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Zitiervorschlag

High/Scope - ein frühpädagogischer Ansatz

Martin R. Textor

 

Der High/Scope-Ansatz wurde Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts von David P. Weikart entwickelt. Wie beim zur gleichen Zeit entstandenen Head Start Programm sollte vor allem sozial benachteiligten Kindern geholfen werden. Diese wurden zunächst in Gruppen von 15 bis 16 drei- bis vierjährigen Kindern von zwei Lehrkräften für zweieinhalb Stunden pro Tag unterrichtet. Der Erfolg der entwickelten pädagogischen Maßnahmen wurde vor allem durch zwei Längsschnittstudien belegt ("Perry Preschool Project", "High/Scope Preschool Curriculum Comparison Study"; siehe z.B. Schweinhart/Weikart/Larner 1986; Shouse 2000).

Inzwischen wurde der High-Scope Ansatz auf Kinder von drei bis 10 Jahren ausgeweitet, die aus allen sozialen und kulturellen Gruppen stammen und auch behindert sein können. Ferner wird er heute in vielen anderen Ländern neben den USA eingesetzt. Der High/Scope Ansatz setzt nun ein Erzieher-Schüler-Verhältnis von 1:8 bis 1:10 voraus. Er stellt sehr hohe Anforderungen an die Fachkräfte - nicht nur hinsichtlich der Ausbildung und des Trainings im High/Scope-Ansatz, sondern auch bezüglich der pädagogischen Arbeit mit den Kindern, der täglichen Planungs- und Evaluationsbesprechungen sowie der Teamarbeit. Der Erfolg des High/Scope-Ansatzes hängt in hohem Maße davon ab, ob sich die Fachkräfte mit ihm identifizieren und ob sie ihn effektiv umsetzen - was sehr viel Fortbildung und Training am Arbeitsplatz verlangt.

Der High/Scope-Ansatz geht davon aus, dass jedes Lernangebot entwicklungsgemäß sein sollte. Dies ist dann der Fall, wenn die Fachkraft

  1. berücksichtigt, dass sich Fähigkeiten in einer bestimmten Abfolge entwickeln, dementsprechend ihre Anforderungen dem Entwicklungsniveau des jeweiligen Kindes anpasst und die sich in diesem Zeitraum herausbildenden Kompetenzen fördert;
  2. die Individualität eines jeden Kindes akzeptiert und ihm hilft, ein einzigartiges Gebilde von Eigenschaften, Fähigkeiten und anderen Charakteristika zu entwickeln;
  3. beachtet, dass in einzelnen Entwicklungsphasen bestimmte Dinge besonders gut gelernt werden und dann spezifische Lernmethoden besonders effektiv sind, dementsprechend Lernerfahrungen dann anbietet, wenn das Kind für sie aufnahmebereit ist, und dabei die jeweils angemessene Methode einsetzt.

Bei Kleinkindern muss ferner berücksichtigt werden, dass Lernen als eine soziale Erfahrung zu verstehen ist, also immer bedeutsame Interaktionen zwischen dem jeweiligen Kind und Erwachsenen bzw. anderen Kindern umfasst. Zu solchen Erfahrungen kommt es sowohl im Kontext selbst initiierter Aktivitäten als auch bei von Fachkräften durchgeführten Beschäftigungen, sofern diese dem Kind genügend Freiräume lassen.

Aktives Lernen

Im Mittelpunkt des High/Scope-Ansatzes steht das Konzept des aktiven Lernens. Damit ist gemeint, dass das Kind selbst - aus eigenen Intentionen und Interessen heraus - Aktivitäten initiiert und dabei Lernerfahrungen macht, z.B. indem es Dinge bewegt, zerlegt oder zusammenbaut, Beobachtungen macht, auf neuartige Ereignisse bzw. Ideen reagiert, nachdenkt und mit anderen über Wahrnehmungen, Pläne und Handlungen spricht. Aktives Lernen beinhaltet vier Elemente:

