Globale Krisen und die Pädagogik in Kindertageseinrichtungen

Freya Pausewang

In diesem Artikel geht es nicht darum, ob und wie die Arbeits- und Lebensbedingungen in Tageseinrichtungen durch die heutigen Krisen betroffen werden, sondern es geht um die Frage, ob die Krisen die Pädagogik und speziell die Frühpädagogik beeinflussen, ob sie zu neuen Bildungszielen und verändertem pädagogischem Vorgehen auffordern.

Gleich die zusammenfassende Antwort voraus: Ja, die Krisen fordern zu bewusster Pädagogik auf, denn sie verlangen von den Menschen - vor allem in den Industrieländern - einen Sinnes- und Lebensstilwandel. Das Leben wie bisher ist so nicht fortsetzbar. Der Planet hat weder die dafür notwendigen Ressourcen, noch kann er die zunehmenden giftigen Emissionen verarbeiten. Allem voran macht uns das die Klimaerwärmung mit ihren fatalen Folgen - vorrangig für die Menschen in der südlichen Erdhälfte - deutlich (obwohl die Industrieländer die wesentlichen Verursacher sind!).

Die Basis für den Persönlichkeitsaufbau und für die Entwicklung von Werthaltungen wird in der frühen Kindheit gelegt. Kindergartenpädagogik muss deshalb darüber nachdenken, ob und wie sie Kinder anregen und stärken kann, damit diese als Erwachsene die zu erwartenden Hürden und notwendigen Lebensstiländerungen annehmen, optimal bewältigen und mittragen können. Natürlich betrifft eine zukunftsorientierte Frühpädagogik nicht nur Tageseinrichtungen, sondern auch die Familien. Tageseinrichtungen haben durch das Zusammenleben der gleich- und ähnlichaltrigen Kinder aber einen zusätzlichen und eigenständigen Zugang.

Frühe Kindheit: Basisbildung für den Persönlichkeitsaufbau

Kinder sind von Geburt an äußerst lernfähig. Mit großer Wissbegierde nehmen sie die Welt wahr und versuchen mit hoher Motivation an der Welt, wie sie sie erfahren, gestaltend teilzunehmen. Dabei erproben und erweitern sie ihre Fähigkeiten.

Die frühe Kindheit ist zudem eine wichtige Lernzeit für den Aufbau einer starken Persönlichkeit. In emotional sicheren Beziehungen und in anregendem Lernumfeld entwickeln sich Selbstsicherheit, psychische Belastbarkeit sowie wichtige Lebenseinstellungen und Grundhaltungen, etwa Wissbegierde, Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft, Zielstrebigkeit, Durchhaltekraft, soziale Motivationen und Risikobereitschaft. Zahlreiche Fähigkeiten, die für die Bewältigung von Hürden und Hindernissen im Erwachsenenalter von Bedeutung sind, haben ihre Wurzeln in der frühen Kindheit. Im Schulalter sind viele Weichen für den Persönlichkeitsaufbau bereits gestellt. Und die pädagogischen Einflussmöglichkeiten werden mit zunehmendem Alter schwächer.

Bildungsziel I: Basisbildung für globale Gemeinschaftsfähigkeit

Das Ziel von Erziehung und Bildung ist es, die Entwicklung des jungen Menschen zu einer "eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit" zu fördern (§ 1 SGB VIII [Sozialgesetzbuch Achtes Buch 2007]). Dieses Erziehungsziel hat sich in den letzten Jahrzehnten erweitert. Es reicht nicht mehr aus, "eigenverantwortlich und gemeinschaftsfähig" auf direkte Lebensgemeinschaften oder auch auf nationale Grenzen zu beziehen. Das Leben und Handeln, d.h. die Gemeinschaftsfähigkeit des Menschen und seine Verantwortlichkeit, müssen globale Dimensionen annehmen.

Ein Kindergartenkind kann natürlich noch nicht global denken. Seine Gemeinschaftsfähigkeit bezieht sich auf die direkte Lebensgemeinschaft, in der es lebt: die Familie, die Kindergartengruppe bzw. Teile dieser Gruppe, vielleicht Verwandtschaft und Nachbarschaft. Trotzdem bietet die Frühpädagogik Ansätze für die Entwicklung von global-solidarischem Denken und Handeln.

