Beziehungsgestaltung im pädagogischen Konzept der offenen Arbeit[i]

Hans-Joachim Rohnke

Gelegentlich werden bezüglich des pädagogischen Konzepts der offenen Arbeit Sorgen darüber geäußert, dass die Themen Beziehung, Beziehungsaufbau und -gestaltung eine eher untergeordnete Rolle spielen könnten. Nachstehend finden sich daher Informationen, Beobachtungen und Einschätzungen, die zu mehr Gelassenheit, Klarheit und Orientierung gegenüber solchen Ängsten beitragen können. Zu Beginn meiner Erläuterungen möchte ich eine sehr beruhigende, wissenschaftliche Aussage stellen:

„Die „nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit" (NUBBEK[1]) war die erste wissenschaftliche Studie, die nachweisen konnte, dass die pädagogische Qualität in den untersuchten deutschen Kindertageseinrichtungen signifikant höher liegt, wenn die Teams offen arbeiten... Die bessere Qualität zeigte sich in zahlreichen Merkmalen in allen Bereichen der pädagogischen Arbeit, d.h. bezüglich Platz und Ausstattung, dem Handling von Betreuungs- und Pflegesituationen, der sprachlichen und kognitiven Anregung, dem Spektrum an ermöglichten Aktivitäten, in der Interaktion zwischen Fachkraft und Kind aber auch in der Strukturierung der pädagogischen Arbeit.“[2]

Nach über 30 Jahren Entwicklungszeit und -arbeit hat die offene Arbeit, diese von Erzieher*innen initiierte und getragene Basis-Bewegung, nunmehr die wissenschaftliche Anerkennung erhalten, die deren Protagonist*innen ihr schon lange zusprechen.

Bevor ich aber zum Hauptthema meiner Anmerkungen zum Stichwort „Beziehungen in der offenen Arbeit" komme, möchte ich einige Bemerkungen zu meiner persönlichen, insbesondere erfahrungsbasierten Beziehung zur Entwicklung und den Rahmenbedingungen der Offenen Arbeit (im weiteren OA) skizzieren.

Persönliche Vorgeschichte

Mein beruflicher Werdegang ist maßgeblich durch die Begleitung und Entwicklung der OA geprägt. Nach meinem Studium der Erziehungswissenschaften habe ich einige Jahre als sog. Bezugsperson in einem inklusiven Kinder- und Familienzentrum gearbeitet und dort wichtige Erfahrungen über den angemessenen Umgang mit Kindern sammeln können. Ich hatte profundes Wissen an der Uni erworben und dachte ich wäre jetzt gut vorbereitet auf alle Anforderungen der beruflichen Praxis. Leider war dem nicht immer so. Ich war daher sehr froh, in einer Supervisionsgruppe meine Erlebnisse mit den Kindern – aus der von mir und meiner Kollegin betreuten Gruppe – reflektieren zu können. Insbesondere einige der von uns betreuten Jungen führten mich mit ihrem aggressiven Verhalten und ihren Respektlosigkeiten in ziemliche Ratlosigkeit. Ich konnte sie mir zunächst nicht erklären. Ich war doch entspannt und freundlich zu ihnen und trotzdem kam es immer mal wieder zum Teil zu heftigen Konflikten und Meinungsverschiedenheiten.

Gemeinsam mit den Kolleg*innen und der Supervisorin gelang es mir zunehmend, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass diese Konflikte nicht meiner konkreten Person galten. Eine plausible Deutung klang für mich so: Die Kinder, namentlich die Jungen, inszenierten quasi ihre persönlichen Themen, brachten sie gewissermaßen auf die Bühne, um auf diese Weise Hinweise und Antworten, auf zu verändernde, bislang als ungeeignet erlebte Verhaltensmöglichkeiten, in Erfahrung zu bringen. Naturgemäß geschah dabei das meiste unbewusst. Ich als männlicher Erzieher erschien ihnen offensichtlich als eine willkommene, geeignete und vertrauenswürdige Person für die Klärung, Erweiterung und Erprobung alternativer Umgangs- und Verkehrsformen.

Mir wurde damals sukzessive klar, dass ein wesentlicher Teil meiner pädagogischen Arbeit darin bestünde, Beziehungsarbeit zu leisten und dass es für mich darum gehen musste, den Kindern ein kompetentes, d.h. ein belastbares, gelassenes und nervenstarkes Gegenüber zu sein. Es ging um gutes Zuhören, Wahrnehmen und Einfühlen, also um das Zulassen und Ernstnehmen von sozialen und kommunikativen Herausforderungen. Es ging darüber hinaus darum, einen sachgerechten Umgang mit den unterschiedlichen Stimmungen der Kinder zu zeigen, d.h. nach Möglichkeit einen konstruktiven Umgang, z.B. praktikable, sprachliche Formen für die Lösung von Konflikten anzubieten. Es ging darum, die Kinder mit ihren Fragen und Nöten anzunehmen, ihre unkontrollierten Impulse und heftigen Gefühlsambivalenzen, auch zum Teil als Ausdruck seelischer Nöte und Hilflosigkeit, zu erkennen und sie bei der Suche nach geeigneten, sozial akzeptierten Ausdrucksmitteln zu unterstützen. Dafür benötigte es professionelle Distanz, um nicht in zahlreiche Wiederholungen, Verstrickungen, untaugliche Muster und Reaktionen gegenüber den Kindern zu verfallen.

