Antje Wagner
Die moderne Kindertagesbetreuung zeichnet sich durch Prozess- und Qualitätsorientierung aus. Dabei müssen die Aufträge von Bildung, Erziehung und Betreuung für jedes Kind gewährleistet sein. Die Bildungsbiographien von Kindern entscheiden sich laut Erkenntnissen der Hirnforschung in den ersten sieben Lebensjahren. Hier tritt die Kindertageseinrichtung als Vorbereitung auf das schulische Lernen in den Vordergrund.
Zunächst beschäftigt sich der vorliegende Text mit der begrifflichen Erläuterung relevanter Begriffe im Kontext des Elementarbereiches. Im weiteren Verlauf wird auf den historischen Hintergrund der Kindertagesbetreuung in Deutschland eingegangen. Der zweite Teil widmet sich im Kontext aktueller Erkenntnisse der Pädagogik und der Neurowissenschaften dem Bildungsauftrag des Kindergartens. Folgend wird die Frage nach Bedeutung und Effekt sicherer Bindungsbeziehungen für fremdbetreute Kinder gestellt und Erkenntnisse der Krippenforschung in Beziehung zur Bindungstheorie vorgestellt. Die postmoderne Perspektive, Kinder als an ihrer Entwicklung aktiv partizipierende Individuen zu sehen, wird in Auseinandersetzung mit Positionen des Transitionsmodells deutlich. Forschungsergebnisse aus der britischen Effective Provision of Pre-School Education (EPPE)-Study erlauben anbindend erste Antworten auf die Frage, was frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung bewirken.
Bildung, Erziehung und Betreuung im Elementarbereich
Der Elementarbereich
Der Elementarbereich umfasst laut Aden-Großmann (1997, S. 257) alle familienexternen vorschulischen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen, demgemäß den Kindergarten und vergleichbare Formen von Kindertagesbetreuung, etwa ab dem dritten Lebensjahr bis zum Beginn der Schule. Er gestaltet die unterste Stufe des Bildungswesens und ist durch einen eigenständigen Bildungsbegriff (Elementarpädagogik) gekennzeichnet. Somit sind die verschiedenen Formen der Kindertagesbetreuung als Bildungseinrichtung anerkannt, jedoch nicht voll in das Bildungswesen integriert, sondern bilden als solche eine Vorstufe und bleiben der Jugendhilfe zugeordnet.
Frühe Kindheit
Der Lebensabschnitt ab der Geburt bis zum Eintritt in die Schule wird als Frühe Kindheit (Early Childhood) bezeichnet. Diese in etwa ersten sechs Lebensjahre unterteilen sich in die Phasen des Säuglingsalters (1. Lebensjahr), des Kleinkindalters (2. und 3. Lebensjahr) und des Kindergarten- bzw. Vorschulalters (4. bis 6. Lebensjahr). Entgegen früherer Auffassungen hat sich mit zunehmender Kooperation verschiedener Disziplinen (u.a. Neurobiologie, Pädiatrie, Kinderpsychiatrie, Kleinkindpädagogik) heute die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kinder von Geburt an eigenständige Subjekte mit spezifischen Kompetenzen sind (vgl. Maywald 2002, S. 39). Als besonders markant ist der Paradigmenwechsel im Alltags- und Wissenschaftsverständnis zu bemerken, wenn seit Anfang der 1990er Jahre von der Vorstellung eines "kompetenten Säuglings" ausgegangen wird, welcher schon unmittelbar nach der Geburt lern- und interaktionsbereit ist (vgl. Langfeld 1996, S. 82 f.; Griebel/ Niesel 2004, S. 52 f.), also weder passiv noch allein seinen Trieben ausgeliefert - eine bis dato dominante Sichtweise.
Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich noch weitere Perspektivenänderungen im Blick auf den Komplex Frühe Kindheit vollzogen. Im Bereich der Kleinkindpädagogik stand das Kind lange als Objekt von Erziehung und Betreuung im Vordergrund. Eine Trendwende bedeutet die heutige Sichtweise, dass Kinder in den ersten Lebensjahren "Menschen in einer sensiblen Entwicklungsphase" sind (Maywald 2002, S. 40 f.), die sich durch "extrem hohe Lernfähigkeit" auszeichnet. Sie benötigen den Schutz der Erwachsenen sowie angemessene Förderung, welche sie in ihrem Forscherdrang anregt und begleitet. In diesem Kontext versteht sich Bildung in einem umfassenden Sinne, bezogen auf die emotionale, kognitive und soziale Entwicklung des Kindes.
Einsiedler (2005, S. 1 f.) bewertet die Diskussion darüber, ob Gene oder Umwelt die kindliche Entwicklung in einem höheren Maße beeinflussen, als "völlig überholt" und betont statt dessen deren Wechselwirkung: Die Gene geben den Entwicklungsplan vor, überlassen die detaillierte Gestaltung der Entwicklung jedoch der sozialen und ethnischen Umwelt der Kinder. In diesem Zusammenhang stellen Sozialkontakte einen signifikant hohen Stellenwert für die kindliche Entwicklung dar. Im weiteren Verlauf des Beitrages wird dies immer wieder deutlich werden.
Auch auf rechtlicher Basis hat die konsensuelle Veränderung der Sichtweise auf den Bereich Frühe Kindheit positive Veränderungen erreicht, was sich in der am 02.09.1990 in Kraft getretenen UN-Kinderrechtskonvention äußert, welche Schutz, Nichtdiskriminierung, die Berücksichtigung des Wohles sowie das Recht des Kindes auf Anhörung in allen es betreffenden Angelegenheiten bezweckt.
