Monika Kruschinski
Inwiefern bieten altersheterogene Gruppenstrukturen Kindern im Elementarbereich unter dem Gesichtspunkt moderner lerntheoretischer Sichtweisen positive Bedingungen für die Herausbildung von Kompetenzen im Hinblick auf zukünftige Lebensabschnitte?
1. Einleitung
Vor dem Hintergrund aktueller Debatten um frühkindliche Bildung und ihre zukunftsweisende Bedeutung für die Kinder selbst wird u.a. auch das Für und Wider altersheterogener Gruppenstrukturen diskutiert. Seit dem von der Bundesrepublik festgeschriebenen erweiterten Rechtsanspruch auf Betreuung für ein- bis dreijährige Kinder hat diese Diskussion noch an Präsenz zugenommen. Während Andres vom Infans-Institut 2003 in einem Spiegelartikel noch konstatiert, dass Kinder am besten in kleinen altersgemischten Gruppen lernen würden und sich damit auf Forschungsergebnisse aus Frankreich beruft (Andres 2003, S. 210), werden gegenwärtig von vielen Praktiker/innen vermehrt Nachteile altersgemischter Gruppen ins Feld geführt. Es gibt, mit Blick auf die Betreuung unter Dreijähriger, mehrere Untersuchungen zu Vor- und Nachteilen altersheterogener Strukturen. In einer Expertise zu den Anforderungen an frühpädagogische Fachkräfte gehen z.B. Nied / Niesel et. al auf die Chancen und Risiken in altersgemischten Gruppenstrukturen und auf notwendige Rahmenbedingungen ein, bemerken zu Beginn aber auch: „In der gesamten Menschheitsgeschichte sind Kinder 'altersgemischt' groß geworden“ (Nied / Niesel et. al 2011, S. 8).
Der vorliegende Beitrag soll zur Klärung der Frage dienen, inwieweit die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und die Ausbildung zukunftsorientierter Kompetenzen, die in postmodernen Curricula anvisiert werden, in altersgemischten Gruppen gewährleistet werden können. Dies wird unter dem Aspekt konstruktivistischer Lerntheorien und neurobiologischer Erkenntnisse beleuchtet. Auf die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben soll hier lediglich im Kontext des Kompetenzerwerbs eingegangen werden. Zu Beginn wird ein kurzer Einblick zur Entstehung altersgemischter Konzepte, zu Argumenten dafür und dagegen sowie zu Beispielen praktischer Umsetzung gegeben. Neben der Herausarbeitung möglicher Vor- und Nachteile altersheterogener Gruppen im Hinblick auf Lernprozesse und Kompetenzerwerb soll auch auf entsprechende Rahmenbedingungen eingegangen werden.
2. Altersgemischte Strukturen in Kindertagesstätten
2.1 Entstehen der Altersmischung und das Für und Wider
Die Ursprünge der altersgemischten Gruppen kann man aus den reformpädagogischen Ansätzen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, z. B. aus den Montessori-Häusern, herleiten. Auch die Verbreitung von Kinderläden und Elterninitiativ-Einrichtungen seit Beginn der 70er Jahre waren u.a. Wegbereiter altersgemischter Gruppen (Liegle 2007). In Schweden ist die Altersmischung in Gruppen von ein- bis sechsjährigen Kindern sehr häufig praktiziert worden. 1991 seien ca. 43 % der Kinder von ein bis sechs Jahren in altersheterogenen Gruppen betreut worden. Untersuchungen aus den 70er Jahren konnten dazu viele Vorteile nachweisen. Spätere Untersuchungen hätten diese Ergebnisse wiederum nicht bestätigen können. Aus diesem Grund würde man sich in Schweden wieder der Arbeit mit altershomogenen Gruppen nähern. Auch in Deutschland hat es mehrere Untersuchungen zu Vor- und Nachteilen der Altersmischung gegeben (Textor 1997). Eine Untersuchung spricht die Nachteile reiner Kinderkrippen an: ein hoher Pflegeaufwand, die noch fehlende Interaktion der Kinder untereinander, die Dominanz der Erzieher/innen und der Wechsel der Kinder bzw. Betreuungspersonen (Erath 1991). Die Vorteile altersheterogener Gruppen würden gesehen in einer Kontinuität der Betreuung, in einer erleichterten Eingewöhnung, weniger Konkurrenzbestreben, einem guten sozialen Klima und der Förderung durch vielfältige Anregungen. Pädagogisch gesehen böte die altersgemischte Gruppe eine große Chance, in natürlicher Weise mit anderen Kindern zu leben und zu lernen (ebd.). Die Sorge, nicht allen Altersgruppen gerecht zu werden, die kognitive Entwicklung der älteren Kinder aus dem Auge zu verlieren oder das Ruhebedürfnis und die Sicherheit der Jüngeren nicht ausreichend gewährleisten zu können, werden als hauptsächliche Argumente gegen die Arbeit mit altersgemischten Gruppen angeführt.
