GEW
Beschlossen vom GEW- Bundesfachgruppenausschuss "Sozialpädagogische Berufe" am 21. September 2002
0. Vorbemerkung
Erstmals im Jahr 1996 hat die GEW mit dem vom Hauptvorstand beschlossenen Positionspapier "Bildungsstandort Kita: Aufbruch ins Jahr 2000" die Dringlichkeit betont, nach den Jahren des quantitativen Ausbaus zur Gewährleistung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz qualitative Verbesserungen in Erziehung und Bildung zu ereichen. Donata Elschenbroich sprach vom "Schatz der frühen Kindheit", den zu heben Aufgabe von Tageseinrichtungen für Kinder sei. Prof. Dr. Wolfgang Tietze schätzte in einer Studie im Jahr 1998, dass nur ein Drittel der Einrichtungen das Prädikat "gut" verdienen, man aber davon ausgehen könne, dass Kinder, die eine "gute" Kindertagesstätte besuchen, einen Entwicklungsvorsprung von bis zu einem Jahr hätten. Schließlich brachte die PISA-Studie im Jahre 2001 an den Tag, dass der Bildungsstand deutscher Jugendlicher u.a. deshalb so schwach ist, weil im Vergleich mit den erfolgreichen Staaten Bildung in Deutschland erst in der Schule und nicht schon in den frühen Jahren in Kindertagesstätten beginnt.
Es ist höchste Zeit, die Qualität der Kindertagesstätten zu verbessern und dabei insbesondere den Bildungsauftrag systematisch umzusetzen. Einige Träger versuchen, mit unterschiedlichen Instrumentarien - von ISO 9000 bis "Kronberger Kreis" - Qualitätssicherung und -entwicklung zu verstärken. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) fördert fünf Forschungsvorhaben, die in einer "Nationalen Qualitätsinitiative" zusammengefasst sind. Die ersten Zwischenergebnisse, die im Mai 2002 vorgestellt wurden, haben zweierlei zutage gefördert: alle Programme und Konzepte zur Qualitätsentwicklung bleiben dünnes Papier, wenn die äußeren, strukturellen Bedingungen für eine Verbesserung von Betreuung, Erziehung und Bildung nicht gegeben sind. Und jedes Reformvorhaben bleibt bloße Absichtserklärung, wenn man diejenigen, die die Arbeit letztlich zu machen haben, nicht einbezieht. In sofern kommt den Gewerkschaften als Interessenvertretung der Beschäftigten eine besondere Aufgabe zu. Die GEW stellt sich dieser Aufgabe, indem sie nach zweijähriger intensiver Diskussion auf Kongressen, Expertengesprächen und in internen Fachgruppen einen Entwurf vorlegt für einen "Rahmenplan frühkindlicher Bildung".
Es handelt sich dabei nicht um ein fertiges Papier, sondern um einen Diskussionsentwurf, in dem - sicher nicht vollständig - wesentliche Leitsätze, Elemente und Folgerungen beschrieben sind, die weiterer Erörterung bedürfen. Das Ziel muss aber letztlich sein, einen nationalen, trägerübergreifenden Rahmenplan zu verabreden, der Betreuung, Erziehung und Bildung auf hohem Niveau verbindlich garantiert.
A. Leitsätze
(Die Reihenfolge entspricht der Gliederung des folgenden Textes)
- Die Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern haben sich so sehr verändert, dass über die Verwirklichung des Rechts auf Bildung für alle Kinder neu nachgedacht werden muss.
- Die gesellschaftliche Entwicklung verlangt eine Reform des Bildungswesens. Aus der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen und der Arbeitswelt insbesondere in den Bereichen Dienstleistung und Kommunikation, aber auch vor dem Hintergrund demografischer und kultureller Entwicklungen müssen Konsequenzen gezogen werden.
- Bildung ist subjektive Weltaneignung in einem Prozess des individuellen Wachsens und in der Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Gesellschaft. Dieser Prozess beginnt in dem Moment, in dem ein Mensch "zur Welt kommt". Bildungseinrichtungen haben von Anfang an die Aufgabe, Kindern die Welt zu öffnen, ihre Identität zu fördern und ihnen die Kraft zur Emanzipation zu geben.
- Die wissenschaftlichen Kenntnisse über Lernprozesse von Kindern in den frühen Lebensjahren legen nahe, den Bildungsauftrag von Tageseinrichtungen für Kinder konsequenter umzusetzen.
- Die Aufmerksamkeit der Gesellschaft und die finanziellen Ressourcen des Bildungswesens und der Familienförderung müssen stärker auf den frühkindlichen Bereich gelenkt werden.
- Eine Schlüsselrolle im Bildungsprozess kleiner Kinder haben Erzieherinnen und Erzieher. Entscheidend für die pädagogische Qualität sind die Arbeitsbedingungen der sozialpädagogischen Fachkräfte, ein neues Berufsbild und eine wissenschaftliche Ausbildung.
- Die Vielfalt der Träger fördert einerseits die Pluralität des Angebots, führt aber auch zu qualitativer Beliebigkeit. Frühkindliche Bildung braucht verbindliche strukturelle und inhaltliche Rahmenbedingungen. Dies gilt insbesondere auch für die Kooperation mit anderen Diensten der Jugendhilfe und vor allem für den Übergang in die Schule. Die Qualität der Arbeit in Kindertagesstätten darf nicht von Einzelentscheidungen der Kommunen und Träger abhängen, sondern muss durch überörtliche Qualitätsentwicklungspläne garantiert werden.
B. Elemente
1. Der Ausgangspunkt frühkindlicher Pädagogik: das Kind
Lange Zeit herrschte das Bild vom Kind als einem unfertigen Wesen vor, dem durch Erziehung diejenigen Fähigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen beigebracht werden müssten, die es zum Leben braucht. Das Kind als Zögling war das Leitbild der Pädagogik.
Seit einiger Zeit setzt sich die Einsicht durch, dass Kinder von Beginn ihrer Existenz an selbständig lernen können. Sie eignen sich Schritt um Schritt die Welt an und erfahren, wie die Dinge um sie herum nach Regeln funktionieren, sich wiederholen und veränderbar sind. Das lernende Kind ist "Akteur seiner Selbst".