Kindertagesbetreuung in Deutschland
Die Gesellschaft und damit die Politik der alten BRD haben jahrzehntelang die Tendenz der Berufsaufgabe von Müttern zugunsten der Betreuung ihrer Kinder forciert. Im Gegensatz dazu wurde in der ehemaligen DDR die außerfamiliale Kinderbetreuung in ganztägigen Kinderkrippen gefördert, da dort das Leitbild der erwerbstätigen Mutter ideologisch und gesellschaftlich opportun war.
Neuere Konzepte streben eine erleichterte Vereinbarung von Familie und Beruf an, indem familienexterne Bertreuungsformen ausgebaut (1) und Väter verstärkt in die Betreuung der Kinder miteinbezogen werden sollen. So ist mit der Einführung des Elterngeldes (seit 2007) die Möglichkeit gegeben, den Bezug der Geldleistung und die Beurlaubung um zwei Monate zu verlängern, sofern der andere Elternteil (in der Regel der Vater) in dieser Zeit die hauptsächliche Betreuung des Kindes übernimmt (vgl. BMFSFJ 2006, S. 13 f.). Halbtagsplätze in Kindergärten für Kinder zwischen dem dritten und sechsten Geburtstag sind in Deutschland weit verbreitet. Sie bieten jedoch oft wegen ihrer unflexiblen Strukturen, wie beispielsweise statischer Bring- und Abholzeiten, geringe Unterstützung bei der Erwerbstätigkeit von Eltern. Neben der institutionellen Kinderbetreuung bestehen daher alternative Angebote wie Elterninitiativen und Tagesmütter/ -väter (vgl. Dörfler 2007, S. 24). Die verschiedenen Formen der Kinderbetreuung in Deutschland sollen im Folgenden kurz beschrieben werden.
Krippen bieten für Gruppen von Kindern zwischen null und drei Jahren eine professionelle Betreuung, in der Entwicklungsmöglichkeiten unterstützt und erweitert werden. Voraussetzung dafür ist neben der qualitativ hochwertigen Betreuung in der Krippe eine sichere Bindung des Kindes an die Bezugsperson in- und außerhalb des familiären Umfeldes.
Eine institutionelle, altersgemischte Betreuung bieten sogenannte Kombi-Einrichtungen (Kindertagesstätten). In Deutschland ist seit 1990 ein Zuwachs von Einrichtungen mit altersgemischten Gruppen zu verzeichnen, d.h. Kindertagesstätten, in denen Krippenkinder und Kindergartenkinder gemeinsam professionell betreut werden.
Kindergärten, die in Deutschland gebräuchlichste familienexterne Betreuungsform, bieten als Institution zur Vorbereitung auf die Schule ein Angebot, welches gewöhnlich ab dem vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt in Anspruch genommen werden kann. Die Betreuung ist dabei durch pädagogische Fachkräfte gewährleistet. Neben Regel-Kindergärten existieren Konzepte sonder- oder heilpädagogischer Kindergärten mit meist integrativer Ausrichtung.
Betriebliche Kinderbetreuung hat den Anspruch, durch flexible Angebote "im Hause" qualifizierten Mitarbeiter/innen den Anreiz einer früheren Rückkehr ins Erwerbsleben zu ermöglichen.
Die öffentliche Tagespflege bietet für Kinder aller Altersgruppen eine Betreuung in Gruppen durch ausgebildete Tagesmütter oder Tagesväter, meist in deren Haushalt. Sie bieten flexiblere Betreuungszeiten in Gruppen von bis zu fünf Kindern aller Altersgruppen. Die Tagespflege unterliegt den Vorgaben des KJHG sowie landesrechtlicher Regelungen. Eine informell und privat organisierte Tagespflege dominiert in den einkommensstarken Familien. Hier sind flexible Absprachen und die kleinen Gruppen von maximal drei Kindern attraktiv.
Ferner existieren in Deutschlands Betreuungskultur zahlreiche Formen von Elterninitiativen für Kinder unter drei Jahren und deren Eltern, die der Bildung sozialer Netzwerke und dem Erfahrungsaustausch dienen. Die sog. Spiel- und Krabbelgruppen präsentieren sich ebenso wie die Tagespflege in einer heterogenen Trägerstruktur aus privat organisierten Initiativen neben denjenigen mit öffentlichem und privatem Träger (vgl. Dörfler 2007, S. 25 ff.).
Zum derzeitigen Stand der Kindertagesbetreuung in Deutschland
Eine durch führende deutsche Kindheitsforscher in Zusammenarbeit mit UNICEF geführte Studie zum Lebensumfeld der Kinder (auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention) ergab, dass sich die BRD bei der Förderung von Kleinkindern im internationalen Vergleich lediglich im Mittelfeld bewegt. Laut der am 11.12.2008 in Berlin vorgestellten Ergebnisse erreicht Deutschland nur fünf von zehn Punkten: Bemängelt wurde unter anderem, dass nur für etwa jedes zehnte Kind unter drei Jahren ein Platz in einer Einrichtung zur Kindertagesbetreuung existiert. Obwohl Deutschland beträchtliche Summen für Kinder- und Familienförderung aufwendet, werden zu geringe Mengen für Betreuungseinrichtungen bereit gestellt, im Gegensatz zu den Staaten, die laut UNICEF-Bericht gut oder sehr gut abschnitten (vgl. Taffertshofer/ SZ Nr. 289).