Insbesondere meine damaligen positiven Erfahrungen mit der Supervision führten mich schließlich dazu, selbst diesen anspruchsvollen Beruf zu erlernen und das dabei erworbene Wissen in meine Arbeit einzubinden. Mir war klar, dass jenseits der formalen Gegebenheiten und des Auftrags einer öffentlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtung, die Beachtung komplexer Beziehungs- und gruppendynamischer Themen als von mindestens gleichrangiger Bedeutung einzuschätzen war.

Parallel dazu befasste ich mich damals mit vielen pädagogischen Konzepten und Ansätzen, besuchte etliche unterschiedlich arbeitende Einrichtungen und reflektierte die Erlebnisse mit Fachkolleg*innen kritisch. Im Rhein-Main-Gebiet war dies insbesondere damals die Reggio- und Montessori-Pädagogik, der Freinet-Ansatz, die Waldorfpädagogik, die Waldkindergärten, der Situations-Ansatz (sogar ein Kinderbauernhof war dabei) und die damals sich noch in den Anfängen befindliche, sog. offene Arbeit. Meine Kolleginnen und ich waren uns einig, dass mit letzterem ein Reform-Konzept gefunden worden war, das sich vor allem als sehr praxis- und alltagstauglich darstellte und der Beziehungsdynamik einen deutlich größeren Raum einräumte als konventionell arbeitende Einrichtungen.

Überzeugende Praxiserlebnisse (Freiheit und Autonomie)

Warum war das so? Wir wissenschaftlich ausgebildeten Pädagogen (mit Hang zu reformorientierten Ideen) konnten sehen, dass die offen arbeitenden Erzieher*innen mit sehr viel Engagement und Herzblut bei der Sache waren. Sie redeten viel mit den Kindern, interessierten sich und nahmen Anteil an ihren vielfältigen Aktivitäten. Vor allem aber die Kinder wirkten auf uns sehr entspannt, konzentriert und motiviert. Sie waren im ganzen Haus zu finden und gingen ambitioniert und zielgerichtet ihren diversen Beschäftigungen und Aktivitäten nach. Sie strahlten Ruhe, Zufriedenheit und Freundlichkeit aus. Im Rückblick, würde ich sagen, war die Atmosphäre durch heitere Gelassenheit geprägt. Genau das also, was später namhafte Hirnforscher als ideales und förderliches Klima für gelingende Bildungsprozesse postuliert haben.

Wir erkundigten uns bei den Erzieher*innen wie es zu diesen Umständen gekommen war. Sie berichteten uns, dass es häufig Veränderungen in den für sie gewohnten Alltagsabläufen gewesen seien, die sie zu neuen Einsichten und Haltungen gebracht hätten. In etlichen Fällen war es zum Beispiel so, dass Kitas aufgrund von Umbau- und Sanierungsmaßnahmen ausgelagert werden mussten und in Bürgerhäusern, Turnhallen oder Gemeindesälen untergebracht wurden. An diesen Orten konnten die zuvor geltenden Gruppeneinteilungen (Eichhörnchen, Hamster, Maulwürfe) nicht stringent durchgehalten werden.

Die Kinder nutzten in diesem veränderten Umfeld die Gelegenheit neue Bekanntschaften zu machen, neue Aufenthalts- und Spielorte zu suchen und sich in variierenden Spielgruppen und Gemeinschaften zusammen zu finden. Für die Erzieher*innen war es interessant zu beobachten, dass die Kinder dabei für sich neue und ungewohnte Verhaltensweisen an den Tag legten und dass, selbst bislang als schwierig („verhaltensoriginell“) erachtete, Kinder Kontakte fanden und bisher vernachlässigte und neue Spielaktivitäten entwickelten. Diese waren häufig intensiv und ausdauernd. Es führte dazu, dass insgesamt die Atmosphäre im Haus als deutlich entspannter und weniger konfliktträchtig erlebt wurde. In der Analyse stellten die Erzieher*innen fest, dass dies offensichtlich mit den veränderten Regularien zu tun haben musste. Die Kinder hatten jetzt erheblich ausgeweitete Aktions- und Handlungsräume, deutlich mehr Spielpartner*innen und Spielmaterialien. Man kann sich gut vorstellen, dass diese ausgeweiteten Spiel- und Beziehungsmöglichkeiten zu weniger Frustrationserfahrungen und damit verbundenen Aggressions- und Konfliktbereitschaften führte.

Den Kindern standen jetzt mehr Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Das genossen sie sichtlich. Sie waren glücklich darüber, jetzt das 3-4-Fache an Spiel- und Beschäftigungsmaterialien vorzufinden und viele neue für sie unbekannte Spielpartner*innen ansprechen zu können. Insbesondere die sogenannten Bewegungsbaustellen (das waren dauerhaft umfunktionierte, ehemalige Turnräume) entwickelten sich zu deutlich bevorzugten Aufenthaltsorten. Hier standen die Kinder regelrecht Schlange, um ihren diversen, natürlichen Bewegungsbedürfnissen nachkommen zu können.

Kleingruppen werden bevorzugt

Diese, für die Erzieher*innen unerwarteten Beobachtungen an den „Evakuierungsorten", führten dazu, dass sie sich überlegten, ob sie die nun gewonnenen Einsichten, vor allem das veränderte Beziehungsgeflecht, nicht auch bei der Rückkehr in ihre sanierten Kindertagesstätten berücksichtigen sollten. Etliche nahmen sich den Mut, es in ihren Kitas zu probieren. Sie verständigten sich darüber, welche bevorzugten Spielaktivitäten sie bei den Kindern beobachtet hatten und einigten sich darauf, die ehemaligen Gruppenräume in Funktionsräume (manchmal auch Werkstätten, Themen- oder Aktionsräume genannt) umzuwandeln. Die Kinder freuten sich sehr über diese neuen, gruppenübergreifenden Angebote und die mannigfaltigen Begegnungsmöglichkeiten, die entstehenden Freundschaften und Spielgemeinschaften. Sie trafen sich von nun an vor allem in Kleingruppen. Sie organisierten diese nach ihren Interessen und handelten mit den wechselnden, aber auch mit konstanten Teilnehmer*innen der jeweiligen Kleingruppen Spielthemen, Spielabläufe und Spielregeln aus.

