Welterkundung statt Stillsitz-Theater

Aus: "Das andere Theater" 2001, 11. Jahrgang, Heft 1 (Copyright bei den Autorinnen)  

Sabine Kolbe und Anne Swoboda

Die Theaterpädagoginnen Anna Swoboda und Sabine Kolbe haben den Theaterbesuch von drei Gruppen mit ganz kleinen Kindern theaterpädagogisch begleitet und das Rezeptionsverhalten der Kinder beobachtet. Ausgewählt waren zwei Inszenierungen im Rahmen des Festivals "Unter dem Tisch" vom 12. bis 17. Oktober 1999 in der SCHAUBUDE Berlin.

Kann Theater für die ganz Kleinen überhaupt funktionieren? Wie erleben die kleinen Kinder die Theatervorstellung? Was erinnern sie nach einigen Tagen davon? Wie sollten sie auf einen solchen Theaterbesuch vorbereitet werden?

Um diesen Fragen in Auseinandersetzung mit und durch Beobachtung der Zielgruppe nachzugehen, haben wir für die Vorstellungen "Unter dem Tisch" von der ACTA-Compagnie und "Krikel Krakel" von Phenomene Tse-Tse (beide Frankreich) eine jeweils ca. halbstündige Vor- und Nachbereitung des Theaterbesuches entwickelt und in drei Kindergartengruppen durchgeführt. Bei der Auswahl der Gruppen spielten die unterschiedlichen Sozialisationsorte Berlins und der Berliner Umgebung eine entscheidende Rolle, denn wir beabsichtigten, die Unterschiede aufgrund der Lebensumstände der Kinder mit in die Beobachtungen einzubeziehen. So haben wir eine Kindergartengruppe aus dem näheren Berliner Umland aus Mühlenbeck, eine Gruppe aus einer Kita aus dem Prenzlauer Berg und eine aus einem Kinderladen aus dem Tiergarten ausgewählt.

Das Alter der Kinder bewegte sich zwischen 1 1/2 bis 4 Jahren, die soziale Herkunft war gemischt. In einem kurzen Fragenkatalog sind Auskünfte der Erzieherinnen zusammengestellt, die Strukturen und Abläufe in den jeweiligen Gruppen genauer beschreiben und damit ansatzweise vergleichbar machen. Aus diesen Antworten zusammengefaßt, läßt sich vorab folgendes sagen: Für zwei Gruppen war es der erste Theaterbesuch. Spielerische Elemente des Darstellenden Spiels sind im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit Märchen in jeder Kindereinrichtung, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, gebräuchlich. Das Vor- und Nachbereitungsangebot zum Theaterbesuch wurde von allen Erzieherinnen als besondere und sinnvolle Ergänzung des Theaterbesuchs begrüßt.

Zur Vorbereitung

Eingebunden in ein eröffnendes und abschließendes Ritual, welches klare körperliche Bewegungen mit einfachen Sprachbildern koppelt, haben wir uns dem inhaltlichen Ansatz der Stücke einmal mit dem Illusionsspiel (zu "Unter dem Tisch") zum anderen mit dem Materialspiel (zu "Krikel Krakel") genähert.

Mit dem Illusionsspiel (hier unter Einbeziehung des Gegenstandes Tuch) ist es möglich, die schöpferische, frei gestaltende geistige Kraft des Kindes, welche sich im symbolischen Als-ob-Handeln entfaltet, zu wecken. Über das Spiel mit dem eigenen Körper imaginieren die Kinder erst eine Wasserfläche und dann deren Bewohner. Im Theater wird ihnen diese Als-ob-Realität wieder begegnen: Ein großer Tisch mit Tischtuch wird zum Ozean, in welchem sie nun dessen Bewohnern zuschauen können.

Der spielerische und entdeckende Umgang mit dem Material Papier als Vorbereitung von "Krikel Krakel" soll die Kinder für das Material sensibilisieren und so den Boden für aktives Zuschauen bereiten.

Zur Nachbereitung

In den Nachbereitungsterminen haben wir, unter Verwendung der den Kindern durch die Vorbereitung bekannten Materialien Tuch und Papier, eine spielerische Situation mit dem Material etabliert. Diese sollte es ermöglichen, sich erinnernd in das Theatererlebnis zurückzuversetzen.

