Norbert Schreiber
Zusammenfassung
Der Beitrag befasst sich auf der Grundlage neuerer empirischer Untersuchungen mit der Arbeitszufriedenheit von Erzieherinnen in deutschen Kindertageseinrichtungen. Er benennt Faktoren, welche die Arbeitszufriedenheit der pädagogischen Fachkräfte positiv oder negativ beeinflussen können. Der Beitrag weist schließlich auf Wissensdefizite hin, die zu neuen empirischen Untersuchungen anregen sollten. Zum einen ist im Einzelnen ungeklärt, warum eine große Gruppe von Erzieherinnen über erheblichen Zeitmangel bei ihrer täglichen Arbeit klagt. Zum anderen bieten die vorliegenden Untersuchungen zu wenig Erkenntnisse, inwieweit sich die zunehmende Betreuung unter Dreijähriger positiv oder negativ auf die Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen auswirkt.
Wie groß ist die Arbeitszufriedenheit von Erzieherinnen?
Nach dem "DGB-Index Gute Arbeit", der von TNS Infratest Sozialforschung entwickelt wurde, äußern Erzieherinnen in Deutschland im Vergleich mit anderen Erwerbstätigen eine überdurchschnittlich große Zufriedenheit mit ihrer Arbeitstätigkeit (Fuchs/ Trischler 2008). Sie sind zum einen besonders zufrieden mit den zentralen Inhalten ihrer Arbeit (Umgang mit Kindern) und sie sind zum anderen sehr davon überzeugt, dass ihre Arbeit gesellschaftlich nützlich ist. Stark unterdurchschnittliche Werte zeigen sich demgegenüber bei der Zufriedenheit mit der Bezahlung. Diese erhebliche Diskrepanz zwischen hoher Zufriedenheit mit der hauptsächlichen Arbeitstätigkeit und großer Unzufriedenheit mit der Bezahlung kam bereits in der Trierer Erzieherinnenbefragung in den westdeutschen Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland klar zum Ausdruck (Honig/ Joos/ Schreiber 2004).
Vor diesem Hintergrund sind die zahlreichen Erzieherinnenstreiks 2009 in Deutschland - und auch in Österreich - zu sehen. Aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte in deutschen Kindertageseinrichtungen entspricht die finanzielle Honorierung ihrer Arbeit nicht den hohen Ansprüchen, welche - speziell nach Einführung der neuen Bildungspläne (s. Schreiber 2007a, 2009) - an ihre pädagogische Arbeit gestellt werden. Möglicherweise werden deutsche Erzieherinnen über kurz oder lang eine Bezahlung erwarten, die sich jener von Grundschullehrerinnen zumindest nähert.
Was beeinflusst die Arbeitszufriedenheit von Erwerbstätigen?
Nach dem aktuellen Sozialreport für Deutschland resultiert das Ausmaß der Arbeitszufriedenheit in Westdeutschland im Allgemeinen aus den Einflussgrößen Attraktivität der Arbeit, Autonomie bei der Arbeit sowie ihre finanzielle Honorierung (Statistisches Bundesamt u.a. 2008, S. 142). Das heißt: Die Erwerbstätigen sind mit ihrer Arbeit besonders dann zufrieden, wenn
- sie ihre Arbeit für interessant halten (Dies trifft für Erzieherinnen in der Regel zu.),
- sie relativ selbstständig arbeiten können (Dies trifft für Erzieherinnen überwiegend zu.) und wenn
- sie die Entlohung für angemessen halten (Dies trifft für Erzieherinnen mehrheitlich nicht zu).
In Ostdeutschland wird die Arbeitszufriedenheit stärker als in Westdeutschland durch die Arbeitsplatzsicherheit und weniger durch das erzielte Erwerbseinkommen mitbestimmt.
Was beeinflusst speziell die Arbeitszufriedenheit von Erzieherinnen?
