglicherweise zwar als "anders" erlebt, aber nicht als defizitär. Eventuelle Bewertungen kommen von außen - von anderen Kindern, Erzieherinnen und Erziehern oder Eltern.
"Hast du denn keinen Papa?"
Großes Interesse bei lesbischen Familien gilt in der Regel der Frage nach dem Vater; bei schwulen Familien heißt es: "Hast du denn keine Mama?" Nun kommt es darauf an, in welchem Familiensetting das befragte Kind aufwächst. Vielleicht ist der Samenspender ein Freund der Familie, und es finden regelmäßige Treffen zwischen dem Kind und ihm statt. Biologische Elternschaft muss dabei nicht unbedingt soziale Elternschaft bedeuten - er kann als Pate, Freund oder Papa fungieren. Möglicherweise gibt es auch zunächst keinen Kontakt, weil der Samen aus einer Samenbank stammt und das Kind seinen Vater eventuell erst mit 16 oder 18 Jahren kennen lernen kann.4)
Größtmögliche Offenheit innerhalb der Familie
Pflegekinder haben in der Regel Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie, d.h. sie haben zwei Familien. Adoptivkinder wissen oft nur sehr wenig über ihre biologischen Wurzeln. Wichtig ist, dass das Kind auf Fragen nach seiner Familie adäquat antworten kann, d.h. dass es von den Eltern angemessene Worte für seine Familie an die Hand bekommt. Dazu ist größtmögliche Offenheit innerhalb der Familie eine Grundvoraussetzung. Ein Kind will und muss seine Entstehungsgeschichte kennen (dürfen). Zentral ist dabei, dass das Kind heute bei zwei Mamas oder zwei Papas lebt, die sich ein Kind gewünscht haben.
Auch die Frage nach männlichen Rollenvorbildern in lesbischen Familien wird gerne gestellt und wurde bereits häufig untersucht. Dabei haben Forscherinnen und Forscher festgestellt, dass sich lesbische Mütter stärker um Kontakt zu männlichen Bezugspersonen für ihre Kinder kümmern als alleinerziehende heterosexuelle Mütter (Dunne 1998). Im Übrigen suchen sich alle Kinder Vertreterinnen und Vertreter beider Geschlechter als Rollenvorbilder bevorzugt außerhalb der Familie.
Nach wie vor weit verbreitet: Homophobie
Kein Platz in den Ausbildungsinhalten?
Grundlegendes Wissen um die Lebenswirklichkeit von Lesben und Schwulen sowie von Kindern in Regenbogenfamilien ist nach wie vor kein verbindlicher Bestandteil der Ausbildung an Fachakademien und Fachhochschulen für Soziale Arbeit. Es wäre wichtig, solchen Aspekten Raum zu geben, ähnlich wie anderen marginalisierten Bevölkerungsgruppen und Aspekten von Vielfalt wie Migration, Alter, Behinderung, Ethnie etc., die inzwischen einen festen Platz in den Ausbildungsinhalten haben.
Möglicherweise ist es die nach wie vor weit verbreitete "Homophobie", die hier eine Thematisierung von Homosexualität verhindert: Homophobie nennt man die Ideologie von der Höherwertigkeit heterosexueller vor homosexueller Orientierung, die mit einer diffusen Angst vor Homosexuellen einhergeht und mit der Abwertung all dessen, was mit Homosexualität zu tun hat. Vor nicht allzu langer Zeit wurden Lesben und Schwule wegen ihrer Lebensform verfolgt und kriminalisiert. Noch heute gibt es Länder, in denen Lesben und Schwulen bei Bekanntwerden ihrer Orientierung die Todesstrafe droht. Auch wenn sich in Deutschland die Situation für Lesben und Schwule gravierend verbessert hat, wirken doch viele der homophoben Mechanismen weiter nach.
Die Alltagsrealität von lesbischen und schwulen Eltern
Keine selbstverständliche und gleichberechtigte Lebensform?
