Bildungs- und Lerndokumentationen und Datenschutz

Hartmut Gerstein

Mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung DSGVO ist die Diskussion, um den Datenschutz in Kindertageseinrichtungen neu belebt worden. Bei vielen Trägern und pädagogischen Fachkräften führte sie aber auch zu Verunsicherungen. Im pädagogischen Alltag werden viele personenbezogene Daten der Kinder erhoben, gespeichert und verwendet. Dazu gehören Dokumentationen über die Entwicklung des einzelnen Kindes, oft auch mit Fotos und Videoaufnahmen. Um hier sicher zu gehen, legen manche Träger den Eltern schon bei der Aufnahme des Kindes für solche Fälle eine Einwilligungserklärung zur Unterschrift vor. In der Praxis bedeutet dies, dass Kinder, für die keine Einwilligung erteilt wurde oder die Einwilligungserklärung widerrufen wurde, von den entsprechenden Aktivitäten ausgeschlossen werden müssen. Dies ist nicht nur pädagogisch bedenklich, sondern auch rechtlich problematisch. Grundsätzlich stellt sich die Frage, für welche Aktivitäten der Kita, bei denen personenbezogene Daten verarbeitet werden, eine Einwilligung datenschutzrechtlich erforderlich ist.

Neue Rechtslage durch die DSGVO?

Das auch den Kindern zustehende Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und die trägerspezifischen Datenschutzvorschriften galten schon früher. Mit der Verabschiedung der DSGVO wurde ein europaweiter Rechtsrahmen für die Verarbeitung personenbezogener Daten geschaffen und Standards für landesrechtliche Regelungen gesetzt, die sowohl für öffentliche Stellen als auch für privatrechtlich organisierte Träger gelten. Die nationalen Regelungen werden jetzt an die DSGVO angepasst und gelten weiterhin ergänzend. Dabei ist festzuhalten, dass sich die materielle Rechtslage kaum geändert hat: Was vor Inkrafttreten der DSGVO zulässig war, ist auch nach aktuellem Recht zulässig, was unzulässig war, ist weiterhin unzulässig. Verschärfungen gibt es im deutschen Recht mit der DSGVO insbesondere hinsichtlich der Informationspflichten des Trägers, der Anforderungen an eine Einwilligungserklärung und bei der Kontrolle des Datenschutzes sowie beim Datenverkehr mit dem außereuropäischen Ausland.

Verbot mit Erlaubnisvorbehalt

Für den Datenschutz gilt das in den Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder sowie in den Datenschutzvorschriften der Kirchen verankerte Grundprinzip des „Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt“, dass in Art 6 DSGVO bekräftigt wird. Die Erhebung, Speicherung und Nutzung personenbezogener Daten ist verboten, es sei denn, es gibt eine Erlaubnisnorm.

Nach Art. 6 DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten zulässig, wenn entweder

  • Eine Einwilligung des Betroffenen nachgewiesen wird, oder
  • Die Datenverarbeitung für die Erfüllung eines Vertrages erforderlich ist, oder
  • Die Datenverarbeitung für die Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist.

Eine Einwilligung ist daher nicht notwendig, wenn die Verarbeitung personenbezogener Daten für die Erfüllung des Betreuungsvertrages bzw. für die rechtmäßige Aufgabenerfüllung erforderlich ist.

Rechtliche Grundlage: Der Förderungsauftrag und die Konzeption

Der Förderungsauftrag für Kitas richtet sich nach § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII und den Ausführungsgesetzen der Länder. Er umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes. Gem. § 22a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII erfolgt die Erfüllung des gesetzlichen Förderungsauftrags auf der Grundlage der vom Träger zu erstellenden Konzeption. Diese soll festlegen, wie die in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII genannten Grundsätze der Förderung in der konkreten Arbeit umgesetzt werden. Die Beobachtung und Dokumentation der individuellen Bildungs- und Lernentwicklung gehört inzwischen zu den fachlichen Standards der Arbeit in Kindertagesstätten. In Bildungsplänen der Länder werden Bildungs- und Lerndokumentationen ausdrücklich empfohlen (vgl. die Übersicht von Kobelt Neuhaus in Lipp-Peetz, Praxis der Beobachtung 2007 S. 19-43). Die regelmäßige und systematische Beobachtung der kindlichen Lernprozesse wird als ein Zeichen hoher Qualität in Arbeitsfeldern der Pädagogik der frühen Kindheit gesehen (vgl. Beudels, Haderlein, Herzog, Handbuch Beobachtungsverfahren in Kindertageseinrichtungen 2012, S. 14). In Rheinland-Pfalz gibt es dafür seit 2005 einen in § 2 Abs. 1 KitaG festgelegten gesetzlichen Auftrag (vgl. hierzu auch Gerstein in Lipp-Peetz, Praxis der Beobachtung 2007, S. 93). Beobachtung und Dokumentation sind vom Erziehungs- und Bildungsauftrag des Kindergartens gedeckt und grundsätzlich zulässig. Sie bedurfte daher schon bei der damaligen Rechtslage keiner ausdrücklichen Genehmigung durch die Eltern (vgl. Gerstein, S. 94).

