Ein Mann fürs Kind

Aus: GEW-Zeitung Rheinland-Pfalz 6/2000, Seite 21-23  

Peter Blase-Geiger

Die Mitarbeit von Männern in den sozialpädagogischen Einrichtungen wird im allgemeinen positiv bewertet. Doch gibt es auch nachdenklich machende Aspekte. Der Erfahrungsbericht eines Mannes.

Wenn Kelly nur noch ihre schönsten Kleider tragen will, wenn Özdem plötzlich zum begeisterten Handwerker wird, wenn Juli, Claudia und Rudi wie aufgedreht dem nächsten Kindergartentag entgegenfiebern und wenn die Kinder der Einrichtung insgesamt wie euphorisch wirken, dann könnte eines passiert sein: Ein Mann hat seine Arbeit im Kindergarten aufgenommen.

Mann hält Einzug

Dass ein Mann in der Kindertagesstätte eine gute Sache ist, gehört mittlerweile zu den Binsenweisheiten des Metiers. Was ist aber denn nun wirklich dran an der Sache mit dem männlichen Geschlecht? Zum Einen etabliert sich die Theorie, dass sich Jungen stärker mit dem eigenen Geschlecht identifizieren als Mädchen (Oerter/Montada 1995, S. 274). Das würde bedeuten, dass eine männliche Bezugsperson in der Kindertagesstätte insbesondere bei Jungen von besonderem Vorteil für Identitätsentwicklung und Rollenfindung wäre. Die Praxis scheint dies zu bestätigen. Begeistert stürzen sich die Jungen auf jede vom Mann angebotene Aktivität (und zu seinem Leidwesen mitunter auch auf den Mann selber). Und ich meine nicht nur die spezifisch männlich angehauchten Projekte wie Fußball spielen, an der Werkbank arbeiten oder Ähnliches. Nein, auch kochen, vorlesen und andere ganz alltägliche Dinge sind offenbar mit Mann interessanter. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Fußball spielen mit weiblichen Bezugspersonen nur halb soviel Spaß macht. Dies ist insbesondere in Kindertagesstätten zu beobachten, in denen sich die Erzieherinnen auf den Weg gemacht haben, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und nicht erst auf einen männlichen Kollegen warten: Werkbänke, Fußballtore, Fahrradwerkstatt und Ähnliches haben vielerorts Einzug in den Kindergartenalltag gefunden. Aber offenbar gibt es für die Kinder diesbezüglich noch einen gewichtigen Unterschied. Denn nicht die spezifische Aktivität scheint im Vordergrund zu stehen, sondern tatsächlich das Geschlecht der Bezugsperson.

Es geht also in erster Linie nicht darum, dass mit dem männlichen Erzieher auch typisch männliche Eigenschaften und Aktivitäten in die Kindertagesstätte Einzug erhalten. Dies können Erzieherinnen nämlich genauso leisten. Sie haben es nicht nötig, deswegen auf einen Mann zu hoffen oder zu warten. Im Gegenteil: Nicht selten ist festzustellen, dass auch so mancher männliche Erzieher (Gott sei Dank!) nicht gerade der Held der Werkbank ist, den Fußball auch nicht immer trifft und als verhoffter Hausmeister nicht zu gebrauchen ist.

Jungen sind anders...

Mädchen sind doof. Und zwar grundsätzlich. Diese These vertreten Jungen spätestens im fortgeschrittenen Kindergartenalter. Gruppenprozesse laufen stets gleich ab. Besonders gut lässt sich dies in größeren offenen Kindertagesstätten beobachten, da hier Cliquenbildungen ermöglicht werden. Während Dreijährige verschiedenen Geschlechts einträchtig miteinander spielen, findet dies wenig später oftmals ein jähes Ende. Jungen entdecken ihr eigenes Geschlecht und grenzen sich von den Mädchen ab. Es entstehen reine Jungencliquen. Die amerikanischen Psychologinnen Eleanor Maccoby und Carol Jacklin bestreiten gar den eindeutigen Zusammenhang zwischen Erziehungsstil der Eltern und dem geschlechtsspezifischen Spiel der Kinder (Romberg 1999). Es sei denkbar, dass Eltern vielmehr auf angeborene unterschiedliche Wesensmerkmale reagieren, als dass sie diese prägten. Beobachtungen in den Kindertagesstätten bestätigen diese Einschätzung. Trotzdem, und vielleicht gerade auch deswegen, sind die Pädagogen natürlich aufgefordert, bedenklichen Entwicklungen entgegenzuwirken und positive Verhaltensmuster mit den Kindern zu entwickeln. Und doch, so scheint mir, kommt der Erzieherin nach Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse zusehends die Rolle der Begleiterin zu, die die Kinder in ihrem Werden unterstützt.

