Aus: Petra Adolph, André Dupuis, Hilmar Hoffmann, Roger Prott: Qualität kommt nicht von allein. Anforderungen für eine Entwicklungsaufgabe. GEW-Hauptvorstand, Postfach 900409, 60444 Frankfurt am Main, Juni 2001
Petra Adolph
Fachlichkeit
Fachlichkeit, Fachfrau, Fachkompetenz, Fachtagungen...- Lieblingsworte der Nation des Spezialistentums. Wenn mir einer meine Argumente nicht glauben will: "Also, ich bin hier die Fachfrau!" Man setzt sich auf den Thron der Besserwissenden und zeigt stolz allen Nicht-Spezialisten das Stop-Schild mit der Aufschrift "ACHTUNG: PROFI". Erzieher/innen haben die Möglichkeit einer breiten Auswahl von Schildern. Erzieher/innen sind Vorbilder, Organisator/innen, Tröster/innen, Ansprechpartner/innen, Manager/innen, Zuhörer/innen, sie sind Vorbereiter/innen auf das Leben mit seinen Umbrüchen, manchmal auch Sorgentelefon, Psycholog/in, Planer/in, Gesundheitsexpert/in und pädagogische Wegbegleiter/in. Leider tut sich an der Frage danach, was denn nun hinter den Schildern steht, ein großes schwarzes Loch auf, in das wir samt unserem Thron hineinzufallen drohen. Genauso wenig wie der Titel "offenes Arbeiten" oder der Satz "Ich arbeite situationsorientiert" schon einen Wert an sich beschreibt, zeigen die Rollenzuschreibungen für Erzieher/innen, ob die Arbeit nun tatsächlich "Fachlichkeitskriterien" entsprechen. Die Definitionen von Fachlichkeit sind so vielseitig und unklar wie es Perspektiven auf und Interessen am Erzieher/innenberuf gibt, und so unstet, wie Veränderungen in diesem Arbeitsfeld existieren.
Fachlichkeit als Kriterium für Qualität muss also näher definiert werden, wenn es mehr sein soll als eines der vielen Rechtfertigungsvokabeln pädagogisch-institutioneller Arbeit mit Kindern. Obwohl sich Fachlichkeit des pädagogischen Personals und Qualität der Kindertageseinrichtung unmittelbar bedingen, kommt sie explizit nicht in den bisherigen Versuchen der Qualitätsmessverfahren vor. Implizit definiert sich Fachlichkeit an der jeweiligen Qualitätsfestlegung über die konkrete Arbeit. Aber Fachlichkeit ist mehr als eine Ableitung aus der Praxis. Sie ist vielmehr ein komplexer Zusammenhang zwischen der Definition von Wissenschaft, Politik, Träger, Eltern, Fachpraxis und dem Freiraum, der durch die Praxis selbst zu füllen ist:
- Umsetzung des entwicklungspsychologischen, soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Wissens,
- Organisations- und Planungskompetenzen,
- Aufträge aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (Bildungs-, Erziehungs-, Betreuungsqualität, Schaffung positiver Lebensverhältnisse etc.),
- Kompetenz zur permanenten Qualifikationsentwicklung (Gegenwartsbezug und Innovationsfähigkeit) etc.
Fortbildung
Es gibt noch ein anderes Lieblingswort, das in keinem Aufsatz über die Fähigkeiten einer Spezialist/in von heute und morgen fehlen darf : Flexibilität. Der Thron sollte aus Gummi sein, auf Rollen stehen, und Fachfrau bzw. Fachmann muss sich mit ihrer/seiner spezifischen Fachkompetenz in immer wieder neuen Situationen fachlich flexibel fortbewegen. Dafür braucht man wohl ein weiteres Wort mit F: Fortbildung. Nicht nur in der Arbeitswelt der neuen Technologien wird ein System lebenslangen Lernens und des kontinuierlichen Umlernens notwendig. Die Definition von Fachlichkeit ist auch bei Erzieher/innen keine Konstante, weil der jeweilige Wissensbestand in immer kürzeren Zeitabständen durch neue Erkenntnisse (oder leider auch Trends) entwertet wird und weil die Welt, für die die Kinder in den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen gestärkt, gefördert und gebildet werden sollen, sich in einem rasanten Wandel befindet. Das wirklich Bestehende ist nur ein Gleichgewichtszustand. Manchmal genügt ein dezentes Anstupsen, um die Dinge aus dem Gleichgewicht in Bewegung zu bringen. Gerade im Bereich der Kindertageseinrichtungen ist so manches aus dem Gleichgewicht geraten, was ein Weiterlernen von Erzieher/innen notwendig macht.
