Aus: Handbuch für ErzieherInnen, 25. Lieferung 1998. Mit freundlicher Genehmigung des mgv-Verlages Landsberg/Lech
Margarete Blank-Mathieu
1. Kindheit heute
Noch vor zwanzig Jahren waren im Straßenbild kleiner Städte und Dörfer Kinder allgegenwärtig. Kinder spielten mit dem Ball, fuhren Rollschuhe oder Fahrrad, spielten Verstecken und Fangen. Dabei wurden jüngere Geschwister von den älteren beaufsichtigt. Kinder gingen für die Mutter zum Einkaufen, halfen beim Abernten der Beerensträucher oder Obstbäume und verrichteten kleinere Hilfsarbeiten in Haus und Hof.
Wenn wir noch einige Jahrzehnte zurückgehen, so sind dort Kinder auch in der Arbeitswelt der Erwachsenen zu sehen, die mit kleinen Handlangerdiensten zum Unterhalt der Familien beitragen. Kinder wurden als Hilfskräfte gebraucht und hatten ihren festen Aufgabenbereich in den Familien inne. Sie beaufsichtigten und versorgten kleinere Geschwister, besserten die finanzielle Lage der Familien durch Zeitungstragen oder kleinere Hilfsdienste auf, versorgten in dörflichen Strukturen das Kleinvieh und mussten bei allen Arbeiten zur Hand gehen.
Heute sind Kinder in der Erwachsenenwelt kaum noch anzutreffen. Die Einkäufe werden im Großmarkt mit dem Auto erledigt. Kleine Kinder müssen geduldig im Einkaufswagen sitzen, während die Eltern durch die Regalreihen laufen, um die gewünschten Artikel herauszusuchen. Sie quengeln und langweilen sich und sind dankbar, wenn sie auch nur durch ein Lächeln wahrgenommen werden. Immer wieder passiert es mir, dass solch "abgestellte" Kinder mir ganze Romane erzählen wollen, wenn ich ihnen nur aufmunternd zunicke. Die dazugehörigen Mütter oder Väter betrachten mich jedoch mit Misstrauen, wenn sie dies bemerken.
Kinder sind zum Störfaktor geworden. Sie werden als lästig empfunden. Wer so dumm ist, sich gleich mehrere davon anzuschaffen, sollte auch nicht darüber klagen, dass Kinder nicht nur nichts zum Lebensunterhalt der Familie beitragen können, sondern ausschließlich Kosten verursachen.
- Kinder stören die Eltern beim Einkaufen,
- sie stören die Ordnung und die Sauberkeit der elegant eingerichteten Wohnung,
- sie stören die Ruhe der Nachbarn,
- sie stören auf der Straße den Verkehr,
- sie stören auf dem Fußgängerweg, wenn sie dort mit dem Fahrrad oder den Rollerblades fahren,
- sie stören auf Reisen,
- sie stören das Haushaltsbudget,
die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Wir betreuen sie, beschulen sie, versorgen sie (wenn sie nun mal schon da sind) und behandeln sie wie unser Auto oder die Waschmaschine. Sie sollen funktionieren und doch ja keinen Ärger machen.
Das Leben mit Kindern ist geprägt durch ständiges Aushandeln, was sie tun dürfen und was uns an ihnen stört. Wir geben mehr Geld denn je für unsere Kinder aus, um sie loszuwerden, sie auf Spielplätze, die oft phantasielos und schmutzig sind, abzuschieben, ihnen Kindergärten anzubieten, die nach dem 08/15 Schema eingerichtet sind und jede eigene Kreativität lähmen, ihnen eigene Ferienprogramme zu verordnen, die uns einen ungestörten Urlaub ohne Kinder ermöglichen.
Was ist geschehen? Warum hat sich aus einer Familie, in der Kinder als nachwachsende Generation nötig waren, in der sie gesellschaftlich anerkannt wurden, eine bemitleidete Minderheit (der Kinderdurchschnitt beträgt 1,3 Kinder pro Familie) gebildet?
Kinder in solchen Lebenszusammenhängen können das nötige Selbstbewusstsein, das sie zum Aufwachsen brauchen, die Anerkennung ihrer Person und das Selbstwertgefühl, das sie anspornt, ihre Begabungen anzuwenden, nicht mehr erwerben. Sie terrorisieren einander, sie streiten sich, sie werden aggressiv und drogensüchtig. Der Pädagoge Hartmut von Hentig sagt, dass Kinder heute "unfähig sind zu trauen", sie fühlen sich zu kurz gekommen (trotz der übervollen Kinderzimmer), sie fühlen sich übergangen (wer will schon wissen, wie es ihnen geht), sie werden übersehen, überhört, ungerecht behandelt.
Kinder müssen von den Erwachsenen wieder angenommen werden, wieder in die alltäglichen Lebenszusammenhänge einbezogen werden, in ihrer Umgebung Möglichkeiten zum Forschen und Erproben bekommen, ihre Fähigkeiten ausprobieren dürfen, auch wenn dabei Lärm, Unruhe und Unordnung entsteht. Sie müssen Fehler machen dürfen und sie selbst korrigieren können, sie müssen ihren eigenen Rhythmus finden können und sich nicht ständig in ein Korsett gepresst vorkommen. Aber sie müssen auch Aufgaben übertragen bekommen, sich darin bewähren können und sich deshalb als wichtiges Glied in einer Gesellschaft erleben können.
Kindheit heute ist Fernsehkindheit, Konsumkindheit, pädagogisierte, verplante Kindheit, unmündige Kindheit. Dies alles hängt eng mit dem Wandel der Familie und den neuen Familienstrukturen zusammen, in denen Kinder heute aufwachsen.
2. Wandel der Familie
Familie heute bedeutet nicht mehr ein Zusammenleben von Vater, Mutter und einigen Kindern. Familie ist bereits die Alleinerziehende mit ihrem Kind, Familie ist aber auch der geschiedene und wiederverheiratete Mann mit Kindern aus zwei Ursprungsfamilien. Familie gibt es noch im herkömmlichen Sinn, aber es sind auch vielerlei andere Formen denkbar. Kinder wachsen so in vielerlei Familienstrukturen auf. Sie machen unterschiedliche Erfahrungen und brauchen unterschiedliche Unterstützungsmaßnahmen. Die Familie, die in sich die kleinste Keimzelle der Gesellschaft darstellte, sich finanziell und materiell selbst versorgte, psychischen Rückhalt und Rückzugsmöglichkeiten bot, in der vielerlei unterschiedliche Beziehungsmuster gelebt werden konnte, gibt es nicht mehr. Die unterstützenden Maßnahmen des Staates werden immer häufiger und dringender benötigt.
3. Verlagerung von Familienaufgaben auf öffentliche Institutionen
Viele öffentliche Institutionen haben sich etabliert, um Familien Unterstützung anzubieten. Es gibt Mütterschulen, Familienberatung, Partnerschaftsberatung, Pflegemütter, für alle Fälle des Lebens spezielle Beratungsangebote. Der Allgemeine Sozialdienst stellt individuelle "Hilfspakete" für die Unterstützung von Familien zusammen, wenn diese nicht mehr alleine zurechtkommen.
Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz bietet pädagogische Hilfen und Unterstützung in der Erziehung für Kinder ab 3 Jahren an. Jedes Kind kann einen Kindergartenplatz erhalten und besucht in der Regel auch einen solchen. Eltern sind sehr bedacht darauf, ihren Kindern dieselben Bildungschancen in unserer komplexen Welt zu bieten. Kinder "müssen" an vielen institutionellen Angeboten teilnehmen, weil Eltern diese für nötig und wichtig erachten. Alles, was in der Familie fehlt, ob es nun die fehlende Zeit für Zuwendung oder die fehlenden Geschwister, die fehlende pädagogische Kompetenz oder die fehlenden wirtschaftlichen Mittel sind, immer erwarten Familien heute Unterstützung durch den Staat, das heißt Unterstützung durch öffentliche Institutionen.