Soziale Weichenstellung in der Tageseinrichtung

Für viele Kinder bietet die Tageseinrichtung das erste regelmäßige Zusammenleben mit gleichberechtigten Gruppenmitgliedern. Hier werden Weichen für soziales Verhalten gestellt. Das Kind erlebt die Gleichberechtigung in der Gruppe, es lernt das Teilen und Helfen, es erfährt Gerechtigkeit und den Ausgleich von Nehmen und Geben. Zugleich erlebt es, dass eine Gruppe in ihrer Vielfalt das Leben bereichert und dass sich durch die Gruppe die Welt in neuen Dimensionen öffnet. Das Kind erkennt zudem, dass die Gruppe Regeln braucht und dass die Versorgung der Gruppe von unterschiedlichen Funktionsträgern übernommen wird: von Erzieher/innen, hauswirtschaftlichem Personal, dem Hausmeister, Handwerkern und auch vom eigenen Beitrag. Das Kind lernt sich einzubringen, gemeinsam zu planen und zu verantworten. Es wird dazu angehalten, kein Kind aus der Gruppe auszugrenzen.

Blick über den Tellerrand der direkten Lebensgemeinschaft

Im Gemeinwesen - dem Ort oder dem Stadtteil - erlebt das Kind die größere Gemeinschaft. Kinder im Kindergartenalter beobachten wissbegierig, was in ihrer Umwelt passiert. Jeder Weg durch das Gemeinwesen macht neugierig und weckt Interesse: eine Baustelle, Arbeiter auf einem Lastwagen, die Müllabfuhr, die Straßenpflege, der Postbote, die Polizei, der Krankenwagen... Wenn Kinder im Alter von fünf, sechs Jahren soziale Aufgaben im Gemeinwesen erkennen und hinterfragen konnten, haben sie die Chance, offener für das soziale Miteinander zu werden als ihre Altersgenossen, die solche Gelegenheiten nicht hatten. Eine zusätzliche Wachheit wird bei Kindern geweckt, wenn sie dabei selbst aktiv werden können, etwa

  • eine Polizeistation besuchen, die Feuerwehr, ein Krankenhaus; dabei eine kleine Handlung ausführen und Fragen stellen.
  • ein Fest oder einen Gottesdienst für den Ort oder Stadtteil mitgestalten.
  • einem Bauern bei der Ernte oder in einer Obstplantage eine kurze Zeit helfen.
  • einen öffentlichen Spielplatz mit Eimern und Zangen von der Gemeindeverwaltung reinigen.
  • beim Bäcker ein eigenes Brötchen backen.
  • selbst hergestellte Dinge verkaufen (Marmelade, Pflanzenableger, Kuchen, Plätzchen, Getränkemix für einen Elternabend) und den Erlös einer Einrichtung in Not in einem armen Land senden.

Die Vielfalt von Kulturen wahrnehmen und schätzen

So gut wie jede sozialpädagogische Einrichtung hat einen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund. Das Zusammenleben mit Kindern aus Migrantenfamilien bietet den Kindern eine reale Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen. Die Kinder erfahren Bräuche, Feste, religiöse Riten, fremde Sprachen und ungewohnte Lebensformen. Wenn die Erzieher/innen den Kindern aus Migrantenfamilien mit Wertschätzung begegnen und die kulturelle Vielfalt als Bereicherung des Gruppenlebens wahrnehmen und unterstützen, tragen sie dazu bei, dass die Gruppenmitglieder ebenfalls eine wertschätzende Haltung annehmen. Dabei kann zu kosmopolitischem, d.h. weltbürgerlichem Denken und Handeln angeregt werden.

Kinder mit Migrationshintergrund, die in ihrer Familie die heimatliche Kultur leben und die Sprache ihres Ursprungslandes sprechen, haben in der Tageseinrichtung eine hohe Lernleistung zu vollbringen: Sie müssen sich in einer fremdartigen Welt zurechtfinden, eine neue Sprache lernen und sich an zwei unterschiedliche Werthaltungen gewöhnen. Ein türkischer Junge etwa hat aus Sicht der familiären Kultur seine Schwester zu beschützen und zu betreuen, in der Einrichtung wird von ihm erwartet, sie als gleichwertig und selbstbestimmend anzuerkennen und sich zurückzuhalten. Das ist eine schwierige Gratwanderung für ein Kind. Aber Kinder, die anerkannt werden und sich sicher fühlen, sind in der Lage, sich in so unterschiedlichen Welten zurechtzufinden. Voraussetzung ist, dass die Erzieherin ihnen Wertschätzung und Geduld entgegen bringt. Die Gruppenmitglieder werden eine entsprechend vorgelebte Haltung übernehmen, wenn die Eltern nicht zu stark dagegen wirken.