Lesbisch- und Schwulsein ist noch keine Lebensform, die selbstverständlich und gleichberechtigt neben anderen Lebensformen steht. Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung werden häufig auf ihre Sexualität reduziert. Dies geschieht in alltäglichen Situationen, in denen sich Lesben und Schwule outen und damit bei manchen Menschen ein Gefühl der Peinlichkeit auslösen. Während beispielsweise Bemerkungen aus dem Privatleben, die auf eine heterosexuelle Lebensform hinweisen, in Gesprächen am Arbeitsplatz gemeinhin als "normal" aufgenommen werden, gelten ähnliche Informationen aus homosexuellen Beziehungen häufig als unangemessen "intim" und unangenehm.
Lesben und Schwule stellen ein ganzes System in Frage - ein System, das auf klaren Vorstellungen davon aufgebaut ist, wie "richtige Männer" und "richtige Frauen" sind, welchen Spiel- und Handlungsraum sie zur Verfügung haben und wie sie sich zueinander in Beziehung setzen. Aber was ist eine "richtige Frau", ein "richtiger Mann"? Lesbische Frauen und schwule Männer definieren ihre Lebenswirklichkeit nach eigenen Maßstäben. Dies kann Aggressionen bei denjenigen auslösen, die darin einen Angriff auf ihre Vorstellungen von Normalität sehen. Homophobe Gewalttaten gehen häufig von jungen Männern aus, die damit möglicherweise Unsicherheiten in der eigenen Geschlechtsrollen-Identität abwehren.5)
Die Bandbreite, wie Lesben und Schwule aussehen und sich verhalten, ist genauso groß wie bei Heterosexuellen. Vertreterinnen und Vertreter für homosexuelle Klischees lassen sich immer finden; die Mehrheit läuft allerdings relativ unauffällig durch die Welt.
Coming out - immer und überall?
Sicherlich gibt es Situationen, in denen es besser ist, sich nicht zu outen. Generell ist es aber sehr belastend, z.B. am Arbeitsplatz oder in der eigenen Familie über längere Zeit eine wichtige Information zu verschweigen. Meistens ist die Angst davor, was nach einem Coming out geschehen könnte, viel größer als das, was im Anschluss tatsächlich passiert. Dennoch erleben die meisten das Coming out nach wie vor als eine schwierige Zeit. Ist diese "zweite Pubertät" aber erst einmal überwunden, entwickelt ein Großteil der Lesben und Schwulen ein gutes Selbstbewusstsein. "Erledigt" ist das Coming out allerdings nie, im Gegenteil: Es ist ein lebenslanger Prozess. Immer wieder gibt es Situationen, in denen sich lesbische Frauen und schwule Männer aufs Neue erklären müssen.
Eine Kita kann nur so offen sein, wie es die Eltern sind
Regenbogenfamilien sind hier besonders gefordert, denn Mütter oder Väter in Begleitung von Kindern werden immer für heterosexuell gehalten. Lesbische und schwule Eltern sind über ihre Kinder sehr viel mit anderen, zumeist heterosexuellen Familien im Kontakt. Ohne Coming out kommt es nach kurzer Zeit zu Irritationen. Deshalb haben lesbische Mütter und schwule Väter die undankbare Aufgabe, häufig auf sich aufmerksam machen zu müssen. Da es unwahrscheinlich ist, dass Lesben und Schwule gefragt werden, ob sie ein Paar sind, müssen sie diese Information von sich aus geben. Eine Kindertagesstätte kann nur so offen sein, wie es die Eltern sind.
"Wir sind beide Rosas Mütter"
Charlotte und Katharina, Eltern der fünfjährigen Rosa, haben mit ihrer Strategie beim Elternabend gute Erfahrungen gemacht: "Wir stellen immer gleich unsere Familie vor: 'Wir sind beide Rosas Mütter, weil wir als Frauenpaar schon lange zusammen sind und uns ein Kind gewünscht haben. Wenn Sie dazu Fragen haben, dann kommen Sie doch einfach auf uns zu'. Wir sprechen gern über unsere Familie. Meistens ist dann gleich die Scheu weg und die anderen trauen sich, auf uns zuzugehen. Auch die Erzieherinnen haben dadurch schnell ihre Befangenheit uns gegenüber verloren."