Bildung entwickelt sich aus drei Elementen: subjektive Weltaneignung, Reflexion des Wahrgenommenen und Systematisierung des Lernens. Das Leitbild des "Akteurs" betont einerseits die Subjektivität des Bildungsprozesses, darf aber andererseits nicht in der Weise missverstanden werden, dass Kinder nicht der Anleitung bedürfen. Bildung entsteht zwar nirgendwo anders als im Menschen selbst, aber niemals allein. Bildungsprozesse sind soziale, kommunikative Prozesse zwischen Kindern und zwischen Kindern und Erwachsenen.
Dabei kommt den Erwachsenen eine wichtige Rolle zu, zu denen Kinder besonders vertrauensvolle und dauerhafte Beziehungen haben, den Müttern und Vätern, Geschwistern, nahestehenden Verwandten, Freunden und den Erzieherinnen. Sie sind Vorbilder für das eigene Verhalten und für Wertorientierungen, noch mehr aber die wichtigsten Unterstützer des Lernens. Lust aufs Lernen haben Kinder dann, wenn sie positive Rückmeldungen bekommen, wenn sie Erfolg verspüren und sie ermuntert werden, weiter zu machen. Erwachsene müssen Kindern den Zugang zur Welt ermöglichen. Ohne diese Wegweiser bleiben viele Wege unentdeckt oder enden in der Sackgasse.
Allerdings haben sich die Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen verändert. Kinder sind zum Armutsrisiko Nummer 1 geworden. Immer weniger Männer und Frauen wollen Eltern werden. Die Gesellschaft verändert sich so schnell, dass die Interessen von Familien und Kindern auf der Strecke bleiben. Beziehungen werden instabil, Mobilität scheint wichtiger als Verlässlichkeit. Die Lebensräume, in denen Kinder sich frei bewegen und die sie eigenständig gestalten können, werden immer enger. Die Ökonomie, die auf Flexibilität, Dynamik und Kommerzialisierung setzt, greift in alle Lebensbereiche ein: was kostet es - was habe ich davon? Auch Freizeit, Kultur, Erziehung und Bildung bleiben davon nicht verschont.
Kinder brauchen "Bildungsinseln" auf denen sie jenseits der ökonomischen Logik der Gewinnmaximierung das lernen können, was sie für ein "gutes Leben" brauchen. Kinder haben ein Recht auf Bildung und das ist mehr als ein Recht auf in der "New Economy" verwertbares Wissen und Qualifikation. So ist Bildung, Erziehung und Betreuung in Tageseinrichtungen für Kinder zu aller erst die aktuelle Antwort der Jugendhilfe auf die Lebenssituation und Entwicklung von Kindern und nicht eine vorweggenommene Antwort auf später, etwa in der Schule sich einstellende Anforderungen. Es geht nicht darum, schulisches Lernen zu kopieren, sondern darum, die spezifische Lernweise von Kindern im Spiel für Bildung zu nutzen. Bildungsprozesse bei allen Kindern vor der Schulzeit zu fördern ist auch deshalb von hoher Bedeutung, weil vor dem sechsten Lebensjahr die Lern- und Entwicklungspotentiale enorm hoch sind. In den frühen Jahren wird der Grundstein für die Bildungs- und Lernbiografie gelegt.
Bildungseinrichtungen, ganz besonders Tageseinrichtungen für Kinder, sind auch als Lobby für Kinder gefordert. Erzieherinnen sind auch Interessenvertretung für Kinderrechte und müssen sich in die Gestaltung der Lebenswelt der Kinder einmischen. "Positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen" ist nicht zuletzt auch ihr gesetzlicher Auftrag (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfegesetz).
2. Der Ausgangspunkt institutioneller Bildung: gesellschaftliche Erwartungen
Hoch entwickelte Gesellschaften können sich nicht darauf verlassen, dass die für ihren Bestand und ihre Weiterentwicklung notwendigen Wissensbestände und kulturellen Werte sich von Mensch zu Mensch, von Generation zu Generation tradieren. Im 19. Jahrhundert sah man die Notwendigkeit, eine Institution zu schaffen, die Gewähr dafür bietet, dass alle Kinder in gleicher Weise zunächst basale Kenntnisse und Fähigkeiten, später als Jugendliche und Erwachsene spezifische Kompetenzen und Qualifikationen erwerben. Diese Institution ist für alle Kinder ab dem 6. Lebensjahr die Schule. Hier werden Bildungsprozesse so organisiert, dass ihre Ergebnisse individuell und gesellschaftlich verwertbar sind. Persönliche Entfaltung, soziale Integration und aktive Staatsbürgerschaft sind die Ziele institutioneller Bildung. Die kulturellen Wissensbestände sollen auf das Individuum übertragen und für den Bestand und die Weiterentwicklung der Gesellschaft gesichert werden. In Deutschland kommt der Schule eine weitere Funktion zu. Das gegliederte Schulwesen selektiert Kinder und Jugendliche nach ihren Lernleistungen und trifft damit maßgebliche Entscheidungen für den weiteren Lebensweg. Kinder werden in der deutschen Schule zu wenig gefördert und statt dessen sehr stark nach ihrem sozialen Hintergrund sortiert.
Seit 1990 haben auch Tageseinrichtungen für Kinder den gesetzlichen Auftrag, "die Entwicklung der Kinder zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern", eine Aufgabe, die "Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes" umfasst (§ 22 SGB VIII). Alle Kinder haben ab dem 3. Lebensjahr das Recht, eine Kindertagesstätte zu besuchen. Der Bildungsauftrag ist gegenüber allen Kindern gleichermaßen einzulösen, soziale, materielle und kulturelle Benachteiligungen sollen in der Tageseinrichtung ausgeglichen werden. Dieser gesellschaftlichen Erwartung sind die Einrichtungen bislang noch nicht so gerecht geworden, dass man von einem qualifizierten Bildungsangebot sprechen könnte.