Als beklagenswert wird außerdem die Situation der in Deutschland in Armut lebenden Kinder beschrieben. In Deutschland hängen die Bildungschancen der Kinder deutlicher als in andern Ländern von der sozialen Stellung der Eltern ab. Kinder sind von Armut häufiger betroffen als Erwachsene, und gerade sozial benachteiligte Familien würden in besonderem Maße von qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungsangeboten profitieren. Diese Kinder gewinnen durch eine gute vorschulische Einrichtung unmittelbare Vorteile im kognitiven und sozial-emotionalen Bereich; zugleich erhalten ihre Eltern durch die institutionelle Betreuung realistischere Chancen, ein Beschäftigungsverhältnis einzugehen (vgl. UNICEF-Bericht 2008, S. 1 f.).
Der Bildungsauftrag des Kindergartens
Das Verständnis der ersten Lebensjahre als Zeit wichtiger Lernprozesse und die Ergebnisse deutscher Schüler in der internationalen Vergleichsstudie PISA brachten eine neue Dynamik in die Debatte um den Bildungsauftrag des Kindergartens. Zwar wird einerseits die ganzheitliche Sichtweise von Bildung, Erziehung und Betreuung in der Tradition deutscher Kindergärten positiv bewertet (vgl. Einsiedler 2005, S. 6), andererseits wird jedoch auch die berechtigte Frage gestellt, ob die bisherige Gewichtung dieser drei Elemente der Frühpädagogik vielleicht zuungunsten der kognitiven Funktionen verteilt waren und sind.
"Von Natur aus lernsüchtig" - die Relevanz sog. Lernfenster
Die Hirnforschung konnte beweisen, dass entscheidende kognitive Verknüpfungen schon vor dem sechsten Lebensjahr geschaffen werden sowie dass Kinder mehr lernen können und dies auch wollen (vgl. Bruendel/ Hurrelmann 2003, S. 1). Laut Einsiedler herrscht in der frühen Kindheit ein "Lernzwang": Der Mensch ist in den ersten Lebensmonaten nicht nur zum Erwerben kultureller Grundstrukturen auf das Lernen angewiesen, sondern auch wegen der damit verbundenen Synapsenbildung (2).
Neueste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass der Erwerb verschiedener Fähigkeiten im lautsprachlichen, mathematischen, musikalischen und grob-/ feinmotorischen Bereich in so genannten Zeitfenstern innerhalb der ersten Lebensjahre stattfindet. Dies geschieht umso effektiver, sobald Kinder aktiv am Lernvorgang beteiligt sind, also ihre Umwelt selbständig "erforschen" dürfen. Lernen wird in diesem Kontext nicht als Wissensaneignung durch Leistungsdruck verstanden; vielmehr wird auf Basis der Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der Pädagogik von einer Leistungsbereitschaft aus Neugier und dem natürlichen Wissensdurst der Kindergartenkinder ausgegangen. Es kann folglich gesagt werden: "je mehr Erfahrungen ein Kleinkind durch Tun und Handeln sammelt, um so mehr Synapsen bilden sich in seinem Gehirn" (Bruendel/ Hurrelmann 2003, S. 1).
Unter Berücksichtigung der Zeitfenster hat der Elementarbereich somit einen exorbitanten Stellenwert für das spätere schulische Lernen. Kinder profitieren insofern enorm von einer - bereits im Kindergarten herrschenden - anregenden Lernumgebung, so dass ihnen das spätere Lernen leichter fällt, wenn sie ihre "natürlichen Lernsucht" bereits in frühen Jahren ausleben können.
Das Lernen lernen - zum Begriff der Metakognition
Der Metakognitive Lernansatz geht von einem veränderten Wissensbegriff aus, welcher zum einen inhaltliches Basiswissen, zum anderen auch personale, soziale und lernmethodische Kompetenzen impliziert. Er spricht die Lernbewusstheit, das reflexive "Nachdenken über das eigene Denken" an, damit Lernen geschehen kann. Der frühzeitige Erwerb von Lernkompetenz, das heißt das Lernen gelernt zu haben, kann als Grundvoraussetzung für Schulfähigkeit und späteres schulorientiertes Lernen angesehen werden.
So belegen schulpsychologische Untersuchungen, dass die Voraussetzungen zum Lesen lernen lange vor der Schulzeit geprägt werden. Da Lesefertigkeit die Basis aller Schulleistungen darstellt, beinhaltet die Lesekompetenz, welche durch das Vorlesen oder Anschauen von Büchern im frühen Kindheitsalter geprägt wird, somit eine elementare Relevanz für den Schulerfolg (vgl. Bruendel/ Hurrelmann 2003, S. 2).
Für die Kleinkindbetreuung ergeben sich im Hinblick auf diese Untersuchungen neue Impulse für den Bildungsauftrag: zum einen erhält die Zeitspanne zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr mehr Aufmerksamkeit, da bereits hier die Weichen für den späteren Erfolg in der Schule gestellt werden. Zum anderen ergibt sich neben spielorientiertem oder schulischem Lernen durch den metakognitiven Ansatz ein dritter Pfad, auf dem sich die Kinder, geleitet von ihrer natürlichen Neugier und begleitet durch qualifizierte Pädagogen/innen, Basisqualifikationen für ihre spätere Bildungsbiographie aneignen können.
Zur Relevanz von Transitions- und Bindungstheorien im pädagogischen Alltag
In Deutschland hat die außerfamiliale Betreuung im Krippenalter traditionell ein schlechtes Image: Frauen, die ihre Kinder bereits vor dem regulären Kindergartenalter in Fremdbetreuung geben, leben mit dem Vorwurf, keine guten Mütter zu sein, da der hohe Wert der mütterlichen Betreuung in Verbindung mit einer guten Eltern-Kind-Bindung gesellschaftlich exponiert wird (vgl. Griebel/ Niesel 2004, S. 44).