2.2 Altersgemischte Konzepte in den neuen Bundesländern
Bis 1990 gab es in der ehemaligen DDR Kinderkrippen und Kindergärten, die jeweils unterschiedlichen Ministerien zugeordnet waren. Das hatte zur Folge, dass Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr von einer Institution in die andere wechseln mussten. Erfahrungsgemäß war dieser Übergang für die Kinder mit einer Regression in ihrem Entwicklungsverlauf verbunden. Kinder, die in der Krippe bereits selbständig und sicher in vielerlei Hinsicht waren, wurden von den Kindergärtner/innen als wenig selbständig und in ihrer Handlungs- und Sozialkompetenz als nicht altersentsprechend erlebt. Ähnliches wird heute übrigens auch von den Grundschulpädagog/innen beim Übergang von der Kita in die Grundschule wahrgenommen. Fthenakis (2008, S. 163f.) sieht als Ursache dafür eine fehlende Konsistenz im Bildungsverlauf. Zu Beginn der 90er Jahre entschieden sich viele Kindertagesstätten aus dem Gebiet der ehemaligen DDR für die Umstrukturierung ihrer Einrichtungen und teilweise auch für Konzepte mit Altersmischung. Die Grundlage für die Umstrukturierung und Argumentation bildeten z.B. in Brandenburg Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalen. Eine weitere Motivation war auch in den sich verändernden familiären Strukturen zu sehen, die Kindern zur dieser Zeit weniger Erfahrungen mit jüngeren oder älteren Geschwistern bieten konnten.
2.3 Beispiele altersgemischter Gruppenstrukturen
Im Folgenden wird die Arbeit mit Altersheterogenität an Hand von Beispielen aus zwei kommunalen Kitas in Panketal skizziert.
Beispiel 1: Im Kinderhaus Kunterbunt werden insgesamt 103 Kinder in drei Bereichen mit jeweils drei Kleingruppen a 10-12 Kinder im Alter von ein bis sechs Jahren betreut. Je nach Altersstruktur werden diese von vier bis fünf Erzieher/innen betreut. Den Kindern stehen drei themenspezifisch eingerichtete Räume und ein Bad zur Verfügung. Für alle Gruppen gibt es im Haus einen großen Bewegungsraum, einen Medienraum und ein Atelier sowie einen großen naturbelassenen Garten mit Abenteuerbereich. Das teiloffene Konzept erlaubt den Kindern innerhalb, aber teilweise auch außerhalb des Bereiches sowohl mit gleichaltrigen, als auch mit jüngeren oder älteren Kindern in Kontakt zu treten, zu spielen, Freundschaften zu schließen oder sich zurückzuziehen. Projekt- und themenbezogene Arbeit ermöglicht den Kindern ganzheitliche Lernprozesse. Angebote unterschiedlichster Art aus allen Bildungsbereichen werden teilweise alters-, teilweise gruppenübergreifend gestaltet. Die Mahlzeiten werden in der Kleingruppe eingenommen. Die „Großen“ helfen den „Kleinen“ z. B. beim Brote zubereiten, Tisch decken, „Bettenbau“ etc. Im Rahmen des Übergangs in die Schule gibt es gruppen- bzw. bereichsübergreifende Angebote für die fünf- bis sechsjährigen Kinder und für die vier- bis sechsjährigen eine Woche Urlaub auf dem Bauernhof.
Beispiel 2: In der Kita Spatzennest werden 50 Kinder von ein bis sechs Jahren betreut, die sich meist während der frei wählbaren Angebote in Gruppen aufteilen. Das Konzept ist ansonsten offen, so dass die Kinder, ähnlich wie in Beispiel 1, die Möglichkeit haben, mit gleichaltrigen, jüngeren oder älteren Kindern zu spielen. Den Kindern stehen zwei große und ein kleinerer Gruppenraum sowie eine große Diele, die gleichzeitig als Garderobe dient, zur Verfügung. Weiterhin gibt es einen Bewegungsraum und einen Rückzugsraum für die größeren Kinder. Der Spielgarten ist ebenfalls direkt vom Haus zu erreichen. Es gibt am Morgen einen gemeinsamen Morgenkreis mit allen Kindern. Auch wenn hier sehr unterschiedliche Alters- und Entwicklungsstufen aufeinander treffen, ist darin eine Möglichkeit für die Kleinen zum Beobachten und Mitlernen gegeben. Fünf bis sechs Erzieher/innen sind im Kita-Alltag für alle Kinder da, haben aber auch gleichzeitig 8 bis 9 Bezugskinder im Alter von 0 bis 6. Sie betreuen diese Kinder bis zum Schuleintritt. Häufig werden gemeinsam mit den Kindern Projekte zu unterschiedlichen Themen geplant. Hin und wieder gibt es Ausflüge oder eine Übernachtung in der Kita für die Vorschulkinder.
Die Beispiele geben nur einen kurzen Überblick zur Organisation und Struktur in den betreffenden Einrichtungen. Die Pädagog/innen beider Einrichtungen stehen hinter der konzeptionellen Arbeit mit der Altersmischung und sind in ihrer beruflichen Tätigkeit zufrieden. Beide Einrichtungen werden gern von Eltern angewählt. Dennoch steht immer wieder die Frage hinsichtlich gelingender Lernprozesse in heterogenen Gruppen zur Diskussion. Es entstehen gegenwärtig wieder gesonderte Krippen bzw. Krippenbereiche in bestehenden Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren, während die Altersmischung von 1 bis 6 Jahren zunehmend in Frage gestellt wird.
