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Zitiervorschlag

Was ist Marte Meo?

 Ursula Lävemann

 

Die Methode Marte Meo ist mittlerweile eine gut bekannte Methode, die Interaktionen zwischen zwei Menschen in den Focus nimmt. Die Grundidee ist, die unterstützenden Interaktionsfähigkeiten zwischen den beteiligten Personen im Alltag wahrzunehmen, zu trainieren und weiterzuentwickeln. Marte Meo „will wissen“:

  • Wann findet Entwicklungsunterstützung statt
  • Was genau passiert in dieser Situation
  • Wozu verhilft ein bestimmtes Verhalten des Erwachsenen dem Kind

Das Ziel der Methode ist, das Potential der Fachkräfte und genauso die Ressourcen der Kinder differenziert wahrzunehmen, um diese (Potential und Ressourcen) in dem beruflichen Alltag bewusst nutzen zu können.

Dazu werden Filmclips von Alltagssituationen erstellt, um zu erkennen, welches Kommunikationsverhalten die Entwicklung von Kindern fördert und bestärkt. Die Videobilder zeigen Aktionen und (Re)-Aktionen der beteiligten Menschen. In der Analyse der Filmclips wird nach bereits entwickelten Fähigkeiten der Interaktion gesucht, um diese bewusst im Alltag in pädagogischen, möglicherweise herausfordernden Situationen anzuwenden.

Im sogenannten Review, dem Beratungsgespräch der Methode Marte Meo, werden den Ratsuchenden/Klienten diese unterstützenden Momente und Gelegenheiten gezeigt und im Gespräch vertieft. Idealerweise zeigt ein Filmclip, wie das Kind auf eine förderliche Aktion reagiert, so dass der Ratsuchende/Klient sehen und verstehen kann, warum ein bestimmtes Verhalten unterstützend ist. Dann wird überlegt, wann der Alltag mit dem Kind Gelegenheiten bietet, dieses positiv wirkende Verhalten einzusetzen.

Bild1 Foto während eines Reviews Foto U. Lävemann

Foto während eines Reviews - Foto U. Lävemann

Der Arbeitsauftrag für die ratsuchende Person/Klienten besteht darin, in der folgenden Zeit das besprochene Verhalten konsequent anzuwenden um positives Verhalten zu verstärken.  Dadurch kann dem Kind ein nächster Entwicklungsschritt ermöglicht werden. - Nach ca. 3 Wochen (je nach den Gegebenheiten in der Einrichtung) wird erneut ein Videoclip erstellt, um zu überprüfen, wie das im Review vereinbarte Handeln umgesetzt wurde und welche Veränderungen sich für den Alltag mit dem Kind ergeben haben.

Ein Beispiel:

Markus, 2 Jahre alt, ist seit 3 Monaten in der Krippe. Die Ablösung von den Eltern war unproblematisch. Er hatte es jedoch anfangs schwer, sich in der Krippengruppe zurecht zu finden. Er findet nichts zum Spielen, beschäftigt sich selten eine längere Zeit mit einem Spielmaterial und zeigt offenbar wenig Interesse an den anderen Kindern. Er zieht sich häufig zurück oder geht ziellos im Gruppenraum herum. Beim Morgenkreis bleibt er sitzen, er beteiligt sich selten aktiv an den Angeboten. Wird er angesprochen: „Magst Du auch mitklatschen?“ kann man einen Impuls der Arme sehen, manchmal klatscht er dann bei einem Lied kurz mit, gibt seine Initiative schnell wieder auf.

 

Als in der Gruppe einmal ein neues Spiel ausgepackt wird, kommt Markus an den Tisch, wird von den anderen Kindern zur Seite gedrängelt und verlässt die Situation ohne Widerstand.

 

Das Gruppenteam macht sich Sorgen um Markus, er wirkt so isoliert, bedürftig und nicht glücklich. Das Anliegen ist, Markus Kontakt zu den Kindern zu ermöglichen und ihn für das vorhandene Spielmaterial zu interessieren.

 

Marte Meo Hintergrundwissen für „isolierte“ Kinder:

Die Beobachtung der Verhaltensweisen „isolierter“ Kinder ergibt oft, dass diese Kinder grundlegendes Kommunikationsverhalten noch nicht gelernt haben. Sie möchten mit anderen Kindern spielen, wissen aber noch nicht, was sie tun können, damit das gelingt. Zu den Spielfähigkeiten von Kindern gehört unter anderem das Benennen eigener Spielideen, Kontakt zu einem anderen Kind aufnehmen durch z.B. Blickkontakt oder etwas Sagen, Spielgeräusche machen, z.B. beim Spiel mit Autos. Isolierte Kinder können oftmals von dem angebotenen Spielmaterial nichts für sich aussuchen und erscheinen überfordert mit dem lebendigen Geschehen in der Gruppe.  