  1. Handhaben von Gegenständen: "Aktives Lernen ist abhängig vom Umgang mit Materialien aller Art - mit natürlichen und gefundenen Materialien, Werkzeug, Spielsachen, Gerätschaften, Haushaltsartikeln usw. Aktives Lernen beginnt, wenn Kleinkinder Gegenstände handhaben und dabei ihren Körper und all ihre Sinne einsetzen, um die Objekte zu erkunden" (Shouse 2000, S. 157). Sie denken über die Objekte und ihre Wahrnehmungen nach, sprechen mit anderen darüber und entwickeln auf diese Weise abstrakte Begriffe. Auch erkennen sie Beziehungen zwischen Eigenschaften von Gegenständen und erlernen den Umgang mit Werkzeugen und anderem Gerät. Wichtig ist, dass sie die sie interessierenden Objekte frei auswählen und selbsttätig untersuchen können.
  2. Nachdenken über Handlungen: "Das Verständnis der Kinder von der Welt nimmt zu, wenn sie Handlungen ausführen, die ihrem Bedürfnis entsprechen, Ideen zu testen und Antworten auf Fragen zu finden" (Shouse 2000, S. 158). Durch das Vergleichen von Erwartungen (Hypothesen) und Resultaten sowie die Interpretation erzielter Wirkungen entwickelt sich das Denken. Die Kinder verknüpfen Ideen zu logischen Sequenzen und testen sie "empirisch". Auch diskutieren sie ihre Erfahrungen mit anderen.
  3. Intrinsische Motivation, Erfindungsgabe und Kreativität: "Nach Ansicht von High/Scope kommt der Anstoß zum Lernen aus dem Inneren des Kindes. Die persönlichen Interessen, Fragen und Absichten des Kindes führen zum Erforschen, Experimentieren und zum Aufbau neuer Kenntnisse und Einsichten" (Shouse 2000, S. 158). Dann ist das Kind hoch konzentriert, entdeckt neuartige Vorgehensweisen und kreiert einzigartige Arbeitsprodukte.
  4. Problemlösen: Probleme des realen Lebens, Hindernisse bei der Durchführung geplanter Aktivitäten, unerwartete Folgen von Handlungen u.Ä. regen das Denken an. Das Kind setzt seine Erfahrungen in Bezug zu früher gesammelten Erkenntnissen, sucht nach Lösungsmöglichkeiten für das Problem und probiert diese aus.

Auf diese Weise bilden sich die Kinder selbst, entwickeln eigenständig ihr Weltwissen und ihre Kompetenzen. Diese Schwerpunktsetzung auf das unabhängige Denken, das Problemlösen und die Eigeninitiative des Kindes verdankt High/Scope der kognitiven Entwicklungspsychologie, insbesondere den Lehren Jean Piagets.

Die Rolle der Erzieher/innen

Die Fachkräfte sehen sich selbst als Lernende, die gemeinsam mit den Kindern Aktivitäten initiieren, planen, durchführen und reflektieren. Sie zeigen sich aufrichtig daran interessiert, was die Kinder denken, sagen und tun. Ihre zentrale Aufgabe ist laut dem High/Scope-Ansatz, Kindern aktives Lernen zu ermöglichen, indem sie z.B.

  • Neugier und Eigeninitiative zulassen und begrüßen,
  • Selbstständigkeit und Eigenverantwortung fördern,
  • interessenorientierte Beschäftigungen anbieten,
  • entwicklungsgemäße Herausforderungen präsentieren,
  • neuartige Erfahrungen ermöglichen,
  • Kindern große Freiräume lassen und sie darin bestärken, die Kontrolle über ihr Lernen selbst zu übernehmen,
  • Kindern zuhören und mit ihnen über ihre Ideen, Pläne und Handlungen sprechen,
  • Kinder immer wieder ermutigen, selbst Antworten auf ihre Fragen finden zu wollen,
  • Kinder zum Nachdenken anregen, Problemlösen und verbale Reflexion unterstützen,
  • positive zwischenmenschliche Interaktionen stimulieren,
  • Kinder andere Kinder um Hilfe bitten lassen,
  • Konflikte als Probleme konzeptualisieren und die Kinder nach Lösungen suchen lassen.

