Kerstin Paulussen
Kinder entwickeln mit zunehmendem Alter ein Bewusstsein für die Zeitwahrnehmung und das Zahlenverständnis, das durch eine entsprechende kognitive Entwicklung erst aufgebaut wird. Laut Piagets Theorie zur kognitiven Entwicklung (vgl. Piaget 1998) ist ein Zahlen- und Mengenverständnis erst mit Beginn der Schulzeit und Abstraktionen erst im Jugendlichen-Alter vorhanden. Das beginnende Verständnis für Zahlen und Zeit wird durch Wiederholung, Gewöhnung und durch Rituale erlernt (vgl. Bostelmann, Klingen & Schaper, 2016). Das wirkliche Verstehen von Zahlen, Mengen und deren Wert, insbesondere das Verstehen von Zeit, erfolgt erst nachträglich mit vorangeschrittener kognitiver Entwicklung.
Zeitliche Wahrnehmung
Solange das Verstehen für zeitliche Dimension noch fehlt, wird das Gegenwärtige, das jeweilige und aktuelle Empfinden und die Befindlichkeit als andauernd, als omnipräsent wahrgenommen. Eine Selbst- oder Fremdregulation, im Sinne von „es ist ja gleich vorbei“ oder „um 12 Uhr wird die Mutter/der Vater kommen“, ist dem jungen Kind noch nicht möglich (vgl. Lazarus, 1999). Eine entsprechende (Selbst-)Beruhigung kann über diesen Weg daher nicht gelingen. Ein mitunter enormes Stressempfinden kann sich so einstellen (vgl. Bowlby, 2016). Durch eine langsame und an den Bedarfen von Kindern orientierte Heranführung an neue Situationen, kann das Stresserleben reduziert werden (vgl. Laewen, 2011).
Eingewöhnungskonzepte leisten dabei Bedeutendes, weil der Übergang von der häuslichen und familiären Situation in die erste institutionelle Umgebung gestaltet wird. Ritualisierte Elemente im Tagesablauf einer Kita helfen dabei, den Übergang gut zu gestalten, indem eine Orientierung geschaffen wird durch Wiederholung, die dabei hilft, Vertrautheit, Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln (vgl. Kleemiß, 2011).
Eine regelmäßig stattfindende Gesprächsrunde zum Bespiel, stellt ein Element in der Tagesstruktur dar. In einen Gesprächskreis können weitere Tagespunkte besprochen werden. Den Kindern wird dann signalisiert: jetzt beginnt die Spielzeit; alle Kinder, auch die bevorzugten Spielpartner:innen sind anwesend oder die Spielzeit gilt als beendet und das Mittagessen und/oder die Abholzeit stehen bevor.
Wochentagabhängige Inhalte werden ebenfalls als Ritual und Struktur wahrgenommen und verdeutlichen die Wochenstruktur. Dies lässt sich zum Beispiel auch ausweiten auf Monats- und ggf. die Jahresstruktur. Durch die Ritualisierung wird nebenbei ein Zeitkontinuum vermittelt. Kinder lernen zum Beispiel Schritt für Schritt den Tages- und Wochenablauf sowie den Jahresverlauf mit den unterschiedlichen Jahreszeiten kennen. Die sich regelmäßig ergebenden Ereignisse schaffen somit ein Bewusstsein für Wiederkehrendes, wodurch einerseits die Kontinuität der Zeit, aber auch, was paradox erscheinen mag, deren Vergänglichkeit deutlich wird.
Eine Ritualisierung, welche Kindern und Jugendlichen in sozialpädagogischen Einrichtung Kontinuität und Verlässlichkeit vermittelt, (vgl. Tschöpe-Scheffler, 2011), kann und soll entstehen, worauf basierend, zunehmend, die Fähigkeiten zum Erwerb einer emotionalen Selbstregulierungskompetenz entwickelt werden kann (vgl. Lazarus, 1999). Für Jugendliche kann der Gesprächskreis der anvisierte Termin sein, an welchem Belastendes angesprochen werden kann, bis wohin etwas noch ausgehalten werden muss, bzw. ab wann mit einer Entlastung durch das stattfindende Gespräch zu rechnen ist. In der Kita muss bis zum Morgenkreis Zeit überbrückt werden, bis die ersehnte Ankunft bevorzugter Spielpartner:innen eintritt oder in welchem deutlich wird, dass er/sie heute nicht in der Kita sein wird.
Mein:e Freund:in ist heute nicht da, meine Peergroup setzt sich heute anders zusammen, Mama/ Papa kommt gleich nach dem Mittagskreis, …
Montags wird immer vom Wochenende berichtet, freitags wird immer gesungen, mittwochs findet immer die Menüplanung für die nächste Woche statt, jeden ersten Montag im Monat werden …, im Winter …, im Sommer …, im Frühling …
Wahrnehmung von Menge und Häufigkeit
Ebenso abstrakt wie die Zeitwahrnehmung ist das Mengenverständnis, zumindest bei jüngeren Kindern. Zunehmendes Verständnis wird durch abzählbare und darstellbare Mengen ermöglicht. 10 Bauklötze sind mehr als 5, das ist sicht- und erkennbar. Jedoch sind zwei ein-Euro-Stücke scheinbar mehr als ein zwei-Euro-Stück. Ein halbvolles hohes Glas enthält, für Kinder jedoch nicht wahrnehmbar die gleiche Mende wie ein volles, flaches und breites Glas (vgl. Piaget 1998).