Die Ausbildung reicht nicht aus, den ständig neuen Anforderungen gerecht zu werden: Fortbildung ist ein nicht wegzudiskutierender Bestandteil der Qualitätsentwicklung in den Einrichtungen. Deshalb fordert die GEW:
- Mindestens 5-10 Tage Anspruch jeder/jedes Mitarbeiterin/Mitarbeiters auf Fortbildung;
- Pädagogische Tage im Jahr für das ganze Team (z.B. zur Konzeptionserarbeitung als Teil von Qualitätsentwicklung);
- Fortbildungen sind ideell vom Träger zu fördern und finanziell zu übernehmen;
- auch berufsqualifizierende Fortbildungen außerhalb des eigenen Anstellungsträgers sind vom Träger zu finanzieren;
- regelmäßig Supervision, die vom Träger zu finanzieren ist;
- zum Erhalt der Qualifikation Verpflichtung der Mitarbeiter/innen zur Fortbildung;
- strukturierte Fortbildungsplanung auf Träger- bzw. Leitungs-/Einrichtungsebene.
Die fachlichen Anforderungen an die in den Kindertageseinrichtungen Tätigen steigen aufgrund der Auswirkungen der Modernisierung und schnellen Veränderung gesellschaftlicher Bedingungen. Sie ergeben für das Berufsfeld Kindergarten ein komplexes berufspraktisches Anforderungsprofil, das ohne Fortbildungsbegleitung nicht möglich ist. Qualifikationen wie "interdisziplinäres Denken und Handeln, konzeptionelle Gesamtsicht, Kreativität für neue Lösungen, Lernfähigkeit, Flexibilität, die Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen" (Milbach, 1997, S. 103) sind erforderlich und weisen gleichzeitig auf ein verändertes Professionalitätsprofil von Erzieher/innen hin. Die Kluft zwischen Anforderungen und Realitäten bedarf einer Überbrückung: z.B. Fortbildungen, die die notwendigen Innovationsprozesse aufgreifen und Lösungswege für eine zukunftsfähige Praxis aufzeigen. Die gesellschaftlichen und pädagogischen Veränderungen rund um den Kindergarten sind schon mehr als ein Anstupsen, der Bedarf an neuen Gleichgewichtszuständen ist dementsprechend groß.
Jede soziale Arbeit ist auf permanente Veränderung angelegt, weil sie es mit Menschen und ihren wechselnden Lebenssituationen und Biografien zu tun hat. Um so mehr Kindergärten als Mitte der Gemeinde oder Kirchengemeinde, als Ort gemeinsamen Lebens von Eltern, Erzieher/innen und Kindern verstanden werden, um so offenkundiger wird die Diskrepanz zwischen Zielen, Ist-Situation und Rahmenbedingungen - und damit der Veränderungsbedarf durch Fortbildung.
Durch die diversen Fach- und Finanzdiskussionen gebeutelt, befindet sich der Kindergarten nach wie vor in einer experimentellen Suchbewegung. Gesucht wird ein Modell, das jeweils regional dem Umbruch in der modernen Arbeitswelt und den daraus provozierten neuen Wünschen und Bedürfnissen von Eltern und Kindern mit möglichst geringem finanziellem Aufwand eine adäquate Antwort geben kann. Die Diskussion über das Umsetzen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes wirft Fragen nach dem verfügbaren Angebot und der Gestaltung von Kinderbetreuung auf.