Weil man mittlerweile weiß, dass in Deutschland die Bildungspotentiale kleiner Kinder vernachlässigt werden, sucht man nach neuen Wegen. Die Beschulung 5jähriger Kinder ist deshalb kein Erfolg versprechender Weg, weil damit zwar der Schulbesuch ein Jahr früher begänne, das Bildungsziel der frühen Förderung aller Kinder aber nicht verwirklicht wäre, zumindest nicht ohne eine tiefgreifende Reform des Schulwesens. Prinzipiell müssen alle Kinder möglichst früh die Möglichkeit haben, in ihren Bildungsprozessen professionelle Unterstützung zu erfahren. Es ist deshalb eine öffentliche Aufgabe, jedem Kind nachweislich qualifizierte Bildungsangebote in Tageseinrichtungen für Kinder zu machen. Die Leitnorm der Qualitätsentwicklung von Tageseinrichtungen für Kinder ist das in der UN-Kinderrechtskonvention erklärte Recht eines jeden Kindes auf Bildung. Eine "Vorschulpflicht" ist auch deshalb unproduktiv, weil seit geraumer Zeit ohnehin fast 90 Prozent aller Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren eine Tageseinrichtung für Kinder besuchen. Diejenigen, die man durch die Freiwilligkeit nicht erreicht, wird man auch durch eine gesetzliche Verpflichtung nicht erreichen, sondern nur durch individuelle Bildungsberatung und - vor allem - durch ein überzeugend gutes Angebot. Je früher man damit beginnt, um so überzeugender wird man damit sein.
Beim Übergang in die Schule ist vom Prinzip der Individualität auszugehen. Unter Berücksichtigung der Bereitschaft sowohl des Kindes als auch der Grundschule kann der Übergang zwischen dem 5. und dem 7. Lebensjahr flexibel erfolgen. Dabei kommt dem "Bildungsbuch" (siehe Kapitel 4) als Medium der individuellen Bildungsprozessbegleitung und -steuerung eine wichtige Funktion zu. Der Grundschule wird empfohlen, den Schulanfang in einer mehrjährigen, altersübergreifenden Schuleingangsphase zu organisieren.
Kinder können und wollen lernen. Auf dieser Motivation aufbauend müssen Kindertagesstätten in die Lage versetzt werden, Kinder auf den Weg ihrer Bildung zu bringen.
3. Inhalte frühkindlicher Bildung
Dem Ziel folgend, eine eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeit zu fördern, bezieht sich die Bildungsarbeit von Tageseinrichtungen für Kinder auf individuelle und soziale Lerninhalte. Es kann hier nicht darum gehen, einen Katalog von Inhalten abschließend zu verordnen. Das Weltwissen der Kinder birgt so unermesslich viele Schätze und es kommen immer mehr hinzu. Wichtig ist allerdings, jedem Kind das Rüstzeug für seinen Bildungsweg mitzugeben. Dazu ist es von großer Bedeutung, darauf zu achten, dass jedes Kind die Kompetenzen erreichen kann, die seiner Entwicklung entsprechen. Dazu zählen insbesondere die Kompetenz, sich mit anderen zu verständigen sowie sein Verhalten zu reflektieren und zu ändern. Der Bildungsprozess kleiner Kinder ist weniger an im Vorhinein genau festgelegte Inhalte gebunden als daran, Inhalte mit Sinn zu erfüllen. Aus der Neurophysiologie haben wir erfahren, dass das Gehirn kein Wissensspeicher ist, den man nur gut füllen muss, damit der Mensch zu hoher Bildung kommt. Vielmehr funktioniert die produktive Verarbeitung des Wahrgenommenen erst dann, wenn der Inhalt mit "Bedeutung" in Verbindung steht. So ist Bildung der ständige Prozess der Suche nach Sinn und Bedeutung und nicht das eifrige Sammeln von Daten.
Der folgende Vorschlag für Bildungsinhalte ist also als ein Katalog des Möglichen zu verstehen. Die Formulierung mag manchem zu idealistisch vorkommen, es ist uns aber wichtig, an dieser Stelle die Potentiale der Kinder hervorzuheben und erst im nächsten Kapitel von der Notwendigkeit der Förderung und Unterstützung zu sprechen.
Identität, emotionale Intelligenz und soziale Kompetenz. Kinder entdecken sich selbst, entwickeln ihre eigenen Interessen und Wünsche, sehen ihre Stärken und Schwächen und spüren Freude und Trauer, Angst und Geborgenheit, Unruhe und Muße, Schmerz und Glück. Sie lernen, zwischen sich und anderen zu unterscheiden und erleben Verschiedenheit: z.B. Jungen und Mädchen, Christen und Muslime, Kinder mit und ohne Behinderungen. Sie erfahren, dass man manches nur mit anderen gemeinsam tun kann, in vielen Situationen von anderen abhängig ist und die eigenen Interessen mitunter mit denen anderer kollidieren. Sie lernen, Rücksicht zu nehmen ebenso wie sich durchzusetzen und üben demokratische Verfahren ein, z. B. das Streitschlichten. Sie lernen, mit Enttäuschungen und Konflikten umzugehen, aber auch Hilfe anzunehmen. Sie bauen so ein Selbstwertgefühl auf, das ihnen hilft, auch belastende Situationen und Beziehungen zu überstehen. Kinder entwickeln und stärken ihre Fähigkeiten, sie merken, dass ihre Umwelt nichts Starres ist, sondern dass man sie kreativ gestalten oder gezielt verändern kann. Sie lernen die Handhabung von Werkzeugen, seien es "Messer, Gabel, Scher und Licht" oder der PC.
Bewegung, Ernährung und Gesundheit. Kinder lernen zu verstehen, dass sie ihren Körper pflegen müssen, um ihn gesund zu erhalten. Sie lernen, welche Ernährung, welche Getränke und Speisen in welchen Mengen und zu welchen Zeiten dem Körper gut tun und dass man Krankheiten heilen kann. Sie lernen, das manche Funktionen des Körpers trainiert werden können und wie man sich in der Natur bei jedem Wetter bewegt.