3.1 Umgang mit Menschen verschiedener Altersstufen
Kinder haben weniger soziale Kontakte als früher. Sie spielen nicht mehr mit Gleichaltrigen auf der Straße, versorgen keine kleineren Geschwister, leben nicht mehr mit Oma und Opa zusammen. Viele Erfahrungen gehen ihnen verloren. Was bedeutet es, Rücksicht zu nehmen auf den Mittagsschlaf des Großvaters, wie geht man mit einem kleinen Kind um, das gerade zu laufen beginnt, welche Bedürfnisse hat ein großer Bruder, welche Unterstützungsmöglichkeiten bietet mir das Aufwachsen mit Menschen verschiedenen Alters?
Oft werden Kinder schon früh entweder als unfertig und dumm abgestempelt oder sollen die Aufgaben eines Erwachsenen übernehmen, der - sobald die Mutter aus dem Haus ist - für sich selbst sorgen kann. Der Fernsehapparat ersetzt dann die persönlichen Beziehungen. Kinder holen sich ihre Ersatzkontakte aus den Medien. Das geht bis zum elektronischen Tier, das weder die Nachbarn stört noch "Mist" macht.
Kinder brauchen Menschen verschiedenen Alters, um die Bedürfnisse und Wünsche, aber auch die Probleme von unterschiedlichen Lebensaltern kennen zu lernen. Bewältigungsmuster müssen sie dann nicht erst mühsam selbst erlernen, sondern können sich an dem Gesehenen und Gehörten ausrichten. Ja, sie erlernen auch praktische Fähigkeiten im Umgang mit älteren Kindern oder Erwachsenen, lernen Rücksicht zu nehmen und ihre Bedürfnisse zurückzustecken, werden selbst geachtet und können anderen Achtung entgegenbringen.
3.2 Geschlechtsbezogene Erfahrungen
Wie Kinder mit Menschen verschiedener Altersstufen leben sollten, so brauchen sie auch den Umgang mit Menschen verschiedenen Geschlechts. Jungen, die ausschließlich von der Mutter betreut werden, brauchen Kontakte zu Jungen und Männern, um eine eigene Geschlechtsidentität zu erlangen. Sie müssen sich über ihre Interessen und Bedürfnisse mit dem gleichen Geschlecht austauschen können. Gleichzeitig benötigen sie aber auch Kontakte zu Mädchen und Frauen, da die Gesellschaft immer aus zwei Geschlechtern besteht und Kinder in diese Gesellschaft hineinwachsen sollen. Dasselbe gilt für Mädchen und deren Lebenszusammenhänge.
Da Kinder immer weniger soziale Kontakte haben, ist auch der Kontakt zu Menschen verschiedener Geschlechtszugehörigkeit eingeschränkt. In Familien mit Geschwistern verschiedener Geschlechtszugehörigkeit können Kinder grundlegende Erfahrungen und Wahrnehmungen machen, die ihnen "das andere" Geschlecht vertraut macht (und ihm vertrauen hilft). Kinder, die nur mit einem Elternteil aufwachsen, benötigen in ihrer Umgebung Frauen und Männer, die Vater- oder Mutterrollen übernehmen. Sie brauchen kindliche Freunde und Freundinnen und Bekannte und Verwandte beiderlei Geschlechts und unterschiedlichen Alters, um sich mit der Welt der Zweigeschlechtlichkeit vertraut zu machen.
3.3 Komplexe Arbeitswelt
Berufsbilder beziehen die Kinder aus Bilderbüchern und den Medien. Wie die Berufswelt dort dargestellt wird, das ist für die Kinder Wirklichkeit. Oft werden aber alte Rollenbilder transportiert und die Wirklichkeit verfälscht wiedergegeben. Kinder benötigen einen Einblick in die Arbeitswelten ihrer Eltern, ihrer Großeltern, ihrer Verwandten und Bekannten, um sich ein objektives Bild machen zu können und ihre eigenen Vorstellungen zu entwickeln, was sie später einmal werden wollen.
Noch immer möchten Mädchen, einer Umfrage im Kindergarten zufolge in der Mehrzahl die Tätigkeit ihrer Mutter und Jungen die Tätigkeit ihres Vaters erlernen. Wenn man jedoch näher nachfragt, was Vater und Mutter beruflich tun, so wissen Kinder nicht einmal die genaue Berufsbezeichnung. Ein Arztsohn zeigte sich beeindruckt vom Kugelschreiber im Arztkittel, wusste aber nicht, welche Aufgaben der Vater im Krankenhaus wahrnimmt. Ein Mädchen erzählte, dass ihre Mutter als Sekretärin Kaffee kocht und immer schöne Kleider anzieht. Kinder, die solch verfälschte Berufsbilder mitbekommen, tun sich schwer, diese Vorurteile zu revidieren. Viele Arbeitsvorgänge sind so komplex geworden, dass auch Erwachsene sich diese nicht mehr reell vorstellen können. Informationen aus Büchern und den übrigen Medien können Einstiegshilfen bieten. Die tatsächlich erlebte Arbeitswelt von fühlenden Personen, die auch über ihrer Befindlichkeit dort Auskunft geben können, müssen den Kindern wenigsten in Teilen wieder zugänglich gemacht werden.
3.4 Multikulturelle Gesellschaft
Kinder werden bereits im Straßenbild mit anderen Kulturen konfrontiert. Kaum ein Ort, in dem Kinder nicht Frauen mit Kopftüchern und langen Mänteln auch im Hochsommer erleben. Kinder fragen ungeniert, und Eltern sollten wissen, was sie antworten. Es ist nicht einfach, "richtige" Antworten zu geben. Was wissen wir selbst schon von der Kultur dieser Menschen? Wenn wir in deren Land Urlaub gemacht haben, so kennen wir wohl die Landschaft, erleben die Einheimischen aber eher als "Besichtigungsobjekte" als in ihren tatsächlichen Lebensgewohnheiten und Gefühlen.
In unserem Land leben Menschen unterschiedlichster Kulturen. Sie leben meist mit ihren Verwandten und Angehörigen in abgeschlossenen Stadtvierteln. Dort wiederum leben sie mit Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländer Tür an Tür. "Dort leben die Ausländer", pflegen wir zu sagen, ohne Unterschiede zwischen den verschiedenen Menschen oder Kulturen zu machen. Wenn ein Diebstahl durch einen Ausländer geschah, so waren es "die" Ausländer, "die" Türken, "die" Muslime. Selten geben wir uns die Mühe, einzelne Menschen näher kennen zu lernen. Die Scheu vor Vorurteilen hindert auch die bei uns lebenden ausländischen Mitbürger, sich offen zu zeigen, sich uns gegenüber zu öffnen. So leben wir miteinander in einer Stadt, wissen aber außer den stereotypen Vorurteilen, die auch in unseren Köpfen beheimatet sind, nicht viel voneinander. Unsere Kinder werden in einer multikulturellen Gesellschaft aufwachsen. Ob sie diese als bereichernd oder als störend empfinden werden, hängt vielfach von uns ab und den Erfahrungen, die sie machen dürfen. Kinder sind neugierig und vorurteilslos. Wir könnten mit ihnen zusammen gute Kontakte knüpfen und würden durch die Freundschaft mit ausländischen MitbürgerInnen selbst bereichert werden.
3.5 Armut
Auch, wenn wir es vielfach nicht wahrhaben wollen: Kinder sind in übermäßiger Zahl von Armut betroffen. Ein großer Teil der Sozialhilfeempfänger sind Kinder. Das gibt zu denken. Bei der Mehrzahl dürfte es sich um Kinder allein erziehender Mütter handeln. Oft sind diese Frauen aus einer unerträglichen Ehesituation ausgestiegen und damit an den Rand ihrer finanziellen Existenz geraten. Kinder aus solchen Konstellationen sind daher nicht nur mit der finanziellen Not, sondern auch noch mit vielfältigen psychischen Belastungen konfrontiert. Sie werden frühzeitig zu Außenseitern in der Kindergruppe, dürfen da nicht mitfahren, können dort nicht mithalten. Sie haben nichts, was ihr Selbstwertgefühl bestärkt. Und Kinder beziehen einen großen Teil ihres Selbstverständnisses aus ihren finanziellen und familiären Bezügen.