Bei der Trierer Erzieherinnenbefragung in zwei westdeutschen Bundesländern (Rheinland-Pfalz und Saarland) (vgl. Honig/ Joos/ Schreiber 2004) wurden die Fachkräfte gebeten, ihre Arbeitsbedingungen mit insgesamt 13 Items zu beschreiben. Die Items bezogen sich auf die drei Bereiche 1. finanzielle Honorierung der Arbeit, 2. ideelle Honorierung der Arbeit (z.B. Anerkennung durch die Eltern) und 3. wahrgenommene Belastungen bei der Arbeit. Nach einer Regressionsanalyse tragen vier der 13 Arbeitsplatzkriterien erheblich zur Erklärung der Arbeitszufriedenheit der befragten Erzieherinnen bei (Tabelle 1). Ihre Arbeitszufriedenheit resultiert im Wesentlichen aus der Zufriedenheit mit der Bezahlung, der Wahrnehmung psychischer Belastungen bei der Arbeit und der Wahrnehmung des sozialen Klimas im Erzieherinnenteam. Große Zufriedenheit mit dem Erwerbseinkommen und ein gutes Sozialklima im Team steigern die Arbeitszufriedenheit erheblich. Demgegenüber wirken sich große psychische Belastungen bei der pädagogischen Arbeit äußerst ungünstig auf die Zufriedenheit aus.
Tabelle 1: Bestimmungsgründe der Arbeitszufriedenheit von Erzieherinnen (lineare Regression; N= 643 Erzieherinnen) |
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Koeffizient Beta
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Signifikanz
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Arbeitsbelastung: psychisch
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- .16
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p < 0.01
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Zufriedenheit mit der Bezahlung
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.15
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p < 0.01
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Arbeitsbelastung: Kolleginnen
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- .14
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p < 0.01
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Arbeitsbelastung: Zeitmangel
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- .06
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nicht signifikant
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Quelle: Trierer Erzieherinnenbefragung (Honig/ Joos/ Schreiber 2004) und eigene Berechnungen.
Welche psychischen Belastungen erleben Erzieherinnen bei ihrer Arbeit?
Bei der Trierer Erhebung empfanden 48% der befragten Erzieherinnen starke bis sehr starke psychische Belastungen bei ihrer Arbeit (Honig/ Joos/ Schreiber 2004, S. 104). Nach den vorliegenden Studien (BGW/ DAK 2000; Fuchs/ Trischler 2008; Fuchs-Rechlin 2007; Honig/ Joos/ Schreiber 2004; Khan 2009) nehmen Erzieherinnen in deutschen Kindertageseinrichtungen vor allem die folgenden Arbeitsbedingungen als psychisch belastend wahr:
- Ein permanent sehr hoher Geräuschpegel durch die Kinder. Daraus ergeben sich physisch eine große Sprechbelastung (häufiges und lautes Sprechen) und auf die Dauer beruflich bedingte Schwerhörigkeit. Je nach Studie empfindet sich mindestens die Hälfte oder die Mehrheit der Erzieherinnen durch Kinderlärm stark belastet.
- "Verhaltensauffällige" Kinder, die in der Kindergruppe ständig besonderer Betreuung und Zuwendung bedürfen. Die Zahl verhaltensauffälliger Kinder ist tendenziell steigend, und zwar nicht nur in sozialen Brennpunkten (s. im Einzelnen für Deutschland Robert Koch Institut/ Statistisches Bundesamt 2008).
- Hohe Arbeitsintensität ("Arbeitsdichte" oder "Arbeitsverdichtung") im Sinne einer permanent großen Aufmerksamkeit und Sorge für die betreuten Kinder. Diese hohe Arbeitsintensität entsteht gerade dadurch, dass die betreuten Kinder nicht die eigenen sind und dass man den Eltern gegenüber verantwortlich ist.
- Zu wenige kleine Erholungspausen und Entspannungsphasen. Die Arbeit der Erzieherinnen weist häufig zu wenige "Zeitpuffer" zur Rekreation auf.
- Zu viele Arbeiten müssen gleichzeitig verrichtet werden, z.B. Tür-und-Angel-Gespräche mit den Eltern, die ihr Kind in die Einrichtung bringen, und gleichzeitig hohe Aufmerksamkeit für die Kinder, speziell auch für die verhaltensauffälligen.