Was brauchen Regenbogenfamilien?
Zu allererst brauchen Regenbogen-Eltern eine Kindertagesstätte, in der sie ausdrücklich willkommen sind. Das ist noch nicht überall der Fall. Ingrid und Claudia, ein Paar mit zwei Töchtern, berichten: "Wir hatten schon den Platz für unsere Tochter in der Elterninitiative, da bekamen wir plötzlich zwei Tage später eine Absage. Unser Verdacht wurde bestätigt, als uns eine Erzieherin unter der Hand mitteilte, dass wir als lesbische Eltern doch nicht so reinpassen."
Kita-Leitbild: Für alle Kinder offen!
Im Idealfall hat eine Einrichtung, die mit Kindern zu tun hat, ein Leitbild, aus dem hervorgeht, dass sie für alle Kinder offen ist. In der Regel ist dieses Leitbild aber nicht so ausformuliert, dass darin auch lesbische und schwule Familien benannt sind. Ein erster Schritt könnte darin bestehen, Regenbogenfamilien bewusst anzusprechen. Dies erleichtert lesbisch-schwulen Eltern das Coming out, und so können sie in der Kindertagesstätte von Anfang an als die Familie wahrgenommen werden, die sie sind. Ideal wäre es, wenn die Erzieherinnen und Erzieher über das Familiensetting Bescheid wissen. Denn kommt das betreffende Kind in Bedrängnis, müssen pädagogische Fachkräfte adäquate Sätze zur Unterstützung parat haben.
Diskriminierung abbauen und Gleichstellung vorantreiben
Hat eine Stadt Antidiskriminierungsrichtlinien, die explizit die sexuelle Orientierung mit einschließen, dann hat eine städtische Kindertagesstätte zum einen die Aufgabe, Diskriminierung abzubauen und die Gleichstellung voranzutreiben, zum anderen kann sie sich aber auch auf ihren städtischen Auftrag berufen, wenn Eltern gegen die Beschäftigung mit der Thematik Sturm laufen.
Jedes Kind hat ein Recht darauf, mit seiner Realität im Kita-Alltag vorzukommen
Schon im Kindergarten verwenden größere Jungen manchmal das Schimpfwort "schwule Sau". In der Regel ist Ignorieren oder Verbieten die gängige Strategie. Doch Erzieherinnen und Erzieher müssen in dieser Situation reagieren und den Kindern erklären, was diese Worte bedeuten, dass sie als Schimpfworte nicht akzeptabel sind und dass es da eigentlich um Liebe und Sich-Mögen geht. Und warum die einen so leben wollen und die anderen anders, darauf gibt es nicht wirklich eine Antwort. Nur vielleicht eine: Lesben und Schwule hat es schon immer und überall gegeben.
Reagiert eine Erzieherin nicht, erleben Kinder aus Regenbogenfamilien, dass die Begriffe, mit denen sie selbstverständlich aufwachsen, in ein negatives Licht geraten, dass sie peinlich sind oder gar dass etwas mit ihrer Familie nicht stimmt. Die Kita sollte aber ein Ort sein, an dem die Kinder ihren Stolz auf ihre Familie pflegen können. Vielleicht sind Lebensformen und Familienformen ein Kernthema, worüber mit den Kindern immer wieder gesprochen wird. Nun könnte das Thema um neue Inhalte erweitert werden. Jedes Kind hat ein Recht darauf, mit seiner Realität im Kindergartenalltag vorzukommen. Dies ist auch ein Ausdruck von Schutz und Respekt.