Wenn die entstehenden Konflikte in kulturell gemischten Gruppen nicht eskalieren, kann die kulturelle Vielfalt in der frühen Kindheit den sozialen Radius und das soziale Denken und Handeln erweitern, kann Toleranz fördern, gegenseitige Wertschätzung erhöhen und die Basis für späteres solidarisches Empfinden und vielleicht auch für solidarisch geprägte politische Beteiligung legen.

Bildungsziel II: Basisbildung für ökologische Verantwortlichkeit

Schädliche Verhaltensweisen im Zusammenhang mit ökologischer Verantwortlichkeit der Menschen (vorrangig in den Industrieländern) führen vor allem zu folgenden Krisen:

  • Der Verbrauch von erneuerbaren Naturressourcen und die Emissionen übersteigen die Möglichkeiten der Erde zu regenerieren. Lebensnotwendige Ressourcen werden dadurch reduziert, etwa Fruchtbarkeit von Böden, Vielfalt von Pflanzen und Tieren, jahrhundertealte Regenwälder. Luft, Wasser und Boden werden vergiftet. Das Klima verändert sich. Dadurch werden Prozesse ausgelöst, die die Bewohnbarkeit der Erde schädigend beeinträchtigen.
  • Viele der begrenzten mineralischen Ressourcen der Erde werden schneller verbraucht als Alternativen gefunden werden können. Um verbleibende Restbestände entstehen Machtkämpfe und Kriege. Ökologisch gefahrvolle Ausbeutungsmethoden führen zu weiteren Umweltschäden.

Die Kultur mancher indianischer Völker in Lateinamerika zeichnet sich durch einen wertschätzenden und schonenden Umgang mit der Natur aus. Das macht bereits die Bezeichnung "Mutter Erde" deutlich. Der Begriff vermittelt, dass die Natur den Menschen versorgt; er weist aber auch auf die Abhängigkeit des Menschen von der Natur hin und seine Verantwortung ihr gegenüber. In dieser Grundhaltung hatte Evo Morales, der Präsident von Bolivien, die Kraft, sich beim Klimagipfel 2010 in Cancun gegen die Pläne aller anderen Staatsvertreter zu stellen und eine Begrenzung der Klimaerwärmung auf zwei Grad als zu hoch anzusehen. Leider konnte er die Staatsvertreter nicht umstimmen.

Heutige Kinder haben oft die Vorstellung, dass viele Ressourcen, etwa Wasser, Strom oder Papier, unendlich vorhanden seien oder nur vom Geld abhingen. Eine Basisbildung für ökologische Verantwortlichkeit schließt deshalb in erster Linie zwei Ziele ein:

  • den sparsamen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen und
  • einen wertschätzenden Umgang mit den Lebewesen in der Natur.

Ressourcensparsame Lebensführung

Wenn die Grundbedürfnisse des Menschen wie Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung, soziale Kontakte und ähnliches erfüllt sind, bedeutet der Überfluss von Konsum nur ein vorübergehendes Wohlgefühl. Es macht Kinder keineswegs unglücklich, wenn sie sich angewöhnen mit Dingen sparsam umzugehen, etwa den Wasserhahn möglichst schnell wieder zuzudrehen, sich mit kaltem Wasser die Hände zu waschen, die Rückseite eines bereits verwendeten Papiers zu benutzen oder einen benötigten Kreis am Rand des Blattes und nicht aus der Mitte auszuschneiden, sich beim Essen wenig zu nehmen und ggf. nachzuholen - und wachsam zu sein, wo immer Überfluss begrenzt werden kann.

Dagegen fällt es Erwachsenen, die an Überfluss gewöhnt sind, schwer, sich zurückzunehmen. Ressourcensparsame Lebensführung in einer Kindergartengruppe wird deshalb häufig von den Erzieher/innen Achtsamkeit und vielleicht auch Überwindung verlangen. So wird schnell mal vergessen, das Licht auszustellen oder die Heizung zuzudrehen, wenn die Gruppe nach draußen geht und die Türen zum Lüften geöffnet bleiben. Dass z.B. Kinder auch dann angehalten werden, mit Papier sparsam umzugehen, wenn das Papier als Abfall von einer Druckerei reichlich geschenkt wurde, ist oft schwer nachvollziehbar. Es wird schnell übersehen, dass sich das Kind durch großzügigen Gebrauch ein falsches Verhalten und eine falsche Werthaltung angewöhnt.