Die Kleingruppen gelten in der OA mittlerweile als das entscheidende Erfahrungs- und Erlebnisfeld der Kinder. Sie werden in der Gruppenforschung als besonders erlebnis- und lernintensiv beschrieben, da in ihnen für die Kinder überschaubare Lern-, Beziehungs- und Kommunikationserfahrungen möglich werden.

Bewegungserfahrung als zentrales Bedürfnis

Eine damals dort beschäftigte Erzieherin sagte mir, dass es nach ihrer Wahrnehmung z.B. ausreichen würde, wenn sie eine ausreichend große „Bewegungsbaustelle“ und eine „Saftbar" hätte. Damit könne man die überwiegende Mehrzahl der Kinder glücklich machen. Sie würden dann einfach zwischen diesen Bereichen pendeln und sich ihres Lebens erfreuen. Diese Beobachtungen unterstrichen die Aussagen der Befürworter der Psychomotorik, die in breit angelegten Möglichkeiten der Körpererfahrung und -erprobung eine wichtige Grundlage für die Entfaltung körperlicher, geistiger und psychischer Gesundheit sehen.

Die guten Erfahrungen mit der Bewegungsbaustelle ließen sich natürlich mühelos auf die Gestaltung der Spielmöglichkeiten der Kinder für das Außengelände übertragen. Im Grunde genommen sind übrigens die Außengelände die Prototypen oder Vorläufervarianten der offenen Arbeit. Schon immer kam es dort zu gruppenübergreifenden Begegnungen und Spielaktivitäten der Kinder jenseits ihrer Stammgruppenkonstellationen. Auch die kitaeigenen Funktionsräume sind uns geläufig. Zuhause haben wir uns auch dafür entschieden, die Küche nicht im Schlafzimmer zu installieren oder die Werkstatt im Wohnzimmer zu betreiben.

Folgen frühzeitigen Anpassungsdrucks

Wir wissen aber: zu frühe, zu hohe und zu streng geregelte Anpassungsleistungen können Kinder daran hindern, Dinge selbständig auszuprobieren und zu erforschen und ihrem natürlichem Entdeckerdrang Raum zu geben. Sie machen dann eben das, was wir Erwachsene wünschen oder erwarten, bzw. die jeweiligen Situationsregularien vorschreiben. Sie wollen die Zuneigung und den Schutz der Erwachsenen nicht verlieren. Das Problem ist: Beim einzelnen Kind kann dies zu Hemmungen führen, seinen eigenen Entwicklungsthemen und Bedarfen zu trauen und ihnen nach Möglichkeit nachzugehen. Es besteht die Gefahr, dass sie die sie interessierenden Fragen und Themenstellungen uns Erwachsenen gegenüber gar nicht mehr offenbaren und eher in einen reaktiven Konsummodus wechseln.

Materialreichtum und Raumwechsel

Neben dem beschriebenen Bewegungsraum wurden nun in den meisten offen arbeitenden Einrichtungen zusätzlich Kreativ- bzw. Werkstattateliers, Bibliotheken, Bauräume und Rollenspielbereiche eingerichtet. Auch für diese entstand eine rege und gezielte Nachfrage. Sie waren jetzt besonders reizvoll, weil die Kinder ein Vielfaches des ehemals in den Gruppenräumen vorhandenen Materials (vor allem auch Verbrauchsmaterialien) vorfanden und nun lust- und kraftvolles sowie großzügiges Tun möglich wurde. Sie hatten jetzt nicht mehr nur 150 Bausteine, sondern 500, jetzt gab es Staffeleien, echte Werkbänke mit echtem Werkzeug und Körbe voller Anziehklamotten zum Verkleiden, um damit in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen zu können. Also: jede Menge anregende Angebote mit hohem Aufforderungscharakter. Vor allem aber auch eine Fülle von unterschiedlichen Themen und Ereignissen über die man sich unterhaltsam und gewinnbringend austauschen konnte. In den Rollenspielräumen reinszenierten die Kinder z.B. zahlreiche Alltagssituationen, um sich mit den erlebten Verhaltensweisen, gewählten Ausdrucksformen und Beziehungserfahrungen auseinandersetzen zu können. Das war jetzt erwünscht und diente häufig als Ausgangspunkt für reizvolle Gespräche zwischen den beteiligten Kindern und den Erwachsenen.

Auch hier nutzten die Kinder die Veränderungen mit großer Freude und verstärktem Engagement. Um den Kindern den Wechsel in die verschiedenen Themenräume zu erleichtern, beschlossen die Erzieher*innen vielerorts ein sogenanntes Rotationsprinzip einzuführen; d.h. die Erzieher*innen wechselten in einem bestimmten Rhythmus ihre Aufenthalte in den Räumen (in Deutschland geschieht dies in den meisten Einrichtungen derzeit in einem Sechswochen Rhythmus). Auf diese Weise stellten sie sicher, dass die Kinder und insbesondere auch schüchternere Kinder ihren Bezugserzieherinnen in die Räume folgten und sich neue Erfahrungsmöglichkeiten und Gesprächsthemen mit der vertrauten Erzieherin eröffneten.