Wahrnehmung, Abstraktion und Kommunikation. Kinder interessieren sich für alles und jedes. Schon sehr früh lernen sie, ihre Sinne einzusetzen, zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu riechen, zu schmecken. Etwas auf den Begriff bringen, in Worte fassen, kann man erlernen anhand von Gefühlszuständen ebenso wie an Naturphänomenen oder Mengenverhältnissen. Sie lernen, dass es einfacher ist und schneller geht, wenn man nicht jedes Phänomen wieder von vorne beschreiben muss, sondern man sich Verallgemeinerungen und Abstraktionen bedienen kann. Auch vor Träumen muss man keine Angst haben, wenn man zu unterscheiden gelernt hat, was wirklich ist und dafür einen Ausdruck findet. Dann öffnet sich in der Träumerei eine phantastische, neue Welt.
Der Wahrnehmung und Abstraktion folgt die Sprachentwicklung und der Einsatz der Sprache in sozialen Bezügen. Kinder lernen, wie sie sich anderen verständlich machen können und wie sie durch Kommunikation ihren Horizont erweitern können. Sie erfahren, das man sich nicht mit jedem Kind in ein und derselben Sprache verständlich machen kann und dass möglicherweise zuhause eine andere Sprache gesprochen wird als in der Kindertagesstätte. Kinder, die nicht oder nur schlecht deutsch verstehen und sprechen, erhalten in der Kindertagesstätte besondere Unterstützung im Erlernen der deutschen Sprache ohne allerdings die Muttersprache zu vernachlässigen.
Kinder lernen, dass man etwas auch ohne Worte zum Ausdruck bringen kann, mit Gesten, Bildern, Musik und Tanz.
Zur aktuellen Diskussion um die Sprachkompetenz. Vielfach wird gefordert, Kindern in Tageseinrichtungen bereits Lerninhalte zu vermitteln, die im Übergang zur Schule Bedeutung haben. Es wird die Erwartung erhoben, das Kinder, wenn sie die Kindertagesstätte verlassen und in die Schule gehen, auf einem einheitlichen Kompetenzniveau sind und soziale Benachteiligungen ausgeglichen wurden. Besonders genannt werden in diesem Zusammenhang die Beherrschung der deutschen Sprache, aber auch Arbeitshaltungen, die es Kindern erleichtern den schulischen Anforderungen Stand zu halten. Die Sprachentwicklung zu fördern ist in der Tat eine der wichtigsten Aufgaben der Kindertagesstätte. Dazu gehört, dass jedes Kind in der Lage ist, sich in der deutschen Sprache auszudrücken und mit anderen zu kommunizieren. Kinder, in deren Familien eine andere Sprache gepflegt wird, haben darüber hinaus das Recht auf Förderung ihrer Muttersprache. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass Kinder Sprachen nicht aus Lehrbüchern lernen, sondern im täglichen Leben und in sozialen Bezügen. Sprachbildung ist eine der wichtigsten Alltagsaufgaben der Erzieherinnen und Erzieher, auf die sie allerdings gut vorbereitet sein müssen. Die Sprachentwicklung eines jeden Kindes bedarf von Anfang an einer sensiblen, entwicklungsbezogenen Förderung. Aussondernde Spezialkurse sind kaum geeignet, die sprachliche Entwicklung zu fördern. Besser ist, die Arbeitsbedingungen in den Gruppen von Kindertagesstätten so zu verbessern, dass eine individuelle Sprachförderung im alltäglichen Geschehen möglich ist.
4. Methoden frühkindlicher Bildung
Bildung in Tageseinrichtungen für Kinder kann nicht einem äußeren, zeitlich gegliederten Lernkanon folgen. Kinder haben ihre eigenen Interessen und ihre eigenen Zeitrhythmen. Die Inhalte müssen täglich neu entwickelt werden aus der intensiven Beobachtung der Lernprozesse und Interaktionen. Weil Kinder lernen sollen, selbst zu denken und man ihnen nicht vor-denken kann, müssen die Gegenstände, an denen sie lernen sollen, so vorbereitet werden, dass Kinder mit ihnen arbeiten können.
Dabei ist es wichtig, Respekt vor ihrer jeweiligen individuellen Besonderheit zu haben. Der bildungspolitische Anspruch "Bildung für alle" heißt methodisch "Bildung für jeden".
Es kommt auch nicht darauf an, jederzeit ein methodisch vollständiges Konzept zu haben oder auf alles vorbereitet zu sein - besser eine aus der Beobachtung gewonnene inspirierende Idee als eine Abfolge vorher bestimmter Lernschritte. Kinder brauchen Freiräume, die sie selbst individuell und in demokratischen Prozessen gestalten können. An einer Überdosis gut gemeinter pädagogischer Eingriffe hat schon manch Kind seine Lernbegeisterung verloren und wenige haben entdecken können, was in ihnen steckt, wenn immer schon der pädagogische Zeigefinger wie der Igel auf den Hasen wartet.
Für Kinder gibt es in den frühen Jahren vor allem eine Methode zu lernen: das Spiel. Es gibt für Kinder keine ernsthaftere Bildung als im Spiel. Der Spielplatz ist im wahrsten Sinne des Wortes Bildungsraum. Alles wird ausprobiert, aufgetürmt, zerlegt, neu zusammengebaut. Kinder verkleiden sich, schlüpfen in die Rolle anderer, seien es Menschen oder Tiere. Die in der Öffentlichkeit und der Politik des Öfteren gebrauchte Konstruktion des Gegensatzpaares von "Kuschelpädagogik" gegenüber "ernsthaftem Lernen, bei dem was herauskommt" wird den Bildungsprozessen kleiner Kinder und ihrer Dynamik nicht gerecht. Wer meint, Kindern das Spielen einschränken zu müssen, damit sie "ernsthaft" lernen, wird sie nur disziplinieren und die ihnen eigene Bildungsbegeisterung nehmen.