Eine ressourcensparsame Lebensführung in der Gruppe ist deshalb ein Thema, mit dem sich ein Team immer wieder auseinandersetzen und sich gegenseitig stärken muss.

Wertschätzender und sensibler Umgang mit der Natur

Im Freigelände vieler Einrichtungen werden, wenn räumlich irgend möglich, ein Komposthaufen und eine kleine von Kindern zu pflegende Anpflanzung, vielleicht eine "Kräuterschnecke" angelegt. Erzieher/innen bemühen sich, bei Kindern keine Ekelgefühle an kleinen unscheinbaren Tieren aufkommen zu lassen, sondern Interesse und Schutzgefühle zu wecken. So werden Spinnen im Haus mit einem Glas und untergeschobenem Papier gefangen und ins Freie gesetzt. Ins Haus verirrte Bienen, Wespen und Schmetterlinge werden behutsam ins Freie geleitet und Regenwürmer von trocken werdendem Asphalt in feuchte Erde getragen.

Zunehmend organisieren Tagesstätten einen wöchentlichen Naturtag oder mindestens einen monatlichen Ausflug in den nächsten Wald (Personelle Gründe machen Ausflüge in manchen Einrichtungen fast unmöglich!). Wichtig ist, dass die Kinder dabei wirklich einen Bezug zur Natur aufbauen, pfleglich mit Pflanzen und kleinen Tieren umgehen und die Natur als Reichtum empfinden.

Ein Beispiel: Eine städtische Kindertagesstätte fährt einmal in der Woche mit einer Teilgruppe mit dem öffentlichen Bus in den Stadtwald. Am Waldrand angekommen, wird der Wald zunächst begrüßt. Die Kinder sagen ihm, dass sie ihn und seine Tiere schützen wollen (Rituale heben Geschehnisse aus dem Alltag heraus und betonen die Besonderheit). Dann wird losgelaufen. Tausend Dinge werden entdeckt; die Erzieherinnen freuen sich mit den Kindern über jede neue Erfahrung. Spielmaterial brauchen die Kinder nicht. Der Wald bietet genügend: Der nachgezogene Stock wird zum Lastwagen oder zum Hund, die Höhle unter der jungen Fichte zum Haus, der Baumstumpf zum Herd. Die Kinder balancieren und klettern, im Sommer stauen sie einen Bach und bestaunen die kleinen Tiere. Bestimmungsbücher, die die Erzieherinnen bei sich haben, helfen manchmal, mehr vom Leben des Tieres zu erfahren. Im Mittelpunkt stehen aber das Erlebnis und der Bezug, nicht die Wissensvermittlung. Die Stunden vergehen schnell, oft muss die Gruppe sich beeilen, um den Bus zu erreichen. Wenn keine Zeit mehr bleibt, dem Wald zu danken, dann wird wenigstens noch vom Bus aus dem Wald der Dank zugerufen.

Bildungsziel III: Kinder stärken für ihre Lebensaufgaben

Es ist damit zu rechnen, dass jetzige Kinder als spätere Erwachsene erhebliche Hürden zu meistern haben werden. Die Zukunft (auch die Gegenwart) braucht Menschen, die bereit sind, sich für notwendig erscheinende Ziele einzusetzen, auch wenn diese eine Lebenserschwernis bedeuten. Wir müssen uns deshalb um eine stark machende Erziehung bemühen, damit die Krisen bewältigt und nachhaltige Lebensformen gefunden werden, die ein menschenwürdiges Auskommen aller Bewohner der Erde ermöglichen und auch den zukünftigen Generationen eine Wahlmöglichkeit ihrer Lebensgestaltung garantieren. Verwöhnte Kinder, die sich in ihrer frühen Kindheit und in der Grundschulzeit nicht anstrengen mussten, scheitern oft bereits an der notwendigen Anstrengung und Ausdauer in den Jugendjahren. Ein Abgleiten in Lethargie, Depressionen oder Drogen kann die Folge sein.