Kreise und ihre Bedeutung

Vielerorts wurden zunächst noch die Morgenkreise beibehalten, um einerseits die eigenen Bezugskinder um sich zu versammeln, aber auch, um sie über Tagesabläufe, Angebote oder sonstige wichtige Ereignisse zu informieren. Mit der Zeit wurde allerdings öfter beobachtet (insbesondere gestützt durch Videoaufnahmen), dass längst nicht alle Kinder in diesem Format tatsächlich aktiv beteiligt und präsent waren. Etliche fühlten sich aus ihren bereits intensiv begonnenen Spielaktivitäten herausgerissen, konnten mit den Abläufen dieses Programmpunkts nichts anfangen und „saßen quasi die Zeit ab“. Nicht selten konnten die Erzieher*innen beobachten, dass die Kinder im Anschluss nur schwer wieder an den zuvor begonnenen und wegen des Morgenkreises abgebrochenen Spielaktivitäten anknüpfen konnten. Aus diesem Grund entschieden sich daher die Pädagog*innen (mancherorts sogar die Kinder) die Pflichtkreise zugunsten freiwilliger Kreisarrangements zu verändern. Jetzt wählten sich die interessierten Kinder ihre anderen Kinder, ihren Spiel-, Theater- oder Singkreis aus und zeigten nun wieder Ausdauer, Interesse und Begeisterung.

Bedürfnis nach Beziehung und nachhaltigem Lernen

Auf der Beziehungsebene ging es wieder um die Frage: Welche Erzieherin ist heute wo und welche Kinder werde ich antreffen, um mit ihnen neue Erfahrungen zu machen und neue Dinge zu erproben. Die Erzieher*innen waren jetzt mit deutlich weniger Disziplinierungs- und Sanktionsfragen beschäftigt und konnten sich freundlicher und entspannter einbringen und Anteil nehmen. Diese Beobachtungen deckten sich mit Aussagen, die nun verstärkt von Hirnforschern in die Bildungsdebatten eingebracht wurden. Sie wiesen darauf hin, dass nachhaltiges Lernen vor allem interessen- und beziehungsgebunden ist, d.h. es muss bei den angebotenen Aktivitäten und Projekten so sein, dass die tatsächlich aktuellen Fragen der Kinder zeitnah Berücksichtigung finden. Nur dann lassen sich differenzierte Gehirnaktivitäten nachweisen, die die angebotenen Informationen vielfältig in den diversen Hirnbereichen verankern und für zukünftiges Handeln nachhaltig, d.h. vor allem anwendungsorientiert und problemlösend zur Verfügung stellen.

Lernen in Großgruppen ist häufig nur dann erfolgreich, wenn die zur Verfügung gestellten Lerninhalte der Heterogenität der Gruppenteilnehmer*innen gerecht werden. Jedoch kann es schwierig sein, ein Thema zu finden, dass das Interesse der gesamten Gruppe abdeckt, an einem vorbestimmten Zeitpunkt oder über eine festgelegte Dauer. Nur für einen Teil der Gruppe lässt sich meist auf diese Weise Konzentration und Aufmerksamkeit herstellen. Wenn dabei Lehrpersonal beteiligt ist, ist es von großer Bedeutung, dass dieses zu begeistern weiß, selbst motiviert ist, eine positive Ausstrahlung hat und einen wertschätzenden und interessierten Umgang mit den Lernenden pflegt. Dann lassen sich intensive Gehirnaktivitäten, Konzentration und Ausdauer bei den Lernenden beobachten und mithilfe von Hirnscans aufzeigen. Vor allem aber scheinen es die sog. nonformalen Lernsituationen zu sein, in denen quasi beiläufig und – überwiegend unbewusst – gelernt wird.

Hierzu ein Beispiel: Das Kind sitzt am Boden und schiebt ein Auto hin und her. Die das Kind beobachtende Erzieherin fragt sich, ob die stereotyp wiederholte Spielhandlung einen Sinn macht. Sie sieht möglicherweise nicht, dass das Kind die Vorder- und Hinterachse des Fahrzeugs unterschiedlich belastet und die sich dabei verändernden Fahreigenschaften prüft, dass es den Rollwiderstand auf diversen Untergründen (also z.B. Holz, Fliesen, Kork, Glas, Linoleum) testet, dass es schließlich checkt, wie sich das Rollverhalten des Autos in der Pfütze, im Sand und auf der Wiese verhält und wie man die Anschubkraft dosieren muss, damit das Fahrzeug selbstständig von A nach B saust und dabei nicht aus der Spur fliegt usw., usw. All die dabei gesammelten Erkenntnisse speichert das Kind und verwendet dieses quasi beiläufig erworbene Wissen in zukünftigen Situationen. Die Nutzung von sogenannten Schemata (Piaget), also sich wiederholend eingesetzte Handlungsmuster, sind hierbei ebenfalls gut zu beobachten.

Wir wissen heute: Die offene Arbeit kommt den Erkenntnissen der modernen Hirnforscher sehr nahe. Die Kinder finden ein ganzes Haus und ein Außengelände vor, in dem sie nach Lust und Laune ihren Erkenntnis- und Erkundungsinteressen nachgehen können. Sie finden ein großes, fast jederzeit frei zugängliches Material-, Sach- und Personenangebot vor. Die Personen haben jetzt mehr Zeit, sich auf das jeweilige Geschehen und die Kinder einzulassen. Sie können sich nun über die Projekte und Handlungen der Kinder erkundigen und mit ihnen darüber zeitnah ins Gespräch gehen, Ideen weiterspinnen, Aktivitäten spiegeln und z.B. interessierte Fragen stellen. Sie können das Tun der Kinder interessiert und wohlwollend begleiten.