Eine intakte Beziehung innerhalb der Familien ist nicht an die finanziellen Rahmenbedingungen geknüpft. Der soziale Zusammenhalt, das Miteinander in schwierigen Zeiten kann sogar dazu beitragen, dass Kinder frühzeitig lernen, mit Mangelsituationen fertig zu werden. Dennoch ist eine finanzielle Notlage, in der man auf die Hilfe anderer angewiesen ist für Kinder schwerer zu ertragen als für Erwachsene.
Zu den vielen Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, kommen auch Familien, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Auch deren Kinder können am Leben der Gleichaltrigengruppe nicht oder nur beschränkt teilhaben. Der Armutsbegriff muss immer im Zusammenhang mit gesamtwirtschaftlichen Verhältnissen gesehen werden. Nach dem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 19. Dezember 1984 gilt als arm, wer über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügt, dass er von der Lebensweise ausgeschlossen wird, die als Minimum annehmbar ist. Am schlimmsten ist für Kinder die soziale Ausgrenzung aus der Gruppe. An der Teilhabe am Konsumverhalten entscheidet sich aber der Status in der Kindergruppe. Und das leider bereits im Kindergartenalter.
4. Umsetzungsmöglichkeiten in Kindertageseinrichtungen
Die Kindertageseinrichtung als familienergänzende Institution hat heute mehr Aufgaben denn je zu übernehmen, die zunächst in den Familien verankert waren und von ihnen auch geleistet werden konnten. Alleinerziehenden sollen sie die Berufstätigkeit ermöglichen, ihnen zusätzlich Kontakte und Hilfsangebote machen. Für Frauen, die sich in der Familienphase ausschließlich den Familienaufgaben widmen, wollen sollen sie Begegnungsstätten sein, in denen diese Frauen sich über die Kindererziehung, die Nichtanerkennung ihrer Hausfrauenrolle in der Gesellschaft (auch oft durch den eigenen Mann) und ihrer eigenen Lebensplanung klar werden können. Für psychisch und finanziell belastete Familien sollen sie Entlastung bieten, indem sie wenigstens einen Teil der Betreuungs- und Erziehungsaufgaben übernehmen. Für die Gesellschaft sollen sie Kinder befähigen, in die ihnen zugedachten Aufgaben stückweise hineinzuwachsen, die sie umgebende Welt zu verstehen, sich in ihr zurechtzufinden, ihre Rolle anzunehmen und sich den ständigen Veränderungen anpassen zu können.
ErzieherInnen, kaum zwanzigjährig aus der Ausbildung kommend, fühlen sich diesen Aufgaben nicht gewachsen, möchten aus ihren Einrichtungen einen Hort der Geborgenheit und Abgeschlossenheit machen, in dem Kinder soziale Erfahrungen aller Art machen können, in dem sie auch nach besten Kräften gefördert werden. Schon die Zusammenarbeit mit den Eltern, oft älter oder anscheinend pädagogisch kompetenter und mit vielen Erwartungen an die Einrichtung behaftet, ist in vielen Kindertageseinrichtungen ein Reizthema.
Wie aber ist es möglich, trotz all dieser ungünstigen Voraussetzungen den Kindern Lernmöglichkeiten an die Hand zu geben, die ihnen die Familien nicht mehr bieten können?
4.1 Altersmischung
Da ist zunächst die Altersmischung der Kindergruppe. Selbstverständlich gibt es in den alten Bundesländern seit den siebziger Jahren keine altershomogenen Kindergruppen mehr. Die kleine Altersmischung, Kinder von 3 - 6 Jahren, ist die Regel, und den Kindern wird nur ab und zu bei besonderen Gelegenheiten die Möglichkeit geboten, auch in der Gruppe der Gleichaltrigen Erfahrungen zu machen. Die Vorschulkinder werden so in den meisten Kindergärten mit speziellen Angeboten für die Schule vorbereitet. Trotz der neuen Einschulungspraktiken werden wohl die meisten Kinder in der Schule altershomogen unterrichtet.
Wie schon festgestellt machen Kinder aber in der "kleinen" Altersmischung wertvolle Erfahrungen mit älteren und jüngeren Kindern nicht. Sie können sich in den Familien nicht mehr an größeren Geschwistern orientieren und von ihnen lernen, sie lernen nicht mehr sich mit kleineren Geschwistern auseinanderzusetzen, die Rolle der Großen, Gescheiten, Bewunderten, aber auch die Rolle des Beschützers, des Verzichts, des Verständigseins zu übernehmen.
Für das Selbstwertgefühl und das Sozialverhalten sind dies jedoch ganz bedeutende Elemente. Viele Einrichtungen überlegen sich deshalb, ob sie die so genannte "große" Altersmischung nicht übernehmen können. Dies hätte auch den Vorteil, Eltern für ihre Kleinkinder ab dem 1. Lebensjahr Plätze in der Kindertageseinrichtung anzubieten. Viele Eltern brauchen solche Plätze, und diese sind vor allem in kleinen Gemeinden Mangelware.
Das bedeutet aber, dass sich Erzieherinnen gleichzeitig mit verschiedenen Bedürfnissen und Entwicklungsstufen auseinandersetzen müssen und die erlernten Vorgehensweisen und Anforderungen nicht oder unter erschwerten Bedingungen umsetzen können. Dass Kinder sich gegenseitig erziehen, sozusagen viel von selbst läuft, ist nur in geringem Umfang zu spüren. Wenn jedes Kind seinen Begabungen und seinem Entwicklungsstand gemäß gefördert werden soll, ist dies nur in einer kleinen Kindergruppe möglich. Und die Gruppen werden immer größer, die Sparmaßnahmen und der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz führen zu immer volleren Gruppen, in denen eine Förderung der einzelnen Kinder immer schwieriger wird. Dazu kommt der geringe Personalschlüssel. Wenn dann noch eine Kollegin krank wird, so fühlen sich viele Erzieherinnen nur noch als "Bewacherinnen".
Die große Altersmischung in einer Einrichtung zu etablieren, benötigt also eine gute Vorplanung. Es muss klar sein:
- ob die Räumlichkeiten ausreichen, um Kindern auch Rückzugsmöglichkeiten zu bieten.
- wie die Gruppe sich zusammensetzen muss, dass auch Gleichaltrige zum Spielen zur Verfügung stehen.
- ob Kleinkinder mit aufgenommen werden können.
- wie das mit den Schulkindern und der damit verbundenen Hausaufgabenbetreuung organisiert werden kann.
- ob genügend Personal zur Verfügung steht und eine Vertretung im Krankheitsfall gewährleistet ist.
Dazu kommt dann noch die Verständigung auf die pädagogische Konzeption: Welche Altersgruppen benötigen welche Unterstützungsmaßnahmen, wo sollen die Kinder innerhalb der Gruppe ihre eigenen Erfahrungen machen und wie können wir solche begünstigen, wie werden die Bedürfnisse der Eltern mit einbezogen?
Die große Altersmischung wäre eine gute Antwort auf die immer wenigeren Geschwister in den Familien. Wenn die Einrichtung eine solche aber nur einführt, ohne sich über die Probleme im Klaren zu sein, die dadurch neu auftauchen können, so wird es für Kinder, Eltern und die Erzieherinnen schwierig werden. Sie müssen sich genau informieren, miteinander verschiedene Konzeptionen durchgehen, sich Einrichtungen ansehen, die nach diesem Konzept schon länger arbeiten und sich Unterstützungsmöglichkeiten durch Fachberatung und kompetente Pädagogen sichern. Wenn das Kindergartenteam und die Elternschaft dann immer noch der Meinung sind, dass die große Altersmischung für diese Einrichtung eine gute Sache ist, so ist die Umsetzung nicht von vornherein mit vielen Enttäuschungen verbunden. Kinder können dann in einem familienähnlichen Rahmen sich ihre Spielkameraden selbst aussuchen, ihre sozialen Kompetenzen erweitern und ausprobieren, sich selbst als groß und klein fühlen können, "bemuttert" werden und andere anleiten können.