Auch Maywald (2002, S. 49) betont eine Konstante im Leben als essentiell wichtig für die kindliche Entwicklung. Eine sichere Bindungsbeziehung kann nach seiner Ansicht jedoch auch in einer wertschätzenden Beziehung zwischen Erzieher/in und Kind bestehen und somit einen Schutz gegen eine Vielzahl sozialer Widrigkeiten bieten. Die Psychologen Wilfried Griebel und Renate Niesel teilen diese Ansicht und unterstreichen, dass schon sehr junge Kinder mehrere Bindungsverhältnisse parallel aufbauen können. Die Transitionsforschung sieht auch im Kontext der Krippendebatte eine "Chance in der Diskontinuität" im Lebenslauf der Kinder und nimmt Rücksicht auf die starken Emotionen, welche mit dem Zustandekommen neuer Bindungen einhergehen (vgl. ebd. 2004, S. 15, 47 f.). Im Folgenden werden die Auswirkung einer sicheren Bindung und gelungener Transition im Kontext frühkindlicher Betreuungssituationen beleuchtet.
Bindung als sichere Basis
Das negative Image früher institutioneller Kindertagesbetreuung wurde durch Bilder von früheren, unzureichend auf kindliche Bedürfnisse zugeschnittenen "Bewahranstalten" oder der kollektiven DDR-Krippenerziehung geprägt. Neueste Erkenntnisse aus Studien zur Qualität familienexterner Betreuung (s.u.) betonen unisono den hohen Stellenwert familiärer Betreuung in den ersten Lebensjahren. Es konnte allerdings fernerhin belegt werden, dass Kinder mit problematischem Familienhintergrund von hochwertiger institutioneller Betreuung profitieren, da diese auf ein wenig anregendes familiäres Umfeld kompensierend wirkt.
Um Betreuungseffekte verstehen zu können, betont Ahnert (2007, S. 2), müssten familiäre und außerfamiliäre Anteile der Betreuung angemessen aufeinander bezogen werden, da beide Bereiche die gesamte Betreuungsökologie der Kinder prägen. Laut neueren Forschungsergebnissen zu Krippenerziehung konnte belegt werden, dass trotz Diskontinuität in der mütterlichen Betreuung eine sichere Mutter-Kind-Bindung möglich ist, und dass neben dieser primären Bindung eine "Zweitbindung" zum/zur Erzieher/in entwickelt werden kann, die dem Kind ebenfalls Sicherheit gibt.
Die intensive, kontinuierliche und sichere Bindung zu einer einzigen Bezugsperson ist im ersten Lebensjahr grundlegend, ab dem zweiten Lebensjahr kann der zeitweise Aufenthalt bei einer weiteren Betreuungsperson oder in einer Gruppe zusätzliche Entwicklungsimpulse geben (vgl. Einsiedler 2005, S. 6; Ahnert 2007, S. 7, 15 ff.). Einsiedler (2005, S. 10 ff.) skizziert in diesem Zusammenhang die Ergebnisse aus vier aktuellen Forschungsprojekten zur Krippenbetreuung:
Ergebnisse der Universität Potsdam (Rauh 1995): Diese Studie belegt, dass ein Krippenbesuch keinen negativen Einfluss auf die Mutter-Kind-Beziehung hat. Das Alter des Kindes bei Eintritt in die Krippe hat keine Auswirkung (6. oder 12. Monat), allerdings spielt die Art des Übergangs in die Tagesbetreuung eine wichtige Rolle. Demnach fiel den Kindern die Eingewöhnung leichter, wenn die Bezugsperson in den ersten Tagen mit anwesend war.
Ergebnisse der Freien Universität Berlin (Beller et al. o.J., ref. nach Kasten 2005): Eine sichere Bindung ist wichtiger als das Alter bei Eintritt in die Tagesbetreuung: Demnach zeigten unsicher gebundene zweijährige mehr Schwierigkeiten als sicher gebundene einjährige Kinder. Die Studie betont die Relevanz der Qualität der Tagesbetreuung.
Ergebnisse des National Institute of Child Health and Human Development, USA (NICHD 1997): Auch bei dieser Längsschnittuntersuchung konnte nicht bestätigt werden, dass Fremdbetreuung zu einer gestörten Mutter-Kind-Bindung führt. Betont wird hier jedoch wiederum die Qualität sowohl der institutionellen als auch der familiären Betreuung. Sind beide als qualitativ minderwertig anzusehen, folgt daraus eine unsichere Bindung. Die Art der Betreuung (3) wird laut NICHD-Study als generell unerheblich für die Bindungsentwicklung angesehen.
Ergebnisse der Universität Jena, Hochschule Magdeburg/Stendal (Ahnert 1998, 2002, 2004): Der Besuch einer Krippe birgt eine Herausforderung für die Sozialentwicklung der Kinder. Sie erleben durch den Kontakt zu anderen Kindern eine Förderung der Sozialkompetenz und erhalten auch dann keinerlei Entwicklungsnachteile, wenn sie nicht nur ausschließlich von der Mutter betreut werden. Eine intensive Mutter-Kind-Bindung wird durch die institutionelle Betreuung nicht beeinträchtigt. Sie bleibt neben der sekundär sich entwickelnden Bindung zur Betreuungsperson bestehen. Hierzu betont Ahnert wiederum eine sanfte Eingewöhnung als elementar wichtig, um Schwierigkeiten beim Übergang in die Betreuung zu vermeiden.
Zusammenfassend weisen alle Studien darauf hin, dass ein zugewandter, feinfühliger Erziehungsstil der Mutter für eine gesunde kindliche Entwicklung eine außerordentlich hohe Bedeutsamkeit aufweist. Eine ausgeprägte Sensitivität der Hauptbezugsperson kann demnach auf mangelnde Qualität der Kindertagesbetreuung kompensierend wirken, wohingegen unzureichende Sensitivität in Kombination mit einer ungünstigen Betreuungssituation sich negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirkt.