Orientierung an den Stärken des Kindes

Wenn der Erwachsene in seiner Bildungsanregung ressourcenorientiert vorgeht, d.h. die hohe Lernmotivation des Kindes dort unterstützt, wo das Kind sich in seinen Stärken erlebt, wo es Interesse zeigt und Lernerfolge aufweist, ist das Lernen für das Kind lustvoll und erfolgreich. In guter Stimmung blühen unsere Fähigkeiten richtig auf. Wenn das Kind dagegen Dinge lernen soll, die es nur mühsam erlernt, die wenig Erfolg versprechen und an denen das Kind nicht interessiert ist, wird das Lernen mühsam, lustlos und anstrengend. Das Kind führt den Lernauftrag dementsprechend weniger erfolgreich aus. Nach heutigen pädagogischen Erkenntnissen sollen deshalb Erzieher/innen die Kinder in ihren Interessen und Stärken (ihren Ressourcen) unterstützen und herausfordern. Defizite werden in der Frühpädagogik weniger beachtet, solange sie sich nur auf Teilbereiche der Entwicklung beschränken, etwa auf das Malen, die Farbenbenennung, Zahlenbegriffe oder eine bestimmte Sportart. Die meisten Kinder arbeiten solche Defizite später von selbst auf. Nur bei breiten Entwicklungsverzögerungen ist es notwendig, Ursachen zu suchen, etwa eine psychische oder körperliche Lernerschwernis, und diese wenn möglich zu beheben.

Ressourcenorientierte Lernunterstützung stärkt das Kind und erhöht die Lernlust, die Anstrengungsbereitschaft und die Ausdauer. Das Vorbild leistungsfähigerer Kinder kann zur Nachahmung anregen. Wenn der Erwachsene aber durch konkurrierenden Vergleich zu höheren Leistungen anzuspornen versucht, kann das Selbstwertgefühl leistungsschwächerer Kinder gedrückt werden. Der Vergleich mit eigenen Fortschritten wirkt hingegen aufbauender.

Lernmotivierende Umgebung und herausfordernde Bildungsangebote

Als wichtige pädagogische Einflussnahme in der frühen Kindheit werden vor allem zwei Arten von Anregungen gesehen:

  1. die Gestaltung einer lernmotivierenden Umgebung und
  2. die Anregungen durch Erwachsene.

Beide Arten dürfen durchaus so hoch angesetzt werden, dass sie eine Herausforderung für das Kind bedeuten und es zum Ausloten seiner Leistungsfähigkeit führen. Erfolgreiche Anstrengung macht stolz und motiviert. Verwöhnte Kinder sind keine starken Kinder.

Beispiele:

  • Der Bewegungsraum und der Spielhof bieten den Kleingruppen die Möglichkeit, unterschiedliches Material zu erproben, großflächig zu bauen und Ideen zum Austasten eigener Fähigkeiten zu entwickeln, etwa auf die Sprossenwand oder eine Stehleiter zu klettern, über Balken zu balancieren, barfüßig zu laufen, mit Rollern und anderen Fahrzeugen zu fahren oder von Treppen zu springen. Die beaufsichtigende Erzieherin unterstützt möglichst häufig die Ideen der Kinder, bevor sie selbst Vorschläge macht, damit die Kinder sich stark und fähig fühlen. Das Aufräumen ist Sache der Kinder, zumindest haben sie dabei zu helfen.
  • Spielmaterial, das nicht von Erwachsenen für Kinder geschaffen, sondern von den Kindern in der Umwelt "gefunden" wurde, fordert heraus, regt zu Ideenvielfalt und zur Problemlösung an. Solche Materialien sind z.B. Kartons, Seile, Tücher, Verkleidungskiste, Haushaltsgegenstände und Naturmaterial.
  • Kinder übernehmen Dienste für das Gruppenleben, von der Frühstückszubereitung bis zum Kehren des Hofes. Sie erleben dabei, dass eine Gemeinschaft von den Leistungen der Einzelnen lebt und dass sie selbst fähig sind, sich für die Gemeinschaft einzusetzen. Sie machen die so wichtige Erfahrung des Gebens.
  • Die Erzieherin beobachtet, wovon die Kinder fasziniert sind. Sie vertieft deren Interessen durch gemeinsam entwickelte Projekte, bei denen sich Wissenserweiterung und praktisches Tun ergänzen. Möglichst häufig werden Erzieher/innen mit den Kindern Projektthemen auswählen, bei denen sich unbefriedigende Situationen verändern lassen, z.B. passen sie die Raumgestaltung den augenblicklichen Spielinteressen an, besuchen ein Gruppenmitglied im Krankenhaus oder bereiten den Bewohner/innen im nahe gelegenen Seniorenheim eine Freude. Sie legen einen Komposthaufen für die Bio-Abfälle an und lernen den Müll zu sortieren.