Erzieher/innen sind somit Förderer der kindlichen Entwicklung, teilnehmende Beobachter, Spiel- und Interaktionspartner.

Die Gestaltung der Lernumgebung

Die Fachkräfte sollen laut dem High/Scope-Ansatz den Kindern eine Umwelt schaffen, in der selbsttätiges, aktives Lernen möglich ist. Kinder benötigen ein abwechslungsreiches Angebot an Gegenständen und Materialien, die so in offenen Regalen anzuordnen sind, das Kinder sie sehen, selbst holen und auch wieder wegräumen können - letzteres wird durch Schilder an den Regalen erleichtert, die eine Abbildung der am jeweiligen Platz befindlichen Objekte zeigt. Shouse (2000, S. 159) schreibt:

  • "Materialien: Vielfältige altersgemäße und interessante Materialien stehen den Kindern zur freien Verfügung.
  • Handhabung: Die Kinder können mit den Materialien frei hantieren, experimentieren und arbeiten.
  • Wahl: Die Kinder haben die Möglichkeit, persönliche Interessen zu verfolgen, ihre eigenen Ziele abzustecken sowie Materialien und Beschäftigungen selbst auszuwählen.
  • Sprache der Kinder: Die Kinder kommunizieren - verbal und nonverbal - darüber, was sie gerade tun und was sie getan haben.
  • Unterstützung durch Erwachsene: Die Erwachsenen ermutigen die Kinder bei ihren Bemühungen und helfen ihnen, ihre Arbeit auszuweiten oder darauf aufzubauen. Dazu sprechen sie mit ihnen darüber, was sie gerade tun, beteiligen sich an ihrem Spiel oder leiten sie beim Lösen eventuell auftauchender Probleme an".

Um Einzelarbeit und Aktivitäten in Kleingruppen zu ermöglichen, teilen die Fachkräfte den Gruppenraum in Spielecken auf. In jeder dieser Ecke sollten nur bestimmte Aktivitäten möglich sein: Bauen mit Klötzen, Malen, Rollenspiel, Bilderbuchbetrachtung, Experimente, Kategorisieren/Zählen usw. In der Regel ist den Kindern auch ein Computer frei zugänglich, wobei hohe Ansprüche an die dort eingesetzte Software gestellt werden.

Die Schlüsselerfahrungen

Laut dem High/Scope-Ansatz haben die Fachkräfte keinen bestimmten Lernstoff zu vermitteln, wie er sonst in Curricula, Arbeitsbüchern oder Wochenplänen niedergelegt ist. Auch sollen sie nicht bestimmte Begriffe oder Fertigkeiten direkt lehren. "Stattdessen hören Lehrer/innen genau zu, was Kinder planen, und arbeiten dann aktiv mit ihnen, um ihre Aktivitäten auf höhere Anforderungsebenen auszuweiten" (Weikart/Schweinhart 1987, S. 257). Die Lerninhalte werden letztlich von den Kindern selbst präsentiert. Im Kontext ihrer Aktivitäten bzw. im Verlauf ihres alltäglichen Zusammenlebens ergeben sich die so genannten Schlüsselerfahrungen, die zur Ausbildung grundlegender Denkfähigkeiten und Kompetenzen führen. Der High/Scope-Ansatz unterscheidet 58 Schlüsselerfahrungen, die in 10 Kategorien eingeordnet werden (zitiert nach: Active Learning 1995; High/Scope Educational Research Foundation 2000):

1. kreative Darstellung

    • Erkennen von Objekten nach Anblick, Geräusch, Berührung, Geschmack und Geruch
    • Nachahmen von Handlungen und Geräuschen
    • Modelle, Bilder und Fotos zu realen Orten und Dingen in Beziehung setzen
    • Sich verstellen, Rollenspiel
    • Modelle aus Lehm, Blöcken und anderen Materialien machen
    • Zeichnen und malen