Ein methodisch ganzheitlicher Arbeitsansatz frühkindlicher Pädagogik kann nur gelingen, wenn die Eltern einbezogen werden. Dazu gehören nicht nur die Abstimmung der Bildungs- und Erziehungsziele mit den Eltern und die Berücksichtigung der Betreuungsnotwendigkeiten (z.B. Öffnungszeit der Einrichtungen, Gesundheitsvorsorge), sondern auch gezielte Angebote der Familien- und Erwachsenenbildung. Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist nicht nur deshalb notwendig, weil sie letztlich das Erziehungsrecht haben, sondern vor allem, um eine Verunsicherung der Kinder zu vermeiden, die entsteht, wenn in der Kindertagesstätte andere Ziele und Werte verfolgt werden als in der Familie. Eventuelle Unstimmigkeiten dürfen nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden, sondern es muss darüber eine Verständigung zwischen den Erwachsenen geben.
Ein Bildungsgewinn wird die Kindertagesstätte allerdings dann nicht sein, wenn Beliebigkeit herrscht und der Zufall zum Quell pädagogischen Handelns wird. Beobachtung und Reflexion, die in eine sehr sorgfältige und systematische Dokumentation münden, sind die wichtigsten Methoden für eine planvolle Pädagogik. Es ist die wohl anspruchsvollste Aufgabe der Erzieherin, Kindern zu richtigen Zeit die richtigen Aufgaben zu stellen. Zwar brauchen Kinder einen "Schonraum", für den Prozess ihrer Bildung brauchen sie aber genauso Anforderungen und "Zumutungen", Aufgabenstellungen, an denen sie wachsen können. Dazu kann auch gehören, ihnen im Alltag anfallende Arbeiten wie z.B. bei der Zubereitung des Essens, das Tischdecken, Aufräumen etc. zu übertragen.
Die Kindertagesstätte hat die Chance, jedes Kind individuell zu fördern. Sie muss keine Leistungen benoten, keine Zeugnisse schreiben und in die nächste Klasse versetzen. Diese Chance würde man sich verbauen, wenn man den methodischen Weg des Lehrplans ginge. In einem Lehrplan wird festgelegt, was alle Kinder bis wann gelernt haben müssen. Die pädagogische Methode der Kindertagesstätte ist die der individuellen Bildungsprozessbegleitung. Dazu wird für jedes Kind ein "Bildungsbuch" angelegt, in dem die Erzieherinnen, nach Möglichkeit gemeinsam mit dem Kind, dokumentieren, welche Schritte das Kind auf seinem Bildungsweg zurückgelegt hat, wo Stolpersteine liegen und welche Strecke es in der nächsten Zeit gehen könnte. Das "Bildungsbuch" ist somit der für jedes Kind individuell geschriebene und mit den Eltern abgestimmte Bildungsplan. In ihm wird die Individualität des einzelnen Kindes, die erzieherischen Interessen der Eltern und die pädagogische Konzeption der Einrichtung zusammengeführt.
Beim Übergang in die Schule ist das "Bildungsbuch" die wichtigste Informationsquelle für die Vorbereitung der Lehrerinnen auf ihre neue Klasse. Erzieherinnen und Lehrerinnen können so individuell und detailliert abstimmen, was das einzelne Kind braucht. Das "Bildungsbuch" ist damit auch ein Instrument, mit dem ein bedeutender Paradigmenwechsel praktisch vollzogen werden kann: nicht das Kind soll verpflichtet werden, den Nachweis der "Schulreife" zu erbringen, sondern die Schule wird in die Lage versetzt, auf den individuellen Bildungsstand des Kindes einzugehen und ihr pädagogisches Angebot darauf abzustimmen. Für die Verbindlichkeit des Bildungsbuches ist es sinnvoll, eine gesetzliche Normierung in Anlehnung an den "Hilfeplan" des Jugendhilferechts zu finden.
Der hier vorgestellte individualisierende Ansatz der Bildungsplanung für jedes Kind wäre falsch interpretiert, wenn man ihn völlig losgelöst von den gesellschaftlicher Erwartungen an das Aufwachsen von Kindern und deren Bildung sehen würde. Es gibt - mehr oder weniger ausgesprochen und normiert - einen Grundkatalog von Lernzielen, deren Erreichen unabdingbare Aufgabe institutioneller Bildung ist. Wenn Tageseinrichtungen für Kinder sich als Bildungseinrichtungen konstituieren wollen, müssen sie sich auch daran messen lassen, in wieweit die Kinder diese Lernziele erreichen. Die GEW empfiehlt, dem Beispiel des Schwedischen Vorschulcurriculums folgend, Bildungsziele zu formulieren, die die gesellschaftlichen Erwartungen widerspiegeln und der individuellen Bildungsplanung eine Orientierung geben.
5. Bedingungen frühkindlicher Bildung
Tageseinrichtungen für Kinder brauchen, um den gesetzlichen Bildungsauftrag erfüllen zu können, die dafür geeigneten Mittel. Die Qualität der Arbeit ist nicht nur abhängig vom inhaltlichen und methodischen Konzept, sondern auch von Strukturen und Rahmenbedingungen.
Es gibt keine gesetzlich festgelegten Standards oder Mindestbedingungen über die Qualität von Kindertageseinrichtungen. Die Bedingungen, unter denen die Bildungseinrichtungen arbeiten, sind abhängig vom jeweiligen kommunalen oder freien Träger. Es gibt allerdings eine gewisse Normierung durch die Regelungen zur Erteilung der Betriebserlaubnis und nicht zuletzt durch die Förderrichtlinien der Länder. So haben sich Rahmenbedingungen etabliert, die mehr schlecht als recht dem Betreuungsauftrag gerecht werden. Bildung und Erziehung sind aber nicht qualifiziert zu machen, wenn eine Erzieherin und eine zweite Kraft in einem Raum mit 25 Kindern (oder in den Ost-Bundesländern eine Erzieherin mit 20 Kindern) zurechtkommen müssen. Auch das Betreuungsangebot ist völlig unzureichend, wenn der westdeutsche "Kindergarten" nur als Halbtagseinrichtung geführt wird. Immerhin gilt die gesetzliche Norm, dass Einrichtungen so zu planen sind, dass Mütter und Väter ihre Aufgaben in Familie und Beruf miteinander vereinbaren können. Angesichts der veränderten Bedingungen, unter denen Kinder heute Aufwachsen, wäre es notwendig, den Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Tageseinrichtung für Kinder auf unter drei jährige Kinder und auf Schulkinder auszuweiten.