Erziehungspartnerschaft mit den Eltern

Transparenz der pädagogischen Arbeit gegenüber den Eltern ist unbedingt erforderlich. Auch wenn Eltern sich vom gesellschaftlichen Trend einer verwöhnenden Erziehung immer wieder mitziehen lassen, so sind sie doch weitgehend davon zu überzeugen, dass ihre Kinder

  • für das Leben in ihrer Zukunft eine stark machende Erziehung benötigen,
  • Wertschätzung gegenüber der Vielfalt der Menschen entwickeln und verinnerlichen,
  • eine positive Beziehung zur Natur aufbauen und ihre Natur-Erfahrungen in guter Stimmung erweitern.

Ein großer Teil der Eltern wird die Erziehung in der Einrichtung dankbar bejahen, auch und gerade dann, wenn sie sich selbst als verwöhnend in ihrem Bemühen wahrnehmen, den Kindern eine frohe, angenehme Kindheit zu ermöglichen und ihnen die gleichen Freuden zu bieten, die diese bei ihren Spielkameraden erleben. Eine stark machende und nicht verwöhnende Erziehung ist für Eltern nicht einfach, da der gesellschaftliche Trend in die Gegenrichtung führt.

Sich für bessere gesellschaftliche und politische Anerkennung der Frühpädagogik einsetzen

Bedauerlich ist, dass von politischer Seite die hohe Bedeutung der frühen Kindheit für die Bewältigung der späteren Lebensaufgaben zu wenig wahrgenommen und anerkannt wird. Der Personalschlüssel für Kindertageseinrichtungen schränkt differenzierte Kleingruppenarbeit oder Beobachtung und Unterstützung des einzelnen Kindes ein. Erzieher/innen können die Ideenvielfalt der spielenden Kleingruppen im Freispiel bei Personalknappheit zu wenig beobachten und nicht genügend bestärken. Hilfe bei Konfliktbearbeitung in den spielenden Gruppen muss das Team oft auf laute und deshalb auffallende Konfliktfälle beschränken. Etwa leises dominantes Verhalten oder das Ausgrenzen von Kindern aus kleinen Spielgruppen fällt seltener auf. Die Erzieher/innen können deshalb den Kindern nicht helfen, sich in die Lage benachteiligter Gruppenmitglieder zu versetzen. Auch die positiven Konfliktbewältigungen fallen im Trubel selten auf und können von den Fachkräften deshalb nicht bestärkt werden.

Erzieher/innen haben bei Personalknappheit auch zu wenig Zeit und Ruhe, um Spielsituationen zu beobachten, sich einzudenken und pädagogische Konsequenzen durchdacht abzuleiten. Ihre Lenkung und Bestärkung setzt zudem voraus, dass sie sie sich bewusst machen, was sie dem jeweiligen Kind zutrauen und zumuten können, um es durch Herausforderungen zu stärken.

Die negativen Folgen von zu schwachen Herausforderungen in der frühen Kindheit zeigen sich später in Schulproblemen und geringer Kraft für die Bewältigung von Hürden im Jugendalter. Erwachsene, die als Kinder verwöhnt wurden, benötigen doppelte Motivation und Durchhaltekraft, um ihr Verhalten kritisch zu sehen und Ziele stimmig zu verfolgen. Die Folgen von zu gering entwickelter Stärke zeigen sich sowohl bei der späteren Bewältigung des individuellen Lebens als auch bei dem verantwortlichen Beitrag des Einzelnen zur sozialen und globalen Problembewältigung.

Wenn Erzieher/innen ihre Arbeit möglichst transparent nach außen offen legen, wenn sie mit Eltern, mit dem Träger, in Fortbildungen und wo auch immer über ihre Ziele reden und ihr Vorgehen begründen, tragen sie dazu bei, dass die Frühpädagogik und ihre Bildungseinrichtungen besser anerkannt und aufgewertet werden.

Literatur

Pausewang, Freya/Strack-Rahtke, Dorothea: Ins Leben begleiten. Bildung und Erziehung in der sozialpädagogischen Praxis. Berlin, Düsseldorf, Mannheim: Cornelsen Skriptor 2009

Uexküll, Jakob von, "Das sind wir unseren Kindern schuldig". Hamburg: EVA/Europäische Verlagsanstalt 2007

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