Die zugestandene Teilnahme und/oder Zuständigkeit oder die eingeräumten und ausgeübten Privilegien können häufig ebenfalls nicht wahrgenommen werden. Die Zuständigkeit bei der Auswahl der Morgenkreislieder und -spiele, die Anwesenheit und Spielzeit in der begehrten Bewegungsbaustelle oder ähnliches, wird subjektiv und bedarfsorientiert, als nicht ausreichend wahrgenommen. Eine sachlich, an der Realität orientierte Wahrnehmung, auf die tatsächliche Nutzungsfrequenz fehlt meist.
Hier vermischen sich die individuelle Bedarfslage mit der fehlenden Zeit- und Mengendimension. Nicht oder nur schwer ist ein Verständnis für Morgen bist Du wieder dran, weil Du schon gestern dran warst, andere dafür diese Woche aber noch gar nicht, … zu vermitteln, dies stellt ein erhebliches Konfliktpotential dar.
Methodisch - Didaktisches
Der Morgen- oder Gesprächskreis kann mit seinen klassischen Inhalten und als Methode sehr hilfreiche didaktische Elemente einbringen. Neben der Ritualisierung, die sich durch festgelegte Einheiten im Tagesablauf ergibt, braucht es eine Veranschaulichung für Zahlen, Mengen und Zeit. Bei der methodischen Umsetzung dieser abstrakten Themen sind die didaktischen Prinzipien, vornehmlich das der Anschaulichkeit hilfreich. Zeit-, Anwesenheits- und Zuständigkeitstafeln können helfen zu verstehen, dass heute Montag und morgen Dienstag ist, dass ich gestern bereits Morgenkreiskind war und es erst nächste Woche wieder sein werde.
Eine kindgerechte Uhr, mit Symbolen und großen Zeigern und/oder akustischen Signalen für die jeweilige Stunde gibt Orientierung und bereitet zumindest ältere Kinder auf das Lesen einer Uhr vor. Eine Zeit- oder Wochentafel sollte mit variablen Elementen für den Wochentag, Monat, Jahreszeit, etc. ausgestattet sein, um Vergänglichkeit und Wiederkehrendes zu verdeutlichen. Eine Wochentagdarstellung mithilfe einer Spiralbindung, welche das Wegklappen des aktuellen Tages und das Wiederkehren eines vergangenen Tages verdeutlicht, ist besonders geeignet.
Für die Wetter- und Jahreszeitendarstellung können vorgefertigte Symbole zur Auswahl bereitgehalten werden, die an eine Magnettafel geheftet werden können. Die Verdeutlichung der Folge von Ereignissen, z.B. Frühling, Sommer, Herbst, Winter, können durch methodische Elemente, z.B. mit Kreisdarstellung, unterstützt werden. Zur Beobachtung von jahreszeitlichen Veränderungen bietet sich eine dauerhaft festgelegte Pflanze oder Strauch/Baum an, an welchem die Veränderungen betrachtet werden können.
Die Verteilung von Nutzungsrechten, Privilegien und Zuständigkeiten kann ebenfalls mit Magnettafeln oder mit den Portraits der Kinder und mit Wäscheklammern verdeutlicht werden. Auch dabei braucht es eine Wochentagsdarstellung, welche das Wiederkehrende veranschaulicht. Es bietet sich an die Vorwoche stehen zu lassen, während die Folgewoche neu verteilt und gestaltet wird.
Literaturverzeichnis
Bandura, A. (1994). Ansätze zu einer sozial kognitive Lerntheorie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Bostelmann, A., Klingen, V., & Schaper, S. (2016). So gelingt der Tagesablauf im Kindergarten, Tipps und Tricks für den Kinderatenalltag. Berlin: Bananenblau - Der Praxisverlag für Pädagogen Klaxpädagogik.
Bowlby, J. u. (2016). Frühe Bindung und kindliche Entwicklung. München und Basel: Ernst Reinhardt Verlag.
Filipp, S. H. (2018). Kritische Lebensereignisse und Lebenskrisen. Stuttgart: Hohlhammer.
Griebel, W. R., & Niesel, R. (2011). Übergänge verstehen und begleiten. Berlin: Cornelsen Verlag an der Ruhr.
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Laewen, H.-J. (2011). INFANS Ein Modell für die Gestaltung der Eingewöhnungssituation von Kindern in Krippen und Tagespflege. Berlin: Cornelsen Verlag.
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Nedebock, U. (2018). Rituale bei Kita-Kindern: Die schnelle Hilfe! Berlin: Cornelsen Verlag an der Ruhr.
Paulussen, K. (2023). Morgenkreis- Tagesablauf und Struktur. Von https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/beschaeftigungen-methoden/morgenkreis-teil-1/ abgerufen 19.03.2023
Piaget, J. J. (1998). Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde. Klett-Cotta.
Piaget, J. J. (2015). Das Weltbild des Kindes: Schlüsseltexte . Stutgart: Klett-Cotta.
Remsperger, R. (2013). Das Konzept der Sensitiven Responsivität. Ein Ansatz zur Analyse des pädagogischen Antwortverhaltens in der ErzieherInnen-Kind-Interkation. In: Frühe Bildung, 2013/1, : Hogrefe, S. 12 - 19. Göttingen: Hogrefe.
Schneider, W., & Lindenberg, U. (2012). Entwicklungspsychologie. Weinheim Basel: Beltz.
Trunkenpolz, K. (. (2023). Rituale bei Kita-Kindern: Die schnelle Hilfe! Weinheim: Beltz Juventa.
Tschöpe-Scheffler, S. (2011). Fünf Säulen der Erziehung: Wege zu einem entwicklungsfördernden Miteinander von Erwachsenen und Kindern. Ostfieldern: Patmos-Verlag.