- Zu viele Tätigkeiten, die mit dem zentralen Arbeitsinhalt - Umgang mit Kindern - nichts zu tun haben (z.B. Verwaltung, Organisation, Buchführung).
- Kommunikations- und Interaktionsprobleme mit "schwierigen" oder sehr anspruchsvollen Eltern oder aber Eltern, welche die Arbeit der Erzieherinnen gering schätzen.
- Zu große Kindergruppen, die es fast unmöglich machen, sich so um das einzelne Kind zu kümmern, wie es dem eigenen Berufsethos als Erzieherin entspricht. Die psychische Belastung resultiert dabei aus der Diskrepanz zwischen (hohen) professionellen Selbstansprüchen (Soll) und der beruflichen Alltagspraxis (Ist).
"Zeitmangel" als ständiges Problem
Bei der Trierer Erhebung bezeichneten 71% der Fachkräfte den Zeitmangel bei der Arbeit als stark bis sehr stark belastend (Honig/ Joos/ Schreiber 2004, S. 104). Durch weitere Untersuchungen müsste im Einzelnen geklärt werden, ob aus Sicht der Erzieherinnen in ausreichendem Maße oder zu wenig Zeit besteht:
- für die Betreuung und Förderung jedes einzelnen Kindes;
- um eine vertrauensvolle Beziehung (Bindung) zum Kind zu entwickeln;
- für die Vorbereitung und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit;
- für Beobachtung und Analyse der kindlichen Entwicklung;
- für individuelle Gespräche mit den Eltern und Elternarbeit;
- für pädagogische Fachgespräche mit den Kolleginnen;
- für Fortbildung und Weiterqualifizierung;
- für die Zusammenarbeit mit externen Kooperationspartnern (z.B. Grundschulen).
Eine Mehrheit der pädagogischen Fachkräfte in deutschen Kindertageseinrichtungen verspricht sich von einer Personalaufstockung und einem günstigeren Erzieherin-Kind-Schlüssel eine deutliche Minderung des "Zeitstresses", der momentan die Arbeit in vielen Einrichtungen zu prägen scheint (Fuchs-Rechlin 2007).
Neue Anforderungen durch die Betreuung unter Dreijähriger
Die vorliegenden Erzieherinnenstudien machen keine Aussagen dazu, ob die institutionelle Betreuung unter Dreijähriger mit weiteren Einflussfaktoren verbunden ist, welche die Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte wesentlich mitbestimmen können. Vor dem Hintergrund des Ausbaus der institutionellen Betreuungsangebote für diese Altersgruppe beschäftigt sich der Fachdiskurs in Deutschland zurzeit intensiv mit der Frage, welche Qualitätsanforderungen an Einrichtungen zu stellen sind, welche unter Dreijährige betreuen. Der deutsche Fachdiskurs betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der emotionalen Bindung zwischen Kleinkind und Betreuungsperson (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2008, S. 10).
Daraus resultieren im Vergleich mit der pädagogischen Arbeit in den üblichen Kindertageseinrichtungen erhöhte Anforderungen an die beruflichen Kompetenzen der Fachkräfte wie beispielsweise besonders große Feinfühligkeit gegenüber dem Kind. Möglicherweise ergeben sich aus dem sehr engen Kontakt mit den Eltern speziell in der Eingewöhnungsphase und aus der (angestrebten) engeren Beziehung der Erzieherin zum Kleinkind weitere positive bzw. negative Einflussgrößen, welche künftig bei der Arbeitszufriedenheit der Erzieherinnen berücksichtigt werden müssten.