In protokollarischer Form ist nun jeweils unser Vorgehen bei der Vor- und Nachbereitung des Theaterbesuchs nachzulesen, ebenso wie die in den Einrichtungen gemachten Beobachtungen.

Vorbereitung von "Unter dem Tisch"

In der Kreismitte befindet sich eine große Schüssel mit Sand und Muscheln, in dieser Schüssel eine zweite Schüssel mit Wasser und einem Fisch. Dieses Objekt ermöglicht einen visuellen Einstieg in das Sujet Wasser.

1. Ritual

Wir etablieren eine Bewegungsabfolge zu dem Kinderreim "Wasser und Fisch":

"In einem See ganz klar und frisch
lebt ein kleiner Fisch
schwimmt, schwimmt, schwimmt,
springt, taucht, paddelt, ruht.
Läßt sich schaukeln in der Flut.
Stimmt's? Das Fischlein hat's gut."

Die Bewegungen und der Reim werden nun mehrmals gemeinsam wiederholt.

2. Das große blaue Tuch - Illusionsspiel

Das große blaue Tuch wird ausgebreitet und alle stehen im Kreis darum. Gemeinsam umrunden wir im Gänsemarsch mehrmals die imaginäre Wasserfläche. Mit einem Fuß probieren wir mehrmals, wie kalt und naß das Wasser ist. Alle setzen sich um das Tuch und fassen es mit beiden Händen. Zunächst haben wir eine ganz stille Wasseroberfläche, dann entstehen kleine und große Wellen. Das Tuch wird wieder abgelegt, und wir können uns mit dem imaginären Wasser vollspritzen. Nun hüpfen alle ins Wasser (auf das Tuch). Wir schwimmen, und wir spielen alle Fische. Alle verlassen die Tuchfläche und bilden wieder einen Kreis um das Tuch, die Spielleiterinnen wirbeln das Tuch nach oben, so daß sich die Fische nun lebhaft im Meer (unter dem Tuch) bewegen können. Die Kinder entdecken die Fische, die sich auf der Tuchunterseite befinden. Zum Abschluß drehen wir das Tuch so um, daß die Fischseite zum Betrachter zeigt.

3. Ritual

Abschließend wiederholen wir gemeinsam das Bewegungsspiel "Wasser und Fisch" vom Anfang.

Nachbereitung zu "Unterm Tisch"

Phase 1

Wir sitzen mit den Kindern im Kreis und versuchen, die Anfangssituation des Theatererlebnisses zu erinnern. Wir fragen sie, worauf sie gesessen haben - und wenn die Kissen erinnert werden - welche Farbe diese Kissen hatten.

Phase 2

Wir zeigen unsere Handrücken und fragen, ob es im Theater etwas auf den Händen gab. Jedes Kind, das mag, bekommt nun eine Farbwelle auf den Handrücken gezeichnet. In der Kreismitte wird das große blaue Tuch ausgebreitet. Alle stecken ihre Füße darunter. Mit den Füßen können wir Wellen machen. Wir fragen, worauf die Kinder im Theater gesessen haben und welche Farbe das Tuch im Theater hatte. Was war auf dem Tuch? Für jedes Kind haben wir ein kleines Papierschiffchen vorbereitet, das jeder nun auf dem Tuch herumfahren lassen kann. Wir fragen, wer noch an der Wasseroberfläche zu sehen war.

Phase 3

Nun tauchen wir gemeinsam unter die Wasseroberfläche (unter den Tisch). Wir fragen, wie sich die Personen dort bewegt haben und ob uns das jemand zeigen kann.

Phase 4

Gemeinsam verlassen wir die Wasserhöhle wieder. Wir fragen die Kinder: Was habt ihr dann draußen gemacht? Könnt ihr uns das zeigen?

"Unter dem Tisch" - Kita "Raupe Nimmersatt" in Mühlenbeck (östliches Umland von Berlin)

1. Fragen an Erzieherin

Alter der Kinder: "Aufrückgruppe" 1 ½ bis 2 ½ Jahre alt

Gruppengröße: 8 Kinder

Mädchen/Jungen: 4/4

soziale Herkunft: sehr gemischt; besonders Einzelkinder nach langem Kinderwunsch

Sind Fingerspiele bekannt?: ja

Sind Reime bekannt?: ja

Ist Darstellendes Spiel bekannt?: ja - Bewegungsspiele mit Schwungtuch draußen (Schwungtuch darf nicht betreten werden)

Sind Märchen bekannt?: integriert in den Ablauf des Jahres (in Ansätzen)

Ist es der erste Theaterbesuch?: ja - allerdings haben die Muttis bereits einmal zu einem Fest "Die drei kleinen Schweinchen" gespielt.

