Aus:
Was + Wie 2000, Heft 4, S. 149-153
Michael Schnabel
1. Was ist Coaching?
Coaching ist eine Trainingsphilosophie aus dem Spitzensport. Es hat seinen Ursprung im Tennistraining. Leistungssportler sollen damit an den Gipfel ihrer Leistungsmöglichkeiten geführt werden. Die Coaching-Philosophie wird neuerdings auch für Manager, Eltern und Gruppenleiter aufbereitet.
Coaching meint: Einen anderen so zu trainieren, daß er seine Anlagen am besten zur Entfaltung bringen kann. Dies verlangt ganz engen Kontakt zum Schüler, ihn gründlich zu kennen und einen optimalen Zugang zu seinen psychischen und physischen Möglichkeiten zu finden.
Coaching setzt voraus, daß der Coach selbst den Sport beherrscht. Wie will jemand einen Tennisspieler coachen, wenn er selbst den Schläger nicht richtig halten kann?
Sogar in den praktischen Wissenschaften sollte es so sein: Wissenschaftler/innen könnten nur dann Erkenntnisse gewinnen, wenn sie auch praktische Erfahrungen besitzen und in der Praxis Übung haben.
Coaching ist aber noch anspruchsvoller: Ich muß als Coach akzeptieren können, daß meine Schüler die Aufgaben weit besser erledigen als ich. Dies ist nicht leicht: Meine Mitarbeiter/innen aus der Praxis wissen mehr und können mehr als ich. Oder anders gesagt: Die Pädagog/innen vor Ort sind die eigentlichen Produzenten in der Erkenntnisgewinnung. Wissenschaftler/innen sollten sich dann im nach hinein darum bemühen, diese Erkenntnisse möglichst genau, klar und überzeugend darzustellen.
Dies sind die Grundprinzipien unseres Konzepts zur Gewinnung von Erkenntnissen zur Elternbildung im Kindergarten.
2. Religiöse Erziehung im Kindergarten in Kooperation mit Familie und Pfarrgemeinde
Kindergartenerziehung bemüht sich zunehmend auf die Eltern einzugehen und mit den Eltern zusammenzuarbeiten. Auch im Schwerpunkt der religiösen Erziehung ist eine Zusammenarbeit mit den Eltern immer dringlicher. Religiöse Erziehung muß auf lange Sicht erfolglos bleiben, wenn sie nicht die Eltern einbezieht.
Die Eltern sind der allererste Grund für den christlichen Glauben ihrer Kinder; sie bringen bei ihren Kindern eine christliche Lebenseinstellung hervor; weiterhin prägen sie die christliche Überzeugung ihren Kindern derart ein, sodaß die Kinder in ihrer Lebens- und Weltauffassung für das spätere Leben geprägt sind.
Auch die Praxis des Glaubens wird in der Familie gelernt, wenn die Eltern mit den Kindern beten, Feste feiern, aus der Bibel erzählen und die Fragen nach Gott beantworten.
Die Vermittlung der christlichen Grundüberzeugungen vollbringen die Eltern nicht allein. Sie brauchen die Rückbindung zur Gemeinde. In der Pfarrgemeinde bieten sich Möglichkeiten der Begegnung und des Erfahrungsaustausches über das Leben aus dem Glauben. Die Begegnung in der Gemeinde ist zugleich Gottesbegegnung, die in der Eucharistiefeier seinen besonderen Sinngehalt finden sollte.
Das Kind ist seit der Taufe in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen und somit ein Glied der christlichen Gemeinschaft. Zum anderen unterstützt und stärkt die Glaubensgemeinschaft die Eltern in ihrer Aufgabe der religiösen Erziehung. Die religiöse Erziehung ist sakramental grundgelegt in der Taufe und im Ehesakrament.
Auf Grund dieser Überlegungen muß die religiöse Erziehung immer im Leben der Gemeinde rückgebunden sein. Die Familie und die Gemeinde sind wie zwei Säulen, an denen die Glaubensbildung des Kindes aufgespannt ist. Der Kindergarten ergänzt die religiöse Erziehung in den Familien und führt die Kinder der Gemeinde zu. Daher ist das Konzept der Elternbildung auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Gemeinde ausgerichtet.
3. Handlungs- und erfahrungsorientiertes Lernen in der Elternbildung
Elternabende, die Fragen der religiösen Kleinkinderziehung mit den Eltern behandeln, sind nach einem handlungs- und erfahrungsorientierten Lernkonzept gebaut.