Fortbildung leistet die Verbindung zu aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen und macht diese praxistauglich.
Wenn Fortbildung dazu dienen soll, Fachlichkeit von Erzieher/innen zu steigern, muss sie intentionale pädagogische Handlungen verstärken und weiterentwickeln. Die fortgebildete Erzieher/in muss demnach häufiger, umfassender und in mehr Situationen in der Lage sein, reflexiv, rational und (meta-) kommunikativ zu handeln. Das heißt, dass in einer Fortbildung die bisherigen Alltagstheorien, d.h. Muster, wie Erzieher/innen bisher Situationen gedeutet haben, derart zu verändern sind, dass sie einen Fortschritt im Wissen, v.a. aber im Handeln ermöglichen. Berufliches Handeln im Kindergarten hat immer mit zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun, die je nach Erziehungszielen und der spezifischen Strukturierung von Erfahrungs- und Verhaltensdaten bestimmt werden. Eine Fortbildungsveranstaltung wäre dann im Sinne einer Fachlichkeitssteigerung erfolgreich, wenn Elemente der Alltagstheorien verändert und das Handlungsrepertoire erweitert sowie "inadäquate" Verhaltensweisen reduziert werden. Die Grundannahme, die hier nun im Folgenden verfolgt werden soll, ist also, dass veränderte sozialpädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen durch die Modifikation subjektiver Theorien von Erzieher/innen möglich wird. Im Folgenden wird von der Grundhypothese ausgegangen, dass veränderte Fachlichkeit nur durch die Veränderung der bisherigen Handlungstheorien (=Subjektive Theorien) von Erzieher/innen möglich wird, d.h., nur wenn die bisherigen Deutungsmuster ihres Alltags verändert werden.
Das Wahrnehmen und Erleben der jeweiligen Realität hängen entscheidend davon ab, welche Konstruktionen sich das Individuum von ihr macht. Die Vorstellungen einer Person über sich selbst, andere Personen und soziale Zusammenhänge entwickeln sich aus ihrer individuellen Geschichte und werden subjektiv als gültig und "wahr" erlebt. Durch ihre Verwobenheit mit eigenen Erfahrungen und ihre Eingebundenheit in persönliche Entwicklungsprozesse erhalten Konstruktionen eine hohe Relevanz und Bedeutung für das subjektive Erleben.
Diese zum jeweiligen Handeln motivierenden Theorien bestehen aus Annahmen und Überzeugungen, z.B. aus der beruflichen Erfahrung, aus der eigenen Biografie, aus der Aus- und Fortbildung oder Erkenntnissen aus der Fachliteratur und ermöglichen Schlussfolgerungen für die Praxis.
Struktur und Bedingungen für Qualität durch Fortbildung
Fortbildungen, die zur Steigerung der Fachlichkeit beitragen wollen, brauchen bestimmte Strukturen und Bedingungen. Anhand des hypothetischen Modells zur Veränderung von Subjektiven Theorien (nach Groeben u.a., 1988, S. 300) soll dies nun entwickelt werden. Mit den Ausführungen zu den einzelnen Punkten möchte ich daran anknüpfend programmatische Thesen zur Umsetzung für die Fortbildungsstruktur sowie Folgen für die Professionalitätssteigerung entwerfen.
Das Modell der Modifikation Subjektiver Theorien stellt einen Prozess des Übergangs von einer inhaltlichen Variante einer Subjektiven Theorie zu einer anderen dar, wobei dieser Übergang im Optimalfall und bei Projektzielerreichung die Qualität eines subjektiven Erkenntnisfortschritts sowie eines Fortschritts in der Handlungskompetenz implizieren sollte. Die jeweiligen Teilziele sind notwendige Voraussetzungen für die Erreichung des nächsten und werden dann parallel angestrebt: Die Rekonstruktion der Subjektiven Theorien und deren Modifikation gehen ineinander über.