Vorbereitung des Theaterbesuches: keine

Tagesgestaltung: Treffen 8.00 Uhr, möglichst schon gefrühstückt, langer Fußweg zur S-Bahn (3/4 Stunde), größtenteils erste S-Bahnfahrt für die Kinder

Themenvorschläge für Theater: eigenes Umfeld der Kinder

2. Beobachtungen während der Arbeit mit den Kindern

Der Raum ist sehr klein und voll gestellt, es befinden sich drei Gitterbetten, eine Rutsche und eine Unmengen Spielzeug in dem Zimmer. Die drei Erzieherinnen sind während unserer Arbeit mit den Kindern ziemlich laut ins Gespräch vertieft. Ein Beginn im Kreis ist nicht möglich, da den Kindern die Kreisform unbekannt ist. Wir fangen daher dort an, wo die Kinder sind. Wir brauchen besonders viel Geduld. Alles dauert sehr lange. Oft sind wir schon einen Gedanken weiter, dann kommen die Kinder hinterher. Es fällt schwer, sich auf dieses Tempo einzustellen. Das Wasser in unserer Schüssel wird für die Kinder zu etwas Besonderem, zaghaft wird es ausprobiert. Daß wir mit einer Hand einen Fisch darstellen, wird von drei Kindern nachvollzogen, auch der Übergang von dem realen Wasser in der Schüssel zu dem mit dem Tuch gespielten Wasser ist kein Problem. Anscheinend ist es für die Kinder besonders wichtig aber auch besonders schwierig, sich etwas zu trauen, z.B. beim Rennen über das Tuch.

3. Beobachtung im Theater

Ein Kind weint von Anfang an und beruhigt sich sehr langsam erst auf dem Arm der Erzieherin. Die anderen Kinder sind nur zum Teil und nur mit Hilfe der Erzieherin am Geschehen interessiert. Ein Kind blieb völlig äußerer Beobachter.

4. Beobachtung bei der Nachbereitung

Von allen wird die S-Bahnfahrt sofort spontan erinnert. Zwei Kinder erinnern die Farbwelle und lassen sie sich erneut auf ihre Hand malen. Weitere Erinnerungen oder Reaktionen auf die Aufführung sind nicht erkennbar. Mit den Schiffchen wird unabhängig von der Erinnerung an das Theater gespielt.

5. Nachgespräch mit den Erzieherinnen

Das größte Erlebnis für die Kinder war die S-Bahnfahrt und der Fahrstuhl auf dem Bahnsteig. Die Gruppe war insgesamt vier Stunden unterwegs. Die Erzieherinnen schätzen ein, daß die Kinder im Theater kein emotionales Erlebnis hatten. Das müsse daran gelegen haben, daß die Kinder nicht neugierig gemacht wurden. Nur mit dem Wort "Geheimnis bzw. Überraschung" konnten sie nichts anfangen. Kritisiert wird, daß die Kinder zum Schiff gehen mußten und nicht selbst entscheiden konnten. Es ist die einhellige Überzeugung der Erzieherinnen, daß es im Theater eben nicht möglich sei, die Zuschauer zu etwas zu zwingen.

Sie sind überzeugt, daß das Thema des Stücks für die Kinder kaum erfaßbar war, das habe auch an der Verwendung von den Kindern unbekannten Begriffen (z.B. Admiral) gelegen. Daß Gummibärchen verteilt wurden, wird mit einem skeptischen "Naja!" kommentiert. Die Kommunikation zwischen den Spielern und der Dolmetscherin über die Köpfe hinweg wird sehr kritisch eingeschätzt, wobei die fremde Sprache an sich nicht als Problem gesehen wird.

Die begleitenden Eltern haben die ganze Inszenierung abgelehnt oder sie zumindest äußerst skeptisch bewertet. Als besonders beängstigend wurde der kahl geschorene Kopf des Schauspielers empfunden.