Transitionen - Veränderungen erfolgreich bewältigen
Wie im vorherigen Text schon mehrfach betont wurde, ist die Eingewöhnung in eine Tagesbetreuung besonders für Kleinkinder weniger belastend, wenn sie sensibel begleitet wird. Das bedeutet, eine Bezugsperson (in der Regel Mutter oder Vater) sollte in den ersten Tagen anwesend sein und die tägliche Aufenthaltsdauer des Kindes langsam gesteigert werden. Transitionskonzepte sehen den Übergang der Kinder in eine außerfamiliale Betreuung als Entwicklungschance und betonen, dass ein Übergang auch im frühesten Alter eine Bereicherung für das Kind darstellen kann, sofern es sicher gebunden ist, keine traumatischen Erlebnisse erfahren musste und die Betreuungspersonen ihrer adäquaten frühpädagogischen Ausbildung entsprechend mit dem Kind interagieren.
Griebel und Niesel (2004, S. 51 ff.) betonen eine Haltung, das Kind als autonomes Wesen und eigenständige Persönlichkeit zu betrachten und auch ambivalente Gefühle (Trauer, Angst, Verwirrung), die den Übergangsprozess begleiten, als normalen Bestandteil der Phasen der Identitätsdiffusion zu akzeptieren. Sie plädieren hierbei für eine Sichtweise, die Kindern Autonomie und Kompetenz gestattet, sowie den Hintergrund der Komplexität des modernen Lebens, welches durch Nichtlinearität gekennzeichnet ist, impliziert.
Eine solche Sichtweise muss sich von früheren Konzepten lösen, die frühe Kindheit fast ausschließlich durch die Mutter geprägt und familienexterne Betreuung als schädlich für die kindliche Entwicklung betrachteten. Wie im vorherigen Text dargestellt, beweisen internationale Forschungsergebnisse, dass Kinder durchaus Nutzen aus früher institutioneller Betreuung ziehen und sich nicht zum Negativen entwickeln, sofern die diskutierten familiären und institutionellen Determinanten stimmen.
Welchen Nutzen Kinder aus frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung in qualitativ hochwertigen Tagesbetreuungseinrichtungen konkret erringen, kann die britische EPPE-Study belegen. Hier wurden in einer Längsschnittstudie die Wirkmechanismen frühkindlicher Kindertagesbetreuung auf die kognitive und soziale Entwicklung der Kinder untersucht.
Internationale Ansätze der Wirkungsforschung - Effective Provision of Pre-School Education (EPPE)
Das englische EPPE-Projekt untersucht in einer Längsschnittstudie die Effekte der Qualität von außerfamilialer Bildung, Erziehung und Betreuung von knapp 3.000 Kindern im Vorschulalter. Die Kinder verteilten sich zu je ca. 500 auf Kindertageseinrichtungen diverser Konzeptionen: 25 Vorschulklassen (nursery classes), 35 Spielgruppen (playgroups), 31 private Kindertagesstätten (private day nurseries), 20 Vorschulen (nursery schools), 24 öffentliche Kindertagesstätten (local authority day care nurseries) und sieben kombinierte Einrichtungen (integrated centres). Als Vergleichsgruppe partizipierten zusätzlich 310 "home"-Kinder an der Studie, die insgesamt weniger als 50 Stunden Erfahrung in vorschulischen Einrichtungen, jedoch auch gelegentlich Betreuung durch andere Personen als die Eltern erhalten hatten.
Ziel der Untersuchung
Um sozialer Ungerechtigkeit entgegenzuwirken, treibt die britische Regierung seit 1997 den Ausbau vorschulischer Betreuungssysteme voran. In diesem Kontext ist das Ziel der EPPE-Study die Untersuchung der Effekte von Kindertagesbetreuung auf die kognitive und soziale Entwicklung der Kinder. Als zentrale Forschungsfragen versucht die Studie zu analysieren:
- wie sich der Einfluss vorschulischer Einrichtungen auf die soziale und kognitive Entwicklung der Kinder konkret auswirkt, insbesondere unter der Berücksichtigung der Qualität des Vorschulsettings.
- welche Wirkung der Einfluss familiärer Betreuung auf den kindlichen Entwicklungsverlauf ausübt, speziell unter Berücksichtigung der Betreuungssituation vor dem dritten Lebensjahr der Kinder.
- inwieweit die Wirkungen und Effekte der vorschulischen Einrichtungen bis zum sechsten und siebten Lebensjahr der Kinder nachweisbar sind (vgl. Rossbach et al. 2008, S. 20 f.).
Methoden
Das EPPE-Projekt greift auf verschiedene Informationsquellen zurück: standardisierte Tests, Schulleistungstests, Befragungen und Interviews der Kinder, Erzieher/innen- und Lehrer/innenfragebögen sowie Elterninterviews wurden im Rahmen der Studie statistisch ausgewertet.
Durchführung der Studie
Das durch das Bildungsministerium (Department for Education and Skills - DfES) finanzierte Forschungsprojekt wurde als eigenständige Studie einer Forschergruppe verschiedener britischer Hochschulen realisiert. Die Rekrutierung der insgesamt 2.860 Kinder (plus 310 Kinder der Vergleichsgruppe) in Form einer Stichprobengenerierung erstreckte sich über 27 Monate von Januar 1997 bis April 1999. Hierfür wurden sechs Kommunen in fünf Regionen (ländlich, vorstädtisch, städtisch) ausgewählt, die sich sowohl durch vielfältige soziale Schichtung als auch ethnische Diversität auszeichnen. Aus den erwähnten sechs Einrichtungstypen wurden per Zufall Betreuungseinrichtungen gezogen, aus denen wiederum per Zufall Kinder und Familien in die Stichprobe aufgenommen wurden (ebd., S. 21).