Hypothetisches Stufenmodell zur Modifikation Subjektiver Theorien
1. Psychische Sicherheit und Vertrauen
Als Grundvoraussetzung für die weiteren Schritte gilt das Vorhandensein von psychischer Sicherheit und Vertrauen, weil anzunehmen ist, dass Erzieher/innen in Unsicherheit und Bedrohung nur wenig Bereitschaft zeigen würden, ihr bisheriges Selbstbild und Subjektive Theorien ihrer Arbeit im Kindergarten erschüttern zu lassen. Hier geht es vorrangig um die konkrete Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehung zwischen den Erzieherinnen und den veranstaltenden Pädagogen. Empathie, Kongruenz und positive Wertschätzung sind Anhaltspunkte für die von Ängsten und Unsicherheiten geprägte Anfangsphase. Eindeutige und gleichzeitig flexibel handhabbare Strukturen können Halt und Orientierung vermitteln.
Für den Anfang eines Professionalisierungsprozesses in einem sozialen Arbeitsfeld ist die Erreichung des Teilzieles "Psychische Sicherheit und Vertrauen" von besonderer Bedeutung. Die Arbeit im Kindergarten hat etwas strukturell Grenzenloses; es kann nur einem sicheren Menschen gelingen, den Überblick bei den Anforderungen zu bewahren - zwischen Vielfältigkeit, Widersprüchlichkeit, Wiederholungen, Störungen und plötzlichen Wechseln.
2. Aufmerksamkeit und Betrachtung
Für eine weiterentwickelte Sichtweise ist es wichtig, sich selbst und die eigene Arbeit in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen zu können. Die Erkenntnis eigener Kognitionen, Emotionen und Handlungen auszusprechen oder in anderer Form auch für andere sichtbar zu machen, erhebt Subjektive Theorien zum Verhandlungsgegenstand. Für komplexere Situationen braucht man dazu methodische Hilfsmittel für den Zugang zur distanzierten Betrachtungsweise der eigenen Handlungstheorien.
Für die Steigerung der Fachlichkeit ist diese Modifikationsstufe bedeutend, weil die Klarheit über eigenes Wissen, Zuständigkeiten und zu verantwortende Reichweite des Handelns Selbstsicherheit schafft und Veränderungsbereiche und -möglichkeiten deutlich werden lässt. Der Gegensatz dazu wäre ein Defizitansatz nach dem Motto: "Wir haben das Problem nicht verstanden, aber wir brauchen eine schnelle Lösung". Die Sichtweise von Berufsrolle, ihr durch Aufmerksamkeit und Betrachtung etwas näher zu kommen, eröffnet Wege zu Selbstkritik und Veränderungen von Perspektiven über die eigene Rolle.
3. Explikation der Innensicht
Im nächsten Schritt ist darauf Einfluss zu nehmen, dass implizite Anteile der benannten Subjektiven Theorien überwunden werden. Ein Außenstehender ist besonders dazu geeignet, nachzufragen (was, wie, wo, wann etc.), um Hintergründe und unbewusste Aspekte sichtbar zu machen. Dadurch können, indem man den individuellen Freiheitsgrad beachtet, Klarstellungen und ergänzende Hinweise gegeben werden.
Für die Steigerung der Fachlichkeit scheint hier die selbstkritische Distanz und Fähigkeit zur Reflexion der Beziehungs- und Gefühlsarbeit im Kindergarten wichtig zu sein. Gerade das Problem von Nähe und Abgrenzung muss bewusst gemacht werden, um Chancen für die Weiterentwicklung zu ermöglichen. Die gesamte Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderziehung ist geprägt durch Versuche, die Kosten möglichst gering zu halten: Erzieher/innen neigen dazu, Mängel in der personellen Ausstattung und in den Rahmenbedingungen durch hohe Ansprüche an sich selbst auszugleichen.
4. Prüfung auf Rationalität
Auf dieser Stufe soll der/die Subjektive Theoretiker/in zu einer Prüfung seiner explizierten Grundhaltungen veranlasst werden. Hierbei ist es sehr unterschiedlich, was das jeweilige Individuum dazu von außen benötigt. Eine Möglichkeit ist die Konfrontation mit Rationalitätskriterien, z.B. durch Information über wissenschaftliche/ objektive Theorien. Auch Rückmeldetechniken, Rollenspiele oder argumentative Auseinandersetzung dienen einer Überprüfung eigener Subjektiver Theorien.