Die Inklusion der U3-Kinder

Mit dem Rechtsanspruch und der erweiterten Aufnahme von Kindern ab dem 1. Lebensjahr kamen nun neue Themen und Aufgaben auf die Erzieher*innen zu. Jetzt ging es, vor allem beflügelt durch die Bindungs- und Transitionsforschung, um die Sicherstellung von gelingenden Übergängen und um die Einrichtung von Rückzugsorten. Klar war zudem, insbesondere die kleinen Kinder brauchen zuverlässige und schnell zu erreichende Erzieher*innen, um immer wieder das Pendeln zwischen der die nötige Sicherheit repräsentierende Bezugserzieherin und eigenem Explorationsverhalten zu ermöglichen. Vielerorts wurden dafür sognannte Nest- oder Startergruppen geschaffen, um einen Ankunfts- und Rückzugsort zu haben. Zunächst für die U3-Kinder gedacht, zunehmend aber auch von älteren Kindern genutzt. Manchmal waren die Kleinen schon sehr früh „ausgeflogen“ und die Großen bevölkerten die Räume. Auch hier ging es immer wieder um die Frage: Wieviel Beziehung braucht ein Kind und welche Freiheiten werden ihm gewährt. Darf es dann gehen, wenn es „an den Stäben rüttelt“, selbst bestimmen, ob es weitere und neue Bereiche erkunden möchte?

Die Erfahrung zeigt, dass es hier ganz unterschiedliche Verselbständigungszeitpunkte und Autonomie­bestrebungen der Kinder gibt. Es gibt Kinder, die bereits nach wenigen Tagen zu den Großen wollen und es gibt andere die sich längere Verweilzeiten in den Nestgruppen nehmen. Wichtig ist, dass die Erzieher*innen hier gut beobachten und die Entwicklungsimpulse der Kinder sehen und zulassen. Dazu bedarf es manchmal der Absprache im Team, ob ein Kind beispielsweise begleitet oder einer Kollegin übergeben wird. Es scheint so zu sein, dass die Erzieherin hier nicht einen ganz unerheblichen Einfluss auf das „Nestfluchtverhalten“ hat. Wenn sie das Kind nicht „freigibt“, scheint es für das Kind schwieriger zu sein, sich zu lösen und ohne schlechtes Gewissen die weitere Umwelt zu erkunden. Also auch hier entscheidet z.B. das Einverständnis der Erzieherin mit über die Möglichkeiten des Kindes, neue Erfahrungen zu sammeln.

Rollenverständnis der Erzieher*innen

Insgesamt finden sich die Erzieher*innen in der Rolle von interessierten Beobachter*innen wieder und begleiten mit „frei schwebender Aufmerksamkeit" das Geschehen. Sie geben den Kindern Resonanzen auf ihr Tun und sind freundlich und behilflich, wenn sie seitens der Kinder um Unterstützung oder Rat gefragt werden. Ihr Interventions­verhalten ist bedächtig und zurückhaltend, weil sie – frei nach Piaget – darum wissen, dass ihr voreiliges Tun das Kind daran hindern könnte, es selbst zu tun. Sie verhindern so, dass Kinder in einen Konsum- und Bedientwerden-Modus gehen. Sie unterstützen die Kinder dabei, dass sie von einem reagierend-abwartenden in einen aktiv-gestalterischen, eigenverantwortlichen Modus wechseln können. Die Erzieher*innen reagieren auf die Initiative und die Impulse der Kinder und kultivieren dabei dialogische Beziehungen; sie folgen den Kindern und deren Interessen. Wichtig dabei ist, dass sie sich den Kindern gegenüber möglichst wenig wertend einbringen, um die Kinder nicht zu stark mit ihren impliziten und expliziten Erwartungen und Wünschen zu beeinflussen. Sie sollten grundsätzlich gespannt und neugierig auf das sein, was Kinder ihnen aus ihrer reichhaltigen Fantasie und Kreativität präsentieren. Sie müssen am für sie Ungewohnten und Überraschenden Interesse haben und die Kinder darin unterstützen, neue, andere und unbekannte Wege zu gehen. Wenn ihnen das gut gelingt, werden sie erleben, dass Kinder Vertrauen und Zutrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln, exploratives Verhalten an den Tag legen und quasi unerschöpfliches Interesse an der Welt und ihren vielfältigen Phänomenen entwickeln und sie werden dann auch weiterhin darüber eingeweiht und in Kenntnis gesetzt.

Eine langjährige Mitarbeiterin in der offenen Arbeit sagte mir kürzlich, dass sie das Gefühl habe, sie müsse die offene Arbeit einstellen. Sie und ihre Kolleginnen kämen gar nicht mehr hinterher, die zahlreichen Materialien, Werkzeuge und sonstigen Gegenstände herbeizuschaffen, die die Kinder für ihre vielen kleinen Alltags-Projekte bräuchten. Ich sagte ihr zum Trost: „Gratulation, das ist doch genau das, worum es geht. Die Kinder sind voller Tatendrang und legen im ganzen Haus los, rege Betriebsamkeit, fröhliches und lustvolles Tun ist zu sehen. Prima! Das habt ihr gut hinbekommen. Sie warten nicht mehr passiv auf eure Anregungen und Impulse. Sie kümmern sich selbst um die für sie interessanten Dinge. Ihr habt ein wichtiges pädagogisches Ziel von Erziehung erreicht, ihr habt die Kinder erfolgreich in eigenverantwortliches, selbstgesteuertes und selbstwirksames Verhalten geführt!“