4.2 Flexiblere Öffnungszeiten etablieren
Dem Wunsch vieler Frauen ins Berufsleben zurückzukehren, sobald ihre Kinder stundenweise außer Haus sind, kommen die meisten Einrichtungen heute mit flexibleren Öffnungszeiten entgegen. Auffallend ist, dass kirchliche Träger weniger Ganztagsplätze bieten, die Altersmischung nicht auch auf die Krippenkinder ausdehnt, kaum Hortplätze für Schulkinder anbietet. Sicherlich hängt das mit dem Festhalten an einer Familiennorm zusammen, die den heutigen Familiensituationen nicht mehr gerecht wird. Nicht jede Frau will freiwillig in den Beruf zurückkehren, oft erfordert die Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit des Mannes dies geradezu. Alleinerziehende haben sowieso keine Wahl. Das Kindergartenangebot muss flexibler werden. Es muss die abschottende Wirkung von institutionellen Regelungen überwinden.
Dazu gehört auch die zeitlich Komponente. Nur wenn die Kinder in der Arbeitszeit von Voll- und Teilzeitbeschäftigten, auch Schichtarbeitenden, untergebracht sind, haben Eltern die Möglichkeit zur Berufstätigkeit und können sich flexibel am Arbeitsmarkt orientieren. Lange Fahrzeiten sind oft nötig, um eine entferntere Arbeitsstelle zu erreichen, verlängerte Ladenöffnungszeiten verlangen nach flexiblen Arbeitszeiten.
In jeder Gemeinde müssen mehrere Modelle zur Auswahl stehen, die den Eltern die für ihre Bedürfnisse notwendigen Öffnungszeiten bieten. Nicht jede Einrichtung kann alle befriedigen. Dennoch muss die wohnortnahe Betreuung der Kinder gesichert sein. In einer größeren Einrichtung können so verschiedene Betreuungszeiten angeboten, in kleineren Gemeinden Einrichtungen mit zwei unterschiedlichen Zeitenregelungen etabliert werden. Eltern und Erzieherinnen müssen sich darauf verständigen, welche Bedürfnisse die Einrichtung abdecken kann. Der Träger muss diese Bedürfnisse durch die Bereitstellung von Räumen, Personal und Mittel unterstützen.
4.3 Erwachsene unterschiedlichen Geschlechts kennen lernen
Viele Kinder wachsen heute nur mit einem Elternteil auf. Sie kennen zwar meistens den anderen Elternteil, leben aber mit diesem nicht den Alltag. Selbst in intakten Familien sind die Väter oft gerade in der Kleinkindphase ihrer Kinder so sehr mit ihrem Berufseinstieg und der Karriere beschäftigt, dass sie für ihre Kinder viel zu wenig Zeit erübrigen können. Die Wohnung muss eingerichtet, das Haus gebaut, die Zukunft gesichert werden.
Kinder sind in der Kindergartenzeit meist von Frauen umgeben: Mütter zu Hause, Erzieherinnen im Kindergarten, Nachbarinnen und Freundinnen der Mutter bei Abwesenheit derselben, Omas, die zu Besuch kommen oder die man selbst besucht. Für alle Kinder ist dieser Mangel an "männlichen" Personen in der Kleinkindphase bedeutsam. Mädchen und Jungen können nicht erfahren, dass Männer sich im Haushalt gleichberechtigt betätigen, und werden so eine konservative Frauen- und Männerrolle verinnerlichen. Männer werden als außenorientiert, wichtig und "besonders" erlebt, Frauen als stets präsent, für den Alltag zuständig und als weniger beachtet erfahren.
Dies wirkt sich auf das Selbstbild von Jungen und Mädchen aus. Jungen müssen sich an männlichen Personen orientieren können, um ihre Geschlechtsidentität zu festigen. In der Gleichaltrigengruppe werden daher die Anführer zu Vorbildern, die großen Jungs werden nachgeahmt, die erwachsenen Männer können nur in Form von Fernsehfiguren nachgelebt werden. Dass dieses Männerbild, das so bei Jungen entsteht, nicht der heutigen Wirklichkeit entspricht, ist ein Problem. Sie haben keine oder nur eingeschränkte Orientierungsmöglichkeiten an erwachsenen Männern. Frauen können diese fehlenden männlichen Bezugspersonen nicht ersetzen. Sie müssen dafür Sorge tragen, wenn es schon die Männer selbst nicht tun, dass Kinder männliche Personen in ihrem Alltag erleben.
In vielen jungen Familien ist es heute eine Selbstverständlichkeit geworden, dass Vater und Mutter sich alle Aufgaben teilen. Väter versuchen, möglichst viel in der Familie präsent zu sein, sie stellen sogar Karrierewünsche zugunsten der Familie zurück. Es gibt aber auch die Väter, die sich für die Kleinkinderziehung noch nicht zuständig fühlen, die Kindererziehung lieber den dafür "geeigneteren" Frauen überlassen und sich ihren Kindern gegenüber gefühlsmäßig abschotten.
Bei Alleinerziehenden leben meistens die Mütter mit den Kindern in einem Haushalt. Alleinerziehende Väter haben den Vorteil, dass ihre Kinder wenigstens im Kindergarten "Mutterpersonen" erleben und sich so ein Bild von der "Frau" machen können. In Scheidungsfamilien, in der durch Wiederverheiratung eine neue Familie gebildet wurde, sind die Väter oft besonders darauf bedacht, den Kindern als wirkliche Partner zur Verfügung zu stehen. Kinder haben so in ihren Stiefvätern oft die besseren Vor-Bilder.
Wie können wir aber Männer in die Arbeit der Tagesstätte einbeziehen? Viele Väter sind bereit, sich auch am Leben der Tagesstätte zu beteiligen, sie opfern einen Urlaubstag, machen sich mit ihren handwerklichen Kompetenzen dort nützlich oder schließen sich mit anderen Vätern zu "Väterstammtischen" zusammen. Über einen männlichen Elternbeirat kann der Wunsch nach mehr Männerpräsenz von den ErzieherInnen an die Väter herangetragen werden.
Im Gemeinwesen finden sich viele männliche Personen, die den Kindern bekannt sind. Dass sie deren Alltag erfahren, dafür können wir in der Kindertagesstätte oder im Kindergarten sorgen. Kinder schauen den im Kindergarten tätigen Handwerkern gerne zu. Sie sprechen mit ihnen und fragen sie über alles Mögliche. Wir können diese Leute bitten, auch einmal eine Stunde länger zu bleiben oder den Kindern zu erklären, was sie hier arbeiten. Wichtig ist es vor allem, dass Kinder von Männern erfahren können, was sie denken, was sie für Wünsche und Vorstellungen haben, was sie gerne tun möchten, wie sie sich als Junge gefühlt haben und wie sie die Kindergartenzeit erlebten.
Kinder erleben selten, dass Männer über ihre Gefühle und geheimen Wünschen sprechen. Wenn Männer im Kindergartenalltag mit den Kindern spielen und werkeln, so öffnen sie sich eher, sie erzählen von ihrem Berufsalltag, aus ihrer Kindergartenzeit, von ihrer Familie. Kinder können erleben, dass Männer negative und positive Erlebnisse haben, dass sie verletzliche Menschen sind und so gar nicht den Fernsehhelden gleichen. Sie können Vertrauen entwickeln und sich akzeptiert fühlen.
Wenn es mit der "Väterarbeit" schwierig ist, so können stattdessen auch Großväter oder junge Männer aus der Nachbarschaft in den Alltag einbezogen werden. Kinder müssen männliche und weibliche Ausprägungen von Kindern und Erwachsenen erleben, um sich darüber klar zu werden, welche Eigenschaften und Fähigkeiten ihnen selbst entsprechen und wie sie später einmal leben möchten. Ängste von Erzieherinnen müssen abgebaut, Bedenken, dass die Arbeit dadurch schwieriger wird, zerstreut und in der Konzeption darauf Rücksicht genommen werden. Kinder müssen Gelegenheiten erhalten, Männer und Frauen unterschiedlichen Couleurs im Alltag zu erleben.