Auf neue Familienformen einlassen
Regenbogenfamilien sind zwar noch ein relativ neues Phänomen, aber lesbische und schwule Eltern treten heutzutage selbstbewusst auf. Sie erwarten, dass ihre Kinder in Tagesstätten liebevoll, kompetent und vorurteilsbewusst begleitet werden und dass sich Erzieherinnen und Erzieher auch inhaltlich auf neue Familienformen einlassen. Nach den Richtlinien des Antidiskriminierungsgesetzes sind Kitas und Fachkräfte hierzu auch verpflichtet.
Anmerkungen
- Die Regenbogenfahne entwarf 1978 der US-amerikanische Künstler Gilbert Baker.
- Coming out: Darunter versteht man den inneren Prozess der Selbstwahrnehmung ("Ich glaube, ich bin lesbisch/ schwul") und den äußeren Prozess der Veröffentlichung ("Ich muss und will es einfach jemandem sagen"). Dieser Prozess ist nach wie vor sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsenen nicht einfach.
- Auch "Gayby-Boom" genannt.
- Die Problematik der "heterologen Insemination" (= künstliche Befruchtung mit Samenspende eines Dritten) und ihre Folgen für Identitätsprozesse der Kinder insbesondere bei anonymen Samenspenden kann hier nicht ausgeführt werden. Betroffen sind vor allem Kinder aus heterosexuellen Beziehungen, da Insemination in Deutschland in der Regel nur bei heterosexuellen Paaren durchgeführt wird. Es wird damit gerechnet, dass immer mehr dieser Kinder ihr Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung einklagen (Bundesverfassungsgericht 1989) und im Fall anonymer Samenspender mit Erreichen der Volljährigkeit Einblick in die Spenderdaten fordern werden.
- Nach einer Umfrage 2006/2007 waren 87% der Täter homophober Gewalt männlich; das Alter der Täter lag in 74% der Fälle zwischen 14 und 24 Jahren (www.tag-gegen-homophobie.de). Zu den Motiven vgl. Dobler (2003, S. 36). Homophobe Gewalt muss allerdings auch im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Diskriminierung gesehen werden, die zur Enthemmung beiträgt: Angehörige diskriminierter Gruppen sind oft Opfer von Gewalt und weiterer Diskriminierung.
Zitierte und vertiefende Literatur
Berger, Walter/Reisbeck, Günter/Schwer, Petra (2000): Lesben - Schwule - Kinder. Eine Analyse zum Forschungsstand. Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf
Dobler, Jens (2003): Hassverbrechen gegen Schwule - Fakten, Motive und Präventionsansätze. In: Tagungsband zum Symposium 2003: Primäre Prävention von Gewalt gegen Gruppenangehörige. Deutsches Forum für Kriminalprävention und Bundesministerium der Justiz. Berlin, S. 31-38
Dunne, Gillian (1998): Living "Difference": Lesbian Perspectives on Work and Family Life. Binghamton
Falk, Patricia (1993): Lesbian mothers: Psychosocial assumptions in family law. In: L.D. Garnets/D.C. Kimmel (Hg.): Psychological perspectives on lesbian and gay male experiences. New York, S. 420-436
Gartrell, Nannette et al. (1999): The National Lesbian Family Study II: Interviews with mothers of toddlers. American Journal of Orthopsychiatry 69 (3), S. 362-369
Gartrell, Nannette et al. (2000): The National Lesbian Family Study III: Interviews with mothers of five-year-olds. American Journal of Orthopsychiatry 70 (4), S. 542-548
Golombok, Susan (2000): Parenting. What really counts. New York
Jansen, Elke/Steffens, Melanie Caroline (2006): Lesbische Mütter, schwule Väter und ihre Kinder im Spiegel psychosozialer Forschung. Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis (Sonderheft Psychotherapie mit Lesben, Schwulen und Bisexuellen) 38, S. 643-656