Die Professionalisierung wird hier bewirkt durch die Wechselbeziehung zwischen Erfahrung und Erkenntnis. Methoden der Führung und Organisation helfen zur Überbrückung zwischen dem Alltag, der geprägt ist von momentanen Impulsen, und zu einer notwendigen Strukturierung und Eingrenzung. Spezialwissen und fachliche Kompetenzen entstehen nicht nur durch ständiges Üben und Praktizieren, sondern benötigen eine kontinuierliche Offenheit für neue Erkenntnisse und Theorien. Lernchancen ergeben sich erst, wenn Subjektivität zugelassen und eingefordert wird, ohne in Beliebigkeit zu enden: Subjektive Handlungspotentiale und objektive Handlungsanforderungen müssen miteinander verknüpft werden.
5. Um- und Neukonstruktion
Diese Stufe ist eigentlich nur analytisch von der vorhergehenden zu trennen. Denn das zentrale Bedürfnis, sich stets das Insgesamt seiner Selbst- und Welterfahrung angemessen beschreiben und erklären zu können, macht es wahrscheinlich, dass die Subjektiven Theorien nur dann aufgegeben werden können, wenn sich sofort andere theoretische Möglichkeiten als bessere Alternativen anbieten. Zur Unterstützung dieser Neukonstruktionen kann Selbstdistanzierung hilfreich sein. Zum Beispiel Handlungsalternativen für andere Personen in ähnlichen Situationen zu bieten, kann zunächst einmal einfacher sein als für sich selbst.
Die Steigerung der intentionalen Fachlichkeit ist in dieser Phase dadurch impliziert, dass sie Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen hilft und vor allem zur Nutzung eröffnet. Dabei geht es auch um eine Prioritätensetzung von Aufgaben, die alte Wege auch mal verlassen hilft.
6. Erprobung und Veridikalität
Mit der Neukonstruktion der Subjektiven Theorien ist der Modifikationsprozess noch nicht abgeschlossen, die neuen Theorien haben bis zu diesem Stadium höchstens Hypothesencharakter, das heißt, dass sie sehr instabil sind. Die Erprobung kann dadurch erfolgen, dass die neuen Subjektiven Theorien in mehreren, zunächst geschützten Situationen einer praktischen Bewährungsprobe ausgesetzt werden. Die gemachten Erfahrungen sind dann auf die neuen Konstruktionen explizit zu beziehen.
7. Handlungswirksamkeit
Immer noch ist die Handlungsleitung nicht automatisch erreicht worden. Dass besseres Wissen und Handeln oft auseinander klaffen, ist eine Binsenweisheit und unser aller Alltagserfahrung. Mit dieser letzten Stufe müssen die neu konstruierten Subjektiven Theorien mit anderen handlungssteuernden Sichtweisen in einen stimmigen Zusammenhang gebracht werden. Möglicherweise erfordert dies weitere Umkonstruktionen. Es handelt sich bei der Entwicklung von Handlungswirksamkeit um einen längerfristigen Prozess, in dem sich die modifizierte Subjektive Theorie in immer wieder erneut bei vorgenommenen Abwägungen durchsetzen muss.
Die Fähigkeit, in komplexen Situationen auf der Basis von abstraktem Wissen zu handeln, ist ein Gewinn an Autonomie und die Entdeckung von Handlungsräumen. Die die Erzieher/innen beeinflussenden Faktoren können in dem Maße reduziert werden, wie Möglichkeiten zu Handlungsalternativen entwickelt wurden.
