Anke Buschmann und Steffi Sachse
Gute sprachliche Kompetenzen sind von zentraler Bedeutung für die gesamte kindliche Entwicklung und den späteren Erfolg in Schule und Beruf. Den Kindertagesstätten kommt eine bedeutende Rolle bei der Förderung sprachlicher Fähigkeiten zu. Zahlreiche Kinder werden bereits im Säuglings- und Kleinkindalter für mehrere Stunden täglich außerfamiliär betreut, sodass sowohl Eltern als auch pädagogisches Fachpersonal in der Verantwortung stehen, die Kinder in ihrer kommunikativen und sprachlichen Entwicklung zu unterstützen. Für Kinder mit Migrationshintergrund und wenig außerfamiliärem Kontakt zur deutschen Sprache ist eine kontinuierliche und gezielte Sprachförderung in der Kindertageseinrichtung essentiell und durch nichts anderes ersetzbar.
Aufgrund dieser Tatsache und vor dem Hintergrund der Pisa-Ergebnisse wurden vor einigen Jahren Sprachstandserhebungen und Sprachfördermaßnahmen ins Leben gerufen. Die inzwischen weit verbreiteten spezifischen Sprachförderprogramme, in denen mit sprachschwachen Kindern ein- bis zweimal pro Woche z.B. bestimmte Sprachstrukturen geübt werden, haben sich allerdings als nicht oder nur wenig wirkungsvoll erwiesen. (Hofmann/ Polotzek/ Roos/ Schöler 2008; vgl. Lisker 2010).
Als Ursache für die Schwächen der derzeitigen Herangehensweisen kommen mehrere Punkte in Betracht:
- Die Programme zielen zumeist auf Kinder im Vorschulalter, d.h. der Beginn der Sprachförderung ist zu spät.
- Es werden ausschließlich spezielle Situationen zur Sprachförderung geschaffen.
- Es gibt keine bzw. nur sehr kurze Fortbildungen zum Einsatz eines speziellen Materials, ohne dass weiter darauf eingegangen wird, wie genau dieses sprachförderlich eingesetzt werden kann.
Die geringe Effektivität der bisher üblichen Sprachförderung führt dazu, dass die in ihrem Potenzial bisher unterschätzte alltagsintegrierte Sprachförderung in den Fokus des Interesses rückt. Der Alltag in Kindertagesstätten bietet einen hervorragenden Rahmen für vielfältige Möglichkeiten zu einer kontinuierlichen und gezielten sprachlichen Anregung. Da insbesondere der alltägliche sprachliche Umgang mit sprachschwachen Kindern und mehrsprachig aufwachsenden Kindern mit geringen Deutschkenntnissen eine große Herausforderung für das pädagogische Fachpersonal darstellt, ist auch für eine alltagsintegrierte Sprachförderung Fachwissen nötig. Zudem ist eine intensive Begleitung und Supervision der Fachpersonen nötig, damit diese langfristig Handlungskompetenz im gezielt sprachförderlichem Umgang mit sprachschwachen Kindern erlangen.
Im Folgenden wird ein auf seine Wirksamkeit hin überprüftes Konzept zur alltagsintegrierten Sprachförderung vorgestellt. Es handelt sich hierbei um ein sprachbasiertes systematisches Interaktionstraining von pädagogischem Fachpersonal. Im Rahmen einer viertägigen praxisnahen Fortbildung mit begleitender Supervision werden die Erzieher/innen in ihrer Kommunikation und Interaktion mit sprachauffälligen Kindern so geschult, dass die Kinder quasi "nebenbei" intensiv in ihrer sprachlichen Entwicklung unterstützt werden. Diese Herangehensweise hat sich in zwei Studien als sehr wirkungsvoll herausgestellt.
"Heidelberger Trainingsprogramm zur frühen Sprachförderung in Kindertagesstätten"
Das "Heidelberger Trainingsprogramm zur frühen Sprachförderung in Kitas" (Buschmann/ Jooss, www.heidelberger-interaktionstraining.de) basiert auf dem wissenschaftlich gut evaluierten "Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprachförderung" (Buschmann 2009), einem Interaktionstraining, in welchem die Eltern sprachverzögerter ein- oder mehrsprachig aufwachsender Kinder gezielt zu einem sprachförderlichen Verhalten in ihrer Interaktion und Kommunikation mit dem Kind angeleitet werden. Das Elterntraining wird seit 2003 regelmäßig in Heidelberg und seit 2006 in zahlreichen Regionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt.