Die Erzieherinnen äußern trotz des vorwiegend negativen ersten Theatererlebnisses den Wunsch, daß es Theater für die ganz Kleinen geben sollte. Es sollten dabei die sinnlichen Eindrücke eine zentrale Rolle spielen (z.B. leuchtende Grundfarben). Außerdem müßten die Kinder neugierig gemacht und ihr eigenes Erleben sollte gespiegelt werden.

"Unter dem Tisch" Kita "Frecher Spatz" im Tiergarten (westlicher Stadtbezirk in Berlin)

1. Fragen an die Erzieherin

Alter der Kinder: 2 bis 2 ½ Jahre

Gruppengröße: 5 Kinder

Jungen/Mädchen: 3/2

soziale Herkunft: Besserverdienende

Kitaprofil: Elterninitiative, gemischte Gruppe von 20 Kindern, 2-6 Jahre, drei Erzieherinnen, Kinder hatten drei Monate kein Spielzeug, Überfütterungsproblematik, wurde mit den Kindern vorher besprochen, daher sehr hoher Grad an "Befantasierung", Zusammenspiel und Gruppendynamik wurde sehr gestärkt, Kinder haben in der Zeit nur mit Matratzen, Kisten und selbst gesuchten Dingen gespielt, für die Erwachsenen war dieser Prozeß weitaus schwieriger, von den Kindern wurde er spontan und gut aufgenommen.

Sind Fingerspiele bekannt?: sehr intensiv

Sind Reime bekannt?: ja, wöchentlich kommt ein Musikpädagoge

Ist Darstellendes Spiel bekannt?: nein

Sind Märchen bekannt?: spielen bei den Kindern ab 4 Jahren ein große Rolle im Jahresablauf, geschlechtsspezifisch besonders bei Mädchen

Ist es der erste Theaterbesuch?: nein, die Gruppe hat schon Erlebnisse im Musiktheater. z.B. beim Kindermusiktheater Woffelpantoffel

Vorbereitung des Theaterbesuches: Gespräche einige Tage vorher, bei Thema entsprechendes Buch vorlesen, Vorbereitung auf den Weg

Tagesgestaltung: normalerweise Eintreffen der Kinder im Kinderladen zwischen 9:00 und 10:00 Uhr; bei Theaterbesuch jedoch bereits 8:45 Uhr; möglichst gefrühstückt kommen; der Weg soll ein Erlebnis sein

Themenvorschläge für Theater: ganz leichtes Thema, keine Märchen, sondern Thema des unmittelbaren Umfeldes, Meer/Urlaub/Zuhause/Geschwisterchen bekommen/Höhle, Ästhetik fürs Auge - schöne Kostüme, keine schnellen Szenenwechsel

2. Beobachtungen während der Vorbereitung

Der Raum ist ruhig und bis auf Bananenkisten und Matten leer, es gibt kein Kunstlicht, die Wände sind gelb gestrichen. Eine Erzieherin ist dabei. Unser Konzept scheint bei dieser Gruppe aufgegangen zu sein.

Unsere Schüssel als sinnliches Objekt wird als Wunder aufgenommen. Alle schauen, sind zwar sehr vorsichtig, aber aktiv. Als wir den Kindern die Schüssel hinschieben, ergibt sich der erste Kontakt. Das Wasser wird nun zum besonderen Wasser. Der Spruch und der eigene Handfisch der Kinder wird von vier der fünf Kinder mitgespielt. Der Spruch wird von den Kindern um die Worte "und trinkt" selbst erweitert. Es ist mehrmaliges Wiederholen des Bewegungsspieles und des Spruches möglich.

Das Tuchwasser wird erst auf Initiative der Kinder umrundet. Beim Berühren des Wassers wollen die Kinder ihre Schuhe ausziehen. Sie haben das Tuch vollständig als Wasser akzeptiert. Dinge, die sich im Raum befinden, werden einbezogen. Die Kinder spritzen sich gegenseitig voll, sie geben dem Holzpferd zu trinken. Sie setzen sich eher vorsichtig ins Wasser. Es wird nicht wild gesprungen. Das Schwimmen wird ganz realistisch im Liegen gespielt, getaucht wird, indem sich die Kinder in das Tuch "eingraben". Der Fisch mußte unbedingt mit auf das blaue Tuch, er spielte zentrale Rolle. Es entsteht das Spiel "Mamafisch, Papafisch und kleiner Fisch" (unser mitgebrachter). Wenn der Fisch taucht, wird er in einer Falte des Tuches versteckt. Alle wollen den kleinen Fisch haben. Wir zeigen den Kindern hier die Grenze, die klare Regel wird akzeptiert. Unter dem Tuch wird mit vollem Körpereinsatz weiter gespielt, die Fische an der Unterseite des Tuches werden entdeckt.