Zur Erstellung des sozialen und kognitiven Entwicklungsprofils wurden diese Kinder über vier Messzeitpunkte hinweg getestet: Der erste Messzeitpunkt erfolgte bei Eintritt in die Studie (mit 3-4 Jahren) und setzte sich fort mit weiteren Messungen zu Beginn der Schule (mit 5 Jahren) sowie jeweils am Ende der ersten und zweiten Klasse (mit 6 und 7 Jahren) (ebd., S. 20). Die konkrete Gestaltung der ersten drei Messungen kognitiver Leistungen wurde mittels standardisierter Tests der British Ability Scales (BAS) untersucht, welcher Ergebnisse in den fünf Bereichen "Vorläuferfähigkeiten für Lesen" (phonologische Bewusstheit & Buchstabenkenntnisse), "sprachliche Fähigkeiten" (Sprachverstehen & Wortschatz), "non-verbales Schlussfolgern", "räumliche Bewusstheit" und "früher Zahlenbegriff" ermittelt. Zum vierten Messzeitpunkt, Ende der zweiten Klasse, wurden die Kinder neben Schulleistungstests in Mathematik und Lesen dazu aufgefordert, sich selbst als Person und Schüler zu bewerten sowie ihre Einstellung zur Schule zu konkretisieren.
Die Messung des Sozialverhaltens der Kinder wurde durch Fragebögen mit dem Child Social Behavioural Questionaire (CSBQ) durch deren Erzieher/innen und Lehrer/innen gewährleistet. Folgende Kriterien sind Inhalt dieser Kategorie: Selbständigkeit und Konzentrationsfähigkeit, Kooperation und Anpassungsfähigkeit, Umgang mit Gleichaltrigen sowie antisoziales/ störendes Verhalten. Zur Ermittlung von Bedingungsvariablen (diese wurden nur in der vorschulischen Zeit erfasst) wurden innerhalb der Familien Hintergrundvariablen erfragt (so beispielsweise Geschlecht, Geburtsgewicht, Familienstruktur). Zusätzlich wurde die Betreuungssituation der Kinder in den ersten Lebensjahren, elterliche Erziehungskonzepte sowie realisierte Aktivitäten mit den Kindern durch Elterninterviews erhoben. In den vorschulischen Einrichtungen wurden die Prozessqualität, die Sensitivität der Erwachsenen-Kind-Interaktion sowie spezifische Aspekte des vorschulischen Curriculums mit Hilfe verschiedener Bewertungsskalen ermittelt. Ferner wurden die Rahmenmerkmale der Einrichtungen durch Befragungen eruiert (S. 22 f.).
Ergebnisse
Im Ergebnis enthüllt das EPPE-Projekt die Auswirkung einer qualitativ hochwertigen Kindertagesbetreuung im Vorschulalter auf die kognitive und soziale Entwicklung der Kinder. Die Ergebnisse der vier Erhebungen zwischen Vorschuleintritt und Ende der zweiten Grundschulklasse werden im Folgenden strukturiert dargestellt.
Der institutionelle Einfluss auf die kindliche kognitive Entwicklung im Vorschulalter (4): Es war ein deutlicher Zusammenhang zwischen der zeitlichen Dauer der Betreuung in einer vorschulischen Einrichtung und verschiedenen ermittelten Werten im kognitiven Bereich zu verzeichnen. Konkret bedeutet das, je länger Kinder eine vorschulische Tagesbetreuungseinrichtung besuchen (hier definiert als Monate zwischen Eintritt in die Studie mit drei bis vier Jahren bis Schulbeginn mit fünf Jahren), umso ausgeprägter ist der kognitive Entwicklungsstand der Kinder bei Schulbeginn. Ein weiterer Faktor ist das Eintrittsalter; demnach konnte ein positiver Zusammenhang zwischen einem frühen Eintritt und den kognitiven Fähigkeiten zum zweiten Messzeitpunkt festgestellt werden. Die tägliche Dauer (halb- oder ganztags) der Betreuung zeigte keine Auswirkung auf die kindliche kognitive Entwicklung.
In den Bereichen Struktur- und Prozessqualität kommt die EPPE-Study zu dem Ergebnis, dass der Umfang des Profitierens eine signifikante Abhängigkeit von der Qualität des Personals und deren Anspruch aufweist. Vorschulische Betreuung in qualitativ hochwertigen Einrichtungen führt ergo zu positiven Auswirkungen in der kognitiven Entwicklung der Kinder. Im Vergleich der unterschiedlichen Betreuungskonzepte konnte in einigen Einrichtungen (integrated centres und nursery schools) eine höhere Effektstärke hinsichtlich der kognitiven kindlichen Entwicklung beobachtet werden. Demnach muss als wichtiges Ergebnis herausgestellt werden, dass in den integrativen Einrichtungen, wo Kinder mit sehr unterschiedlichem sozialen Hintergrund betreut werden, Kinder aus sozial schwachen Familien kognitiv deutlich profitieren - im Gegensatz zu den Betreuungsformen, welche von überwiegend homogenen Gruppen der Kindern aus sozial benachteiligten oder bildungsfernen Haushalten besucht werden.