Seit 2007 existiert die adaptierte Version des Konzepts für den Einsatz in Krippe, Kindergarten und bei Tagesmüttern. Es handelt sich hierbei nicht um ein klassisches Sprachförderprogramm, denn es geht nicht um das Üben verschiedener Sprachformen anhand eines festgelegten Materials, sondern es ist vielmehr Ziel, pädagogisches Fachpersonal für die vielen kleinen Möglichkeiten zur Sprachförderung im Kita-Alltag zu sensibilisieren und sie im sprachförderlichen Umgang mit sprachauffälligen Kindern zu befähigen.
Rahmenbedingungen
Zielgruppe für das Trainingsprogramm sind Erzieher/innen und andere pädagogische Fachkräfte aus Krippe und Kindergarten, integrativen Einrichtungen, Sprachheilkindergärten, Schulkindergärten, Einrichtungen mit hohem Migrationsanteil und vielen Kindern aus sozial schwachen Schichten sowie Tagesmütter und Kinderfrauen. Die Fortbildung findet in einer festen Kleingruppe von maximal 15 Personen an vier Terminen mit je fünf Unterrichtseinheiten (á 45 Min.) mit einem Abstand von drei bis vier Wochen statt. Zur Sicherung des Langzeiteffekts wird nach etwa drei Monaten eine Nachschulung mit ebenfalls fünf Unterrichtseinheiten durchgeführt.
Inhalte
Es erfolgt eine intensive Einführung in folgende Themen:
- Ablauf der frühen Sprachentwicklung
- Verzögerungen und Störungen im Spracherwerb
- Methoden der Früherkennung von Sprachauffälligkeiten
- Besonderheiten bei Mehrsprachigkeit.
Aufbauend auf dieses Basiswissen werden mit den Teilnehmern wichtige Grundprinzipien einer sprachförderlichen Kommunikation und Interaktion erarbeitet und die Besonderheiten des Sprachangebots, welches Kinder mit einer verzögerten Sprachentwicklung oder mehrsprachig aufwachsende Kinder benötigen, erörtert.
Des Weiteren erfahren die Teilnehmer anhand von Videoillustrationen, wie sie bestimmte Situationen, z.B. das gemeinsame Anschauen von Bilderbüchern, gezielt sprachförderlicher gestalten können und welche Verhaltensweisen sich eher hemmend auf die kindliche Sprechfreude auswirken.
Auf den Transfer der geübten Verhaltensweisen auf alltägliche Situationen in der Einrichtung wird großer Wert gelegt. Wichtig ist dabei die Unterscheidung von Situationen, in denen ein Einzelkontakt mit dem Kind möglich ist, wie beim Wickeln, zur Toilette gehen oder beim Anziehen helfen, und Situationen, die in der Gruppe stattfinden, wie das gemeinsame Essen. Neben dem Grundprinzip "Das Kind aktiv werden lassen" lernen und üben die Erzieher/innen den Einsatz gezielter Sprachlehrstrategien und gezielter Fragen in Abhängigkeit von den sprachlichen Fähigkeiten des jeweiligen Kindes.
Eine detaillierte Beschreibung des Inhalts findet sich in Buschmann, Jooss, Simon und Sachse (2010).
Vermittlung der Inhalte (Methodik und Didaktik)
Die Fortbildung ist in hohem Maße praxisorientiert und abwechslungsreich gestaltet. Die Vermittlung der Inhalte erfolgt strukturiert und zielgerichtet in aufeinander aufbauenden Modulen und unter Einsatz verschiedener Medien. Die Wertschätzung der Erzieher/innen in ihrer Kompetenz als Fachperson spielt eine tragende Rolle in der Vermittlung des Inhalts.
Im Vordergrund steht das gemeinsame Erarbeiten von Wissen unter aktivem Einbezug der Teilnehmer/innen. Durch Videoillustrationen werden verschiedene Strategien erarbeitet und anschließend aktiv in Kleingruppen ausprobiert. Das gezielte und intensive Üben sprachförderlicher Verhaltensweisen im Rahmen des Trainingsprogramms trägt wesentlich dazu bei, dass der Transfer in die direkte Arbeit mit den Kindern rasch und erfolgreich gelingt.
Die Zeit zwischen den Sitzungen dient dazu, Erfahrungen mit den gelernten Strategien zu sammeln. Die Erzieher/innen werden angehalten, sich zunächst auf die Interaktion mit ein bis drei Kindern, welche über einen geringen aktiven Wortschatz verfügen, zu konzentrieren. Dies erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit und fördert damit die Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit, welche unabdingbare Voraussetzung für eine langfristige Verhaltensänderung ist.