Kershaw, Sheila (2000): Living in a lesbian household: The effects on children. Child and Family Social Work 5 (4), S.365-371
Patterson, Charlotte (1994): "Children of the Lesbian Baby Boom: Behavioral Adjustment, Self-Concepts and Sex Role Identity." In: Green/Herek (Hg.): Lesbian and Gay Psychology: Theory, Research, and Clinical Applications. Thousand Oaks, S. 156-175
Stacey, Judith/Biblarz, Timothy (2001): (How) Does the sexual orientation of parents matter? American Sociological Review 66, S. 159-183
Statistisches Bundesamt (Hg.) (2005): Leben und Arbeiten in Deutschland. Ergebnisse des Mikrozensus 2004. Wiesbaden
Büchertipps für Kinder
von Eiff, Dani (2007): Franz und Uwe brüten was aus. www.regenbogenmini.de (zwei schwule Pinguine im Pixibuch-Format; ab 4 Jahre)
Link, Michael (2002): Komm, ich zeig dir meine Eltern. Hamburg (Die Geschichte des kleinen Daniel aus St. Petersburg, der von seinen beiden Vätern adoptiert worden ist; Bilderbuch ab 3 Jahre)
Pah, Sylvia/Schat, Joke (1994): Zusammengehören. Ruhnmark (Bilderbuch ab 3 Jahre über die Trennung der Eltern und Mamas neue Liebe Sophia)
Springer, Sonja (2006): Phöbe in der neuen Schule. Selbstverlag (Phöbe stellt ihre Regenbogenfamilie in der neuen Klasse vor und bekommt dabei unerwartete Unterstützung; für das Vorschul- und Grundschulalter)
Streib-Brzic, Uli/Gerlach, Stephanie (2005): Und was sagen die Kinder dazu? Gespräche mit Töchtern und Söhnen lesbischer und schwuler Eltern. Berlin (ab 10 Jahre und natürlich auch für Erwachsene empfehlenswert)
Willhoite, Michael (1994): Papas Freund. Berlin (Bilderbuch für 2- bis 6-Jährige. Ein Achtjähriger erzählt von der Trennung seiner Eltern und dem schwulen Alltag seines Vaters)
Büchertipps für Erwachsene
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2004): Heterosexuell? Homosexuell? Sexuelle Orientierungen und Coming out verstehen, akzeptieren, leben (Für Eltern, deren Kinder lesbisch oder schwul sind). Kostenlos zu beziehen: order@bzga.de
de la Camp, Cordula (2001): Zwei Pflegemütter für Bianca. Interviews mit lesbischen und schwulen Pflegeeltern. Hamburg
Lesben- und Schwulenverband Deutschland (Hg.) (2007): Regenbogenfamilien - alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogenes Fachpersonal. Köln (Umfassendes Handbuch; zu beziehen über www.lsvd.de)
Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport (2001): Regenbogenfamilien. Wenn Eltern lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell sind. Berlin (Broschüre rund ums Thema, mit Statements, Interviews, rechtlichen Informationen; kostenlos zu beziehen über: gleichgeschlechtliche@sensjs.verwalt-berlin.de)
Streib-Brzic, Uli (2007): Das lesbisch-schwule Babybuch. Ein Ratgeber zu Kinderwunsch und Elternschaft. Berlin
Webadressen
www.family.lsvd.de: Internetseite des Projekts Regenbogenfamilien im Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD)
www.ilse.lsvd.de: Die "Initiative lesbisch-schwuler Eltern" hat sich unter dem Dach des LSVD organisiert und hat Regionalgruppen in ganz Deutschland, die regelmäßige Treffen und Unternehmungen anbieten.
www.kids.lsvd.de: Das Internetangebot mit Chatmöglichkeit für Kinder aus Regenbogenfamilien.
www.undwassagendiekinderdazu.de: Website zu gleichnamigem Buch mit vielen Tipps, Literaturhinweisen und Links.
Kontakt zur Autorin
Email: info@undwassagendiekinderdazu.de