Freilich ist das zugestandenermaßen nicht allen Kindern von Anfang an möglich. Manche haben nicht, gelernt auf sich und ihre Bedürfnisse achten zu können. Sie haben sich häufig darin geübt, das zu machen, was Erwachsene von ihnen erwarten. Sie müssen dann erst hineinwachsen, Verantwortung für sich und andere übernehmen zu können. Sie müssen dann manchmal mühevoll lernen, sich ihre Bedürfnisse und Interessen zu spüren und diese in einer kultivierten und sozialverträglichen Weise einzubringen. Das braucht Zeit und kann für das pädagogische Personal und die anderen Kinder anstrengend sein. Aber sie können es natürlich noch lernen. In der Tat brauchen solche Kinder die besondere Aufmerksamkeit der Erzieher*innen. Gerade die z.B. in der Bindungstheorie beschriebenen, sognannte unsicher gebundenen Kinder, bedürfen hier zweifelsfrei eines erhöhten Beziehungs- und Zuwendungsaufwands. Behilflich können ihnen dabei Erzieher*innen und andere Kinder sein. In der offenen Arbeit haben alle mehr Zeit für die Gestaltung und Pflege ihrer Interaktionen und Beziehungen. Sie müssen ja keine Programme, Lehr- oder Wochenpläne abarbeiten; sie können sich auf das Hier und Jetzt zu Klärende oder zu Besprechende einlassen.

Erwerb kommunikativer Kompetenzen

Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil in der offenen Arbeit, wir können uns zeitnah um die aktuell anstehenden Fragestellungen kümmern, d.h. sie zulassen, erkennen, aufgreifen und besprechen. Und darin liegt vielleicht einer der größten Werte der offenen Arbeit in Kindertagesstätten. Gemeint ist der „beiläufige“ Erwerb von kommunikativen Kompetenzen. Tagtäglich üben sich die Kinder darin, sich darüber klar zu werden, welche Interessen und Bedürfnisse sie haben und welche Aktivitäten sie in welchen Bezügen angehen möchten. Quasi spielerisch, in zahlreichen, unterschiedlichen Alltagssituationen trainieren sie ihre kommunikativen, artikulativen Fähigkeiten. In vielfältigen Aushandlungsprozessen müssen sie sich mit dem beteiligten Personenkreis darüber verständigen, was mit wem, wo und wie lange unter Beachtung welcher Regeln gemacht werden kann oder soll. Dabei müssen sie herausfinden, wie sie erfolgreich ihre wechselnden Gegenüber so ansprechen können, dass diese motiviert sind, bei der eigenen, angestrebten Aktivität mitzumachen. Die Kinder müssen in diesen Prozessen für die Realisierung ihre Anliegen werben. Die Kinder lernen dabei ständig, mit den unterschiedlichen Charakteren, Temperamenten und menschlichen Reaktionsmustern umzugehen und sich darauf einzustellen. Sie bauen dabei ein umfängliches Repertoire an Kommunikationsmodalitäten auf, auf das sie erforderlichenfalls zurückgreifen können.

Gerade in Zeiten des zunehmenden Konsums und der Beschäftigung mit digitalen Medien kommt der personalen Begegnung eine neue Bedeutung zu. Viele Kinder wachsen mittlerweile in Umwelten mit beschränkten Personenkreisen und damit verbunden eingeschränkten Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten auf. Den Kitas wächst hier ein enormer Spielraum für entsprechende Kompensationseffekte. Hier finden sich z.B. noch zahlreiche, in echt erlebbare Menschen vor, mit reichhaltigen Gelegenheiten für z.B. anregende und vielfältige Gespräche.

Die sich dabei entwickelnde soziale und emotionale Intelligenz ist eine wichtige Schlüsselkompetenz, die von großem Vorteil für zahlreiche und zukünftige Lebenssituationen ist. Der bekannte amerikanische Emotionsforscher Daniel Goleman geht so weit, zu sagen, dass seines Erachtens nach in den kommenden Jahren weniger das sachlich abrufbare Wissen von Bedeutung sein wird, sondern die sprachlichen und sozialen Fähigkeiten, die ein Mensch in krisenreichen Lebenssituationen in Beruf und Alltagsleben abrufen und einsetzen kann. Also weniger das Wissen, sondern mehr das Können wird wichtig! Wieder ist es die Fähigkeit, gute Beziehungen herstellen zu können, um ein lebendiges, d.h. vor allem ein erfülltes und lernfreudiges Leben gestalten zu können. Die Menschen werden zukünftig mit deutlich schneller eintretenden Veränderungen (Arbeitszeiten, -aufgaben, -orte, Qualifikationsanforderungen, technologischer Fortschritt, Digitalisierung) zu tun haben und sich dabei immer wieder in veränderten Personenkonstellationen (auch privat) finden. Damit steigt auch die Gefahr des Erlebens von kritischen und entmutigenden Lebensphasen.

Aber: Nicht zu verzweifeln, sondern immer wieder genügend Zuversicht entwickeln zu können, aufzustehen und weiter zu machen, wird ein wichtiger Leitgedanke für die Realisierungsmöglichkeiten zufriedenen Lebens und eine gute Bedingung für die vielfach geforderte, positive Einstellung zum lebenslangen Lernen sein.

Kinder „lesen“ können

Erzieher*innen und Kindertagesstätten können hier wichtige Entwicklungsbegleiter*innen und -helfer*innen sein. Sie können den Kindern Erfahrungsmöglichkeiten bieten, die ihnen die Chance einräumen, die oben genannten Haltungen und Einstellungen kennenzulernen ggf. auch auf- und auszubauen. Erzieher*innen sollten daher in der Lage sein, die vielfältigen kindlichen Ausdrucksformen „lesen“ zu können, insbesondere kleine Kinder können häufig ihre wirklichen Befindlichkeiten noch nicht artikulieren. Entweder weil sie noch nicht über die nötigen sprachlichen Begrifflichkeiten verfügen oder weil sie ihre Gefühle noch nicht richtig spüren und verbalisieren können.