3. Entwicklungsaufgaben und Schlüsselkompetenzen in einer sich verändernden Welt
Die Frage, welche Entwicklungsaufgaben Kinder in den ersten Jahren bewältigen, welche Kompetenzen für zukünftige Lebensabschnitte sie ausprägen sollten, ist auch zugleich Bestandteil nationaler und internationaler Curricula der pädagogischen Fachwelt und der zugehörigen Institutionen. Den Sichtweisen, wie und auf welche Weise Kinder diese Entwicklungsaufgaben bewältigen, diese Kompetenzen entwickeln können, liegen hauptsächlich reformpädagogische Ansätze zu Grunde. Heute gibt es allerdings weniger Sicherheit und mehr Auseinandersetzung darüber, welche Konzepte frühkindlicher Bildung entwicklungspsychologisch und vor dem Hintergrund einer sich verändernden Welt am angemessensten sind (Fthenakis 2008, S. 163f.). Die Ansichten darüber, welche Kompetenzen von Kindern für zukünftige Lebensabschnitte erworben werden sollten, unterscheiden sich von denen vorangegangener Generationen. Wenn die Gesellschaft sich auf dem Weg des Wandels von einer Industriegesellschaft hin zu einer Informations- und Wissensgesellschaft befindet, muss es auch ein neues Verständnis von Welt geben, woraufhin Kinder erzogen und gebildet werden bzw. als Ko-Konstrukteure ihrer eigenen Lernerfahrungen gesehen werden. Während es früher eher darum ging, Unterschiedlichkeiten zu beseitigen, wird heute Diversity als Chance für mehr und vielfältigere Lernerfahrungen gesehen (ebd.).
Das neue Weltbild ist eher durch eine kulturelle Vielfalt, eine hohe soziale Komplexität und eine geringe Planbarkeit gekennzeichnet. Der Einzelne muss sich viel mehr mit Diskontinuität, Verlust und Veränderungen auseinandersetzen. Eine Orientierung kann nicht mehr ausschließlich mit Hilfe von Normen und Standards erfolgen, sondern vielmehr muss das Individuum zukünftig in der Lage sein, selbst angemessene Lösungen herbeiführen zu können (ebd.). In seinen Ausführungen zu Bildungskonzepten für Kinder unter sechs Jahren spricht Fthenakis immer wieder die Fokussierung auf Unterschiedlichkeiten an. Neuere Bildungskonzepte würden Differenzen bejahen und sie für mehr Lernerfahrungen nutzen. Er nimmt Bezug zum Hessischen Bildungsplan, der dem u.a. durch die Propagierung einer erweiterten Altersmischung Rechnung tragen würde (ebd.).
So muss es heute nicht mehr allein um die Vermittlung von Kenntnissen, sondern hauptsächlich um die Stärkung von Kompetenzen gehen (ebd.). Welche Fähigkeiten und Kompetenzen scheinen also erstrebenswert auf dem Weg in die Zukunft und welche Vorstellungen von Bildungskonzepten erscheinen angemessen? In vielen verschiedenen Curricula werden unterschiedliche Darstellungen von Schlüsselkompetenzen verwendet. Als ein fortschrittliches Curriculum kann der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren angesehen werden, an dessen Erarbeitung Fthenakis federführend beteiligt war. Er benennt hauptsächlich vier Kompetenzbereiche: auf das Individuum bezogene Kompetenzen, soziale Kompetenzen, Lernkompetenzen und die Fähigkeit, Krisen und Veränderungen zu meistern und zu überstehen. Daraus sollen komprimiert und etwas abgewandelt folgende benannt werden:
- personale Kompetenzen, wie Selbstwertgefühl, Selbstkonzept, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Selbstregulation oder Motivation, Frustrationstoleranz, Forscherdrang und Mut, Neues auszuprobieren
- soziale Kompetenzen, wie Empathie, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Kooperationsfähigkeit und Konfliktbewältigung, die Fähigkeit und Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und demokratischer Teilhabe
- kognitive Kompetenzen, wie Kreativität, Denken, Wahrnehmung, Sprache, Neugier, Forscherdrang und Wissen
- Methoden- oder Lernkompetenz, wie Wege des Lernens zu kennen und zu erleben, Wissensaneignung, Problemlösemethoden zu kennen und anzuwenden, Selbstwirksamkeit zu erleben
- Handlungskompetenzen, die sich aus den bereits genannten ergeben (ebd.)