3. Beobachtung im Theater

Die Kinder werden sehr intensiv von den Erwachsenen betreut. Sie sind sehr zurückhaltend, als sie noch oben am Tisch sitzen. Unter dem Tisch sind sie sichtlich beängstigt, vor allem die großen Männerfüße erschrecken sie. Mit dem Auftauchen der Gummibärchen entspinnt sich ein regelrechter Gummibärchen-Kampf unter den Kindern dieser Gruppe, der durch die Erzieherinnen geschickt gelenkt wird.

4. Beobachtung der Nachbereitung

Wir werden von den Kindern sofort wieder erkannt. Die Kinder erinnern sich, daß sie sich im Theater auf rote Kissen gesetzt haben. "Ja, so fing das Theater an!" Die erste spontane Reaktion auf die Frage nach dem Theater ist die Erinnerung: "Da gab's Gummibärchen!" Auf unsere Nachfrage wird noch einmal bestätigt, daß es Bärchen waren. "Die schwammen rum. Die konnte man schnell nehmen und essen."

Wir holen den Schminkkasten. Die Kinder erinnern sich an das Schminken des Gesichtes, und daß die Spieler auf Stühlchen saßen. Ein Kind erinnert sich daran, daß es einen Strich auf der Hand hatte. Zwei Kinder erinnern sich an die Farben rot und blau. Die Kinder lassen sich nun alle von uns eine rote oder blaue Welle auf die Hand malen.

"Was kam dann?" "Klappe zu! Und viele haben geweint." Der Zusammenhang von Schiff, Meer und Tisch wird nicht erinnert. Wir stecken die Füße unter die Decke vor uns. Die Kinder erinnern sich, daß sie so auch im Theater gesessen haben. Weiter erinnern sie sich daran, daß mit den Schiffchen gespielt wurde und daß Wellen kamen. "Aus einem Schlitz kam ein Löwe raus. Da drunter war eine dunkle Höhle." Die Kinder regen an, daß wir alle unter das Tuch kriechen. Dort werden die Bewegungen der Spieler von den Kinder erinnernd nachgeahmt, auch das tun sie aus eigenem Antrieb. "In der Höhle hat der Löwe den Hasen gefressen." Die Kinder kriechen nach allen Seiten raus. Draußen bewegen sie sich intensiv. Wir fragen nach den Spielern, die Kinder antworten "Viele, viele!" Es scheint für sie keinen Unterschied zwischen den Spielern und dem Publikum zu geben, die Spieler und die anderen Zuschauer wurden von den Kindern als Fremde empfunden, die als die Akteure der Inszenierung begriffen wurden.

5. Nachgespräch mit der Erzieherin

Die Erzieherin fand, daß es eine schöne Aufführung gewesen sei, nur für die falsche Altersgruppe. Für Kinder ab vier Jahren wäre die Aufführung gut geeignet. Im Gegensatz zu vorherigen Theaterbesuchen hätten die Kinder dieses Mal nach der Vorstellung nichts erzählt. Meer, Schiff und Nixen seien für die Kinder nicht zu identifizieren gewesen. Der Theaterraum wurde als zu dunkel empfunden. Unverständlich war für die Erzieherin die Ermahnung an die Kinder, nichts anzufassen, kurz darauf durften die Kinder aber die Gummibärchen anfassen.

Vorbereitung von "Krikel Krakel"

In der Kreismitte befindet sich eine geheimnisvolle Kiste. Sie ist gefüllt mit Zeichenblättern, Zeichenrolle und Pastellkreiden. Aber das wissen die Kinder noch nicht.

1. Ritual

Wieder beginnen wir mit einer Bewegungsabfolge zu einem Kinderreim:

"Punkt, Punkt,
Komma, Strich,
Fertig ist das Mondgesicht."