Was ist damit gemeint? Der Name dieses Konzepts ist Programm! Erfahrungsaustausch über religiöse Kleinkinderziehung ist das Hauptanliegen: Eltern erzählen von ihren Erfahrungen, Erlebnissen, Schwierigkeiten, wenn sie mit Kindern beten, Feste vorbereiten, in den Gottesdienst gehen, aus der Bibel erzählen und vieles mehr. Pädagog/innen berichten, wie sie Erntedank, Weihnachten, Ostern mit den Kindern vorbereiten, wie sie den Kindern aus der Bibel erzählen, wie sie mit Kindern beten und singen.
Erfahrungen aus der Praxis der religiösen Erziehung und Reflexion dieser Praxis sind der thematische Kern dieser Treffen. Ganz konkret: Thema Schöpfung: Frau Huber erzählt, wie sie mit der zweijährigen Lisa und dem fünfjährigen Markus Schöpfung betrachtet, bewundert, bestaunt hat: "Letzthin hat Lisa ganz vorsichtig einen Junikäfer über ihre Hand krabbeln lassen. Erst nachdem ich ihn mehrmals anhauchte, wurde er lebhaft. Ich habe mich dabei erinnert, welchen Spaß ich als Kind hatte, wenn mir ein Maikäfer über den Handrücken lief. Ich habe schon lange keinen mehr gesehen. Warum? ...."
Ebenso erzählen die Pädagoginnen von ihren Beobachtungen, Erlebnissen mit den Kindern im Kindergarten. "Herr Schweitzer, Sie hätten sehen sollen, wie konzentriert Ihre Franziska sich an der Erlebnisschnur entlanghangelte. Mit geschlossenen Augen sollten die Kinder in unserem Garten an einer Schnur gehen und achten, was es alles zu erleben gibt ..."
Zusammenfassend: Eltern berichten, was sie mit ihren Kindern erlebt und erfahren haben; Erzieher/innen erzählen, wie im Kindergarten das Thema bearbeitet wird und wie die Kinder darauf reagieren.
Aber der Erfahrungsaustausch der Eltern untereinander und zwischen Eltern und Pädagog/innen läßt sich nicht erzwingen. Niemand erzählt einer Nachbarin, einer Erzieherin, einem Lehrer auf Anhieb seine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen aus dem Familienalltag.
Jetzt greift das zweite Prinzip des didaktischen Konzepts: Das Handeln miteinander.
Bevor es zum Erfahrungsaustausch der Eltern untereinander kommt, lernen sich Eltern durch Spiele, Spiellieder Übungen, Bewegungsspiele und kreative Aufgaben näher kennen. Dadurch wird Fremdheit überwunden, werden Blockaden gemildert und Zutrauen geweckt.
In einer Aktion, die aus der Kindergartenpraxis stammt, erleben die Eltern, wie im Kindergarten die Kinder sich mit dem Thema beschäftigen. Erfahrungsaustausch geschieht daher einmal praktisch, psychomotorisch und dann verbal im Gespräch.
Dies verlangt von den Pädagog/innen: Sie müssen die Eltern spielerisch miteinander vertraut machen und die Eltern für eine Aktion aus der Kindergartenarbeit begeistern können. Dann kommt dazu: Mit den Eltern ein Gespräch anzubahnen und dieses Gespräch an richtigen Stellen vertiefen und konkretisieren.
Ist dies nicht eine Überforderung?
4. Sinnenhaftes Lernen in der Fortbildung
Leichter gesagt als getan! Wie soll mit den Eltern gearbeitet werden, damit sie von den Erfahrungen mit ihren Kindern erzählen, damit sie miteinander spielen, legen, bauen, singen, werken, kleben, tonen und sich darstellen?
Meistens stehen Referenten auf der Leitung, wenn sie aufgefordert werden, das tolle und effiziente Lernmodell vorzuführen. "Mach es vor, zeig uns Handlungen, demonstriere eine Teileinheit!" wird ein Dozent gebeten. Dann kommen die ausholenden, aufgeblähten und in ihrer Floskelhaftigkeit unverständlichen Erklärungsversuche: "Praktiker müssen das Prinzip verstehen, müssen einmal gedanklich den Ansatz durchdringen, dann können sie die Anregungen direkt auf ihr Lernfeld umsetzen."
Beherrscht jemand eine praktische Tätigkeit, wenn er das Prinzip versteht? Versteht jemand die Prinzipien der Praxis, wenn er selbst nicht handeln kann? Die Coaching-Idee macht deutlich: Nur wer Tennisspielen kann, kann einem anderen sagen, wie er sein Spiel verbessern kann. Logisch!
Entsprechend diesen Ideen wurden Erzieherinnen mit den Lernmöglichkeiten einer handlungs- und erfahrungsorientierten Fortbildung vertraut gemacht.