4.4 Einblicke in die Arbeitswelt gewähren
Kinder können heute nur selten darüber berichten, was ihre Eltern arbeiten. Der Beruf der Hausfrau ist den Kindern noch am nächsten, obwohl sie auch ihre im Haushalt arbeitenden Mütter nur als Versorgerin erleben. Sie werden selten in die Familienarbeit mit einbezogen. Außer Abtrocknen und Tischdecken wird ihnen wenig zugemutet und zugetraut. Kinder können aber eine Waschmaschine bedienen und bei vielen Arbeiten im Haus einbezogen werden. So erwerben sie auf spielerische Weise Fähigkeiten, was ihre Alltagskompetenzen erweitert und ihr Selbstbewusstsein stärkt.
Mütter erledigen die Hausarbeiten, während die Kinder in der Tageseinrichtung sind oder wenn die Kinder am Abend vor dem Fernseher sitzen. Die Welt der Erwachsenen wird so von den Kindern abgeschottet. Sie müssen keine Verantwortung mehr übernehmen, können aber auch die damit verbundenen Erfahrungen, dass sie selbst etwas bewirken können, nicht mehr machen. Der Zusammenarbeit mit den Eltern ist hier eine wichtige Rolle zugedacht.
Noch schwieriger ist es mit den Berufsfeldern, in denen Vater oder Mutter arbeiten. Kinder sind an den Arbeitsplätzen ihrer Eltern nicht erwünscht, können diese im Berufsleben nicht erleben, können sich kaum Vorstellungen machen, wie der Berufsalltag von Vater oder Mutter aussieht. Manchmal kennen sie den Ort der Berufstätigkeit, weil sie Vater oder Mutter dort abgeholt haben. An äußeren Dingen machen sie die Arbeit dann fest. Ein Arztsohn wusste von der Arbeit des Vaters nicht mehr zu sagen, als dass dieser in seinem weißen Arbeitskittel immer einen Kugelschreiber herumträgt. Dies hat den Jungen fasziniert. Über die wahre Tätigkeit konnte er, obwohl bereits 6-jährig und ein aufgeweckter Bursche, keine Angaben machen. Kinder aus Handwerkerfamilien haben noch eher Zugang zu der Berufstätigkeit der Eltern. Sie können diese vielleicht auch einmal "vor Ort" erleben.
Im Kindergarten haben wir die Möglichkeit, Handwerker bei ihrer Tätigkeit zu beobachten, in Handwerksbetrieben Besichtigungen durchzuführen, bei Projekten selbst Tätigkeiten auszuprobieren. Wie wird Holz oder Metall bearbeitet, wie kann man aus Steinen (Specksteinbearbeitung eignet sich für Kindergartenkinder besonders gut) Gegenstände herausarbeiten, wie wird Mörtel angemacht, um daraus eine Mauer im Kindergarten zu bauen? Viele dieser Tätigkeiten können im Kindergartenalltag ausprobiert werden. In Projekten können wir vielerlei Berufsgruppen einbeziehen und den Kindern so ein Bild der Handwerksberufe vermitteln.
Was tut aber die Mutter, der Vater, der am Computer arbeitet? Auch diese Erfahrungen können wir den Kindern in Form eines Computers bieten, den wir im Kindergarten aufstellen, um einzelnen Kindern oder Kindergruppen erste Einstiege in die Arbeit mit der neuen Technik zu bieten. An Technik heranzuführen ist eine notwendige pädagogische Forderung. Kinder im Computerzeitalter dürfen nicht erst in der zehnten Klasse mit der modernen Technik konfrontiert werden. Viele Kinder besitzen zu Hause bereits die Vorstufen solcher moderner Geräte, und wir müssen darauf achten, dass alle Kinder die Möglichkeiten haben, die sie umgebende Welt ein Stückweit kennen zu lernen. Wenn Erzieherinnen darüber klagen, dass sie nicht wissen, wie sie die "Schulkinder" im letzten Kindergartenjahr beschäftigen sollen, so sind handwerkliche Techniken und die Hinführung an elektrische Geräte und Kommunikationstechniken eine sinnvolle und für die Kinder herausfordernde Beschäftigungen.
Über Sachbücher, Gespräche und Besichtigungen können wir in viele Berufsfelder Einblicke gewähren. Die Eltern können uns dabei unterstützen, indem sie ihre Berufstätigkeiten vorstellen, uns Termine in ihren Betrieben verschaffen, die Kinder auch zu Hause mehr an ihrer Berufstätigkeit teilnehmen lassen, indem sie von ihren Tätigkeiten und den damit verbundenen Gefühlen sprechen. Kinder ernst nehmen heißt auch, sie teilhaben lassen an unserem Leben.
4.5 Fremde Welten kennen lernen
Große Faszination löst der Bericht aus anderen Ländern auf Kinder aus. Wer im Ausland war und von seinen Erlebnissen berichtet, wird in den Kindern erwartungsvolle Zuhörer finden. Bilderbücher aus fremden Ländern werden gerne angesehen. Auch Kinder kennen Fernweh und die Sehnsucht nach neuen Erfahrungen.
In den ausländischen Mitbürgern haben wir ein großes Potential an Wissen über deren Herkunftsländer. Wir können Mütter und Väter der ausländischen Kinder in unserer Einrichtung in unseren Alltag integrieren. Wenn es üblich ist, dass Eltern ganz zwanglos einmal einige Stunden in der Einrichtung verbringen, so können wir auch ausländische Eltern dazu ermuntern. Gerne werden sie ihre kulinarischen Genüsse den Kindern nahe bringen. Sie können den Kindern Bildern aus den Herkunftsländern zeigen, über ihre Verwandten und das Leben dort berichten und Gegenstände aus ihrer Heimat mitbringen. Über Sitten und Gebräuche anlässlich der Geburt, der Hochzeit und der Trauerfeiern können wir mit den Kindern zusammen verschiedene Kulturen kennen lernen und die Bedeutung unterschiedlicher Gewohnheiten erfahren. Bei Projekten, die wir mit allen Eltern und Kindern durchführen, können wir unterschiedliche Lebensräume in den verschiedenen Ländern darstellen. Wir können unsere Räume in verschiedene Länder verwandeln, die Kinder dürfen sich kleiden, wie es dort üblich ist, wir hängen Bilder der Landschaften auf, wir kochen und essen, wie es dort üblich ist, und wir feiern Feste nach landesüblicher Sitte.
Unsere ausländischen Mitbürger können als Experten uns dabei unterstützen; sie erleben, dass uns ihre Herkunft und Kultur nicht gleichgültig ist. Verständnis für andere Lebens- und Denkweisen und ein Zusammenwachsen innerhalb der Elternschaft könnte so die Folge sein. Freundschaften zwischen einzelnen Kindern und Eltern kämen zustande, und Sprachschwierigkeiten der ausländische Mitbürger würden kein unüberwindliches Hindernis mehr darstellen. Wir könnten mit den Kindern die wichtigsten Worte und Redewendungen verschiedener Sprachen erlernen und uns in unterschiedlichen Sprachen begrüßen oder verabschieden. Ein erster Schritt zu Fremdsprachenkenntnissen könnte bereits im Kindergarten spielerisch erworben werden. Lieder, Spiele, Bilderbücher in verschiedenen Sprachen würden Brücken zu anderen Welten bieten und den Bedürfnissen der Kinder nach Neuem und Unbekannten entgegenkommen.
Wenn Kinder mit ihren Eltern aus dem Urlaub kommen, so können wir durch Bilder und Erzählungen auch von Erfahrungen in den verschiedenen Gegenden und Bundesländern erfahren. Auch Auslandsaufenthalte von Kindergartenkindern sind ja keine Seltenheit. In unserer multikulturellen Gesellschaft könnten Kinder sich so als wissend und verständnisvoll empfinden und offen werden für die nahen und fernen Länder, aus denen die Menschen in unserem Land kommen.
4.6 Umgang mit dem Mangel
Eine besondere Herausforderung ist die Finanzknappheit unserer Kommunen, die sich direkt auf die Arbeit in den Einrichtungen auswirkt. Es können größere Anschaffungen nicht mehr gemacht werden, neue Bilderbücher werden nicht mehr angeschafft, große Ausflüge werden nicht mehr unterstützt.