Bild2 Kamara

Erster Film:

Die erste Filmaufnahme wird beim Essen erstellt. Die Essenssituation wurde ausgewählt, da dies eine eher ruhige Situation am Tisch ist, in der die Kinder nicht zwangsläufig Kontakt zu anderen Kindern aufnehmen müssen. Jedes Kind ist mit dem Essen beschäftigt, hat also eine „Aufgabe“. Zudem sind Mimik, Gestik und kleinere Initiativen besser zu beobachten als im Freispiel.

Die Aufnahmen zeigen, dass Markus geschickt mit dem Besteck umgehen kann. Er isst seinen Teller leer. Dann schaut er den anderen Kindern aufmerksam zu. Als Luisa, dem Mädchen, das neben ihm sitzt, der Löffel auf den Boden fällt, steht er schnell auf, um den Löffel aufzuheben. Er gibt Luisa den Löffel und schaut sie an, sagt nichts. Luisa nimmt den Löffel in die Hand und isst einfach weiter. Markus bekommt in der Situation keinen Blick von ihr. Markus Blick senkt sich und er setzt sich wieder auf seinen Stuhl. Dann hebt er den Kopf und beobachtet andere Kinder.

Im Review wird der Focus auf Markus Ressourcen ausgerichtet und mit Hilfe des Clips nochmals angesehen:

  • er ist ein interessierter Beobachter
  • er ist hilfsbereit, er hebt Luisa den Löffel auf
  • er kennt die Regel: beim Essen bleiben wir sitzen und kann diese Regel einhalten
  • er ist geschickt
  • er kann sich auf das Essen konzentrieren

Was in diesem Clip auch zu sehen ist: dass Markus noch einige Verhaltensweisen entwickeln sollte, die ihn befähigen mit anderen Kindern Kontakt aufnehmen zu können.

Auf der Grundlage dieser Beobachtungen und den Vorüberlegungen wird folgendes Vorgehen für die nächsten Wochen vereinbart:

  1. Beim Essen sitzt eine Gruppenkraft neben Markus. Sie benennt und bestätigt, was Markus tut, bzw. worauf er sein Interesse richtet. Z.B. „Du hast gesehen, dass der Luisa der Löffel heruntergefallen ist und du hebst ihn auf. Du gibst Luisa den Löffel zurück.“ Hier ist die Gelegenheit auch Luisa darauf aufmerksam zu machen, dass der Markus ihr den Löffel gegeben hat: „Luisa, schau mal, der Markus hat Dir den Löffel aufgehoben.“ Das schafft einen Kontaktmoment für die Kinder. Markus wird wahrgenommen und Luisa nimmt Markus wahr. Sie macht die Erfahrung: der hat mir geholfen. Markus macht die Erfahrung: ich wurde bemerkt.

Kinder, für die eine aktuelle Erfahrung benannt wird („Der Markus hebt Dir den Löffel auf“), erhalten eine Hilfe für die Einschätzung dieser Situation. Auf diese Weise können Kinder lernen positive Verhaltensmodelle einzuüben. Das Kind bildet Vertrauen in sein Tun und Handeln. Das ermöglicht ihm, einen Kontakt zu einem anderen Kind erfolgreich zu gestalten. Der Erfolg lehrt das Kind: es lohnt sich zu agieren oder etwas zu sagen. Eine Beziehung kann wachsen.

  1. Auch im Freispiel soll beobachtet werden, worauf Markus sein Interesse lenkt. Da gibt es sicher viele Situationen zu benennen, was ihn interessiert und ihn dann zum Spielen einladen: „Markus, du schaust zu der Kugelbahn. Magst Du mal damit spielen? Komm wir gehen da mal zusammen hin.“ Daran anschließen sollte sich, dass Markus mit dem Spielmaterial seines Interesses spielen kann. Idealerweise kommt noch ein anderes Kind dazu und die Gruppenkraft kann das Spiel der Kinder durch Benennen begleiten: „Jetzt lässt der Markus seine Kugel rollen, dann bist du dran.“ Das Benennen der Spielinitiativen verschafft den Kindern die Möglichkeit an dem Spiel des/der anderen anzuschließen. Oder anders ausgedrückt: für einen Spielpartner aufmerksam werden. In Marte Meo nennt man das auch linking-up.