Funktionsorientierte Entwicklungsaufgaben zielen auf die Förderung von Wahrnehmung, Motorik, Sprache, Denken, Gedächtnis, Kreativität u.a. ab (Kiper 2012, S. 8). Diese Entwicklungsaufgaben sollten als Grundlagen für den Erwerb von Kompetenzen begriffen werden. Es kann nicht allein Ziel sein, diese Fähigkeiten im Einzelnen zu fördern, ohne sie im Zusammenhang mit dem Erwerb umfassender Kompetenzen zu sehen. Eine vielleicht sehr praktische Sichtweise darüber, was einem Kind während seiner Entwicklungsprozesse begegnet sein sollte, womit es sich beschäftigt haben sollte, stellt Elschenbroich in ihrem Buch 'Weltwissen der Siebenjährigen' dar. Ihre Listen von „Weltwissen“ sind lang, aber es wird deutlich, dass es um Erfahrungen und emotionales Erleben geht, dass es um Zumutung und Verantwortung geht, um Lösungssuche und letztlich um den Erwerb von Fähigkeiten, die ein Kind für sein Leben braucht. Dabei werden ganz praktische Erfahrungen, wie das Übernehmen von Aufgaben im Haushalt, das sich Kümmern um ein Baby, das Versorgen eines Tieres, der Umgang mit Werkzeug, das Bestehen von vielfältigen Herausforderungen u.v.m. benannt (Elschenbroich 2002, S. 23ff.).
Doch wie kann es gelingen, Lern- und Entwicklungsprozesse von Kindern im Elementarbereich diesbezüglich zu begleiten und zu unterstützen. Welche Sichtweisen und Rahmenbedingungen sind notwendig und welche Rolle spielen heterogene Strukturen in diesem Zusammenhang? Schaut man sich moderne und postmoderne Lern- und Entwicklungstheorien an, so kann man hauptsächlich konstruktivistische und interaktionistische Modelle finden, die vereinfacht ausgedrückt für sich beanspruchen, das Kind als aktiven und interaktiven Gestalter seiner Entwicklung und seiner Lernprozesse anzusehen. Das folgende Kapitel soll einen Einblick in moderne lerntheoretische Betrachtungsweisen geben und Lernprozesse und Kompetenzerwerb in altersgemischten Strukturen veranschaulichen.
4. Entwicklungsaufgaben meistern und Kompetenzen erwerben in altersgemischten Strukturen
4.1 Sichtweisen vom Lernen
Wie Menschen lernen, ihr Verhalten zu steuern, wie Verhaltensweisen zustande kommen und sich verändern können, ist ebenso Gegenstand vieler lern- und entwicklungstheoretischer Betrachtungsweisen, wie die Frage danach, wie und auf welche Weise Menschen sich Wissen und Können aneignen. Lern- und entwicklungstheoretische Modelle sind während unterschiedlicher Epochen und im Laufe der Zeit von ihren Vertretern weiterentwickelt und verändert worden. Vieles hat auch heute noch Bestand bzw. bildet die Grundlage für neue Erkenntnisse. So gewinnen konstruktivistische Lerntheorien, besonders die von Reich, Fthenakis et. al beschriebenen interaktionistischen Ansätze, die eng mit einem Bezug zu sozialen Netzen und kulturellen Gegebenheiten verknüpft werden, in der heutigen Gesellschaft und damit auch in der Bildungslandschaft immer mehr an Bedeutung und Beachtung.
Reich bezeichnet interaktionistische und sozial orientierte Ansätze konstruktivistischer Lerntheorien als einen „Versuch, die Pädagogik neu zu erfinden“ (Reich 1999, S. 75). Seiner veränderten Lerntheorie legt er zwar die reformpädagogischen Ansätze von Piaget, Wygotzki u.a. zu Grunde. Seine Sicht unterscheidet sich jedoch darin, dass er der Vielfalt von Verständigungsgemeinschaften Rechnung trägt und davon ausgeht, dass wir selbst Teile solch unterschiedlicher Verständigungsgemeinschaften sind. Lernen geschieht während der Ronstruktion, Konstruktion und Dekonstruktion der Welt und damit auch innerhalb vielfältiger und widersprüchlicher Wahrheiten (ebd.). Das Kind kann also gesehen werden als Re-Konstrukteur (Entdecker), als Konstrukteur (also Gestalter und Erfinder) sowie als De-Konstrukteur (kritischer Beobachter) seiner Welt. Lernen geschieht jedoch auch immer in kulturellen Kontexten und in Beziehungen (Neubert / Reich / Voß o.J., S. 4f.). Diesen zutiefst systemischen Ansatz, in dem das Kind von Beginn an in sozialen Beziehungen eingebettet gesehen wird und Lernen als ko-konstruktiver und interaktiver Prozess aufgefasst wird, vertreten auch Fthenakis et. al 2007 (S. 34).