2. Sprache und Literacy

    • Mit anderen über persönlich bedeutsame Erfahrungen sprechen
    • Gegenstände, Ereignisse und Beziehungen beschreiben
    • Spaß an der Sprache haben: Geschichten und Gedichte anhören, Geschichten und Reime erfinden
    • Auf verschiedene Weise schreiben: zeichnen, kritzeln, buchstabenähnliche Formen, selbst erfundenes Buchstabieren, konventionelle Formen
    • Auf verschiedene Weise lesen: Lesen von Geschichten aus Büchern, von Zeichen und Symbolen, der eigenen Handschrift
    • Geschichten diktieren

3. Initiative und soziale Beziehungen

    • Auswahlmöglichkeiten, Pläne und Entscheidungen gestalten und ausdrücken
    • Probleme lösen, die im Spiel entstanden
    • Auf die eigenen Bedürfnisse achten
    • Gefühle in Worten ausdrücken
    • An Gruppenroutinen teilnehmen
    • Sensibel für die Gefühle, Interessen und Bedürfnisse anderer sein
    • Beziehungen zu Kindern und Erwachsenen aufbauen
    • Gemeinsames Spielen initiieren und erfahren
    • Mit sozialen Konflikten umgehen

4. Bewegung

    • Bewegen auf nicht lokomotorische Weise (verankerte Bewegung: beugen, drehen, schaukeln, die Arme schwingen)
    • Bewegen auf lokomotorische Weise (nicht verankerte Bewegung: rennen, springen, hüpfen, seilspringen, marschieren, klettern)
    • Bewegen mit Gegenständen
    • Kreativität in Bewegung ausdrücken
    • Bewegung beschreiben
    • Nach Bewegungsanordnungen handeln
    • Einen durchgängigen Rhythmus fühlen und ausdrücken
    • Sich zu einem gemeinsamen Rhythmus in Abfolgen bewegen

5. Musik

    • Sich zu Musik bewegen
    • Erforschen und Identifizieren von Geräuschen
    • Die eigene Singstimme ausprobieren
    • Melodien entwickeln
    • Lieder singen
    • Einfache Musikinstrumente spielen

6. Klassifikation

    • Erforschen und Beschreiben von Ähnlichkeiten, Unterschieden und Attributen von Gegenständen
    • Formen unterscheiden und beschreiben
    • Sortieren und zuordnen
    • Etwas auf verschiedene Weise verwenden und beschreiben
    • Sich zur gleichen Zeit mehr als eines Attributes bewusst sein
    • Zwischen "einige" und "alle" unterscheiden
    • Beschreiben, welche Charakteristika etwas nicht besitzt oder zu welcher Kategorie es nicht gehört

7. Reihenfolge

    • Vergleichen von Attributen (länger/kürzer, größer/kleiner)
    • Von mehreren Dingen eines nach dem anderen in einer Reihenfolge oder in einem Muster anordnen und die Beziehungen beschreiben (groß/größer/am größten, rot/blau/rot/blau)
    • Einen geordneten Satz von Gegenständen einem anderen durch Versuch und Irrtum zuordnen (kleine Tasse - kleine Untertasse/mittelgroße Tasse - mittelgroße Untertasse/große Tasse - große Untertasse)

8. Zahl

    • Die Zahl von Dingen in zwei Mengen vergleichen, um "mehr", "weniger", "gleiche Anzahl" zu bestimmen
    • Zwei Mengen von Gegenständen einander einzeln zuordnen
    • Objekte zählen

9. Raum

    • Füllen und leeren
    • Dingen zusammenfügen und auseinander nehmen
    • Die Form und die Anordnung von Objekten verändern (einwickeln, verdrehen, strecken, aufstapeln, einschließen)
    • Leute, Plätze und Dinge von verschiedenen räumlichen Standpunkten aus beobachten
    • Positionen, Richtungen und Entfernungen auf der Spielfläche, im Gebäude und in der Nachbarschaft erleben und beschreiben
    • Räumliche Beziehungen in Zeichnungen, Bildern und Fotos interpretieren