Die Einrichtung sollte deshalb in der Regel täglich 12 Stunden zur Verfügung stehen.
Auch unter Bezug auf strukturelle Standards in anderen europäischen Ländern und die Empfehlungen des "EU-Netzwerkes Kinderbetreuung" ist für die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags ein Personalschlüssel von zwei ausgebildeten sozialpädagogischen Fachkräften für 15 Kinder erforderlich. 30 Prozent der Arbeitszeit sind für Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche, Teamkoordination und Fortbildung einzuplanen. Für besondere pädagogische und therapeutische Angebote ist weiteres Fachpersonal vorzuhalten. Eine besondere Herausforderung für die Personalentwicklung ist, den Männeranteil im Personal von Kindertagesstätten deutlich zu erhöhen und darauf zu achten, dass die unterschiedlichen Kulturen und Nationalitäten des Umfeldes im Team präsent sind.
Eine besondere Verantwortung hat die Leitung der Einrichtung. Über die Verwaltungstätigkeiten, zu denen neuerdings immer mehr Aufgaben der Finanzmittelbeschaffung und -verwaltung gekommen sind, hinaus ist die Leitung zuständig für die gemeinsame Konzeptentwicklung, die Beratung der Erzieherinnen, die Personal- und Organisationsentwicklung, die Einbeziehung der Eltern und die Vernetzung der Einrichtung mit anderen Einrichtungen der Sozialarbeit, der Jugendhilfe, Familienbildung und nicht zuletzt der Schulen. Dafür ist die Leitung durch Fortbildung zu qualifizieren, durch Fachberatung und Supervision zu unterstützen und von der Arbeit mit Kindern grundsätzlich freizustellen. Als Richtgröße ist eine Freistellung im Umfang von 38,5 Stunden für vier Gruppen (für kleinere Einrichtungen entsprechend weniger, für größere mehr) vorzusehen. Wenn wir uns hier für die Stärkung der Leitung aussprechen heißt dies nicht, im autoritären Sinne eine Hierarchie zu begründen. Leitungsfunktionen können im Team durchaus von wechselnden Personen wahrgenommen werden, man darf die Qualität der Aufgabe aber nicht durch einen Rotationsautomatismus in Frage stellen. Qualitätsentwicklung funktioniert nur dann, wenn der Leitung entsprechende Handlungsmöglichkeiten vermittelt werden.
Die Schlüsselfrage in der Entwicklung von Tageseinrichtungen für Kinder zu Bildungseinrichtungen ist die nach der Qualifikation des Personals. Mit Ausnahme von Österreich und Deutschland haben sich alle europäischen Länder schon seit langem entschieden, Erzieherinnen an Fachhochschulen auszubilden. Wer ernsthaft vorhat, die Bildungspotentiale von Kindern systematisch zu entfalten, kann dies nicht mit Personal tun, dem eine wissenschaftliche Ausbildung vorenthalten wird. So war der Abschied von der "Kindergartentante", die nur ein bisschen mit den Kindern spielt, singt und bastelt, und die Etablierung des Berufs der staatlich anerkannten Erzieherin mit einer anspruchsvollen Ausbildung an der Fachschule ein wichtiger erster Schritt. Es geht angesichts der neuen Aufgaben jetzt darum, den Beruf der Erzieherin wissenschaftlich auszurichten. Wissenschaftlich bedeutet nicht eine Überbetonung der Theorie, sondern die Befähigung zu Planung, Anleitung und Reflexion ganzheitlicher Bildungsprozesse.
Die Forderung nach einer neuen Erzieherinnenausbildung an der Fachhochschule ist nur langfristig umzusetzen. Allerdings ist es jetzt an der Zeit, damit zu beginnen, u.a. auch deshalb, weil in den Kollegien der Fachschulen ein Generationenwechsel ansteht. Für diejenigen Erzieherinnen, die derzeit im Dienst sind, müssen ausreichend Fortbildungsangebote bereit gestellt werden.
Ohne anspruchsvolle wissenschaftliche Ausrichtung wird der Beruf im Wettbewerb mit anderen, neuen Berufen an Attraktivität verlieren, was zu ernsthaften Nachwuchsproblemen führt. Und er wird weiterhin ein Frauenberuf bleiben.
Die Zuordnung der Kinder zu Gruppen ist abhängig vom Alter der Kinder und dem pädagogischen Konzept der Einrichtung. Manche Einrichtungen verzichten völlig auf feste Gruppen, sondern gestalten den Tages- oder Wochenablauf entlang der unterschiedlichen Angebote, zu denen sich die Kinder selbst zuordnen. Andere Einrichtungen entscheiden sich für altershomogene Gruppen, weil sie einzelne Jahrgänge, z.B. Kinder im ersten und zweiten Lebensjahr oder Kinder im Jahr vor der Einschulung, glauben dann besser fördern zu können. Wie man sich auch immer entscheidet, in keinem Fall darf es zu dauerhaften Aussonderungen kommt. Das Gebot der Integration gilt insbesondere für Kinder mit Behinderungen und Kinder aus Migrantenfamilien.
Oft unterschätzt wird die Gestaltung der Räume und Außenanlagen. Nicht nur die Größe und Sicherheit spielen eine Rolle, sondern auch das Licht, Farben, Stoffe und die Akustik haben Auswirkungen auf das Wohlbefinden und damit auf die Entwicklung der Kinder.
Auf vorgefertigte Materialien, die von den Kindern nur verlangen, sie handwerklich fertig zu stellen, ist zu verzichten. Bildung ist Entwicklung, Experiment, Umgestaltung. Dazu brauchen Kinder Dinge, mit denen sie kreativ Neues herstellen können. So sind Gegenstände des täglichen Lebens oftmals besser geeignet als das Angebot aus dem Spielzeugkatalog.
