Aus: klein & groß 09/2005, S. 12-15
Manuela Rodner
"Erkläre alles so einfach wie möglich, aber nicht einfacher." (Albert Einstein)
Im Jahr 2005, zum 50. Todestag Albert Einsteins, wird die Spezielle Relativitätstheorie 100 Jahre alt. Die Kita Einstein, eine städtische Kindertageseinrichtung in Recklinghausen, beschäftigt sich schon seit Längerem mit ihrem Namenspatron und hat speziell für das Jubiläumsjahr einige prägnante Merkmale aus dem Leben Albert Einsteins aufgegriffen und in die pädagogische Bildungsarbeit integriert.
Im Jahr 2004 beteiligten sich alle städtischen Kindertageseinrichtungen am Wettbewerb um den Deutschen Jugendhilfepreis "Bildung in der Jugendhilfe". Im Beitrag der Kita Einstein wurde ein Zusammenhang hergestellt zwischen Leben und Werk Albert Einsteins und dem eigenen pädagogischen Konzept.
Der weltberühmte Albert Einstein war schon zu seinen Lebzeiten bekannt als genialer Physiker und Mathematiker, humorvoller Philosoph, hervorragender Geigenspieler und Kunstliebhaber, mutiger Pazifist, Naturliebhaber und konsequenter Individualist. Doch es hat viele Jahre gedauert, bis seine - für damalige Zeiten - revolutionäre pädagogische Auffassung, als das gewürdigt wurde, was sie war: ein Plädoyer für Individualismus, Selbstbestimmung und Förderung der grandiosen Fähigkeiten und der Liebe, die jeder Mensch als Grundausstattung mit in diese Welt bringt!
Diesem genialen Menschen, der für kleine Kinder auch noch idealerweise den schlauen und lustigen Opa verkörpert, haben wir die Zusammenfassung des umfangreichen pädagogischen Konzepts gewidmet, das der Arbeit in unserer Einrichtung zugrunde liegt.
Okay, wir können nicht garantieren, dass ein Kind ein Genie wird. Aber wir garantieren, dass es sich bei uns in einer sicheren, anregenden Atmosphäre durch seine Teilnahme an vielfältigen Angeboten - auf alle Entwicklungsbereiche bezogen - und durch die aktive Mitgestaltung des unendlich lehrreichen menschlichen Miteinanders zu einem glücklichen Kind entwickeln kann.
Dadurch, dass sich über mehrere Stunden des Tages jedes Kind den eigenen Bedürfnissen entsprechend in der ganzen Einrichtung den Spielbereich auswählen kann, der es am meisten anspricht, sich der Spielgruppe anschließen kann, die sein Spielinteresse weckt, und sich die erwachsene Bezugsperson auswählen darf, die ihm am ehesten liegt, gewähren wir großen Spielraum für die Entwicklung der Selbstwirksamkeit und der individuellen Entfaltung.
Gleichzeitig legen wir großen Wert auf die Beibehaltung eines Gruppengefühls, das dem Kind Sicherheit und Geborgenheit bietet. Es eröffnet ihm die Möglichkeit, sowohl demokratische Elemente kennen zu lernen, wie beispielsweise Abstimmungen, Bedürfnisse zugunsten der Gruppe zurückzustellen, Meinungen und Eigenarten anderer zu akzeptieren, als auch sich als wichtiger Teil eines Ganzen wahrzunehmen und Gefühle in der Gemeinschaft noch intensiver zu empfinden.
Wir bieten den Kindern vielfältige Materialien an, sowohl von Mutter Natur geliefert als auch von Fachleuten unter didaktischen Aspekten entwickelt, die sie neugierig machen, die Vielfältigkeit des Lebens selbst zu erforschen und spielerisch bewältigen zu lernen.
Sowohl durch Raumgestaltung und Materialangebot als auch durch ein aufgeschlossenes und anregendes Erzieher/innenverhalten versuchen wir, die Kommunikation der Kinder untereinander und mit uns anzuregen und ihre sprachlichen Kompetenzen zu erweitern. Durch gezielte Angebote in diesem Bereich sind wir bemüht, bei einzelnen Kindern und kleineren Gruppen Defizite aufzuarbeiten und sie gezielt zu fördern. Literatur, Buchstaben und vor allem das gemeinsame Gespräch begegnen den Kindern überall in der Einrichtung.