10. Zeit

    • Eine Aktion auf ein Signal hin beginnen oder stoppen
    • Geschwindigkeiten von Bewegungen erfahren und beschreiben
    • Zeitintervalle erfahren und beschreiben
    • Die Abfolge von Ereignissen vorhersagen, erinnern und beschreiben

Die Fachkräfte müssen sich somit auf die jeweilige Aktivität des Kindes einstellen und analysieren, welche Schlüsselerfahrungen hierbei möglich sind. Dann sollen sie das Kind so lenken, dass diese Schlüsselerfahrungen auch gemacht werden. Von besonderer Bedeutung ist hier die Fragetechnik der Fachkräfte: Durch indirektes Fragen, Hinweise und Vorschläge sollen sie das Kindes motivieren, seine Aktivitäten in die angezielte Richtung auszuweiten, oder sein Interesse auf bestimmte Phänomene und Ereignisse lenken. Durch gezieltes Nachfragen können sie das Kind bewegen, etwas zu beobachten oder über das Geschehene nachzudenken, damit es einen höheren Grad an Verständnis erreicht bzw. die jeweils möglichen Schlüsselerfahrungen macht. Offene Fragen führen zu längeren Interaktionen zwischen Kindern oder zwischen Kind und Fachkraft. Lawton (2000) schreibt: "Die Schlüsselerfahrungen sollten viele Male in vielen verschiedenen Variationen eingebracht werden und in eine große Vielzahl von Aktivitäten eingebettet sein. Mit dieser Art von Curriculum zu arbeiten, erfordert einen großen Planungsaufwand vonseiten des Lehrers, während er gleichzeitig das Bedürfnis nach Spontaneität akzeptieren soll" (S. 174).

In der Interaktion mit der Fachkraft zeigt sich, wie sich Weltverständnis, Denken und Fähigkeiten des Kindes weiterentwickeln. Weikart und Schweinhart (1987) fassen zusammen: "Dieser Ansatz ermöglicht es dem Lehrer und dem Kind, als Denkende und Handelnde miteinander zu interagieren anstatt in den traditionellen Schulrollen des aktiven Lehrers und passiven Schülers" (S. 257).

Der Tagesablauf

Laut dem High/Scope-Ansatz ist selbstständiges, aktives Lernen leichter zu erreichen, wenn nahezu jeder Tag nach demselben Schema abläuft. Während eines Teil des Tages sind die Kinder alleine oder mit einigen anderen Kindern zusammen in den Spielecken tätig, wobei sie einer Sequenz aus den drei Phasen "Planen", "Arbeiten" und "Reflektieren" folgen sollen:

  1. Planungsphase: Die Kinder dürfen wohl sie interessierende Aktivitäten frei auswählen, müssen aber zuerst sagen, was sie vorhaben. Im Gespräch wird über Ziele, Vorgehensweisen und deren Alternativen, mögliche Konsequenzen der geplanten Handlungen u.Ä. nachgedacht. Die Kinder diskutieren ihre Pläne mit den Fachkräften, die durch Nachfragen und Vorschläge das Vorhaben anspruchsvoller machen - unter Berücksichtigung des Entwicklungsniveaus des jeweiligen Kindes.
  2. Arbeitsphase: Nun setzen die Kinder ihre Pläne in die Tat um, kämpfen mit unerwarteten Schwierigkeiten, machen Beobachtungen, sammeln Erfahrungen, lernen neue Fertigkeiten usw. Die Fachkräfte beobachten sie, spielen mit und greifen von Zeit zu Zeit in die jeweilige Aktivität ein, um sie durch Vorschläge zu bereichern, neue Probleme aufzuwerfen, Interaktionen mit anderen Kindern zu stimulieren usw. Dabei achten sie vor allem darauf, dass Schlüsselerfahrungen gemacht werden. Auch ermutigen sie Kinder und helfen ihnen, wenn diese mit ihrem geplanten Vorhaben nicht vorankommen. Die Arbeitsphase endet mit dem Aufräumen: Die Kinder stellen selbstständig das von ihnen verwendete Material an den richtigen Platz in den Regalen zurück.
  3. Reflexionsphase: Die Kinder beschreiben in der Gruppe die von ihnen verfolgten Pläne, die Abfolge ihrer Aktivitäten, die dabei gemachten Erfahrungen, aufgetauchte Probleme und deren Lösung sowie die Arbeitsergebnisse, die sie auch z.B. in der Form von Zeichnungen, Bildern oder Modellen vorstellen können. Ferner berichten sie, was ihre Spielkameraden gesagt und getan haben. So setzen sie "nach und nach das, was sie tatsächlich getan haben, in Beziehung mit dem, was sie ursprünglich geplant hatten. Sie entwickeln langsam ein Zweckbewusstsein, wenn sie erkennen, dass das Planen vor dem Tun ihnen die Kontrolle über ihr Handeln während der ganzen Sequenz des Planens, Arbeitens und Erinnerns gibt" (Shouse 2000, S. 163).

Ein anderer Teil des Tages ist durch die Kleingruppenphase geprägt. "In der Kleingruppenphase trifft sich jeden Tag dieselbe Gruppe von Kindern mit demselben Erwachsenen. Jedes Kind erhält einige Materialien und kann selbst entscheiden, wie es sie einsetzt. Die Kinder sprechen untereinander und mit dem Erwachsenen darüber, was sie gerade tun. In der Kleingruppenphase werden die Kinder mit Materialien und Erfahrungen vertraut gemacht, denen sie wahrscheinlich während der Abfolge von Planen, Arbeiten und Reflektieren nicht begegnen würden" (Shouse 2000, S. 164). Dazu gehören beispielsweise bestimmte Maltechniken, Drucken mit Korken, Gestalten von Collagen u.Ä. In diesem Zeitraum mag die Fachkraft mit ihrer Kleingruppe auch einen Ausflug in die Nachbarschaft unternehmen.

Schließlich gibt es noch die Großgruppenphase, in der alle Kinder an von den Erwachsenen initiierten Aktivitäten teilnehmen. Beispielsweise wird gemeinsam gesungen, musiziert oder getanzt, wobei den Kindern große Freiheit hinsichtlich des Abwandelns von Liedtexten, der Auswahl von Musikinstrumenten oder der Bewegungen beim Tanzen gelassen wird. Auch werden in dieser Phase wichtige Informationen ausgetauscht.

Daneben gibt es noch andere Aktivitäten im Tagesablauf wie z.B. das Spielen im Außengelände der Kindertageseinrichtung oder die Mahlzeiten, auf die aber nur am Rande verwiesen wird.

Diagnostisches

Wie bereits mehrfach angedeutet, ist eine besonders wichtige Aufgabe der Fachkräfte die Beobachtung der ihnen anvertrauten Kinder. Sie versuchen herauszufinden, wie jedes einzelne Kind denkt und urteilt, was seine besonderen Charakteristika sind, was es an Unterstützung benötigt. Jeden Tag machen sie Notizen über ihre Beobachtungen, wobei sie sechs Bereiche der kindlichen Entwicklung besonders berücksichtigen (nach High/Scope Educational Research Foundation 2000):

  1. Initiative: Nennen von Alternativen, Teilnahme an komplexen Spielen
  2. Soziale Beziehungen: Verhalten gegenüber Erwachsenen, Freunde finden
  3. Kreative Darstellung: Machen, bauen, sich verstellen
  4. Musik und Bewegung: Zeigen von Bewegungskoordination, sich entsprechend eines Rhythmus bewegen
  5. Sprache und Literacy: Interesse am Lesen zeigen, mit dem Lesen oder Schreiben beginnen
  6. Logik und Mathematik: Sortieren, Objekte zählen, Zeitabläufe beschreiben