Was macht denn unsere Jungenclique nun so den ganzen Tag? Nun, sie spielt mit He-Männern, kämpft, tobt, zeigt sich oftmals aggressiv, die Kinder sind Entdecker und Forscher und erfüllen somit alle gängigen Rollenklischees. Sie finden eben ihre männliche Rolle. Die Erzieherin und im günstigsten Fall eben auch der Erzieher unterstützt diese begleitend. Es macht nämlich überhaupt keinen Sinn, diese kindlichen Bedürfnisse zu unterdrücken oder zu verbieten. Im Gegenteil: Wir haben die Möglichkeit, diese Prozesse zu lenken und zu beeinflussen. Schon mal einen He-Man ins Bett gebracht. Nein? Dann wird es aber Zeit. Für den morgigen Kampf muss er nämlich ausgeschlafen sein. Vorher Essen kochen? In Ordnung. Aus diesem Zusammenhang werden nun die Chancen der männlichen Bezugsperson deutlich. Wo bleibt das Gegengewicht? Wie kann ich diese Clique (bei uns ist es derzeit die Flur-Gang) steuern? Während Frauen bei alternativen Angeboten, nehmen wir einmal das Kochen, oft auf verlorenem Posten stehen (der Verhaltenskodex der Gruppe lässt das oft nicht zu), hat ein Mann schlicht die besseren Karten. Wenn er mit Jungen kocht, dann gilt dies somit als keine rein weibliche Aktivität mehr und es darf getrost teilgenommen werden. Hier liegen also die waren Möglichkeiten eines Mannes in der Einrichtung: Früher als typisch weiblich angesehene Aktivitäten verlieren dieses Image. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Team diese Sichtweise teilt und der Mann diese Dinge auch in Angriff nimmt. Fußball spielen und auf der Werkbank rumhämmern (ich glaube, ich erwähnte es bereits) können wir, aus dem gleichen Begründungszusammenhang, getrost den Frauen überlassen.

...Mädchen auch

Wir haben festgestellt, dass Mädchen nicht ganz so rollenfixiert sind wie ihre männlichen Gegenstücke. Natürlich finden auch Mädchen alle Jungen grundsätzlich doof. Doch gibt es da schon häufiger mal eine Ausnahme. Jungen sind in Mädchencliquen so gut wie gar nicht anzutreffen. Umgekehrt lassen sich aber des öfteren Mädchen in Jungencliquen beobachten. Die Ursache für das Urteil Jungen sind doof liegt offensichtlich darin, dass sich zuvor die Jungen abgrenzten und die Mädchen spüren ließen, dass sie, die Jungen, mit ihnen, den Mädchen, künftig nichts mehr zu tun haben wollen. Jungen sind doof ist also eine unmittelbare Reaktion auf das Mädchen sind doof.

Mädchencliquen zeichnen sich aber auch durch typisch weibliche Verhaltensweisen aus. Die Kinder gehen Konflikten aus dem Weg, sie suchen sich ruhige Nischen und Plätze, sie haben ein ausgezeichnetes Sozialgefüge, die Schwächere wird umhegt und gepflegt, sie toben weniger und interessieren sich eher für Gesellschafts- und Rollenspiele. Sie lernen voneinander in der Clique derart viel, dass sie im sozialen Verhalten sowie im kognitiven Bereich den Jungen schnell überlegen sind (Wohlgemerkt beziehen sich diese Beobachtungen auf offene Kindertagesstätten, in denen eine Cliquenbildung, wie ich sie beschrieb, überhaupt erst möglich wird. Der Autor leitet eine solche im nordpfälzischen Göllheim).