6. Institutionelle Zuordnung, Trägerschaft und Finanzierung
Tageseinrichtungen für Kinder sind institutionell der Jugendhilfe zugeordnet. Es gilt bundesweit das Sozialgesetzbuch VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz). Für die Realisierung der dort genannten Leistungsverpflichtungen sind die Kommunen verantwortlich. Entsprechend der Tradition der Jugendhilfe finden die Grundsätze der Subsidiarität und der Pluralität Anwendung, d.h. zunächst haben freie Träger Vorrang bei der Bereitstellung von Kindertagesstätten und erst in zweiter Linie sind die Kommunen selbst gefordert, Einrichtungen zu unterhalten. Dies führte dazu, dass im Westen ca. 65 Prozent der Einrichtungen in freier, vornehmlich kirchlicher Trägerschaft sind. In den neuen Bundesländern sind es - mit abnehmender Tendenz - vor allem die Kommunen und - stärker werdend - freie, meist kleine Träger, die die Einrichtungen unterhalten. Die Trägerschaft der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände bringt es mit sich, dass dort bis auf wenige Ausnahmen keine Tarifverträge gelten, sondern bloß sog. Arbeitvertragsrichtlinien, die ohne Mitwirkung der Gewerkschaften zustande kommen. Eine Professionalisierung der Jugendhilfe muss auch die uneingeschränkte Interessenvertretung der Beschäftigten zur Folge haben, das kirchliche Sonderrecht ist zugunsten von Tarifverträgen aufzuheben. Auch kleinere, bislang nicht tarifgebundene Träger müssen zur Anwendung von Tarifverträgen verpflichtet werden.
Immer wieder versuchen Bundesländer, die Verantwortung für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in die Autonomie der einzelnen Kommune zu übertragen. Die landesgesetzlichen Regelungen werden aufgehoben und der finanzielle Landeszuschuss an die Kommunen ohne weitere Verpflichtungen überwiesen. Damit ist nicht nur die Qualität der Pädagogik, sondern sind auch die Arbeitsbedingungen der in den Einrichtungen Beschäftigten der Willkür kommunaler Entscheidungen ausgesetzt. Landeseinheitliche Regelungen und Standards sind unverzichtbare Voraussetzungen für qualifizierte Rahmenbedingungen. Es ist Aufgabe der Tarifpolitik, den Standard der Arbeitsbedingungen vertraglich zu normieren. Die GEW wird alles daran setzen, dass Erzieherinnen nicht schutzlos zum verschiebbaren Kostenfaktor werden, sondern die Tarifparteien ihre Arbeitsbedingungen in stabilen Abkommen regeln.
Längerfristig ist anzustreben, dass man die politische und administrative Verantwortung für Bildung und Erziehung in einem Zuständigkeitsbereich zusammenführt. Allerdings nicht Jugendhilfe als Unterabteilung der Schule, sondern auf der Grundlage eines neuen, gemeinsamen Verständnisses von Kooperation. Das Ziel ist ein "konsistentes Gesamtsystem von Bildung, Erziehung und Betreuung". Die ministerielle Zuordnung von Jugendhilfe zu Sozialem und Gesundheit, wie vielfach üblich, ist unproduktiv. Ebenso unproduktiv ist eine kurzfristige Ausgliederung des Bereichs Tageseinrichtungen für Kinder aus der Jugendhilfe und deren Zuordnung zum Bildungsbereich. Solange die Schule daran festhält, Bildung mit Aussonderung zu verbinden und nicht in der Lage ist, allen Kindern gleiche Chancen zu geben und jedes Kind optimal zu fördern, ist von einer derartigen Neuordnung kein qualitativer Gewinn zu erwarten. Gerade vor dem Hintergrund ganzheitlicher Bildungsprozesse und der Einheit von Bildung, Erziehung und Betreuung, hat die Jugendhilfe gegenüber der Schule eindeutige Vorteile.
Deutlich verbesserungsfähig ist die Vernetzung der Tageseinrichtungen für Kinder mit anderen, insbesondere sozialen Diensten in der Kommune. Dafür ist es sinnvoll, dass die entsprechenden Fachdienste sich regelmäßig austauschen und ihre Angebote koordinieren. Zur Verbesserung der Kooperation von Jugendhilfe und Schule soll die bislang getrennte Schulentwicklungs- und Jugendhilfeplanung zusammengeführt werden.
Die Finanzausstattung des Bereichs Kindertagesstätten muss deutlich verbessert werden. Nach internationalen Maßstäben muss man davon ausgehen, dass 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Tageseinrichtungen für Kinder vorzusehen sind. Das bedeutet für Deutschland bei derzeit 0,4 Prozent des BIP mehr als eine Verdopplung. Deutschland hat insgesamt Nachholbedarf in der Finanzausstattung des Bildungswesens. So werden im OECD-Durchschnitt 5 Prozent des BIP für Schulen ausgegeben, in Schweden 6,6 Prozent, in Finnland 5,8 Prozent, in Deutschland aber nur 4,4 Prozent. Zudem ist die Finanzausstattung der einzelnen Bildungsbereiche höchst unterschiedlich: So werden pro Schüler an der Grundschule 3.500 Euro investiert, an der Hauptschule 4.700 Euro und am Gymnasium 5.100 Euro. Ein Hochschulplatz kostet 9.100 Euro. Für Tageseinrichtungen für Kinder belaufen sich die Ausgaben pro Platz aber nur auf 3.200 Euro. Angesichts der enormen Bedeutung der frühen Förderung von Kindern für deren weiteren Bildungs- und Lebensweg ist es dringend erforderlich, den Bereich der Kindertagesstätten finanziell besser auszustatten. Der Besuch von Kindertagesstätten muss, weil sie der Elementarbereich des Bildungswesens sind, möglich sein, ohne dass Eltern dafür Beiträge zahlen. 150 Jahre nach Abschaffung des Schulgeldes ist es an der Zeit, diese Bildungsgebühr für kleine Kinder ebenfalls abzuschaffen.