Die Jugendhilfe ist gem. § 3 Abs. 1 SGB VIII gekennzeichnet durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen. Die Träger von Kindertageseinrichtungen können autonom darüber entscheiden und in ihrer Konzeption verankern, ob und wie sie die Lernprozesse der Kinder begleiten und dokumentieren. Bei den unterschiedlichen Formen der Beobachtung wie den Bildungs- und Lerngeschichten nach Margaret Carr, bei strukturierten Beobachtungsbögen, bei Dokumentationen mit Fotos und Videoaufnahmen oder bei der Arbeit mit Portfolios werden im Sinne der DSGVO personenbezogene Daten verarbeitet, wobei die Kinder als Co-Konstrukteure unmittelbar an den Prozessen beteiligt werden. Eine wissenschaftlich fundierte Begleitung der Lernprozesse von Kindern durch Beobachtung und Dokumentation gehört damit zum Kerngeschäft der Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen und zur Erfüllung des Förderungsauftrags gem. § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII. Die Eltern können sich im Rahmen ihres Wunsch- und Wahlrechts gem. § 5 Abs. 1 SGB VIII für eine Einrichtung entscheiden, deren Methoden und Arbeitsformen ihnen zusagen. Sie können jedoch nicht verlangen, dass die in der Einrichtung verwendeten Arbeitsformen auf ihr Kind nicht angewendet werden.

Datenschutz bei Bildungs- und Lerndokumentationen

Personenbezogene Daten aus Bildungs- und Lerndokumentationen dürfen nur zu dem Zweck verarbeitet werden, zu dem sie erhoben wurden. Mit ihrem Auskunftsrecht gem. Art. 15 DSGVO können die Eltern die Verwendung im Rahmen des Förderungsauftrags kontrollieren. Bildungs- und Lerndokumentationen sind zu löschen oder den Eltern zu übergeben, wenn das Kind die Einrichtung verlässt.

Für die Weitergabe an die Schule bedarf es einer konkreten, den Zweck benennenden Einwilligung der Eltern. Eine Verwendung zu anderen Zwecken, z.B. zu Schulungs- oder Ausstellungszwecken ist nur mit Einwilligung der Betroffenen zulässig, wobei mit Blick auf die UN-Kinderrechtskonvention und das Partizipationsgebot gem. § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII auch die Zustimmung der Kinder eingeholt werden sollte.

Fazit

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein hohes Gut und die Einhaltung des Datenschutzes ist für Kindertageseinrichtungen nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auch ein Qualitätsmerkmal für gute Arbeit. Die Verarbeitung personenbezogener Daten steht unter einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Sie ist gem. Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO in Verbindung mit § 62 Abs. 1 SGB VIII zulässig, wenn sie zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe erforderlich ist. Eine Einwilligung der Personensorgeberechtigten (für das Kind) ist gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO nur dann notwendig, wenn die Beobachtung und Dokumentation nicht zur Aufgabe der Kita gehört. Wenn Beobachtung und Dokumentation in der Konzeption festgelegt und im Betreuungsvertrag verankert ist, bedarf es keiner Einwilligung. Es gehört jedoch zur Informationspflicht gem. Art. 13 DSGVO, dass die Personensorgeberechtigten über die Anwendung aufgeklärt werden. Zugleich sollte klar gemacht werden, dass die erhobenen Daten unter Beachtung des Datenschutzes nur zu internen Zwecken verwendet und nicht ohne Einwilligung der Betroffenen an Dritte weitergegeben werden.

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