Die Qualität unserer Arbeit hängt weitgehend aber nicht mit dem Wert der darin existierenden Spielsachen ab. Qualität ist vor allem eine soziale Komponente. Dennoch sind viele Dinge unverzichtbar, die man sich plötzlich nicht mehr leisten kann. Die Eltern sind durch höhere Elternbeiträge schon genug belastet. So müssen wir uns überlegen, wie wir die finanziellen Rahmenbedingungen verbessern können. Von Handwerkern bekommen wir Abfallholz zum Werken, Stoffreste und Wollreste können verarbeitet werden, Klebstoff und Farben können selbst hergestellt werden. Es gibt viele Techniken, die uns helfen, nicht nur alles fertig zu beziehen.
Naturwerkstoffe, die wir mit den Kindern sammeln oder von einem Sonntagsspaziergang mitbringen lassen, geben neue ungeahnte Spielmöglichkeiten ab. Wir können aus Lehm Steine herstellen und daraus Häuser für eine Spiellandschaft bauen. Aus Astholz stellen wir mit Eltern zusammen Fahrzeuge und Personen her, wir schmücken die Landschaft mit Naturmaterialien und Stoffen. Mit ein wenig Phantasie beflügeln wir die den Kindern eigene Kreativität. So wird aus dem Mangel eine wichtige Erfahrung. Kinder sind nicht mehr auf fertige Produkte aus dem Spielwarengeschäft angewiesen, ja, sie erleben sich als Gestalter. Sparen-Müssen wird nun zum Sparen-Können, Markenprodukte sind nicht mehr für das Selbstwertgefühl allein verantwortlich, wenn ein Kind zeigen kann, dass es aus "wertlosem" Material etwas Besonderes gestalten kann.
Die Versorgung der Kindergruppe mit den nötigen Lebensmitteln spielt eine immer wichtigere Rolle. Viele Kinder kommen ohne Vesper zu uns, weil der Kühlschrank daheim schon in der Mitte des Monats leer ist. Wir können dann dafür sorgen, dass immer Obst (aus den Gärten der Eltern und Großeltern von Kindern) für alle zur Verfügung steht. Wir backen miteinander aus wenigen Zutaten Brot und Brötchen zum Vesper und bereiten Brotaufstriche und Marmeladen selbst. Wenn wir viele Kinder aus "armen" Familien haben, müssen wir uns Gedanken machen, ob wir nicht ein gemeinsames Vesper wieder einführen oder wenigstens für alle das gleiche Vesper bereitstellen können. Sicher helfen uns dabei die örtlichen Bäcker und Metzger, auch die Lebensmittelgeschäfte geben uns vielleicht Waren ab, die kurz vor dem Verfallsdatum sind.
Eine Kleiderbörse, auf der Kleidungsstücke getauscht oder durch ein geringes Entgeld erworben werden können, hilft Eltern bei der Versorgung mit Kinderkleidung. Dankbar werden gebrauchte Kleidungsstücke auch von Eltern angenommen, die sich neue Kleidung leisten könnten, da Kinder so rasch aus allem herauswachsen und die Kleidungsstücke oft wie neu abgegeben werden können. Wenn alle Eltern mitmachen, muss sich auch kein Kind und kein Elternteil "schämen", sein Kind in gebrauchten Kleidungsstücken herumlaufen zu lassen. Der Erlös solcher Aktionen kann dann im Kindergarten wieder für andere Mangelsituationen verwendet werden, zum Beispiel um einen gemeinsamen Ausflug durchzuführen oder einen notwendigen Spielschrank kaufen zu können.
Mangelsituationen sind auch als Chancen zu sehen, der Konsumgesellschaft ein Schnippchen zu schlagen, indem man auf alte Techniken zurückgreift, Teilen übt und dort anfragt, wo Dinge überzählig sind oder weggeworfen würden. Kinder können so lernen, dass Mangel keine Schande ist und mit Phantasie und Eigeninitiative jeder das Notwendige erhält. Das stärkt den Gemeinschaftsgeist und das soziale Verhalten untereinander.
5. Strukturelle Veränderungen
Veränderte Lebensperspektiven von Familien, eine vielfältigere Ausprägung von Familienformen, Umweltbelastungen, eine komplexere Arbeitswelt und die Betreuung von Kindern in institutionalisierten, abgeschotteten Erziehungsräumen machen es notwendig, dass unsere bisherigen Einrichtungen umstrukturiert und neu überdacht werden müssen. Wenn wir uns an den Bedürfnissen von Kindern und deren Familien orientieren wollen, so können wir nicht nur in einem "Schonraum" von Kindheit arbeiten. Wir müssen unsere Einrichtungen nach außen öffnen, die Öffentlichkeit hereinbitten, uns selbst in unser Umfeld begeben.
5.1 Konzeption
Fast jede Einrichtung hat inzwischen ein Konzept ihrer Arbeit entwickelt. Die Erkenntnis, die institutionellen und pädagogischen Rahmenbedingungen und Ziele auch schriftlich niederzulegen, ist zur Notwendigkeit geworden. Eine Konzeption, einmal erarbeitet, erfasst aber nicht die ständig im Wandel befindlichen Familien- und Gesellschaftsstrukturen. Deshalb ist es notwendig, sich vor jedem neuen Kindergartenjahr Gedanken darüber zu machen, welche Rahmenbedingungen unsere Arbeit strukturieren, welche Zusammensetzung die Kindergruppe aufweist, welche Eltern wir begleiten und in ihrem Erziehungsauftrag unterstützen sollen. Auch die Mitwirkungsmöglichkeiten und -wünsche der Eltern werden unterschiedlich ausfallen, und wir müssen uns immer wieder mit neuen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Dazu kommt, dass das pädagogische Konzept sich an den Bedürfnissen der Kinder ausrichten soll. Auch die Zusammensetzung der Kindergruppe ändert sich mit jedem Kindergartenjahr. Einmal sind mehr jüngere Kinder in der Gruppe, ein andermal mehr ältere. Es gibt Jahre, in denen die Jungengruppe stark ist, andere Jahre, in denen unsere Arbeit sich vielfältig mit Mädcheninteressen auseinandersetzen muss.
Wenn wir unsere Einrichtung ins Gemeinwesen öffnen wollen, so bedarf dies einer grundlegenden Neukonzeption. Wer soll alles in der Einrichtung mitwirken dürfen, welche Räume können wir außenstehenden Gruppen zur Verfügung stellen, wie können wir uns selbst ins Vereinswesen vor Ort "einklinken" oder welche Möglichkeiten sehen wir in der Öffentlichkeit in Form von Teilhabe an Festen, Mitwirkung in Altenkreisen, Zusammenarbeit mit der Grundschule? Für jede Form müssen Rahmenbedingungen geschaffen, muss ein pädagogisches Konzept erarbeitet werden. Viele dieser Aufgaben benötigen eine Unterstützung von außen. Dies beinhaltet, dass wir uns mit vielen Institutionen zusammensetzen müssen, Möglichkeiten der Zusammenarbeit prüfen sollen, Abgrenzungen überwinden lernen, Absprachen treffen. Wir brauchen aber auch Hilfestellungen von Fachberatung und Fachleuten, die uns bei der Konzepterstellung zur Seite stehen.
5.2 Zusammenarbeit mit Institutionen
Um uns für die Umstellung unserer Arbeit auf eine große Altersmischung oder auf die Integration von behinderten Kindern, eine neue Form der Elternmitarbeit, der Öffnung ins Gemeinwesen vorzubereiten, ist es notwendig, solche Konzepte kennen zu lernen. Am besten wäre es, wenn wir andere Einrichtungen besuchen würden, die solche Konzepte bereits längere Zeit erproben. Viele Probleme könnten so bereits erkannt und vermieden werden.
Es taugt jedoch nicht, das Konzept einer anderen Einrichtung einfach zu übernehmen. In unserer Tagesstätte sind andere Elternbedürfnisse vorhanden, andere Kinder benötigen das Eingehen auf ihre persönlichen Situationen, die Rahmenbedingungen - d. h. Räumlichkeiten, Personal und das Umfeld - unterscheiden sich, und deshalb muss für jede Einrichtung eine gesonderte Konzeption erarbeitet werden. Dabei können wir uns mit den FachberaterInnen zusammensetzen und fachkundige Hilfe in Anspruch nehmen. FachberaterInnen haben mehr Überblick, sehen vielleicht auch die unterschiedlichen Probleme deutlicher, können uns bei Optimismus oder Pessimismus wieder "auf den Boden der Tatsachen" zurückholen.