Hier ist es gut, wenn die Erzieherin z.B. in dem Fall, wenn das Kind morgens in die Einrichtung kommt und seine Brottasche unwirsch in die Ecke wirft, nicht das Kind ermahnt, sie (die Brottasche) gefälligst an den dafür vorgesehen Haken zu hängen, sondern das hinter diesem Verhalten stehende Bedürfnis des Kindes erkennt, nämlich z.B. eine verständnisvolle Person zu finden, die die Ursache für sein abweichendes Verhalten interessiert und ein geeignetes Gesprächsangebot formuliert: „Oh, ich glaube, es geht dir heute nicht gut, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen, magst du mir etwas erzählen?“ Die Chancen dafür stehen gut. Das Kind hat sein abweichendes Verhalten in der Gegenwart der Erzieherin gezeigt, d.h. sie genießt sein Vertrauen, es traut ihr unbewusst zu, dass sie seinen Hilferuf erkennt und mit dem Kind z.B. darüber ins Gespräch kommt, warum die Mama heute Morgen beispielsweise das Anziehen eines Lieblingspullovers verhindert hat.

Beteiligung

Ein weiteres wichtiges Format hilft den Kindern dabei, diese Qualitäten entwickeln zu können. Es sind die Beteiligungs- oder Partizipationsmöglichkeiten, die ihnen bereits in der Kita eingeräumt und zugänglich gemacht werden. Auch diese mittlerweile sogar gesetzlich verankerten Mitgestaltungsmöglichkeiten sollen die Kinder schon frühzeitig in die Lage versetzen, Einfluss auf die Ausgestaltung ihres kleinen Gemeinwesens zu nehmen.

Sie sollen wissen und erleben, dass sie sich einbringen können, dürfen und sollen und dass diese Gemeinschaft letztlich nur so gut funktioniert, wie die Mitglieder aktiv an ihrer Ausgestaltung und Entwicklung mitwirken. Auch diese Beteiligungsformen praktizieren wir in der offenen Arbeit schon seit vielen Jahren mit guten Erfolgen. Auch hier geht es immer wieder um die Klärung zahlreicher Beziehungsthemen und die Erörterung der Regeln guten Zusammenlebens. Vor allem um das Wissen, dass Kinder Rechte haben. Auch hier braucht es vorbildliches Verhalten des pädagogischen Personals. Die Kinder müssen spüren, dass die Erzieher*innen selbst von der Wertigkeit dieser Beteiligungsrechte überzeugt sind und dass sie an deren Sinn und Bedeutung glauben. Dann werden die Kinder ihnen folgen.

Weitere grundsätzliche Empfehlungen

Zum Schluss noch einige Hinweise auf weitere Gestaltungselemente für die erfolgreiche Einführung offener Arbeit unter Berücksichtigung der Beziehungsthemen:

  • Träger, Leitung, Personal und die Eltern sollten ausreichend über dieses Konzept informiert sein, um sich damit identifizieren und es aus wirklicher Überzeugung leben zu können. Je mehr Übereinstimmung hier herrscht, umso weniger geraten die Kinder in Loyalitätskonflikte den Erwachsenen gegenüber.
  • Das pädagogische Personal und möglichst auch die Hauswirtschaftskräfte, sollten grundlegend geschult sein und regelmäßig weitergebildet werden. Es sollte genügend Zeit für die Reflexion des komplexen Interaktionsgeschehens in der Kita geben (man könnte jeden Tag dicke Bücher über die zahlreichen Vorkommnisse und Ereignisse schreiben).
  • Durch den Wegfall vieler Struktur- und Steuerungselemente, die in der konventionellen Pädagogik eine Rolle gespielt haben, entsteht ein komplexes Interaktionsgeschehen. Es kommen z. T. völlig neue und unbekannte Themen „hoch“. Sie können Unsicherheit und Ratlosigkeit erzeugen. Die Fachkräfte brauchen Zeit und Muße sich über die neu auftretenden Phänomene zu verständigen und sich deren Bedeutungen zu erschließen. Denn: Kindliches Verhalten hat immer Sinn und Bedeutung, sagen uns die Hirnforscher.
  • Die Einrichtung sollte über ein gutes Eingewöhnungskonzept verfügen. Ich denke, dass das sog. Berliner Eingewöhnungskonzept des INFANS-Instituts hier ein geeigneter Weg ist. Die vorgesehene Bezugserzieherin sollte nach einer gelungenen Eingewöhnung das Kind erfolgreich trösten können. Das Kind kann sich aber ggf. auch für eine andere Person als Bezugserzieherin entscheiden.
  • Insbesondere die sehr nahen Begegnungen in Wickel- und sonstigen Pflegesituationen sollten im Sinne Emmi Piklers sehr einfühlsam und im Bewusstsein der hohen Bedeutung für die Qualität der Beziehung zum Kind gestaltet werden.
  • Die Teams sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie im konkreten Alltagsgeschehen Beziehungen, Gesprächs- und Umgangsmuster modellieren, die von den Kindern und Eltern im Positiven, wie im Negativen wahrgenommen werden. Erzieher*innen sind dafür ausgebildet, andere zu bilden und zu erziehen. Das weckt naturgemäß Interesse bei den Beobachter*innen und führt zu der Frage: „Wie machen die’s?“ Das Stichwort: „Sicherstellung der Qualität unserer Teamarbeit“ muss daher regelmäßig in den Blick genommen werden.
  • Feinfühlige Sprache hat einen hohen Stellenwert. Je jünger die Kinder sind, umso bedeutsamer ist ein gutes Sprachvorbild. Neben den Eltern liefert das Fachpersonal die Begriffe, mit denen die Kinder die Phänomene der Welt und ihre eigenen Gefühle benennen können. Besonders individuelle Begegnungen und sog. respondings sind hier besonders für die Selbstvergewisserung, das Erleben von Selbstwirksamkeit und die Ausprägung von Selbstbewusstsein sehr wertvoll. Nach dem Motto: Nur wer gesehen wird, ist wichtig!
  • Die Mitarbeiterinnen sollten das Prinzip, dass das „Kind Akteur seiner Entwicklung“ ist, verstanden und verinnerlicht haben und es respektieren.
  • Die offen arbeitenden Teams müssen nicht alles schon wissen, sie dürfen auch Neues erproben und auf diese Weise neue Erkenntnisse ermöglichen, jedes Haus ist anders und erfordert speziell angepasste Lösungen.
  • Wir befinden uns in einem ständigen Verbesserungsprozess (und haben Zeit dafür, darüber nachzudenken!).
  • Vielerorts bewährt haben sich Empfangsbereiche (Rezeptionen), das freie Frühstück mit Buffet in den letzten Jahren, die frei wählbare Essenssituation zur Mittagszeit, Freiwilligenkreise, mit den Kindern gemeinsam gestaltete und immer wieder den veränderten Bedürfnissen angepasste Räume und Regeln.
  • Hier sollte viel lebensnahes und „echtes“ Material Berücksichtigung finden. Es bietet die Bezugspunkte für „lebensnahe“ Gespräche und weiterführende Fragen.
  • Bewährt hat sich zudem das grundsätzlich geöffnete und möglichst jederzeit zugängliche Außengelände.
  • Die Bereitschaft zu Exkursionen in das nähere und weitere Umfeld der Einrichtung als erweitertes Angebot (Theater, Museen, weitere öffentliche Institutionen, Straßen, Plätze, Parks, Natur aber auch Werkstätten, Arbeitsplätze... Einblicke ins „wirkliche" Leben).
  • Beachtung diverser Kinderrechte (keine Beschämung und Bloßstellung, Entscheidungs- und Wahlfreiheit, Beteiligung, Fehlerfreundlichkeit, u.a. mehr).
  • Seitens des Personals: ein kritischer Umgang mit eigenen Steuerungs- und Kontrollimpulsen, sensible Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse und Interessen, insbesondere in Bezug auf Neues, Ungewohntes und Unbekanntes (nicht: „Geht nicht!“, sondern: „Wie könnte es trotz scheinbarer Hindernisse trotzdem gehen?").
  • Immer wieder neue Kommunikationsbereitschaft des Personals an allen Schnittstellen. Kenntnis der wichtigsten Einwände und Fähigkeit zur Einwandbehandlung bezüglich der OA. Die neuen Eltern müssen jährlich neu angesprochen und überzeugt werden. Dazu sollten alle Mitarbeiterinnen befähigt sein.
  • Wertschätzung und Akzeptanz der Tatsache, dass offene Arbeit in besonderer Weise „Beziehungsarbeit" bedeutet und ermöglicht und dass es sich lohnt sich auf diese Arbeit einzulassen, auch wenn dieser Teil nur schwer darstellbar, also sichtbar ist.
  • Immer wieder „heitere Gelassenheit“, Humor und Zuversichtlichkeit angesichts der ungeheuren Vitalität und Lebensfreude der uns anvertrauten Kinder. Sie sind in der offenen Arbeit bis heute diejenigen, die alle Zweifel und skeptischen Situationen gleichsam „wegspielen“ und mit ihrem unerschütterlichen Optimismus, eine wunderbare Welt gegen Trübsinn und Verdrossenheit verkörpern und jeden Tag neu erschaffen!

Und wir Pädagog*innen haben das besondere Glück, uns jeden Tag neu über diese Schätze freuen zu dürfen!

Nehmen Sie die Beziehungsangebote der Kinder wahr, schenken Sie Ihnen die Zeit dafür. Wo immer Sie sie ernst nehmen, leisten Sie einen wertvollen Dienst. Die Kinder werden Sie dafür mögen und ihre Nähe suchen!

Autor

Hans-Joachim Rohnke, Dipl.-Päd. & Dipl.-Sup., DGSv. arbeitet seit über 30 Jahren freiberuflich als gelernter Diplompädagoge, Supervisor, Dozent und Autor in der Fort- und Weiterbildung von sozialen Fachkräften. Er hat u.a. 25 Fachkraft-Zertifikatskurse zur Offenen Arbeit konzipiert und deutschlandweit durchgeführt.

Kontakt

hjrohnke@t-online.de

Mobil 0172 6561204

[1] Tietze, W. Becker-Stoll, Bensel, J., Eckhardt, A. G., Haug-Schnabel, G., Kalicki, B., Keller, H., Leyendecker, B.: NUBBEK- Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit. Verlag das netz, Weimar/Berlin, 2013.

[2] Haug-Schnabel, G.; Bensel, J.: in: Kindergarten heute: Offene Arbeit in Theorie und Praxis. 1. Auflage. Herder Verlag, Freiburg, 2017, S. 75.

[i] (Der Artikel ist eine überarbeitete Fassung eines Vortrags, den der Autor am 22. November 2018 in Luxemburg für den Service National de la Jeunesse gehalten hat)

Anzeige: Frühpädagogik bei Herder