Wenn man von dem Ziel für die Veränderung durch Fortbildungen ausgeht, nämlich der Zunahme von intentionaler Professionalität, müssen die Bedingungen für eine "erfolgreiche" Fortbildung auch dementsprechend gefunden werden, das heißt konkret, dass:
- eine möglichst gleichberechtigte und symmetrische Beziehung zwischen den Teilnehmer/innen und dem Fortbildungsleitenden bestehen muss,
- der Fortbildende gute (Selbster-) Forschungsbedingungen bietet,
- der Fortbildende sich wie ein skeptischer Kollege und kritischer Co-Experimentator durch seine Ansprüche und Anforderungen, Kompetenzen und Zielkriterien darstellt,
- und dass Offenheit, Vertrauen und Bereitschaft die Fortbildung bestimmen, d.h., Implizites wird explizit gemacht, Ansprüche und Argumente werden geprüft, Erfahrungen ausgewertet, Neukonstruktionen vorgenommen.
Konsequenzen für die Struktur von Fortbildung
Eine Konsequenz ist m.E. noch, dass es eine Entwicklung von den ein- oder mehrtägigen Fortbildungsangeboten einzelner Mitarbeiter/innen zu einer gesamteinrichtungsspezifischen Personal- und Organisationsentwicklung geben muss. Organisationsrelevante Lernprozesse entsprechen eher den vernetzten Bezügen im Kindergarten. Eine längerfristige zielorientierte Begleitungsstruktur kann dagegen die gegebenen Organisationsstrukturen und ihre jeweilige Kultur einbeziehen.
Die herkömmlichen Veranstaltungen weisen deutliche Grenzen auf: Die Übertragbarkeit der unterschiedlichen Themen ist nicht überprüfbar und oft ohne Begleitung in die Praxis. Es werden häufig Macht- und Machbarkeitsphantasien kultiviert, die in deutlicher Diskrepanz zum Alltag stehen. Die Folge eines Nicht-Einbezugs des speziellen Systems des Kindergartens kann eine unangemessene Personalisierung von nicht erfüllten Theorieanforderungen sein.
Fortbildungsinhalte innerhalb einer Struktur eines Begleitungskonzeptes eröffnen Lernchancen, weil sie mehrperspektivisch vermittelt werden können:
- Elemente kognitiver Wissensvermittlung,
- anwendungsbezogene Inhalte, handlungsorientiert transportiert,
- erfahrungsorientierte und prozesshafte Lernelemente (siehe Stufenmodell).
Dadurch würde sich auch ein weiterentwickeltes Bild von Fortbildung ergeben: "...ein dauernder Balanceakt zwischen dem Vermitteln von Sicherheit und Herstellen einer von Vertrautem getragenen Arbeitsbeziehung, dem Vermitteln von neuem Wissen, dem Anleiten und Begleiten bei Lernprozessen, dem Rückkoppeln von Beobachtungen und Wahrnehmungen und dem Achten auf Gruppenprozesse. Die Übergänge der einzelnen Rollenbestandteile sind fließend und ungleichzeitig" (Bentner, 1996, S. 112).
Ein subjektorientierter Ansatz lässt äußere Barrieren und innere "Imperative" sichtbar werden - und dann erst sind sie zu bewältigen und können eine Grundlage für Veränderungen sein. Profile individueller Sollwerte mit neuen Inhalten zu konfrontieren, reicht nicht für eine tatsächliche Veränderung in der Praxis aus. Fortbildung ist ein vieldeutiges, instabiles, dynamisches Kraftfeld, das sich erst durch Klarheit und Zielorientierung - sowie einen Zeitaufwand über herkömmliche Angebote hinaus - als effektiv im Sinne von Weiterentwicklung auszeichnen kann. Erst die Erprobung und die Handlungswirksamkeit können zeigen, wie effizient eine Fortbildung und eine Begleitung waren. Im spannungsreichen Feld von Erfahrungen im Kindergarten ist der/die Erzieher/in unterschiedlichen Entwicklungen ausgesetzt: Fortschritt und Fortsetzung, Steigerung und Entlastung, Zukunfts- und Gegenwartsbezug bilden Pole eines Kontinuums, das dringend der Begleitung von außen bedarf.