Das Bewegungsspiel mit dem Reim wird mehrmals wiederholt.

2. Die Kiste

Jedes Kind nimmt sich ein Stück Papier aus der Kiste.

3. Papier am Körper

Alle nehmen das Papier in die Hand und wedeln damit. Jetzt halten alle das Papier vor das Gesicht und nehmen es dann wieder weg. Erst ist das Gesicht weg und dann wieder da. Wir legen das Papier auf den Bauch und dann auf den Po, das Papier ist einmal vorn und einmal hinten. Nun halten alle das Papier über den Kopf, das Papier ist oben. Wir stellen uns auf das Papier, es ist jetzt unter uns. Nun stellen wir uns vor das Papier, wir stehen davor, dann stellen wir uns hinter das Papier, wir sind nun dahinter.

4. Papiermanipulation

Wir falzen das Papier, das gefaltete Papier wird zu einem Vogel. Mit dem Vogel in der Hand fliegen alle im Raum herum. Der Vogel landet - wir sitzen alle im Kreis. Wir knüllen das Papier, den Papierball werfen wir hoch und fangen ihn wieder auf. Dann werfen alle den Papierball in die Kiste.

5. Krikel Krakel auf Papier

Nun wird eine Papierbahn ausgelegt. Jedes Kind bekommt ein Stück Pastellkreide aus der Kiste und malt einen "Krikel Krakel" auf das Papier.

6. Ritual

Wieder schließen wir mit der Bewegungsabfolge zu dem Kinderreim ab und wiederholen das Spiel mehrmals.

Nachbereitung zu "Krikel Krakel"

Phase 1

Im Kreis beginnen wir mit der mehrmaligen Wiederholung der Bewegungsabfolge zum Kinderreim "Punkt, Punkt, Komma, Strich - fertig ist das Mondgesicht!". Im folgenden wird das "Komma" von uns durch auf die Nase aufgeklebte Punkte ersetzt. Wir fragen, welches Geräusch diese Punkte gemacht haben? Jedes Kind, das möchte, bekommt auch einen Punkt auf die Nase geklebt.

Phase 2

Auf dem Boden befindet sich ein aufgeklebtes weißes Kreuzchen, außerdem kleben wir mit weißen Klebestreifen die erste Ecke eines Rechtecks. Wir fragen, ob es im Theater auch solche aufgeklebten Streifen gegeben hat und wo sie sich befunden haben. Anschließend vervollständigen die Kinder mit unserer Hilfe das Rechteck aus Klebestreifen auf dem Fußboden. Wir fragen, was die Spielerin mit und in diesem Rechteck gemacht hat. Gemeinsam spielen wir drin und draußen. Wir wollen wissen, was mit den Klebestreifen noch passiert ist?

Phase 3

Wir halten eine große Papierbahn hoch. Wir spielen davor und dahinter. Auf der Papierbahn gibt es drei Fensterchen. Nacheinander werden sie von uns geöffnet. Hinter dem ersten befindet sich nichts. Hinter dem zweiten befindet sich ein Punkt, Punkt, großer Punkt, das wird ein Gesicht. Wir fragen, was fehlt. Wir ergänzen die fehlende Nase mit einem schwarzen Klebepunkt. Das dritte Fenster wagen wir uns nicht zu öffnen, sehen nur an einem Eckchen drunter und erschrecken. Dann kleben wir es mit zwei Klebestreifen zu. Nun wollen wir wissen, was hinter dem Fensterchen ist.

Phase 4

Auf die Rückseite der großen Papierbahn malen die Kinder, was sie hinter dem dritten Fenster gesehen haben.