Die Unterstützung der Gruppenkräfte durch Benennen in den Spielsituationen ist abhängig von der jeweiligen Spiel-Situation: „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“. Eine gute Dosierung hilft dem Kind seinen eigenen Entwicklungsschritt auszukosten. (Hawellek – Marte Meo im Überblick – BOD) Im Laufe der Zeit werden die Kinder in der Regel sicherer im Umgang mit den anderen Kindern und das Benennen ist immer weniger nötig.

Bild2 Kamara

Zweiter Film:

Die zweite Filmaufnahme wird in der Leseecke erstellt. Markus sitzt mit der pädagogischen Fachkraft, nennen wir sie Martina, und schaut sich ein Feuerwehrbuch an. Markus hört interessiert zu und zeigt immer wieder auf verschiedene Bilder in dem Buch. Luis und Mathilda kommen vorbeigelaufen und schauen in die Leseecke. Luis sieht das Buch und will sich zwischen Martina und Markus setzen. Martina sagt: „Luis hier sitzt doch der Markus. Schau mal, hier auf der anderen Seite ist noch Platz.“. Luis setzt sich auf die andere Seite neben Martina und er fängt sofort an auf verschiedene Bilder zu zeigen und zu sagen, was er sieht. Martina bemerkt, dass Markus nicht mehr auf die Bilder in dem Buch zeigt. Martina sagt: „Luis, du interessierst dich sehr für die Feuerwehr.“ Luis nickt. „Der Markus findet Feuerwehr auch toll und er hat sich das Buch ausgesucht.“ Luis guckt Markus an und Markus schaut zurück. Luis zieht an dem Buch. „Stop, stop,“ sagt Martina, wir wollen ja alle hineinschauen. Der Markus will ja auch etwas sehen.“ „Auch schauen“, sagt Markus nun. Luis schaut zu Markus. Luis zeigt auf den Feuerlöscher und sagt: „Feuerlöscher.“ Markus schaut und zeigt dann auch auf den Feuerlöscher. Luis zeigt auf das Feuerwehrauto und sagt: „Feuerwehr“. Markus zeigt auch darauf. Dann schauen sie sich an und lächeln sich an. Martina benennt: „Ja, ihr habt beide Spaß beim Feuerwehrbuch anschauen.“

  • Wann findet Entwicklungsunterstützung statt?

In dem Moment als Martina sagt: „Luis, du interessierst dich sehr für die Feuerwehr.“  und „Der Markus findet Feuerwehr auch toll und er hat sich das Buch ausgesucht.

  • Was genau passiert in dieser Situation?

Martina benennt für beide Kinder das Interesse des Anderen. Die Kinder nehmen wahr, dass da noch ein anderes Kind ist, das das gleiche Interesse hat.

  • Wozu verhilft ein bestimmtes Verhalten des Erwachsenen dem Kind?

Martina verhilft Markus dazu sich auch benennen zu können: „Auch schauen“ und einen Blickkontakt mit Luis zu haben. Durch diesen Blickkontakt der Kinder treten die Kinder miteinander in Beziehung: etwas zeigen - benennen, was das ist - sich gegenseitig anschauen und dann anlächeln.

Viele verschiedene Spielsituationen in dieser Weise durch Martina begleitet, verhelfen Markus nach und nach dazu, Vertrauen in sich und in Kinder und die PädagogInnen seiner Gruppe zu fassen. Er beginnt mehr zu sprechen. Dadurch nehmen ihn die anderen Kinder besser wahr und es kommt zunehmend zu gemeinsamen Spielsituationen, mit verschiedenen Kindern der Gruppe. Zunächst initiiert Martina diese und begleitet Markus im Freispiel in verschiedenen Spielecken. In dem Maße, indem Markus Kontakt aufnehmen kann zieht sie sich zurück.

Es zeigt sich, dass Markus nach einiger Zeit besser von sich aus Kontakt zu den Kindern aufnehmen kann.

Marte Meo Begriffe

Maria Aarts, die Begründerin der Methode Marte Meo, hat Begriffe geprägt, die in der Marte Meo Literatur überall zu finden sind und die ich an dieser Stelle einführen und erklären möchte. Der eine oder andere Begriff ist bereits in dem obigen Text verwendet worden.