In den Trainingstagen zur Elternbildung konnten die Pädagoginnen sehen, wie Lernprozesse sich gegenseitig bedingen. Sie entwickelten selbst Bilder und Schemas, die Zusammenhänge sichtbar in Bildern entstehen ließen. Die Pädagoginnen wurden angeleitet Kennenlernspiele durchzuführen, Auflockerungen durch Spiele, Lieder und Übungen einzubauen; Entspannungsphasen mit Musik, Meditation, Atem- und Stimmübungen zu gestalten. Wir experimentieren miteinander: Wie können Einheiten aus dem Kindergarten mit den Eltern ansprechend durchgeführt werden? Wie können Gespräche angekurbelt werden und wie lassen sich Eltern im Gespräch lenken? Wie lassen sich geschickte Gesprächsübergänge finden und wie können Behauptung und Erfahrungen mit dem ganzen Körper veranschaulicht werden?
Aber nicht genug damit: Jede Teilnehmerin redet am Mikro. Dabei ist der Inhalt zweitrangig, sondern mit welcher Tonmodulation trage ich vor? Wie setze ich meine Gesten gezielt ein? Wie gestalte ich Pausen? Wie versuche ich durch Kleidung und Aussehen meinem Auftreten den richtigen Schliff zu geben? Wie gehe ich zum Rednerpult und trete mit Überzeugung ab?
Wir probieren in Kleingruppen, Stimmungen aus den Augenstellungen zu erkennen. Manche versuchen ihre Auftrittsstärke zu testen, indem sie mutig an den anderen vorbeigehen (Frauen mit Stöckelschuhe haben da einen Vorteil!). Wir schauen auf die Handbewegung, die Kopfhaltung, den Körperausdruck, wenn wir überzeugend unsere Meinung vorbringen wollen. Wir probieren in Zweiergruppen: Wie kann ich den anderen aus der Reserve locken, wie kann ich meinen Gegenüber so abblocken, daß er die Lust am Reden verliert. Wie kann ich einen Gesprächspartner soweit bringen, daß er seine Erlebnisse vorspielt?
Ein weiterer Schwerpunkt bei diesem Training: Wie gehe ich mit mir selbst um? Wie nehmen ich meinen Körper in einer Bildungsveranstaltung wahr? Wie komme ich in schwierigen Situationen zur Entspannung, Ruhe und Souveränität? Es gibt dazu Hunderte von Übungen und jede Teilnehmerin probiert, was sie weiterbringen kann: Hände aneinander drücken, eine Denkmütze aufsetzen, Konzentrationspunkte aktivieren.
Grundannahme dieses Vorgehens ist: Nicht die Informationsflut ist ausschlaggebend für den Elternabend, vielmehr muß ich meine Ideen und Überzeugungen - unter Wahrung der Echtheit - eindrucksvoll darstellen. Die Pädagoginnen müssen den Erfahrungsaustausch der Eltern untereinander anregen und partnerschaftliche Begegnung ermöglichen, denn christlicher Glaube wird nicht im Hersagen von Wissen vermittelbar, sondern durch überzeugtes und echtes Bekenntnis.
5. Lerngemeinschaft: Pädagog/innen - Wissenschaftler/in
Die Übertragung der Modelle für die Elternbildung Beschränkte sich nicht auf Fortbildungen zum vorgestellten Konzept. Der Transfer in die Praxis geschah geradezu in einer Lerngemeinschaft. Den Praktikerinnen wurde Wissen zum Thema verfügbar gemacht. Es wurden Informationen zum Thema angeboten. Die Pädagoginnen entwickelten selbst den Ablauf und entschieden sich für Handlungselemente und Schwerpunkte. Zusammen wurden der Ablauf, die Spiele, die Aktionen und das Gespräch eingehend vorbesprochen. Die Pädagoginnen führten den Abend eigenständig durch, wurden beobachtet und begleitet. Abschließend fand zu jedem Abend eine Besprechungen statt. Bei Bedarf eine weitere Beratung.
Die Pädagoginnen in den Kindergärten haben die entscheidenden Erkenntnisse in der praktischen Umsetzung erbracht, und sie haben durch ihren engagierten Einsatz gezeigt: Elternbildung nach dem vorgestellten Konzept ist in der Lage, die Erfahrungen der Eltern zu beraten, mit den Eltern konkret, kindspezifisch, situationsadäquat, genau und für den pädagogischen Alltag brauchbar Fragen zu religiösen Themen zu beraten.
Sie haben die Verbindungsbrücken zu den Pfarrgemeinden hergestellt und dadurch die Elternbildung in das Pfarrleben integriert.