Schwerpunkt der vierten Fortbildungseinheit bildet die Videosupervision einer aktuellen Interaktionssituation mit einem sprachauffälligen Kind in der Einrichtung, sodass jede Teilnehmerin zu einer vertieften Reflexion des eigenen Verhaltens geführt wird, ein individuelles Feedback erhält und intensives Modelllernen für alle Teilnehmer/innen ermöglicht wird.
Zu den Inhalten jeder Fortbildungseinheit erhalten die Erzieher/innen umfangreiches und anschauliches Begleitmaterial zur Vertiefung. Jede Fortbildungseinheit beginnt mit einem kurzen Erfahrungsbericht der Teilnehmer/innen, verbunden mit einer Wiederholung der Inhalte aus der vorangegangenen Sitzung.
Wie hoch ist die Effektivität eines solchen Trainings?
Kurzbeschreibung von zwei Studien
- Studie 1 fand in Kinderkrippen in Baden-Württemberg statt. Die Untersuchung erfolgte an Kindern im Alter von etwa zwei Jahren, welche zum Zeitpunkt des Trainings über einen aktiven Wortschatz von etwa 20 Wörtern verfügten.
- Studie 2 fand in Kindergärten in Hessen statt. Es wurden die sprachlich schwächsten drei- und vierjährigen Kinder jeder Kindergartengruppe ausgewählt.
Die insgesamt an der Studie teilnehmenden Kindertagesstätten wurden jeweils zufällig in zwei Gruppen eingeteilt. Mit der einen Gruppe wurde das Heidelberger Trainingsprogramm zur frühen Sprachförderung in Kitas (einmal in der Version für Kindergärten und einmal in der Version für Kinderkrippen) durchgeführt. Diesen Trainingsgruppen wurde in beiden Studien eine Vergleichsgruppe gegenübergestellt. Die Vergleichsgruppe in Kindergärten förderte Sprache, indem auf Basiskompetenzen der Sprachentwicklung wie Gedächtnis und Aufmerksamkeit fokussiert wurde. Die Vergleichsgruppe in den Kinderkrippen erhielt die gleichen Informationen wie die Trainingsgruppe - sie erfuhren also genauso, wie Sprache im Alltag gefördert werden kann, allerdings ohne dies wirklich zu üben und eine Rückmeldung über ihr eigenes Verhalten zu bekommen.
Die Wirksamkeit des Trainings wurden nun überprüft, indem diese beiden Gruppen miteinander vergleichen und außerdem alle Kinder wiederholt mit sprachlichen Entwicklungstests überprüft wurden. Ferner wurden Videos der Erzieher/innen in einer Interaktionssituation (beim Buchanschauen mit den Kindern) aufgenommen.
Studienergebnisse
Ebene der Erzieher/innen: Einschätzung der Trainingsprogramms: Zur subjektiven Bewertung des Trainingsprogramms hatte jede Erzieherin am Ende des Trainings einen Fragebogen anonym ausgefüllt. Die positiven Bewertungen lassen schließen, dass die Teilnehmer/innen mit der Fortbildung sehr zufrieden waren. Vor allem die intensiven Übungsanteile, die Videorückmeldungen und Aufgaben zum Ausprobieren zwischen den Terminen wurden als sehr wichtig eingeschätzt.
Ebene der Erzieher/innen: Verhaltensänderung: Es zeigte sich, dass in Folge des Trainingsprogramms die Erzieher/innen ihr sprachliches Interaktionsverhalten deutlich veränderten und sich den Kindern gegenüber in der Kommunikation dauerhaft sprachförderlicher verhielten. Sie nahmen häufiger eine sprachförderliche Grundhaltung ein, ließen die Kinder deutlich häufiger zu Wort kommen und reagierten positiv auf alle sprachlichen Äußerungen. Zudem verwendeten sie deutlich mehr sprachmodellierende Strategien wie das korrektive Feedback in der Interaktion mit den Kindern. Sie reagierten angemessen auf Fehler, griffen kindliche Äußerungen auf und führten diese weiter.
Sprachliches Verhalten der Kinder: Der bewusst sprachförderliche Umgang der Erzieher/innen hatte einen deutlichen Effekt auf die sprachliche Entwicklung der Kinder. Während die Kinder, deren Erzieher/innen an der eintägigen Fortbildung mit ausschließlich Wissensvermittlung teilgenommen hatten, ein halbes Jahr später über einen aktiven Wortschatz von nur 138 Wörtern verfügten, sprachen die Kinder, deren Erzieher/innen das Heidelberger Trainingsprogramm absolviert hatten, bereits 197 Wörter. Bei den Kindergartenkindern zeigte sich insgesamt eine vermehrte Sprechfreude und größere Redeanteile. Vor allem die sprachlich schwächsten Kindern produzierten längere und komplexere Äußerungen als die Kinder der Vergleichsgruppe (in der ja auch Sprache gefördert wurde).