Maria Aarts schreibt: „Die Marte Meo Begriffe sind aus meiner langjährigen Beobachtung gut funktionierender Interaktionsmomente zwischen unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Systemen auf Kommunikations- und Entwicklungsebene entstanden. Die Marte Meo Begriffe werden in der therapeutischen Arbeit, in der Beratung, in Reviews, in der Ausbildung, in Präsentationen, Supervisionen, in Artikeln und in Büchern genutzt.“ (Aarts 2023)

Benennen

Es wird benannt, was das Kind tut. Durch Benennen lernt das Kind (vor allem im Krippenalter) die passenden Wörter zu seinen Handlungen. Werden Erfahrungen und Gefühle benannt, hilft das den Kindern Zugang zu den eigenen Emotionen zu finden. Das fördert das Verstehen der eigenen Handlung und ebenso der Handlung eines Gegenübers.

Oder der Erwachsene benennt das eigene Verhalten. Das schafft die Grundlage für Kooperation. Es macht den Erwachsenen vorhersehbar, gibt soziale Orientierung, reduziert Ängste u.a.m.

Bestätigen – Bestätigen meint, ein bestimmtes Verhalten durch Benennen, angenehme Töne und ein freundliches Gesicht zu verstärken. Der gemeinsame Blickkontakt wirkt verstärkend.

Bild3 Was macht sie wohl wenn ich das mache      Bild4 Sie mag das wir haben Spaß Bestätigen

Was macht sie wohl, wenn ich das mache?    Sie mag das, wir haben Spaß = Bestätigen

Kontakt machen oder linking up – Im Alltag werden Kinder durch Benennen aufeinander aufmerksam gemacht. So wird der Zugang zu der Welt der Anderen gebahnt. Maria Aarts nennt das: eine Einladung, eine soziale Verbindung zwischen zwei Kindern herzustellen.

Anschluss machen – Meint aufmerksam werden für ein Gegenüber. Dadurch soll die Kontaktaufnahme mit dem Gegenüber erleichtert werden.

Review heißt das Beratungsgespräch der Methode Marte Meo.

Wie entstand Marte Meo?

Die Methode Marte Meo wurde in den 1970er-Jahren von der Niederländerin Maria Aarts begründet. Angeregt durch die Arbeit mit Eltern, wollte Maria Aarts den Eltern zeigen, wie sie die Entwicklung ihrer Kinder im Alltag nachhaltig unterstützen können. Marte Meo bedeutet sinngemäß „Aus eigener Kraft“ (aus dem Lateinischen hergeleitet). Mit Hilfe von Filmclips werden Informationen über die Interaktion im Alltag vermittelt. Der „Zuschauer“ kann Dinge durch Anschauen der Filmclips bemerken, die im Alltag untergehen. Da die Methode den Focus auf die Ressourcen der Menschen richtet, können diese am eigenen positiven Verhalten lernen, welches sie in den erstellten Filmclips sehen. Eigenes Verhalten auf diese Weise zu reflektieren fördert das Selbstvertrauen, die Motivation und die Eigeninitiative.

(siehe auch: Hawellek – Marte Meo im Überblick – BOD)

Im Laufe der Jahre hat sich die Methode Marte Meo weltweit verbreitet und man findet sie überall dort, wo Menschen miteinander im Kontakt sind:

Frühe Hilfen, Kita, Kinder- und Jugendhilfe, Erziehungsberatung, Schulen, Altenpflege, in medizinisch-therapeutischen Bereichen und auch in der Unternehmensberatung.

Der nächste Baustein dieser Marte Meo Info Reihe wird sein:

Entwicklungsbegleitung mit Hilfe von Checklisten

Literatur

Aarts (2016) Marte Meo Handbuch

Aarts, Aarts, Foerster, Bösche (2023). Marte Meo – Möglichkeiten der alltäglichen Entwicklungsunterstützung.  ISBN 9 783451 391422

Bünder, Sirringhaus-Bünder, Helfer (2015,2009). Lehrbuch der Marte Meo Methode

Hawellek (2016). Marte Meo im Überblick. ISBN 9 783741224294

Kiem, Lävemann, Meyer, Strobl (2019). Marte Meo - Aus der Praxis für die Praxis

In diesen Fachartikel von Kita Online finden Sie weitere Informationen zu Marte Meo und Elternarbeit:

Marte Meo-Methode - Entwicklungsförderung mit Videounterstützung. Ein Überblick.

Peter Bünder

Vektorgrafik von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Danke an die Menschen, die mir gestattet haben, Fotos aus meiner Marte Meo Arbeit in diesem Fachartikel zu veröffentlichen.

Autorin

Ursula Lävemann

Lizenzierte Marte Meo Supervisorin -  NMMI - Ansprechpartnerin München

www.marte-meo-muenchen.de