"Krikel Krakel" - Kita Preußenstraße (östlicher Stadtbezirk in Berlin)

1. Fragen an die Erzieherin

Gruppengröße: 13 Kinder

Mädchen/Jungen: ausgewogen

soziale Herkunft: sehr gemischt, typisch Prenzlauer Berg

Sind Fingerspiele bekannt?: ja

Sind Reime bekannt?: ja

Ist Darstellendes Spiel bekannt?: ja, Kreis ist bekannt, Musikerziehung einiger Kinder

Sind Märchen bekannt?: Rotkäppchen, dazu Rollenspiele

Ist es der erste Theaterbesuch?: ja

Vorbereitung des Theaterbesuches: hell/dunkel wird thematisiert. Die Kinder waren schon im Kino, doch das "Spatzenkino" ist nicht ganz dunkel. Üben des Weges, viele Autofahrerkinder kennen das Theater von außen

Tagesgestaltung: Kinder werden vor 9.00 Uhr bestellt, um Streß zu vermeiden, dann läuft die Gruppe zum Theater, der Weg als Erlebnis

Themenvorschläge für Theater: direktes Umfeld der Kinder - soziales Verhalten in der Familie- Trösten- Zahnschmerzen- Straßenverkehr- Form des traditionellen Handpuppenspiels

2. Beobachtungen während der Vorbereitung

Der Raum ist leer und vorbereitet. Zwei einfühlsame Erzieherinnen und eine Mutter nehmen an der Vorbereitung teil. Die Kinder wissen, daß sie zu "Krikel Krakel" ins Theater gehen. Die Gruppe kennt den Kreis, und es ist eine sehr gute Kreisarbeit möglich. Die Kinder werden während "Punkt, Punkt, Komma, Strich" langsam lockerer, wir bleiben mit mehreren Wiederholungen dran. Die Kinder trauen sich nicht, in die Kiste zu gucken. Deshalb nähern wir uns alle gemeinsam der Kiste und gucken vorsichtig rein. Die enttäuschte Reaktion: "Die Kiste ist leer! Da ist bloß Papier drin! Damit kann man nur malen."

Die folgende Arbeit mit dem Papier am Körper hat mit allen gut funktioniert. Beim Spiel mit dem gefalteten Papier werden von den Kinder konkrete Vögel gespielt, so gibt es z.B. einen Motorvogel, und einen Entenvogel. Die Vögel landen auf Körperteilen anderer Kinder. Dieses Element haben die Kinder selbst erfunden. Mit dem Teilen des Blattes sind die meisten überfordert. Die Erzieherinnen haben sich intensiv an den Übungen beteiligt und beim Umgang mit dem Material anscheinend ihre Sonderposition in der Gruppe vergessen.

3. Beobachtungen im Theater

Als die Spielerin auftaucht, fangen einige Kinder an zu weinen, beruhigen sich aber, nachdem sie von den Erzieherinnen auf den Schoß genommen werden. Die meisten Kinder beteiligen sich intensiv ab dem zweiten Drittel der Aufführung. Die fremde Sprache (Französisch) wird nachgeahmt. Es besteht der starke Wunsch, in das Ballspiel einzusteigen. Die Kinder rufen immer wieder: "Zu mir! Zu mir!" Am Ende der Vorstellung lassen sich die Kinder erst einen Punkt auf die Nase kleben, nachdem eine Erzieherin damit begonnen hat.

4. Beobachtungen während der Nachbereitung

Wir werden von den Kinder als "Puppentanten" begrüßt. Das "Punkt, Punkt, Komma, Strich" - Ritual wird gut erinnert und aktiv mitgespielt. Alle Kinde außer einem "Neuling" lassen sich einen Punkt auf Nase oder Wange aufkleben. Zwei Kinder erinnern sich genau an die aufgeklebten Kreuze. An das Rechteck auf dem Boden erinnern sich ebenfalls zwei Kinder. Es wird nicht erinnert, daß das Rechteck aus unterbrochenen Linien bestand, denn die Kinder kleben durchgehende Linien. Die Melodien werden zunächst nicht erinnert, aber dann spielt ein Vierjähriger die Melodien auf den Streifen. Das Spiel Drin und Draußen spielen die Kinder mit Begeisterung, sie verbinden es aber nicht unbedingt mit der Theatervorstellung. Es wird zu einem Problem, jedem Kind die Möglichkeit zu lassen, allein Drin zu sein. Das Drin ist der besondere Ort.