Für Mädchen ist ein Mann in der Einrichtung zunächst einmal eine Attraktion. Oftmals hüllen sich die kleinen Damen in den ersten Tagen in ihre schönsten Kleider und zeigen sich recht verliebt. Jedem Mann, wie geschmeichelt er auch ist, sei in dieser Situation geraten, den nötigen Abstand zu wahren. In unserer Einrichtung ist nach dem Weggang eines Kurzzeitpraktikanten tatsächlich zu intensivem Liebeskummer gekommen. Das betroffene Mädchen litt sehr lange. In der Regel aber ist ein Mann erst einmal willkommen, da er zumeist andere Ideen und Fähigkeiten mitbringt, als seine Kolleginnen. Nach mehreren Monaten normalisiert sich die Situation für die meisten Mädchen wieder. Der Mann wird gedanklich ins lebende Inventar der Einrichtung eingeordnet und der Alltag verläuft fortan in seinen normalen Bahnen.

Dass Männer Mädchen besser zu typisch männlichen Aktivitäten motivieren können, kann ich aus der Praxis nicht bestätigen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Mädchen fühlen sich in ihren rollenspezifischen Problemen wohl häufig von Frauen besser verstanden. Auch sollte der emanzipatorische Ansatz, Mädchen möglichst früh mit typisch männlichen Aktivitäten und Fähigkeiten auszustatten, damit sie später gleiche Chancen haben, sehr kritisch überdacht werden. Meines Erachtens ist es keinesfalls nötig, aus Frauen die besseren Männer zu machen. Vielmehr sollten die positiven typischen Eigenschaften der Frauen unter uns Männer gebracht werden. Ich glaube selbstverständlich daran, dass sich aus Frauen beinharte Managerinnen mit Ellenbogen machen lassen - vielleicht sogar härtere, als wir Männer sie bislang hervorbrachten. Doch was damit gewonnen sein soll, weiß ich nicht. Ich halte es da eher mit Alice Schwarzers Aussage, dass ein Zuviel an Macht korrumpiert und aggressiv macht (Alice Schwarzer im Wortlaut: "Ich glaube nicht, dass Männer von Natur aus aggressiv sind. Was sie aggressiv werden lässt, ist Macht, zuviel Macht. Diese Macht korrumpiert, nicht das Geschlecht." Lesetip: Alice Schwarzer; "So sehe ich das"; Kiepenhauer & Witsch). Dass Frauen dies in der Regel nicht sind, macht Mut. Frauen sollten nun aber besser nicht lernen, korrupt und aggressiv zu werden, und wir Männer bitte schön danach streben, ohne diese Eigenschaften und ohne unangemessenes Machtstreben auszukommen.

Vaterersatz?

Bedeutung gewinnt der Mann in der Einrichtung für Kinder, die ohne Vater aufwachsen. Ich vermeide hier bewusst das Wort müssen. Es gibt in unserer Gesellschaft eine stetig steigende Zahl Alleinerziehender. Und das sind durchaus nicht immer Frauen. Dies als negative Entwicklung zu sehen, lehne ich ab. Kinder Alleinerziehender haben es oft wesentlich besser als Kinder aus zerrütteten und möglicherweise gewalttätigen Ehen. Auch das Tabu in Bezug auf homosexuelle Erziehende löst sich ganz allmählich auf. Es gibt immer mehr gleichgeschlechtliche Paare, die Kinder aufziehen oder aufziehen wollen. Die Gesetze hinken hier noch der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher, doch scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis die rot-grüne Regierung entsprechend handelt. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin hat Entsprechendes bereits angekündigt (in: Emma Nr. 2/1999, S. 56: "Das Regieren macht mir richtig Spaß").