Jeden Tag kommen die Fachkräfte zusammen, um über einzelne Kinder anhand ihrer Notizen zu sprechen. Sie versuchen gemeinsam, das Verhalten und Erleben eines jedes Kindes, seine Aktivitäten in der Klasse, seine einzigartigen Begabungen, Interessen und Fähigkeiten immer besser zu verstehen. Ferner wird auf der Grundlage dieser Notizen von Zeit zu Zeit der High/Scope Child Observation Record for Ages 2 1/2-6 (COR) für jedes Kind ausgefüllt. Dieser Beobachtungsbogen berücksichtigt die vorgenannten sechs Entwicklungsbereiche und die Schlüsselerfahrungen (s.o.). 30 fünfstufige COR-Kriterien ermöglichen es den Fachkräften, den Entwicklungsstand eines jeden Kindes genau zu bestimmen.

Mit den täglichen Teambesprechungen werden aber noch weitere Ziele verfolgt: So werden die Notizen über Verhaltensbeobachtungen und die COR-Ergebnisse auch benutzt, um den Erfolg der pädagogischen Arbeit zu beurteilen. Ferner werden in den Teambesprechungen die im Verlauf des Tages erfolgten Beschäftigungen evaluiert und Aktivitäten für den kommenden Tag geplant. Die Fachkräfte sprechen über ihr Verhalten und unterstützen einander hinsichtlich der eigenen Weiterentwicklung. Sie verstehen sich somit selbst als "aktiv Lernende".

Schlusswort

Obwohl der High/Scope-Ansatz zur gleichen Zeit wie das Head Start Programm entwickelt wurde, hat er nicht dessen Fokus auf die Unterstützung der Eltern benachteiligter Kinder übernommen, bietet er diesen keine besonderen Dienstleistungen an (Lawton 2000). Wohl wird betont, dass Eltern als Partner bei der Erziehung der Kinder und als Experten auf ihrem Gebiet angesehen werden sollen sowie dass ein intensiver Informationsaustausch über das Kind, die Erziehungsziele der Eltern und die Familienkultur anzustreben sei, aber man findet nur wenig konkrete Aussagen, wie Elternarbeit zu gestalten ist. Hier wird deutlich, dass der High/Scope-Ansatz stark kindzentriert ist: Es geht letztlich immer um die "Ausstattung" der Kinder mit Fähigkeiten, die für den Lebens-, Schul- und Berufserfolg benötigt werden.

Literatur

Active learning: The way children construct knowledge. High/Scope ReSource, Herbst 1995, S. 4-8

High/Scope Educational Research Foundation: Website http://www.highscope.org, Stand: 9. August 2000

Lawton, J.T.: Kommentar: Der Rahmen des High/Scope Curriculums. In: Fthenakis, W.E./Textor, M.R. (Hrsg.): Pädagogische Ansätze im Kindergarten. Weinheim, Basel: Beltz 2000, S. 170-180

Schweinhart, L.J./Weikart, D.P./Larner, M.B.: Consequences of three preschool curriculum models through age 15. Early Childhood Research Quarterly 1986, 1, S. 15-45

Shouse, A.C.: Das High/Scope Vorschulcurriculum. In: Fthenakis, W.E./Textor, M.R. (Hrsg.): Pädagogische Ansätze im Kindergarten. Weinheim, Basel: Beltz 2000, S. 154-169

Weikart, D.P./Schweinhart, L.J.: The High/Scope cognitively oriented curriculum in early education. In: Roopnarine, J.L./Johnson, J.E. (Hrsg.): Approaches to early childhood education. Columbus, Toronto, London, Melbourne: Merrill 1987, S. 253-268

Autor

Dr. Martin R. Textor studierte Pädagogik, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany, N.Y., und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Von 2006 bis 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 45 Büchern und hat 770 Fachartikel in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de
Autobiographie unter http://www.martin-textor.de