Der institutionelle Einfluss auf die kindliche Sozialentwicklung im Vorschulalter: Weder die Dauer der Betreuung in einer Tageseinrichtung noch der wöchentliche Betreuungsumfang oder ein Wechsel der vorschulischen Einrichtung zeigten einen Einfluss auf die soziale Entwicklung der Kinder. Allerdings wiesen die Kinder, die bereits vor dem dritten Lebensjahr längere Erfahrungen institutioneller Betreuung gesammelt hatten, bei Schuleintritt eine höhere Gemeinschaftsfähigkeit in peer groups bei gleichzeitig höherer Effektstärke an störendem oder antisozialem Verhalten auf (5). Konträr dazu besaßen die Kinder, die zwischen null und drei Jahren längere Zeit in der Betreuung durch Verwandte verbracht hatten, beim Eintritt in die Schule in den Bereichen Kooperation/ Anpassung und Unabhängigkeit/ Konzentration bessere Fähigkeiten und signifikant weniger störend-antisoziales Verhalten.
Die Ergebnisse zur Struktur- und Prozessqualität sind im wesentlichen kongruent zu den Ergebnissen im kognitiven Bereich, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass eine qualitativ hochwertige Betreuung mit einer guten Erzieherin-Kind-Interaktion sich förderlich auf die Sozialverhaltensentwicklung auswirkt. Im Bezug auf den Einrichtungstyp sind wieder die integrativen Konzepte der integrated centres und nursery schools diejenigen, die Kinder (besonders mit schwierigem sozialen Hintergrund) tendenziell besser fördern als andere vorschulische Betreuungsformen.
Der familiäre Einfluss auf die kindliche soziale und kognitive Entwicklung im Vorschulalter: Der Einfluss der Familie prägt laut EPPE-Study die kognitive Entwicklung der Kinder etwas stärker als das Sozialverhalten und ist somit als durchaus signifikantes Element zu bezeichnen. Jedoch ist die Qualität der familiären Betreuung und Lernumgebung in herausragender Weise wichtig für die soziale und kognitive Entwicklung der Kinder. Dabei ist die Art der Aktivitäten, die Eltern mit ihren Kindern realisieren, viel bestimmender als die soziale Schicht, die Bildung oder das Einkommen.
"Beispielsweise standen das Vorlesen, das Beibringen von Liedern und Reimen, das Malen und Zeichnen mit dem Kind, das Besuchen einer Bücherei, das Lehren von Alphabet und Zahlen, das Mitnehmen der Kinder bei Besuchen und das Schaffen regelmäßiger Gelegenheiten zum Spiel mit Freunden in der eigenen Wohnung in Bezug zu besseren Testergebnissen hinsichtlich der intellektuellen und sozialen/ verhaltensmäßigen Entwicklung" (Sylva et al., in: Textor 2008, S. 2).
Während bei Eintritt in die Studie der Zusammenhang zwischen familiären Hintergrundvariablen und dem Entwicklungsstand der Kinder deutlich ersichtlich ist, schwächt sich die Effektstärke bis zum zweiten Messzeitpunkt etwas ab. Dies ist darauf zurückzuführen, dass hochwertige vorschulische Fremdbetreuungssituationen zwar ungünstige Hintergründe nicht gänzlich tilgen, jedoch durchaus abschwächend und kompensatorisch wirken können.
Laut EPPE-Study sind die positiven Ergebnisse einer hochwertigen vorschulischen Betreuung bis zum Ende der zweiten Klasse durchaus markant. Im Folgenden werden die Ergebnisse zum dritten und vierten Messzeitpunkt in der Grundschulzeit dargestellt, welche als Effekte der vorschulisch erfahrenen Betreuungsqualität zu verstehen sind (vgl. Rossbach et al. 2008, S. 25 f.).
Der vorschulische institutionelle Einfluss auf die kindliche kognitive Entwicklung: Während der wöchentliche und tägliche (halb- oder ganztags) Betreuungsumfang innerhalb der vorschulischen Einrichtung keine Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung zeitigt, wirken sich die Anzahl der Monate in vorschulischer Kindertagesbetreuung bis zum Alter von sieben Jahren positiv auf die Schulleistungen aus. Auch ein früher Eintritt ab zwei Jahren stellt sich als förderlich dar; ein Eintritt vor dem zweiten Geburtstag zeigt jedoch keine signifikant positiven Auswirkungen auf die kindlichen Leistungen im kognitiven Bereich.
Während die Kinder mit Erfahrung in qualitativ hochwertigen Einrichtungen zum dritten Messzeitpunkt bessere Schulleistungen in Mathematik und Lesen zeigten, ließ die Wirkung zum vierten Messzeitpunkt am Ende der zweiten Klasse etwas nach. Zu diesem Zeitpunkt sind Unterschiede nur noch zu den "home" Kindern erhebbar. Im Verhältnis zur Vergleichsgruppe haben Kinder mit institutioneller Vorschulerfahrung außer bei den nonverbalen Fähigkeiten in allen kognitiven Bereichen signifikante Vorteile. Die Unterschiede expandieren im Laufe der ersten beiden Schuljahre jedoch nicht weiterhin, sondern bleiben relativ gleich.
Der vorschulische institutionelle Einfluss auf die kindliche Sozialentwicklung: Entgegengesetzt zum kognitiven Bereich lässt sich laut EPPE-Study kein Zusammenhang zwischen der letztendlichen Betreuungsdauer und dem sozial-emotionalen Verhalten (Sozialkompetenz, Peer-Beziehungen) der Kinder herstellen. Auch zeigen ein Wechsel der Einrichtung oder der wöchentliche Betreuungsumfang keinen Einfluss. Die Auswirkungen in verschiedenen Bereichen des Sozialverhaltens (Peer-Beziehungen, Bewältigung von Alltagssituationen) ließen sich wiederum durch solche Einrichtungen positiv beeinflussen, welche sich durch hohe Qualität auszeichneten. Im Bereich Sozialverhalten (Unabhängigkeit/ Arbeitsverhalten, Kooperation/ Anpassung, Gemeinschaftsfähigkeit) erreichen die Kinder mit Vorschulerfahrungen bis zum dritten Messzeitpunkt höhere Werte als die "home"-Kinder. Die Unterschiede lösen sich jedoch bis zum Ende der zweiten Klasse auf.