Literatur
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Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Bildung, Betreuung und Erziehung für Kinder unter drei Jahren - elterliche und öffentliche Sorge in gemeinsamer Verantwortung. Kurzgutachten: Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berlin 2008
Dippelhofer-Stiem, B.: Beruf und Professionalität. In: Fried, L./Honig, M.-S./Dippelhofer-Stiem, B./Liegle, L. (Hrsg.): Einführung in die Pädagogik der frühen Kindheit. Weinheim, Basel, Berlin 2003, S. 122-153
Ebert, S.: Erzieherin - ein Beruf im Spannungsfeld von Gesellschaft und Politik. Freiburg 2006
FAZ-Institut/Techniker Krankenkasse (Hrsg.): Aktuelle Bevölkerungsbefragung: Ausmaß, Ursachen und Auswirkungen von Stress in Deutschland. Frankfurt am Main, Hamburg 2009
Fuchs, T./Trischler, F.: Arbeitsqualität aus Sicht von Erzieherinnen und Erziehern. Ergebnisse aus der Erhebung zum DGB-Index Gute Arbeit. Hrsg.: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Frankfurt am Main 2008
Fuchs-Rechlin, K.: Wie geht's im Job? KiTa-Studie der GEW. Hrsg.: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Frankfurt am Main 2007
Honig, M.-S.,/Joos, M./Schreiber, N.: Qualität in Kindertagesstätten aus der Sicht von Eltern. In: Fried, L./Honig, M.-S./Dippelhofer-Stiem, B./Liegle, L. (Hrsg.): Indikatoren der Qualität von Bildungseinrichtungen am Beispiel von Kindertagesstätten: Probleme der Auswahl und Begründung. Universität Trier. Berichte und Studien aus dem Fach Pädagogik Bd. 34. Trier 2001, S. 45-60
Honig, M.-S./Joos, M./Schreiber, N.: Was ist ein guter Kindergarten? Theoretische und empirische Analysen zum Qualitätsbegriff in der Pädagogik. Weinheim, München 2004
Honig, M.-S./Schreiber, N./Lang, S.: Begleitstudie zur Umsetzung der "Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz". Abschlussbericht an das Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend. Trier: Universität Trier FB I Pädagogik 2006
Honig, M.-S./Schreiber, N./Netzer, K.: Begleitstudie zur Umsetzung des Orientierungsplans für Bildung und Erziehung im Elementarbereich Niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder im Auftrag des Niedersächsischen Kultusministeriums. In: Niedersächsisches Kultusministerium (Hrsg.): Präsentation der Begleitstudie zum Orientierungsplan für Bildung und Erziehung am 21. Februar 2007 in Hannover. Hannover 2007, S. 9-56
Khan, A.: Berufliche Belastungsfaktoren in Kitas - Aktueller Erkenntnisstand zur Gesundheit der Erzieherinnen. Medizinische Fakultät der TU Dresden, Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin. Dresden 2009
Kunz, T.: Gesundheit in Kindertageseinrichtungen, 2009. http://www.kindergartenpaedagogik.de/1556.html
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Schreiber, N.: Wissenschaftliche Begleitstudien zur Einführung der Bildungspläne in den Kindertageseinrichtungen von Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein - Konzeption, Methoden und Ergebnisse, 2007a. http://www.kindergartenpaedagogik.de/1623.html
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Schreiber, N.: Die Einführung der neuen Bildungspläne in Kindertageseinrichtungen - Ergebnisse von Begleitstudien in drei Bundesländern. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung 2009, 3, S. 431-437
Schreiber, N./Tietze, W.: Familienzentren NRW: Familienzentren im Entwicklungsprozess. Die Perspektive von Einrichtungen und Eltern. Arbeitsbericht 1 der wissenschaftlichen Begleitung. Berlin: PädQUIS 2008
Statistisches Bundesamt/GESIS-ZUMA/Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (Hrsg.): Datenreport 2008. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn 2008
Stuck, A./Wolf, B.: Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz. Empirische Ergebnisse aus Sicht von Eltern und Erzieherinnen. Aachen 2004
Thinschmidt, M./Gruhne, B./Hoesl, S.: Forschungsbericht zur beruflichen und gesundheitlichen Situation von Kita-Personal in Sachsen. Ein Vergleich des Landkreises Torgau-Oschatz mit der Stadt Zwickau. Dresden: TU Dresden 2008