Dem Bewegungsdrang der Kinder widmen wir große Aufmerksamkeit, denn wir wissen, dass sich geistige Fähigkeiten nur entwickeln können, wenn parallel dazu dem Körper die Möglichkeit gegeben wird, seine Anlagen auszuleben, zu erproben und weiterzuentwickeln. Wir nutzen dazu alle räumlichen Ressourcen innerhalb der Einrichtung und verlegen viele Aktivitäten nach draußen. Regelmäßige Waldtage, Fußballgruppen und Tanzprojekte bilden neben den angeleiteten Bewegungsaktionen feste Elemente des Tagesablaufs. Vielfältige kindgerechte Materialien fordern die Kinder heraus, herauszufinden, wozu sie alles in der Lage sind.
Bei all unseren vielfältigen Bildungsaufgaben sind wir uns immer darüber bewusst, dass wir Vorbilder sind in unserem Verhalten, unseren Einstellungen und unseren Urteilen. Dieses Bewusstsein führt dazu, dass wir die Kinder wahrnehmen als Menschen, die uns täglich dazu auffordern, uns selbst zu erziehen!
Wie Bildung stattfindet
Wie Bildung als Selbstaneignung von Welt täglich stattfindet, ist anhand von Bildungsminiaturen, kleinen Bildungsbeobachtungen mit einem oder mehreren Kindern, dargestellt. Die Komplexität und Vielschichtigkeit von Bildungsprozessen in Kindertageseinrichtungen werden mit diesen Beispielen vielfältig veranschaulicht. In der Kita Einstein gibt es ein Einsteinzimmer, einen abgeschlossenen Bereich zur konzentrierten Beschäftigung mit vielfältigen Phänomenen. Es kursiert dazu der Satz: "Wenn es das Einsteinzimmer nicht geben würde, müsste es erfunden werden!" Warum? Das zeigt diese Bildungsgeschichte:
Als Thea sich gerade vom Trampolinspringen im Bewegungsraum in der Kuschelecke mit ihrem Lieblingsbilderbuch ausruht, kommt Sandra rein und fragt, ob sie Lust habe, mit ihr was ganz Merkwürdiges herauszufinden. Lust? Und ob!
In der Forscherecke stehen für Thea und drei andere Kinder jeweils eine mit Wasser gefüllte Schüssel, ein Gummibärchen in einem Boot (leere Aluschale eines Teelichts) und ein Glas bereit. Sandra bittet die Kinder herauszufinden, wie das Bärenboot auf den Grund der Schüssel tauchen kann, ohne dass das Gummibärchen nass wird.
Nach einer ganzen Reihe Versuchen mit klebrignassen Gummibärchen, die immer mal wieder aufgegessen und durch trockene ersetzt werden müssen, hat Marc es endlich raus: Er stülpt das Glas ganz langsam über das Bärenboot und drückt es gerade herunter. Das Boot sinkt auf den Boden und der Bär bleibt trocken. Klasse!
Thea macht das sofort nach. Immer und immer wieder. Das Glas war gar nicht leer! Es war voll Luft, die sogar drin bleibt, wenn das Glas taucht. Das ist wie zaubern! Sandra erklärt, dass die Luft ein Gas ist, das immer um uns ist, auch wenn man es nicht sehen kann. Bevor sie nach einiger Zeit wieder in ihre Gruppe geht, trinkt sie noch einen Schluck Luft aus ihrem Glas. Tschüss Sandra!
Als Thea später am Maltisch mit Wasserfarbe ein Gummibärchen malt, das in einer Höhle tief unten in einem lilafarbenem Meer sitzt, ist sie richtig zufrieden mit sich, weil sie ganz einfach Trockenheit zaubern kann, wenn ein Gummibärchen oder jemand anderes es braucht. Komisch nur, das Fabian nicht erkennen kann, was sie gemalt hat!
Später, im Waschraum, wo sie Pinsel und Wasserbecher säubert, kommt ihr eine Idee. Sie holt sich schnell ein Gummibärchen aus Legostein aus der Bauecke und legt es im Waschraum auf den Boden. Dann stellt sie den Wasserbecher als Höhle darüber. Und schließlich füllt sie ihren Zahnbecher randvoll mit Wasser und kippt alles darüber. Nachdem sich das Wasser auf dem Boden verteilt hat, hebt sie vorsichtig den Becher an. Das Legogummisteinbärchen ist vollkommen trocken. Klasse!
Kathrin, die gerade in den Waschraum schaut und vor der Pfütze steht, versteht die Situation schnell, denn sie weiß, was Sandra zurzeit für Experimente mit den Kleinen macht. "Weißt du noch, wo die Putzlappen sind?" fragt sie freundlich. Und die Zauberin Thea marschiert stolz los, um ihre Aufgabe zu erfüllen!
"Was hast du denn heute im Kindergarten gemacht ?" wird Thea von der Mama beim Abholen gefragt. "Gummibärchen trocken getaucht," strahlt Thea, "das geht nämlich!"