Es gibt also etliche Kinder, die aus den verschiedensten Gründen ohne Vater aufwachsen. Auf diese gesellschaftliche Entwicklung haben die Kindertagesstätten natürlich zu reagieren. Und hier liegt die eigentliche und wirkliche Chance der Männer im Erzieherberuf. Es bedarf gar keiner großen pädagogischen Verrenkungen. Der Mann wirkt durch pure Präsenz. Es ist in diesem Zusammenhang völlig egal, welche Aktivitäten der Erzieher anbieten. Dass er es tut und die Zeit und Zuneigung, die er gibt, sind entscheidend.

Kinder, die männliche Bezugspersonen als gewalttätig erlebt haben, brauchen viel Zeit, um wiederum einem Mann Vertrauen entgegenbringen zu können. Einzelfälle? Leider nein. Es gibt erheblich mehr gewalttätige Männer als Bezugspersonen unserer Kinder, als gemeinhin geglaubt wird. Wir können getrost davon ausgehen, dass in jeder Kindertagesstätte, selbst in den eingruppigen, mehrere Kinder sind, die unter derartigen Umständen leiden oder gelitten haben. Die Chancen für die männlichen Erzieher liegen auf der Hand: Der sehr negativen Erfahrung können sie im günstigsten Fall nun eine positive Entgegensetzen.

Bei alledem darf aber insbesondere eines nicht geschehen: Der Erzieher darf nicht zum Vaterersatz werden. Hier gilt es, sich rechtzeitig und bestimmt abzugrenzen. Ist das Verhältnis zu intensiv, so wird der zwangsläufige Abschied zur allzu starken Verletzung. Die trügerische Vorstellung, einen neuen Vater gefunden zu haben, muss schließlich aufgegeben werden. Der Verlust dieser Vorstellung kann im Einzelfall derart schmerzhaft sein, dass es zu psychischen Störungen oder Krankheiten kommt (Beispielsweise hält Dr. Ernst August Stemmann, Leiter der Kinderklinik Gelsenkirchen-Buer, Verlustängste für einen wesentlichen Faktor beim Krankheitsbild der Neurodermitis. Buchempfehlung: "Neurodermitis ist heilbar"; Kaivos Verlag, Peine).

Die Bewusstmachung all dieser Zusammenhänge ist für männliche Erzieher besonders wichtig. Mancher Praktikant, ich habe es oben schon erwähnt, ist mit seiner Rolle zunächst überfordert. Hier bedarf es der Thematisierung durch die Schulen und durch die Teams der jeweiligen Einrichtungen. Die Haltung Mal gucken, was passiert kann mitunter fatale Folgen haben, da Zusammenhänge nicht erkannt werden und somit bedenklichen Tendenzen nicht rechtzeitig begegnet werden kann.

Perspektiven

Männer in sozialpädagogischen Einrichtungen werden dringend gebraucht. Und dies nicht nur in Heimen und Horten, sondern auch in Kindergärten. Leider hat es in diesen Bereich bislang nur wenig Männer verschlagen. Zudem ist zu beobachten, dass Männer nicht lange im Gruppendienst bleiben. Dies hat verschiedene Gründe, die nicht nur im Mann selbst liegen und deren Erörterung einen eigenen Artikel füllen würde. Es ist schlicht und ergreifend so: Männer streben in die Führungspositionen der Kindergärten. Die Kolleginnen trauen es ihnen zu, die Träger trauen es ihnen zu, sie selber trauen es sich auch zu, und so werden sie nach einigen wenigen Berufsjahren oftmals schon Kindergartenleiter. Damit rücken sie unser gesellschaftliches Bild vom Mann, nachdem sie es durch ihre Arbeit in einem Kindergarten gehörig durcheinandergerüttelt hatten, wieder zurecht. Der Mann leitet die Einrichtung, und die Damen machen den Gruppendienst. Das ist derart banal normal, dass es niemandem so recht auffallen will, dass dies unseren eigentlichen Zielen, die wir mit dem Mann im Kindergarten verbunden hatten, entgegenwirkt.

Literatur

Orter, R./Montada, L. (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1995

Romberg, J.: Die Entdeckung der anderen Art. Geo Wissen Nr. 1/1999 "Denken Lernen Schule"

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