Bereits Erikson, der Freuds psychoanalytische Theorie weiterentwickelte, und Bandura mit seinem Ansatz des Beobachtungslernens waren in ihren Auffassungen von Lern- und Entwicklungsprozessen nicht so weit von der Annahme entfernt, dass Kinder bereits im frühen Stadium beginnen, ihre Welt zu entdecken, zu konstruieren und Schlüsse zu ziehen. Erikson schreibt z.B. dem Säugling die Fähigkeit zu, seine Nahrungsaufnahme und die Mutter idealerweise als eine verlässliche vertraute Person zu erleben, die dies ermöglicht. Damit könne er, der Säugling, erfahren, dass sein Unbehagen sich in Wohlbehagen verwandeln kann und so Vertrauen in sich selbst und die Welt entwickeln. In der nächsten Phase geht es nach Erikson um Autonomie versus Scham und Zweifel. Das Kind kann erleben, dass es seinen Körper nach und nach selbst beherrscht, also selbst bestimmt, wann es festhält oder loslässt. Erikson bezieht das nicht nur auf die Verdauungsprozesse. Er setzt Initiative gegen Schuldgefühl und meint damit die Phase der freien Fortbewegung, des Ausprobierens, der Genialität und des „Sich-an-etwas-Heranmachens“ (Erikson und Bandura nach Baumgart 2007, S. 87 - 94). Spätestens an dieser Stelle werden konstruktivistische Ansätze deutlich. An dieser Stelle soll auch auf das Modelllernen nach Bandura eingegangen werden. Menschen würden durch das Beobachten von Modellen im Sinne von Vorbildern komplexe Verhaltensweisen erlernen. Jedoch könnten Beobachtungsobjekte auch Texte, Programme, Ideen u.a. sein (Scheele 2013). Die informelle Beobachtung würde zeigen, dass menschliches Verhalten hauptsächlich im sozialen Miteinander mit anderen erworben wird. Allein die Entwicklung der Sprache sei undenkbar ohne sprachliche Vorbilder (Bandura 1976 nach Baumgart 2007). Wenn auch Banduras Theorie meist im Zusammenhang mit behavioristischen Ansätzen genannt wird, geht es beim Modelllernen nicht nur um reines Nachahmen. Das würde jegliche Weiterentwicklung außer Acht lassen und die Menschheit würde vermutlich noch wie in der Steinzeit leben. Beim Beobachten werden viele kognitive Prozesse in Gang gesetzt: sehen, begreifen bzw. erkennen, konstruieren - also etwas mit eigenen und anderen Erfahrungen in Beziehung setzen und Neues entstehen lassen. Die Fähigkeit zur Beobachtung kann so als eine Grundlage für Lernprozesse gesehen werden. Auch Piagets Stufenmodell ist noch heute für den Elementarbereich von Bedeutung, wenn neuere Untersuchungen auch gezeigt haben, dass die Entwicklung von Kindern nicht linear, sondern mehrdimensional und komplex verläuft. So sind im ersten und zweiten Lebensjahr die Bewegung, Körpererfahrungen und das sensomotorische Spiel ausschlaggebend für die sensorische Integration und damit für die Entwicklung des Denkens. Denken entsteht aus dem Tun (Kasten 2013, S. 45). Kleine Kinder denken, in dem sie handeln (Laewen / Andres 2002, S. 47). Fthenakis sieht die Lernprozesse des Kindes untrennbar mit seiner sozialen Lebenswelt verbunden. Somit sind diese Prozesse auch beeinflussbar. Lernprozesse sollten deshalb nach seiner Ansicht nicht einfach dem Zufall überlassen bleiben, sondern unter Berücksichtigung dessen, dass ein Kind selbst Akteur seiner Entwicklung ist, in interaktiven Prozessen unterstützt und gefördert werden (Fthenakis 2007, S. 34). Dies ist im Hinblick auf das Lernen und auf Entwicklungsprozesse im Elementarbereich umso wichtiger, als man davon ausgehen muss, dass nicht jedes Kind in eine empathische und förderliche soziale Umwelt hineingeboren wird.
4.2 Chancen und Risiken für Lernprozesse in altersgemischten Strukturen
Sind altersheterogene Gruppen unter lerntheoretischen Betrachtungsweisen von Vorteil oder eher von Nachteil für Lern- und Entwicklungsprozesse? An welchen Schnittpunkten lernen jüngere und ältere Kinder gemeinsam oder voneinander und wo braucht es Differenzierung? Welche Anforderungen an Fachpersonal und Rahmenbedingungen sollten gestellt werden? Möglichkeiten für das Lernen in altersgemischten Strukturen sollen unter dem Aspekt des Kompetenzerwerbs auf drei Ebenen erörtert werden. Allein die Situation der Eingewöhnung soll extra beleuchtet werden.
4.2.1 Lernerfahrungen während der Eingewöhnung
Was bedeutet es für Kinder, wenn sie mit ein oder zwei Jahren in eine bestehende altersgemischte Gruppe aufgenommen werden? Und was für die Drei-, Fünf- oder Sechsjährigen, die schon seit unterschiedlich langer Zeit zu dieser Gruppe gehören?
Man kann davon ausgehen, dass Kinder in ihrem ersten Lebensjahr schon vielfältige Entwicklungsaufgaben bewältigt haben und dass dies idealerweise in Interaktion mit feinfühligen erwachsenen Bezugspersonen und auch z.T. mit älteren Geschwistern geschah. Im günstigsten Fall hat das Kind gelernt, dass es sich auf die Mitglieder seiner sozialen Lebensumwelt verlassen kann und hat somit eine Permanenz erlebt, die es ihm ermöglicht, Vertrauen in die Welt zu generieren. Es konnte vielleicht im Hinblick auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse seine Selbstwirksamkeit erfahren. So hat es gute Voraussetzungen erworben, erste Übergänge zu bewältigen, also die zeitweise Trennung von Mutter, Vater oder Geschwisterkind zu überwinden und sich nach und nach neugierig auf Neues einlassen zu können. Kinder kommen also nicht als „unbeschriebene Blätter“ in eine Kindereinrichtung, sondern sie bringen schon ein reichhaltiges Erfahrungsrepertoire mit.