Vielleicht die entscheidendste und wichtigste Zusammenarbeit ist die mit dem Träger der Einrichtung. Er muss die rechtlichen Rahmenbedingungen prüfen, vor allem was die Unfallvorschriften und die Aufsichtspflicht anlangt, muss genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen oder kann uns behilflich sein, wenn Kontakte zu Vereinen, Kirchengemeinde oder Schule geknüpft werden sollen. Unser Konzept muss von ihm vor der Öffentlichkeit vertreten werden können. Das bedeutet, dass wir uns mit neuen Steuerungsmodellen auseinandersetzen müssen, eine Budgetierung mit dem Träger vereinbaren, eine auch finanziell eingreifende Umstrukturierung mittragen können. Solche Kompetenzen müssen wir uns durch Fortbildungsmaßnahmen erwerben. Viele Institutionen bieten Fortbildungsmaßnahmen an, die uns auf die neuen Anforderungen vorbereiten. Welche Institution die für uns notwendige Fortbildung anbietet, das müssen wir prüfen. Im Team können wir dann entscheiden, wer sich für welche Aufgaben interessiert, wer welche Kompetenzen erwirbt und in die gemeinsame Arbeit einbringt. Ein Team von Fachfrauen wird immer nötiger, weil nicht jede sich mit allen Neuerungen auseinandersetzen kann.
Für die Öffnung ins Gemeinwesen ist es notwendig, dass wir selbst uns sicher sind, was die Beweggründe für diese Öffnung darstellt und wie wir diese auch über Schwierigkeiten hinweg durchhalten können. Wir müssen uns der Unterstützung durch den Träger versichern können und wissen, an wen wir uns wenden können, wenn wir vor Problemen stehen, die wir selbst nicht zu lösen imstande sind. Eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern ist in jedem Fall die beste Voraussetzung für das Gelingen unseres Vorhabens. In ihnen haben wir einen guten Rückhalt, da den Eltern das Wohl ihres Kindes immer besonders am Herzen liegt. Eltern können uns auch unterstützen, wenn es darum geht, Kontakte zur Arbeitswelt oder zu Vereinen zu knüpfen. Sie können mitwirken, wenn wir Feste vorbereiten, können unser Vorhaben beim Träger unterstützen, werden unser pädagogisches Konzept mittragen, wenn wir sie an unserem Vorhaben beteiligen.
5.3 Fortschreibung des pädagogischen Konzepts
Die meisten Einrichtungen arbeiten "situationsorientiert". Was auch immer darunter verstanden wird, es wird zwar von der Situation der Kinder ausgegangen, aber meistens werden die Bezüge in die Umwelt außen vor gelassen. Wenn wir uns nun für eine größere Altersmischung entscheiden, so ist es wichtig, diese Entscheidung begründen zu können. Wollen wir familienähnlichere Strukturen schaffen, wollen wir für die Kinder Spielpartner unterschiedlicher Altersstufen, möchten wir das Lernen durch die Anregung von größeren Kindern unterstützen oder wollen wir das Verantwortungsbewusstsein den kleineren Kindern gegenüber stärken. Es gibt verschiedene Motive, weshalb wir die große oder kleine Altersmischung bevorzugen. Dies muss in der pädagogischen Begründung klar zum Ausdruck kommen.
Ebenso ist es mit der Integration von behinderten Kindern. Es kann uns daran gelegen sein, ein Zeichen gegen Aussonderung zu setzen, es kann aber auch bedeuten, dass wir den nichtbehinderten Kindern die soziale Verpflichtung für Andersartigkeit und Hilfsbedürftigkeit nahe bringen wollen. Unter Umständen wollen wir auch Eltern in ihrer Notlage eine Perspektive bieten.
Warum wollen wir unsere Arbeit nicht abgeschottet und behütet in unseren Einrichtungen vollziehen? Können wir die notwendigen Unterstützungsmaßnahmen dort nicht auch verwirklichen? Eine stärkere Einbindung der Eltern könnte doch auch schon zu einer teilweisen Öffnung führen. Wie weit es uns möglich ist und welche Motive dahinterstehen, uns in die Öffentlichkeit zu wagen oder diese in unser Haus hereinzuholen, dies müssen wir pädagogisch begründen. Wollen wir Kindern Kontakte zu Menschen verschiedener Altersstufen ermöglichen, sie mit verschiedenen Lebensformen und Lebensentwürfen konfrontieren, wollen wir ihnen männliche und weibliche Personen als Gesprächs- und Spielpartner zur Verfügung stellen? Oder möchten wir diese Öffnung, um unsere Arbeit als wichtige Arbeit vor der Öffentlichkeit darzustellen und der Öffentlichkeit die Verantwortung für die nachwachsende Generation wieder neu ins Bewusstsein bringen? Es könnte auch sein, dass wir die komplexe Arbeitswelt für die Kinder durchsichtiger machen wollen und deshalb eine größere Öffnung nach außen anstreben. Aber auch die Unterstützung für Alleinerziehende könnte uns dazu motivieren, ältere MitbürgerInnen auf unseren Auftrag aufmerksam zu machen und Alleinerziehende mit Patenomas und Patenopas zu versorgen.
Mütter, die den ganzen Tag zu Hause sind, wollen wir Kontakte untereinander vermitteln, wir holen Fortbildungsangebote für diese Gruppe ins Haus, richten Miniclubs ein und etablieren ein Tagescafe für unterschiedliche Personengruppen, die in unser Haus kommen können. Dies hat andere pädagogische Hintergründe als wenn wir für jüngere Schulkinder einen Tischtennis- oder Computerraum zur Verfügung stellen.
Wollen wir uns am Leben der Vereine beteiligen? Auch dies könnte unterschiedliche Gründe haben. Entweder möchten wir den Kindern dadurch zusätzliche Angebote machen oder wir möchten die für uns wichtige Arbeit einzelner Gruppen unterstützen, indem wir Kinder und Familien auf diese hinweisen.
Die Zusammenarbeit mit der Grundschule zu intensivieren wäre eine wichtige Aufgabe. Aber auch da ist die Motivation unterschiedlich. Es kann sein, dass wir den Kindern bessere Startchancen für die Schule mitgeben wollen, es ist aber auch möglich, dass wir zusammen mit LehrerInnen vielerlei Lernformen für Kinder bedenken wollen und soziale Kontakte zwischen Schulen und Kindertageseinrichtungen verbessern möchten, um Eltern und Kindern den Übergang zwischen den Institutionen in einer entspannten Atmosphäre zu ermöglichen.
Kinder wachsen in einer Umgebung auf, in der es auch um ökologische Belange geht. Welche Bedeutung der Standort einer Müllverbrennungsanlage für die Zukunft der Familien und ihrer Kinder hat, welche Entwicklungen sich durch die Zersiedelung des Lebensraumes anbahnen, was die bäuerliche Umwelt für Aufgaben für die Gemeinschaft übernimmt und warum sich Förster für Tiere und Pflanzen des Waldes einsetzen, dies alles können wir pädagogisch hinterfragen und entsprechend begründen. Die Gestaltung einer kindgerechten und lebenswürdigen Umwelt für unsere Kinder kann durch unser pädagogisches Konzept schon frühzeitig von den Kindern mitgetragen und mit deren Eltern auch politisch unterstützt werden. Eine Verkehrsplanung, die die Kinder berücksichtigt und ihnen hilft, sich im Straßenverkehr richtig zu verhalten, ist vor allem für Kinder in Ballungsräumen unersetzlich.
Es gibt also eine Vielzahl von Gründen, weshalb eine Öffnung ins Gemeinwesen vorgenommen wird. Wenn wir eine solche nur durchführen, weil sie gerade "modern" ist, so werden unsere Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg haben. Ein bisschen Waldspaziergang, ein wenig Verkehrserziehung, Singen beim Altennachmittag, die Besichtigung der Post oder der Besuch beim Bäcker, dies alles kann nicht als Öffnung ins Gemeinwesen deklariert werden. Die Kindertageseinrichtung kann sich dennoch abschotten, die Bildungsinhalte weiterhin in die Einrichtung verlegen, keine echten sozialen Beziehungen nach außen schaffen.