"Wirklich, das musst du mir zu Hause unbedingt zeigen, ich bin richtig gespannt!"
Als Thea mit ihrer Mutter nach Hause geht, hat Kathrin das gute Gefühl, dass sie wieder etwas mehr von dem weiß, was sie kann!
"Fantasie ist wichtiger als Wissen! Fantasie umspannt die Welt!" (Albert Einstein)
Folgende Ideen sind im Einsteinjahr bereits realisiert worden oder aber geplant:
Einstein und die Musik
Einsteins Mutter war eine große Pianistin, und der kleine Albert lernte vom sechsten Lebensjahr an das Violinspiel. Durch Begabung, fleißiges Üben und Freude am Spiel wurde er zu einem guten Geigenspieler. Sein Instrument hat ihn sein ganzes Leben lang begleitet. Die Zurückhaltung, mit der Einstein seinen Mitmenschen sonst begegnete, wurde zu freundschaftlicher Offenheit, wenn es um Musik ging.
Tagtäglich ist die Musik in unserem Musikraum präsent. Namen, Handhabungen und Möglichkeiten unserer Musikinstrumente werden eingeführt. Es wird getanzt (mit vielfältigem Tanzrequisitenbestand), Lieder werden mit Instrumenten begleitet, und auch fetzige Discostimmung mit Lichtorgel und neuesten Hits ist möglich. Musik findet sich zudem oft sowohl mit oder ohne Instrumente auf der Gruppenebene (Lieder singen und Spielen in den Morgen- bzw. Abschlusskreisen) als auch in anderen Aktionsbereichen.
Im Einsteinjahr werden wir eine CD mit 9 Kinderliedern aufnehmen, die sich um die wichtigsten Themen in unserer Kita drehen. Sie sind bereits geschrieben und warten darauf, vertont zu werden.
Einstein und die Indianer
1940 wurde Albert Einstein in Arizona (USA) zum Ehrenhäuptling der Hopi-Indianer ernannt. Es gibt sogar ein Foto von 1931, das ihn mit Hopi-Indianern zeigt. Sie nannten ihn "Great Relative".
In den Monaten Mai und Juni im Einsteinjahr drehte es sich in der Kita Einstein in allen Räumen um Indianer. Auch die Übernachtung der Schulkinder stand unter diesem Motto: "Abenteuer mit Häuptling Einstein."
Einstein und die Literatur
Es gibt unzählige von Albert Einstein verfasste Texte, die wir niemals alle werden lesen können. Seit seinen frühesten Lebensjahren hat er sehr anspruchsvolle Literatur gelesen. Dostojewski, Tolstoi und Herodot, Spinoza, Heine und Brecht, aber auch Andersens Märchen gehörten zu seiner Lieblingslektüre. Deshalb wird das Thema "Bücher" im Einsteinjahr nicht theoretisch, sondern mit viel Spaß aufgegriffen.
Wir haben ein Buch entwickelt, mit dem die Kinder ganz praktisch auf jeder Seite spielen können. Spiele allein, zu zweit oder in der Gruppe lassen keine Langeweile aufkommen. Das Buch wird in ganz großen laminierten Seiten in Spiralbindung für jede Gruppe hergestellt. Im Juli und August konnten die Kinder in allen Gruppen damit ausgiebig spielen. Jetzt ab September kann das Spielebuch dann auch für zu Hause ausgeliehen werden.
Einstein und die Zahlen
Einstein war geradezu verliebt in Rätsel und Mathematikbücher. Er konnte nicht gut auswendig lernen, aber hervorragend in Zusammenhängen denken und Schlüsse ziehen. Mit 15 Jahren war Albert in Mathe besser als alle Lehrer an seinem Gymnasium in München.
Im Oktober und November dreht sich in unserem Haus vieles um die Zahlen. Die Zahlen 1 bis 10 werden ihre eigenen Häuser bekommen, und ihnen zur Ehre werden viele Aktionen, Spiele und Beschäftigungsangebote stattfinden. Und nächstes Jahr zu Weihnachten werden die Zahlen für unsere Kinder sicher nicht nur gute Bekannte, sondern ihre Freunde sein. Wir fühlen uns ganz sicher alle richtig wohl in "Einsteins Zahlenwelt".
Wir freuen uns noch heute jeden Tag, dass wir im Team und mit den Eltern so lange überlegt, abgewogen, verworfen und wieder neu entschieden haben, bis der Name für unsere Kita feststand. Unser Namenspatron Albert Einstein inspiriert uns immer wieder neu, und mit dem Einsteinlied - nach der Melodie von "Ein Mann, der sich Columbus nannt" - machen wir ihn unvergesslich in unserer Kita.