Eine detaillierte Beschreibung der Studienergebnisse findet sich in Buschmann und Jooss (2011) sowie in Buschmann, Simon, Jooss und Sachse (2010).
Fazit
Das hier vorgestellte "Heidelberger Trainingsprogramm zur frühen Sprachförderung in Kitas" richtet sich gezielt an pädagogisches Fachpersonal im Elementarbereich. Im Rahmen eines sprachbasierten Interaktionstrainings wird das Fachpersonal systematisch zu sprachförderlichem Verhalten angeleitet und supervidiert. Die Studienergebnisse belegen eindrücklich die Wirksamkeit dieses alltagsintegrierten Ansatzes. Auf Seite der Erzieher/innen findet eine Verhaltensänderung in Richtung bewusst sprachförderlichem Umgang mit den sprachlich schwachen Kindern statt. Dies wiederum bewirkt eine Beschleunigung der sprachlichen Entwicklung der Kinder.
Besonders wichtig ist der Befund, dass eine bloße Wissensvermittlung zum Thema alltagsintegrierte Sprachförderung auf keinen Fall auszureichen scheint. Obwohl die Erzieher/innen dieser Gruppe die Fortbildung ebenso positiv und für sich erfolgreich beurteilten, verfügten die Kinder über deutlich geringere sprachliche Leistungen als die Kinder, deren Erzieher/innen das komplette Heidelberger Trainingsprogramm durchlaufen hatten.
Danksagung
Die Studie in Kindergärten wurde im Rahmen des Projekts "Schwerpunkt Sprache" vom Hessischen Kultusministerium und der Frankfurter Metzler-Stiftung ermöglicht und unterstützt. Die Studie in den Kinderkrippen förderte die Günter-Reimann-Dubbers-Stiftung. Die Erstellung des vorliegenden Beitrags wurde im Rahmen des Margarete von Wrangell-Habilitationsprogramms aus dem Europäischen Sozialfonds in Baden-Württemberg gefördert.
Anmerkung
Der Beitrag ist angelehnt an: Sachse, S., Jooss, B., Simon, S., Buschmann, A. (im Druck): Wie gelingt es, Sprache effektiv im Alltag zu fördern? Vorstellung eines Konzept und Ergebnisse wissenschaftlicher Studien. Erscheint in KiTa aktuell.
Literatur
Buschmann, A.: Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprachförderung. Trainermanual. München: Elsevier bei Urban & Fischer 2008.
Buschmann, A./Jooss, B./Simon, S./Sachse, S.: Alltagsintegrierte Sprachförderung in Krippe und Kindergarten. Das "Heidelberger Trainingsprogramm" - ein sprachbasiertes Interaktionstraining für den Frühbereich. L.O.G.O.S INTERDISZIPLINÄR 2010, Heft 2, S. 84-95.
Buschmann, A./Simon, S./Jooss, B./Sachse, S.: Ein sprachbasiertes Interaktionstraining für ErzieherInnen "Heidelberger Trainingsprogramm" zur alltagsintegrierten Sprachförderung in Krippe und Kindergarten - Konzept und Evaluation. In: Fröhlich-Gildhoff, K./Nentwig-Gesemann, I./Strehmel, P. (Hrsg.): Forschung in der Frühpädagogik, Band 3. Freiburg: Verlag FEL 2010, S. 107-133.
Hofmann, N./Polotzek, S./Roos, J./Schöler, H.: Sprachförderung im Vorschulalter - Evaluation dreier Sprachförderkonzepte. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 2008, 3, S. 291-300.
Lisker, A.: Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung im Kindergarten sowie beim Übergang in die Grundschule. Expertise im Auftrag des Deutschen Jungendinstituts. München: Deutsches Jugendinstitut e.V., Abteilung Kinder und Kindertagesbetreuung 2010.
Autorinnen
Dr. Anke Buschmann, Diplom-Psychologin, Leitung ZEL-Zentrum für Entwicklung und Lernen, Heidelberg, buschmann@zel-heidelberg.de, www.zel-heidelberg.de
Prof. Dr. Steffi Sachse, Diplom-Psychologin, Pädagogische Hochschule Heidelberg, sachse@ph-heidelberg.de, www.ph-heidelberg.de