Qualitätskriterien für Fortbildungen
Um im bunten Angebot der unterschiedlichen Fortbildungen auswählen zu können, haben wir hier einige Kriterien gesammelt, die unserer Ansicht nach bewerten und entscheiden helfen können:
- Prozesshaftigkeit des Lernens in Veränderungen wird berücksichtigt (siehe oben: Veränderungen von Subjektiven Theorien).
- Fortbildung als "Lernwerkstatt" bzw. als entdeckendes selbsttätiges Lernen: "Lernwerkstatt meint ein Prinzip des Lernens, das den eigenen Kopf im Mittelpunkt belässt. Und darin landen bekanntlich alle Sinnesreize, Empfindungen und Gefühle. Demnach mache ich mir meinen eigenen Kopf, denke selbst nach, wälze die Gedanken darin herum, durchdenke, denke vor und zurück, reflektiere. Ich gewinne Einsicht, Durchblick, Überblick und verändere meinen Standpunkt, verwerfe und erneuere, erforsche und erfinde - ich lernwerke an meinem eigenen Denken, ich lebe. ...Mit Werkstattcharakter ist gemeint:
- selbst erleben anstatt zuhören
- selbst tätig werden anstatt konsumieren
- vorbereitete aber nicht planbare Prozesse
- selbständige, vom Kursleiter unabhängiges Lernen
- offene Gruppenarbeit
- Förderung von Spontaneität
- Konzentration auf Prozesse anstatt auf vorzeigbare, gut präsentierte Ergebnisse
- Anerkennung von Lern-Umwegen, Nebenwegen..." (Christine Albert in klein&groß, 6/97).
- Praxisorientierung: Verbindung von neuen theoretischen Inhalten mit den Bedingungen der Praxis vor Ort.
- Personenorientierung: Inhalte und Formen der Fortbildung muss auch die Person der Erzieherin ansprechen und fordern. Die Steigerung der Berufszufriedenheit ist immer auch ein immanentes Ziel von gelungener Fortbildung.
- Frauenfreundliche Lernformen: z.B.
- gute Gruppenbeziehungen,
- Übungen ohne Konkurrenzprovokationen,
- Raum für Erfahrungsaustausch,
- aktivierende, teamorientierte Verfahren der Moderation.
Qualität durch Fachberatung
Die fortlaufende berufsbegleitende Qualifizierung ist für Erzieher/innen besonders wichtig, weil die pädagogische Arbeit nie gleich bleiben kann - durch sich wandelnder Lebenssituationen von Kindern, aufgrund neuer fachwissenschaftlicher Erkenntnisse etc. (s.o.). Die berufsbegleitende Unterstützung wird von Fachberatungen - leider nicht flächendeckend - auf unterschiedliche Art und Weise wahrgenommen. Das von vielen Fachberatern selbst angemahnte fehlende Berufsprofil, ein zu definierendes ausdifferenziertes Tätigkeitsfeld sowie unterschiedliche Finanzierungsträgerstrukturen gefährden diese berufsbegleitende Unterstützung. Die Drehpunktfunktion im Kompetenzwirrwarr und unübersichtlichen Arbeitsfeld veranlasst die Fachberater immer wieder, sich selbst zu verorten und ihren eigenen Standpunkt zu suchen.
Die zentralen Aufgaben von Fachberatung sind:
- Fachliche inhaltlich-pädagogische Begleitung und Beratung vor Ort unterstützen die Mitarbeiter/innen in den Kindertageseinrichtungen in der Konzeptions- und Qualitätsentwicklung;
- organisatorische und rechtliche Beratung bezüglich Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien;
- Unterstützung und Beratung bei der Bauplanung und Gestaltung von Räumen und Außengeländen;
- Hilfe bei Problemen und Konflikten zwischen Erzieher/innen, Leiter/innen, Eltern und Träger;
- Durchführung und Organisation von Fortbildungen;
- Interessenvertretung in Gremien und Arbeitsgruppen auf regionaler Ebene.
