Aus: KiTa aktuell NRW 2004, Nr. 5, S. 117-118
Gerhard Stranz
Was bedeutet es, wenn auf dem Fortbildungsstand auf der didacta 2004 eine Bestätigung des Trends des Vorjahres festgestellt wurde:
- Erzieherinnen suchen nach den Fortbildungsmöglichkeiten für den "Ausstieg" aus der Tätigkeit in einem Kindergarten!
- An Fortbildungen sind vorrangig "nur noch" Leiterinnen interessiert!
Auch wenn dieses Bild vielleicht überzeichnet ist, zumal Erzieherinnen an Fortbildungen interessiert sind - dies zeigte sich nicht nur an dem Interesse am Seminarprogramm der didacta, sondern auch an den Nachfragen und der Teilnahme an anderen Angeboten -, so wirft es doch einen "globalen" Blick auf die Situation der pädagogischen Mitarbeiterinnen im Elementarbereich.
Eine Betrachtung der Veränderungen in den letzten Jahren lässt erkennen, dass in erheblichem Umfang Verschlechterungen und zusätzliche Erwartungen auf die Mitarbeiterinnen in Tageseinrichtungen zugekommen sind. Dass die Veränderungen relativ unbemerkt erfolgen konnten und nicht zu vehementen Protesten geführt haben, lässt sich m.E. vorrangig nur mit der Leidensfähigkeit von Frauen erklären, die mit ihrer emphatischen Haltung versucht haben, unter den gegebenen Bedingungen den Kindern in der unmittelbaren Begegnung gerecht zu werden und sich mit ihren Kolleginnen solidarisch verhalten haben.
Ob unter den gegebenen Bedingungen den Anforderungen der Kinder entsprochen werden kann, die Frauen selber wirklich das leisten können, was ihnen wichtig ist und was sie "gesund" erhält, wird ausgeklammert.
Das Dilemma wird von Dr. Armin Krenz durch zwei Merkmal zutreffend gekennzeichnet:
- "Das berufliche Selbstbewusstsein der Erzieherinnen bleibt weit hinter der Bedeutung der tatsächlich geleisteten bzw. zu leistenden Arbeit zurück.
- Und: Das berufliche Selbstverständnis von Erzieherinnen ist geprägt von einer überhöhten Bereitschaft, möglichst allen Verhaltenserwartungen, die an sie gerichtet werden, gerecht zu werden." (Aus einem unveröffentlichten Manuskript.)
Kinder brauchen zur Begleitung in ihr Leben Erwachsene, die sie verlässlich und in angemessener Weise zur Seite stehen (können). Damit brauchen Erzieherinnen auch entsprechende Bedingungen, damit sie diesen Anforderungen gerecht werden können.
Wenn nachfolgend einige ungünstig erscheinende Veränderungen aufgezeigt werden, ergibt sich daraus die Aufforderung an Verantwortliche, endlich dafür zu sorgen, dass in die Bildung im Elementarbereich nicht nur mit Erklärungen und Absichten, sondern tatsächlich investiert wird. Dazu zählt dann, dass heute tätige Erzieherinnen bessere Arbeitsbedingungen, angemessene Fortbildungsmöglichkeiten, eine höhere Vergütung und damit Aufmerksamkeit sowie Anerkennung erhalten.
Die heutige Situation ist u.a. belastet durch:
- Erzieherinnen haben Kürzungen und Einschnitte in ihrem Arbeitsbereich durch die Verschlechterung der Rahmenbedingungen erfahren. Diese Verschlechterung kann als Ausdruck der gesellschaftlichen Wertschätzung der Arbeit verstanden werden.
- Erzieherinnen haben materielle Kürzungen hinnehmen müssen und müssen davon ausgehen, dass weitere erfolgen, wenn z.B. die beabsichtigte Verlängerung der Arbeitszeit für den öffentlichen Dienst umgesetzt werden sollte (von 38,5 auf 41 Wochenstunden). Dies würde vor allem für bereits teilzeittätige Mitarbeiterinnen zu weiteren Gehaltskürzungen führen.