Unter dem Aspekt "Problemverhalten" betrachtet, weisen Kinder mit längerem institutionellem Betreuungshintergrund zum zweiten und dritten Messzeitpunkt, jedoch nicht mehr am Ende der zweiten Klasse, ein prägnanteres Problemverhalten auf. Kinder, die während der Vorschulzeit im Bereich Sozial- und Problemverhalten effektive Förderungen erhalten hatten, zeigen bis zum Ende der zweiten Klasse Vorteile im sozial-emotionalen Bereich. Besonders Kinder aus sozial benachteiligten Familien profitieren von einer qualitativ hochwertigen außerfamilialen Betreuung (6).
Insgesamt stellt sich als am effektivsten für die kindliche Sozialentwicklung bis zum Ende des Versuchszeitraums mit sieben Jahren eine möglichst lange qualitativ hochwertige Betreuung in Kindertageseinrichtungen heraus.
Der familiäre Einfluss auf die kindliche soziale und kognitive Entwicklung: Die dargestellten Effekte familiärer Lernumgebung auf die kindliche Vorschulentwicklung lassen sich bis ans Ende der zweiten Klasse nachweisen. Bis zum Alter von sieben Jahren ist die Auswirkung auf die kognitive Entwicklung durch das familiäre Anregungsniveau stärker als auf das Sozialverhalten (ebd., S. 27).
Ausblick
Die Ergebnisse der EPPE-Study sind für die deutsche Diskussion um Wirkungen in der Frühpädagogik von hoher Bedeutung, wobei deren Übertragbarkeit auf die hiesige Situation wegen der unterschiedlichen institutionellen Voraussetzungen in den beiden Ländern nur eingeschränkt gesehen werden kann. Bilanzierend kann gesagt werden, dass Kinder aus allen sozialen Schichten erhebliche Vorteile aus qualitativ hochwertigen vorschulischen institutionellen Betreuungen ziehen. Einen besonderen Profit bedeutet es für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, wenn sie frühzeitig und konstant eine qualifizierte Einrichtung zur Kindertagesbetreuung besuchen. Wie das EPPE-Projekt eruieren konnte, kann auch umgekehrt eine angemessene familiäre Lernumgebung eine weniger qualifizierte institutionelle Tagesbetreuung ausgleichen. Als essenzielle Basis aller pädagogischen und/oder erzieherischen Handlungen fungieren daher immer eine sichere Bindung und eine gute Erzieher/in- bzw. Eltern-Kind-Interaktion.
Im deutschen Forschungsraum sind nach Kenntnis der Verfasserin derzeit keine Studien zur Wirkung von Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen verfügbar. Hierfür besteht jedoch durchaus Bedarf. So könnte durch eine Exploration für den deutschen Raum beispielsweise gezeigt werden, dass sich in den ersten Lebensjahren der Besuch einer institutionellen Kindertagesbetreuung mit hohem Anspruch an den Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag für Kinder mit besonderen sozialen Bedarfen positiv auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, eine weiterführende Schule zu besuchen. Voraussetzung dafür ist eine gute integrativ ausgerichtete familienexterne Kinderbetreuung, welche in ihrer Konsequenz den Status der Kinder aus sozial schwachen Familien in der Gesellschaft erhöhen kann, wodurch sich dann wiederum auch Ausgaben in anderen sozialen Bereichen möglicherweise reduzieren ließen.
Anmerkungen
- z.B. durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz - TAG, welches bis Nov. 2010 die Schaffung von bundesweit 230.000 zusätzlichen Plätzen in Kindertagesstätten, Krippen oder bei Tagesmüttern vorsieht. Rund 160.000 Plätze davon sollen in Kindertageseinrichtungen, rund 70.000 in der Kindertagespflege entstehen. (vgl. www.bildungsserver.de). Seit 1999 besteht ab dem 3. Geburtstag bis zum Schuleintritt ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, im Rahmen des TAG sollen auch für Kinder unter 3 Jahren mehr Betreuungsangebote sichergestellt werden (vgl. Dörfler 2007, S. 24).
- Die Verdrahtung einzelner Nervenzellen im Gehirn (vgl. Einsiedler 2005).
- Also exklusiv mütterliche Betreuung oder kombiniert mit Fremdbetreuung bzw. Betreuung durch andere Familienangehörige (vgl. Einsiedler 2005, S. 11).
- Das Vorschulalter bezieht sich auf den 1. und 2. Messzeitpunkt, also die soziale und kognitive Entwicklung der Kinder bei Schulbeginn (vgl. Rossbach et al. 2008, S. 23).
- Familienexterne Betreuung durch nicht-verwandte Personen außerhalb von Einrichtungen zeigten die gleichen Auswirkungen (vgl. Rossbach et al. 2008, S. 24).
- Benachteiligte Kinder ohne vorschulische Erfahrung kommen laut EPPE-Study öfter für eine sonderpädagogische Förderung in Frage. Benachteiligungen der Kinder, die sich negativ auf die kognitive und soziale Entwicklung auswirken, bleiben bis zum Ende der zweiten Klasse manifest (vgl. Rossbach et al. 2008, S. 27).
Literaturverzeichnis
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