Wenn Qualitätsentwicklungen angestrebt, Teamkonflikte gelöst oder Potentiale aktiviert werden sollen etc., zeigt sich die Distanz der Fachberatung als förderlich und unverzichtbar. Unhinterfragte Traditionen können durch die Außenposition offen gelegt und bearbeitet werden, Analysen der jeweiligen Situationen, Initiativen und Impulse können Reibungspunkte oder hemmende Faktoren zu Tage treten lassen und die Beteiligten selbst fähig machen, diese zu überwinden.
Ulrike Ziesche, Fachberaterin aus Reinickendorf, die ausschließlich Qualitätsentwicklung mit ihren Einrichtungen macht, nennt die notwendigen Kompetenzen: "Die Fähigkeit, Probleme und Entwicklungsbedarf wahrzunehmen, sie zu beschreiben und zukunftsgerichtet zu interpretieren; die Kompetenz, strategisch zu denken, komplexe Zusammenhänge zu erfassen, Systeme und ihre Regeln zu erkennen und Wissen ... sinnvoll ... zu verankern, ... Moderationskompetenz, die Kompetenz, Menschen zu aktivieren, ihre Fähigkeiten zu erkennen und zu nutzen, ihre eigenen Kompetenzen auszubauen, also Hilfe zur Selbsthilfe, ... die Bereitschaft, selbst Lernende in einem gemeinsamen Lernprozess zu sein, keine unnötigen Vorgaben zu machen, sondern flexibel und offen mit Situationen umzugehen; die Fähigkeit zum Prozessdenken, das den Prozess vieler Menschen umfasst, indem jeder Schritt gemeinsam gegangen, bewertet und nach Möglichkeit optimiert wird." (Werkstatthandbuch, S. 142).
Von vielen Fachberatern als belastend und schwierig erlebt wird der dauernde Rollenkonflikt, das "Zwischen-den-Stühlen-Phänomen". Ein Problem ist, in der Vermittlungsposition mitten im Spannungsfeld zu stehen, gleichzeitig eine erhaltende sowie innovierende Zielsetzung zu haben und die unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Beteiligten zu berücksichtigen. Multidimensionale Zuständigkeiten für zu viele, meist auch noch räumlich weit auseinanderliegende Einrichtungen machen aus Fachberatungen feuerwehrähnliche Serviceeinrichtungen. Soll Fachberatung einen Beitrag zur Qualitätsentwicklung leisten, kann dies nur geschehen, wenn entsprechende Arbeitsbedingungen vorhanden sowie Schwerpunktsetzungen möglich sind. Fachlich-kooperativ und fachpolitisch ist die Vernetzung eine Entwicklungsaufgabe der Fachberatung, da sie als Schnittpunkt zwischen gesellschaftlichen Aufgaben, wissenschaftlichen Erkenntnissen, Trägern und Praxisinteressen nicht unpolitisch bleiben kann.
"Fachberatung sollte eine zentrale Rolle bei der berufsbegleitenden Qualifizierung von Erzieherinnen im Rahmen eines umfassenden Qualitätsentwicklungs- und -sicherungskonzepts übernehmen. Ein solches Qualifizierungskonzept muss an wesentlichen Schnittstellen ansetzen und über adäquate Methoden verfügen. Um zu einer Professionalisierung von Erzieherinnen besser als bisher beitragen zu können, müssen entsprechende Rahmenbedingungen für Fachberatung geschaffen werden" (Lore Miedaner).
Die GEW fordert deshalb den Ausbau und Erhalt von Fachberatung auf allen Ebenen der öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe.
Literatur
Bentner, A.: Neue Lernkulturen in Organisationen, Frankfurt, 1996
Groeben, N.: Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien, Tübingen, Francke, 1988
Miedaner, L.: Fachberatung im Qualifizierungsprozess von Erzieherinnen, in KiT 2, 13, 1999
Milbach,B.: Attraktivität von Fortbildungsveranstaltungen für pädagogische Fachkräfte im Elementarbereich. In: Dippelhofer-Stiem, B. & Wolf, B. (Hrsg.): Ökologie des Kindergartens, Weinheim: Juventa, S. 109-138
Ziesche, U.: Werkstatthandbuch zur Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten, Neuwied, Luchterhand, 1999