Weniger ist oft mehr. Wenn wir zunächst nur einzelne Möglichkeiten ins Auge fassen, diese aber pädagogisch gut begründen können, ist dies besser, als viele Ansätze auszuprobieren, um sich dann vielleicht wieder vollständig zurückzuziehen, weil sich die Arbeit als zu schwierig und zu anstrengend erweist. Die Situation unserer Kinder, die Einbindung der Einrichtung in den Stadtteil, dies macht auch unterschiedliche Öffnungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten nötig. Unsere pädagogischen Begründungen müssen sich auf die Situation der Kinder und ihrer Familien in diesem speziellen Lebensraum beziehen.
5.4 Reflexion
Kein neues Konzept ohne Überprüfung. Eine kontinuierliche Reflexion unserer Arbeit hilft uns zu überprüfen, ob die Zielsetzungen gelingen können, ob eine Veränderung möglich ist, ob wir Hilfe bei der Umsetzung benötigen. Immer wieder müssen wir stille halten, die einzelnen Maßnahmen und pädagogischen Begründungen hinterfragen und selbstkritisch unsere Rolle bedenken. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass unser Team diese Aufgaben alleine nicht meistern kann, so müssen wir uns Unterstützung holen - dies kann z.B. in Form von Elternmitwirkung sein. Es ist auch möglich, dass wir von unserem Träger Räume oder zusätzliches Personal anfordern müssen, uns finanzielle Mittel von Geschäften oder aus Basarerlösen verschaffen können, eine Arbeit wieder an die Vereine delegieren.
Auch hier gilt, dass weniger oft mehr ist. Was wir nicht leisten können, müssen wir abgeben oder lassen. Experimente nützen unseren Kindern und unserer Einrichtung nichts und belasten das Team unter Umständen zu sehr. Wenn uns die Öffentlichkeit und der Träger nicht unterstützen, so können wir eben nur in dem begrenzten Rahmen unserer Möglichkeiten arbeiten. Es ist keine Schande, wenn wir manche gute Konzeptionen wieder zurücknehmen müssen, weil wir sie ohne entsprechende Unterstützung nicht leisten können.
Die Arbeit unserer Einrichtungen ist eine öffentliche Aufgabe. Wir müssen also dort, wo wir überfordert sind, dies der Öffentlichkeit mitteilen, unsere pädagogischen Zielsetzungen vertreten und die Mitwirkung der Gemeinden und des Trägers anfordern. Auch dies ist ein Schritt über die Abgeschlossenheit der Einrichtungen hinaus. Vielfach geschieht die Arbeit in den Kindertageseinrichtungen im Verborgenen. Es ist unsere Aufgabe, diese wieder zu einer öffentlichen Aufgabe zu machen, in der wir einen Teil leisten können, den anderen aber an die Öffentlichkeit delegieren.
5.5 Eigenes Profil
Nicht jede Einrichtung ist gleich, nicht jede Einrichtungen hat die gleichen Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit und der Öffnung nach außen. Noch sind in den Kindergärten die Plätze rar, jede Mutter und jeder Vater ist froh, wenn sie für ihr Kind eine möglichst wohnortnahe Betreuungsmöglichkeit finden. Dies wird sich aber in Zukunft ändern. Je weniger Kinder geboren werden, desto weniger Kindergärten werden benötigt. Kindergartengruppen werden geschlossen werden, ganze Einrichtungen werden zur "Verhandlung" stehen. In den neuen Bundesländern hat sich dies schon vollzogen, in den alten Bundesländern wird sich in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts Ähnliches ereignen.
Kinder und ihre Eltern werden eine Minderheit in der Gesellschaft darstellen. Die Zeiten der Kindererziehung werden durch weniger Kinder in den Familien immer kürzer, es wird nur noch eine Übergangszeit sein, in der Kindereinrichtungen benötigt werden. Und obwohl Kinder eine kleine Minderheit darstellen werden, werden sie immer wichtiger. Wer wird die Zukunft gestalten, wenn nicht die nachwachsende Generation! Sind wir auf dem Weg, eine aussterbende Nation zu werden? Hoffentlich nicht. Vielleicht wird der Wert, den die Familie und die Kindererziehung besitzt, eines Tages wieder höher eingeschätzt und von staatlichen Maßnahmen unterstützt. Auf jeden Fall müssen wir uns in den nächsten Jahren darum bemühen, unseren Einrichtungen gute, eigene Konzepte zu geben, Konzepte, die für die Eltern wichtig und notwendig sind, die von ihnen unterstützt werden können und sie dazu veranlasst, ihre Kinder gerade in unsere Einrichtung zu geben.
Die Öffnung ins Gemeinwesen ist eine gute Möglichkeit, unsere Kindergärten entsprechend umzustrukturieren, ihnen ein eigenes Profil zu geben. Aus Kindergärten können Kinderhäuser werden, in denen Kinder über längere Zeit hinweg Betreuungsmöglichkeiten und Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Sie können für Kinder von 1 - 14 Jahren konzipiert werden, auch schrittweise. Kindergärten können in Gemeindezentren eingegliedert werden, in denen viele Gruppen ein- und ausgehen.
Unterschiedliche Zielsetzungen können unterschiedlichen Interessen gerecht werden. Benötigen Eltern längere oder kürzere Öffnungszeiten, brauchen sie selbst Unterstützung in Form von Beratungsangeboten oder Elterntreffen, möchten sie eine christlich geprägte Erziehung oder ist ihnen an einem ökologischen Konzept gelegen? Unser Team entscheidet zusammen mit dem Träger, welche Möglichkeiten wir gerade in unserer Einrichtung ins Auge fassen können.
Kindergärten als Nachbarschaftszentren, als Begegnungsstätten vieler Gruppen werden wohl die zukünftige Form sein, in denen unsere Einrichtungen "überleben" können. Es werden dort Menschen unterschiedlicher Professionen und Ehrenamtliche miteinander arbeiten und unterschiedliche Angebote für die Menschen im Stadtteil anbieten. Für die Anpassung an solche Weiterentwicklung müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, Rechts- und Verwaltungsvorschriften geändert und auf der politischen Ebene Zukunftsinvestitionen entwickelt werden. Da aber Kinder in unserer Gesellschaft immer mehr zur Minderheit werden, ist es fraglich, ob wir diese Rahmenbedingungen für unsere Arbeit bekommen.
Je besser wir auf die zukünftigen Aufgaben vorbereitet sind, je mehr wir uns kundig machen, uns durch Fortbildungen schulen lassen, uns unserer pädagogischen Zielsetzungen sicher sind, desto eher können wir die uns wichtigen Aufgaben vertreten und die dafür nötigen Bedingungen einfordern. Sicher wird dies kein leichter Weg sein. So müssen wir uns Verbündete aus Politik, der Elternschaft, den Trägern und der im pädagogischen Bereich Tätigen machen, um mit ihnen zusammen weiterhin eine gute Arbeit für die Unterstützung der Familien und für das gelingende Aufwachsen von Kindern leisten zu können.
Literatur
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E&W 10/97 (Erziehung und Wissenschaft, Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW), S. 6-17 (zur Armut von Kindern in Deutschland)
Gernert, Wolfgang (Hg.): Über die Rechte des Kindes, Boorberg, Stuttgart- München-Berlin 1992
Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden Württemberg: Familie heute - ausgewählte Aufsätze, Stuttgart 1994
Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst Baden Württemberg: Bericht über die Situation der Kinder in Baden-Württemberg, Stuttgart 1995
Tietze, W./Roßbach, H.-G.: Erfahrungsfelder in der frühen Kindheit 1993
Wallner, Ernst M./Pohler-Funke Margret: Soziologie der Kindheit, Quelle & Meyer, Heidelberg 1978
Zinnecker, Jürgen/Silbereisen, Rainer K.: Kindheit in Deutschland, Juventa, München 1996