- Erzieherinnen haben - aus Solidarität mit anderen Kolleginnen - Einkommenseinschnitte hingenommen, in dem sie Arbeitszeitverkürzungen zugestimmt und Teilzeitstellen angenommen haben. Nur so kann m.E. erklärt werden, dass in NRW mit dem Einsparungsprogramm von 1998, mit dem 200 Mio. EUR gekürzt wurden, 13.000 Vollzeitstellen abgebaut wurden, jedoch heute festzustellen ist, dass seit diesem Zeitpunkt die Anzahl der Mitarbeiterinnen gestiegen ist.
- Erzieherinnen werden immer mehr gedrängt, Beschäftigungsverhältnisse befristet anzunehmen.
- Erzieherinnen sind gefordert, sich mit zunehmenden Erwartungen von Eltern auseinandersetzen, die an längeren und flexibleren Öffnungszeiten interessiert sind, aber auch gleichzeitig zusätzliche Leistungen wünschen, z.B. Förderung einer Fremdsprache erwarten (Die "Nachfragemacht" der Eltern wird durch die neuen Finanzierungssysteme gefördert).
- Erzieherinnen werden immer mehr gedrängt, nicht nur über ihre Arbeit Rechenschaft abzulegen, sondern ihr Tun schriftlich zu dokumentieren. Dazu werden Beobachtungen, Listenführungen und das Erstellen von Dokumentation erwartet. Für diese Arbeiten stehen keine zusätzlichen "Zeiten" zur Verfügung, so dass sie von der "Begegnungszeit" mit den Kindern "abgeknapst" werden müssen.
- Erzieherinnen erleben, dass sie für die pädagogische Arbeit immer weniger Zeit "am Stück" für die unmittelbare pädagogische Arbeit haben. Teilzeittätigkeit, Teilnahme an Konferenzen, Schichtarbeit, Zeiträume für Nachweisführung begrenzen diesen Zeitraum.
- Erzieherinnen werden mit Erwartungen von Grundschulen konfrontiert, an Konferenzen teilzunehmen, über die in die Schule kommenden Kinder zu berichten und Kinder besser zu fördern, damit sie den Anforderungen der Schule gerecht werden.
- Erzieherinnen müssen sich auf weitere Belastungen einstellen, die sich nicht unmittelbar aus dem Arbeitszusammenhang ergeben, aber auf die persönliche Situation "durchschlagen", z.B. Gesundheitsreform.
- Das Einstellen auf neue Anforderungen setzt die Teilnahme an Fortbildungen voraus. Durch die Restriktionen in der Refinanzierung sind jedoch die Möglichkeiten für den Einsatz von Vertretungsmitarbeiterinnen reduziert. Der grundsätzliche Fortbildungsbedarf ergibt sich für alle Mitarbeiterinnen, unabhängig vom Umfang der Arbeitszeit. Da die zur Förderung von Fortbildung zur Verfügung stehenden Mittel in der Regel nicht mit der Anzahl der Mitarbeiterinnen angewachsen sind (sondern in NRW im Verhältnis zu den Personalkosten stehen), müssen die vorhandenen Mittel auf eine größere Anzahl von Personen aufgeteilt werden. Damit sind die materiellen Förderungsbedingungen des Trägers und die Möglichkeiten der Finanzierung aus eigenen Mitteln strukturell eingeschränkt.
- Durch die Diskussion um die "Hochzonung" des Ausbildungsniveaus (von der Fachschule zur Fachhochschule) wird den derzeit Tätigen attestiert, dass sie "eigentlich" nicht fähig sind, die erwartete Bildungsarbeit zu leisten. Diese Diskriminierung erfolgt "hochprofessionell", anstelle vorrangig darauf zu achten, dass den heute tätigen Erzieherinnen durch passgenaue Fortbildungsangebote Entwicklungsmöglichkeiten und Weiterentwicklungsmöglichkeiten angeboten werden, damit der Erzieherberuf nicht zu einer "Sackgasse" wird.
Verbesserungen der Situation sind nicht nur von "der Politik" zu erwarten. Veränderungen sind einerseits möglich, wenn alle Verantwortlichen ihren Teil dazu beitragen: Eltern, Mitarbeiterinnen, Träger, Kommunen, Land, Bund. Eine Veränderung beginnt, wenn der erste Schritt getan wird und wenn sich Verbündete zusammenschließen.
Ich mache mit.