Das weiße große Papier wird erinnert, auch sein Ort an der Wand. Dagegen erinnert sich niemand an etwas Gemaltes hinter den Fenstern. Aus der momentanen Vorstellung entstehen dann die Krikelkrakelbilder, die zeigen, was sich hinter dem zugeklebten Fensterchen befinden könnte (Puma, Löwe ...). Dabei ist zu beobachten, daß sich die Kinder gegenseitig in ihrer Phantasie "anstecken"

5. Nachgespräch mit der Erzieherin

Die Erzieherin meint, daß die Kinder in der vordersten Reihe zu nah dran gesessen hätten, dadurch hätte der Größenunterschied zwischen Kindern und Schauspielerin eine furchteinflößende Dimension bekommen. "Die Puppen sind natürlich immer kleiner als die Kinder." Vielleicht wäre daher das Spiel mit Puppen für die Kleinen die bessere Variante für die Erstbegegnung mit Theater. Die Beschränkung der Inszenierung auf Schwarz und Weiß habe zu einer dämonischen Stimmung beigetragen. Die Erzieherin fragt, warum nicht mit den anderen klaren Grundfarben gearbeitet wurde. Sie empfand die Sprachbehandlung als "Französisch für Anfänger" und für Kinder unpassend. Die direkte Reaktion der Spielerin auf die Äußerungen der Kinder habe gefehlt, in dem Spiel mit dem Ball habe das Stück zu kippen gedroht. Sie fühlte sich mit ihren Kindern wie "Versuchskaninchen", und sie mahnt daher die Verteidigung der langsamen Kinderseelen an.

Abschließende Betrachtungen

In jeder Gruppe ist es sehr wichtig, wie der Theaterbesuch in den Tagesablauf eingebunden ist. Der Tagesablauf ist vorher genau besprochen worden, in zwei Fällen ist auch schon ein Teil des Weges vorher abgelaufen worden. Das "erste Mal" heißt für die Kinder einerseits Erweiterung ihres "Ortsradius", sie entdeckten ein Stück unbekannte Umgebung. In zwei Fällen nutzten sie sogar bis dahin unbekannte Verkehrsmittel, die von ihnen erobert werden. Als neue Erfahrung eines bis dahin ebenfalls unbekannten Stück Welt wartet dann die Begegnung mit dem Medium Theater auf sie. Können sie dem Spiel des Theaters mit dem Als ob nach ihren starken und zum Teil völlig neuen Eindrücken von der Wirklichkeit noch folgen? Ist es ihnen schon möglich, auf die Ebene des Als ob einzusteigen? Wichtig scheinen uns grundlegende Kenntnisse über den Stand der Eigen- und Weltwahrnehmung der Kinder zu sein, um Überforderungen zu vermeiden und Theater nicht als "Stillsitz- und Guck-hin-Forderung" zu etablieren.

Da das Weltentdecken und Ausprobieren der Motor des kleinkindlichen Verhaltens ist, sollte Theater für die ganz Kleinen vielleicht "angeleitete" Welterkundung mit ästhetischen Mitteln und Methoden sein.

Es kristallisiert sich die Forderung heraus, daß Spielerinnen und Spieler, die für die ganz Kleinen Theater machen wollen, unbedingt die praktische Beschäftigung mit Kindergruppen des entsprechenden Alters in ihre Arbeit einbeziehen sollten. Denn es geht darum, das spezielle Wahrnehmungstempo der Kinder (ihre Langsamkeit) mitzuerleben und zu verteidigen. Es darf in diesem Fall nicht vorrangig um das wiederentdeckte Kind im Künstler gehen, das natürlich in anderer Hinsicht Grundlage der Arbeit für die Darstellerinnen und Darsteller sein kann.

In der Gruppe bedarf der erste Theaterbesuch unbedingt einer einfühlsamen Vorbereitung durch die Erzieherinnen. Im Idealfall sollten diese durch Theaterpädagogen unterstützt werden, die als Bindeglied zwischen Kindereinrichtung und Theater fungieren können. Wünschenswert wäre natürlich, solche Kontakte nach dem ersten Theaterbesuch fortzuführen und eine kontinuierliche Begegnung mit dem Medium Theater zu etablieren, die über den alljährlich beliebten Besuch einer Weihnachtsvorstellung hinaus geht und Theatererfahrungen zu einer besonderen und spannenden Art der Welterfahrung auch schon für die ganz Kleinen macht.

Autorinnen

Sabine Kolbe und Anne Swoboda sind Puppenspielerinnen und Theaterpädagoginnen. Sie geben auch Workshops.
Kontakt:
Theater Siebenschuh
Maximilianstraße 45
13187 Berlin

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