Die Eingewöhnung in altersgemischten Gruppen gestaltet sich erfahrungsgemäß leichter als in einer reinen Gruppe ein- bis zweijähriger Kinder. Warum ist das so? Hier gibt es bereits Kinder, die eine Bindung zu den Erzieher/innen und zu anderen Kindern aufgebaut haben und damit Sicherheit ausstrahlen. Die Kleinen beobachten das und können daraus konstruieren, dass hier ein sicherer und interessanter Ort sein muss. Erklärbar wird diese Erfahrung u.a. auch durch die Ergebnisse der Hirnforschung. Kinder kommen mit einer Grundausstattung an Spiegelneuronen auf die Welt. Das ist ein wichtiger Aspekt, wenn es um soziale Kontaktaufnahme geht. Sie sind sowohl in der Lage, Mimik, Gestik und Verhalten zu beobachten, als auch zu imitieren. In einer Umgebung, die vielseitige soziale Kontakte bietet, werden auf diese Weise zahlreiche Interaktionen ermöglicht (Kasten 2013, S. 32). Werden die Kleinen also in eine bestehende altersheterogene Gruppe aufgenommen, sind sie nicht nur auf die Interaktion mit einer erwachsenen Person angewiesen. Sie erleben andere, meist ältere Kinder, die ihnen freundlich entgegentreten. Das macht es ihnen leichter, Vertrauen in die neue Umgebung zu fassen. Somit ergeben sich für alle Kinder der Gruppe, also auch für die älteren nicht nur zahlreiche Möglichkeiten, soziale Kompetenzen, wie Empathie, Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit usw. zu erwerben, sondern auch Bausteine für ihr Selbstkonzept. In einer reinen Krippengruppe ist das schwieriger, denn hier beobachten die Kinder, dass auch die anderen noch Ängste und Trennungsschmerz zum Ausdruck bringen. Aus lerntheoretischer Sicht beobachten und konstruieren sie also eher eine Welt, die gefährlich wirkt und reagieren mit Abwehr oder Rückzug. Das wirkt sich nicht nur erschwerend auf die Zeit der Eingewöhnung aus, auch die Möglichkeiten des sozialen Lernens sind eher eingeschränkt. Wenn die Eingewöhnung gut bewältigt werden konnte, machen viele Kinder erfahrungsgemäß große Lernfortschritte durch die Herausforderungen der neuen Umgebung und die Interaktion mit älteren Kindern. Sie kommen dann im weitesten Sinne mit einer Vielfalt von Verständigungsgemeinschaften, wie in Abschnitt 4.1 beschrieben, in Berührung, die sie entdecken, die sie selbst durch eigenes Verhalten mitgestalten oder einfach nur beobachten können. Diese Beobachtungen erlauben dem Kind mehr und mehr, Bedeutungen zu erkennen. Voraussetzung für gelingende Lernprozesse ist, dass das Kind sich in seiner sozialen Welt geborgen und verstanden fühlt. In einer gut funktionierenden Altersmischung fühlen sich die älteren Kinder für das Wohlergehen der Kleinen mit verantwortlich und übernehmen häufig die Rolle der Beschützerin oder des Beschützers. Indem sie die Jüngeren unterstützen und z.T. Verantwortung übernehmen, erleben sie wiederum ihre eigene Selbstwirksamkeit.
Man kann schlussfolgern, dass eine gelungene Eingewöhnung den Kindern aller Altersgruppen den Erwerb von Kompetenzen auf allen vier Ebenen ermöglicht. Sowohl die jüngeren als auch die älteren Kinder machen die Erfahrung, dass und auf welche Weise eine schwierige Zeit gemeistert werden kann – ein wichtiger Baustein für die Ausbildung von Resilienz.
4.2.2 Die Ausbildung personaler Kompetenzen
Selbstwertgefühl, Selbstkonzept, Vertrauen in sich selbst und die Welt sind ebenfalls Grundlagen für die Ausbildung von Resilienz. Damit soll hier die Fähigkeit, Krisen und Veränderungen zu meistern und gesund zu überstehen auch in die Ebene personaler Kompetenzen eingereiht werden. Welche Erfahrungen, welches Umfeld brauchen Kinder, um diese wichtigen Voraussetzungen für die Bewältigung ihres Lebens auszubilden und welche Chancen oder Risiken bergen in diesem Kontext altersheterogene Strukturen?