Der Ausbau von Tageseinrichtungen für Kinder zu Bildungsstätten ist von den Ländern und Kommunen alleine wohl kaum zu bewältigen. Es ist darüber nachzudenken, wie der Bund sich daran beteiligen kann. Zum einen ist er für Bildung nicht zuständig, zum anderen darf vom Bund kein Geld direkt an die Kommunen fließen. Eine Modellversuchsfinanzierung ist deshalb der ungeeignete Weg, weil es darum geht, den Bildungsauftrag auf Dauer zu realisieren und nicht für die befristete Zeit eines Projekts. Immer deutlicher wird, dass es auf Dauer weder eine sinnvolle Finanz- noch eine sinnvolle Familienpolitik ist, die individuellen finanziellen Transferleistungen wie Kindergeld und Kinderfreibeträge weiter zu erhöhen. Der finanzielle Schwerpunkt muss eindeutig auf den Ausbau und die qualitative Verbesserung der Tageseinrichtungen für Kinder gelegt werden.
C. Folgerungen für die Politik
Es ist politisch unbestritten, dass für den Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder mehr getan werden muss. Insbesondere gibt es einen breiten Konsens über den Ausbau an Plätzen in Krippen und Horten und die Verlängerung der Öffnungszeit hin zu einem Ganztagsangebot. Einen Konsens gibt es auch hinsichtlich der Sprachförderung kleiner Kinder aus Migrantenfamilien, aktuell meist in der Form spezieller Kurse. Unterschiedliche Wege geht man beim Übergang von der Kindertagesstätte in die Schule. Sehr stark wird diskutiert, ein - zumindest für ausländische Kinder - verpflichtendes Vorschuljahr einzuführen - entweder an der Schule oder in der Kindertagesstätte. Vor Schuleintritt solle die Schule eine Art "Aufnahmeprüfung" durchführen, um insbesondere die sprachlichen Fähigkeiten zu testen. Diese Vorschläge beruhen auf der Vorstellung, man könne Bildungserfolge durch Aussonderung erzielen, eine, wie man mittlerweile weiß, irrige Auffassung.
Die GEW ist der Auffassung, dass sinnvoller als alle Einzelmaßnahmen, die auf übereilten Schlussfolgerungen aus der PISA-Studie resultieren, ein zwischen allen Beteiligten abgestimmtes Vorgehen ist, das das Ziel verfolgt, Tageseinrichtungen für Kinder insgesamt zu Bildungseinrichtungen auszubauen. Wichtigste Voraussetzung für eine Bildungsplanung in diesem Bereich ist die Übereinkunft der Träger und der Jugendhilfepolitik über die Ziele, Inhalte und Methoden frühkindlicher Pädagogik sowie die zu deren Umsetzung notwendigen Rahmenbedingungen und Ressourcen. Die GEW verlangt deshalb, auf der Grundlage der Forschungen im Rahmen der "Nationalen Qualitätsinitiative" und unter Beteiligung der Gewerkschaften auf Bundes- und Landesebene verbindliche Qualitätsstandards sowie einen Stufenplan zu deren Realisierung zu vereinbaren.
Qualitätsentwicklung geht allerdings nicht durch Anordnung von oben, sondern bedarf eines kontinuierlichen Prozesses in den einzelnen Teams der Einrichtung und mit den Eltern. Ohne Einbeziehung der Erzieherinnen wird es keine qualitativen Veränderungen geben. Es ist deshalb notwendig, die Interessenvertretungen der Beschäftigten in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Die GEW ist bereit, sich daran aktiv zu beteiligen.
Eine Schlüsselfrage, wenn nicht die "Schicksalsfrage", ist die nach der zukünftigen Ausbildung der Erzieherinnen. Ein Verharren im heutigen System der Fachschule wird es nicht erlauben, den Bildungsauftrag ernsthaft umzusetzen. Zwei weitere Aspekte kommen hinzu: Die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger geht in den nächsten Jahren zurück. Es wird zu einem enormen Wettbewerb um Berufsanfänger kommen. Gute Schülerinnen und Schüler werden vom Erzieherberuf abgeschreckt, wenn er in der Hierarchie der Berufe an unterer Stelle angesiedelt ist. Nur mit dem Angebot einer qualifizierten Ausbildung, einem anspruchsvollen Berufsbild und Karrieremöglichkeiten wird man den Wettbewerb gegenüber z.B. den IT-Berufen gewinnen. Das Argument, man wolle den Beruf für die schwächeren Haupt- und Realschülerinnen offen halten, kann man nur zynisch nennen. Kleine Kinder haben die besten Erzieherinnen verdient, die man bekommen kann, und nicht diejenigen, die sonst keiner haben will.
Die Forderung, die Ausbildung inhaltlich zu verbessern, sie wissenschaftlich zu fundieren und das Berufsbild aufzuwerten, wird seit langem von zahlreichen Sachverständigen erhoben. Deutschland ist neben Österreich das einzige Land, das die Erzieherausbildung noch nicht an der Fachhochschule anbietet. Die GEW fordert deshalb dringend, unverzüglich Schritte in die Wege zu leiten, damit so schnell wie möglich mit einer Ausbildung an Fachhochschulen begonnen werden kann. Für die heute im Dienst befindlichen Erzieherinnen sind Fortbildungsprogramme zu entwickeln. Der eklatante Mangel an frühkindlicher pädagogischer Forschung und die enormen Schwierigkeiten, Wissenschaft und Praxis zusammen zu bringen, behindern die Entfaltung der Potentiale. Die Akademisierung des Berufes ist deshalb auch Voraussetzung für die konzeptionelle Weiterentwicklung. Die Zahl der universitären Forschungsinstitute zur frühkindlichen Bildung ist deutlich zu erhöhen. Mindestens muss es in jedem Bundesland eine Forschungseinrichtung geben.
Der Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder braucht eine deutlich verbesserte Finanzausstattung. Kindertagesstätten sind nicht die "armen Verwandten" des Bildungswesens, sondern die Bank, von der man, wenn man früh genug einzahlt, später eine Menge Gewinn herausholen kann. Ausgaben für Kinder sind keine verlorenen Zuschüsse in marode Unternehmungen, sondern Investitionen in die Zukunft.