Welche förderlichen Erfahrungen hinsichtlich der Generierung von Selbst- und Weltvertrauen besonders die Ein- bis Zweijährigen in altersgemischten Strukturen machen können, ist schon im vorangegangenen Abschnitt beschrieben worden. Worin sind für die älteren Kinder Chancen in altersheterogenen Strukturen zu sehen? Die älteren Kinder, bereits schon die Dreijährigen können sich selbst in einer Rolle erleben, in der sie eigenes Wissen, eigene Erfahrungen und Kompetenzen im ganz normalen Kita-Alltag nutzen und weitergeben können. Sie erleben auf diese Weise ihre eigene Wirksamkeit, was sich positiv auf die weitere Herausbildung ihres Selbstwertgefühls auswirkt. Man kann dies auch immer wieder an besonders zurückhaltenden Kindern beobachten. Im Umgang mit Jüngeren gewinnen sie plötzlich Sicherheit und gehen aus sich heraus. Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl kann sich auf vielfältige Weise entfalten und muss nicht nur im Umgang mit gleichaltrigen Kindern entstehen. Die Kritik, dass diese Kinder sich dann nur auf den Umgang mit den Jüngeren zurückziehen, kann folgendermaßen beantwortet werden: Kinder sind zurückhaltend oder schüchtern, weil sie, aus welchen Gründen auch immer, wenig Erfahrungen mit ihrer Selbstwirksamkeit machen konnten. Es hilft ihnen nicht, wenn sie ihre „Schwäche“ im Umgang mit Gleichaltrigen immer wieder neu erleben. Altersheterogene Gruppen bieten eine Vielzahl von Interaktionsmöglichkeiten an. Erfahrungsgemäß finden zurückhaltende Kinder, die ihre Sicherheit erproben konnten, mit guter pädagogischer Unterstützung dann auch besseren Zugang zu Gleichaltrigen. Warum ist das so? Während des Umgangs mit jüngeren Kindern erfahren sie viel über sich selbst und über ihre Fähigkeiten. Sie konstruieren also ein Bild von sich, in dem sie ihre Wirksamkeit und ihre Stärke erleben. Aber nicht nur schüchterne Kinder können auf diese Weise im Umgang mit jüngeren profitieren, sondern auch die weniger zurückhaltenden. Die Ausprägung personaler Kompetenzen kann als Grundlage für die Entwicklung sozialer und kognitiver Kompetenzen angesehen werden. Deshalb können für die Förderung personaler Kompetenzen getrost alle Möglichkeiten genutzt werden. Auch Erwachsene suchen sich günstigenfalls einen Wirkungskreis, der ihrem entspricht und in dem sie sich eher als kompetent erleben. Um Herausforderungen annehmen zu können, braucht es Sicherheit, Vertrauen und ein ausgeprägtes Selbstkonzept. In den folgenden Abschnitten wird hinsichtlich der Möglichkeiten in altersgemischten Strukturen auch auf die Geschwisterforschung eingegangen.
4.2.3 Die Ausbildung sozialer Kompetenzen
Die meisten Kritiker altersheterogener Strukturen sind sich darüber einig, dass diese Gruppenkonstellation, einige Vorteile hinsichtlich der Ausprägung sozialer Kompetenzen mit sich bringt. Als ein Nachteil wird dennoch gesehen, dass Kinder möglicherweise zu wenig Gelegenheit hätten, in Kontakt mit Gleichaltrigen zu treten. Das letztere macht deutlich, dass möglicherweise wenig Kenntnis darüber besteht, wie altersgemischte Gruppen strukturiert sein sollten und es in diesem Kontext auch ungünstige Gruppenkonstellationen geben kann.
Die Ausbildung sozialer Kompetenzen kann kaum getrennt vom Erwerb personaler Kompetenzen betrachtet werden. Je mehr Vertrauen ein Kind in sich selbst und seine Umgebung setzt, desto eher ist es bereit, in Kontakt und Interaktion mit anderen zu treten. Besonders die sozial orientierten und interaktionistischen Theorien, aber auch die Diversity-Forschung, liefern Erklärungen dafür, weshalb die Chancen und Möglichkeiten zur Ausprägung sozialer Kompetenzen in altersheterogenen Strukturen - in heterogenen Strukturen überhaupt - größer sind, als in homogenen Gruppenkonstellationen. Ist es nicht ein Vorteil mit Blick auf eine Welt von kultureller Vielfalt, Differenz und Veränderung, wenn ein Kind bereits mit einer Vielzahl von „Verständigungsgemeinschaften“ (Reich 1999, S. 77) in Berührung kommen konnte? Es hätte die Möglichkeit, vielfältige Spiel- und Freundschaftserfahrungen zu machen und in Interaktion mit gleichaltrigen, jüngeren oder älteren Kindern zu treten. Dadurch würde es viele unterschiedliche Erfahrungen machen können (Nied / Niesel et. al 2011, S. 12). Nied und Niesel führen aus und berufen sich damit auf Viernickel (2010), dass jüngere Kinder ein großes Interesse am gemeinsamen Spiel mit älteren hätten und dafür große Anstrengungen unternähmen. So würden sie auf vielfältige Weise in ihren sozialen und kognitiven Kompetenzen herausgefordert und angeregt. Kinder würden ihre Wirklichkeit innerhalb sozialer Beziehungen mittels Vergleichen, Kontroversen und Aushandlungen mit anderen, sozusagen in Ko-Konstruktion, konstruieren. Dabei würde das Zusammensein und die Interaktion mit Gleichaltrigen eine wesentliche Rolle spielen. Durch die höhere „Altersbandbreite“ einer Gruppe könnten Kinder jedoch besonders von den Unterschiedlichkeiten des Wissens, Könnens und der Erfahrungen der anderen profitieren (Nied / Niesel et. al 2011, S. 12f.). Es ist also wichtig, dass Kinder sowohl Erfahrungen mit Gleichaltrigen als auch mit unterschiedlichen Altersgruppen machen können. Ein Nachteil, der auch häufig benannt wird, ist das Nachahmungsverhalten der Älteren, wenn die „Kleinen“ in die Gruppe kommen. Die Befürchtung, dass die älteren Kinder sich durch dieses Imitationsverhalten zurückentwickeln und Verhaltensweisen der jüngeren dauerhaft übernehmen würden, räumt Lamm aus. Sie verweist auf empirische Ergebnisse, die aus psychoanalytischer Sicht darauf hinweisen, dass sich das ältere Kind durch diese Imitationen besser in ein kleineres Kind oder einen Säugling einfühlen kann – eine Fähigkeit, die es später benötigt, selbst als Mutter oder Vater einfühlsam mit den eigenen Kindern umgehen zu können (Lamm 2011, S. 276). Aber auch im Hinblick darauf, dass Empathie eine wichtige soziale Kompetenz im Umgang mit anderen ist, ist dieser Aspekt eher als Lernchance zu begreifen und weniger als Risiko. Zudem weiß man aus der Bindungsforschung und der Neurobiologie, wie wichtig es für Säuglinge und Kleinstkinder – für Menschen überhaupt – ist, dass ihr Ausdruck, ihr Verhalten gespiegelt wird und auf positive Resonanz stößt (Bauer 2006, S. 8).
Kasten beruft sich hinsichtlich der Ausprägung von Beziehungsfähigkeit auf zahlreiche Untersuchungen hinsichtlich der Lernmöglichkeiten durch Geschwisterbeziehungen und stellt gleichzeitig fest, dass Familien mit mehreren Kindern in Deutschland immer weniger anzutreffen sind (Kasten 2001, S. 1). Damit sinkt diesbezüglich die Bedeutung des Lernens innerhalb von Geschwisterbeziehungen. Das Aufwachsen in altersgemischten Strukturen kann diesen Umstand zumindest teilweise ausgleichen. Wenn Kasten auch insgesamt positive und förderliche Komponenten in der Interaktion von Geschwistern ausmacht, verweist er auch auf Risiken der Geschwisterbeziehungen, wie z.B. Rivalität. Ob diese negative Komponente sich dann letztlich auch nachhaltig negativ auswirkt, würde sehr davon abhängen, wie Eltern mit dieser Tatsache umgingen (ebd., S. 9ff.). In altersgemischten Gruppen spielt dieser Aspekt keine so deutliche Rolle. Rivalität ist auszumachen, wenn zwei- bis dreijährige Kinder, die selbst vor einiger Zeit vermehrte Aufmerksamkeit während der Eingewöhnungsphase erhielten, mit „Neuankömmlingen“ konfrontiert werden, denen nun mehr Aufmerksamkeit zuteil wird. Sie suchen dann meist intensiver den Kontakt zur Erzieherin und drängen auch schon mal ein „neues“ Kind beiseite. Es liegt dann an den Fähigkeiten der begleitenden Person, mit wie viel Verständnis sie mit dieser Situation umgeht. Wenn man die Chancen, die das Aufwachsen mit mehreren Geschwistern für das einzelne Kind mit sich bringt, mit den Lernmöglichkeiten in altersheterogenen Gruppen in Beziehung setzt, kann man die Vorteile dieser Gruppenstrukturen verdeutlichen.
4.2.4 Die Ausprägung kognitiver Kompetenzen
Die Sorge, dass den Entwicklungsphasen, Bedürfnissen und Interessen von Kindern unterschiedlichen Alters nicht differenziert Rechnung getragen werden kann und damit Chancen für eine optimale Ausprägung kognitiver Kompetenzen verspielt würden, ist in Argumentationen gegen altersheterogene Strukturen am deutlichsten zu spüren. In Kapitel 5 soll auf diese ernst zu nehmende Sorge noch näher eingegangen werden. In diesem Kontext muss auf das Zusammenwirken der Kompetenzebenen hingewiesen werden und darauf, dass sie sich gegenseitig bedingen. Fühlt ein Kind sich gut aufgenommen, verstanden und geborgen, konnte es also förderliche Erfahrungen beim Erwerb personaler und sozialer Kompetenzen machen, beginnt es, sich seine Welt konstruktiv und in Interaktion mit anderen zu erschließen. Eine Möglichkeit dazu bietet sich in seiner Beobachtungsfähigkeit.
Kinder beginnen bereits im frühen Alter, Verhalten und Tätigkeiten anderer Sozialpartner zu beobachten und nachzuahmen, Rollen zu übernehmen und sich damit im Spiel auseinander zu setzen. Sie sind nach und nach in der Lage, z.B. nach Mustern oder Bauplänen zu konstruieren, Spiele nach Regeln zu spielen u.a.m. Bandura führt in diesem Zusammenhang auch die Begriffe Nachahmung, Modellierung, Identifikation oder soziale Bahnung an (Bandura 2007, S. 155). Für diese Art des Lernens werden bestimmte Voraussetzungen benötigt, wie die Fähigkeit aufmerksam zu beobachten, Beobachtetes im Gedächtnis zu behalten, es auszuführen und variieren zu können. Das ist eine große kognitive Leistung und altersgemischte Gruppen bieten hier besonders viel natürlichen Übungsraum.
Die Interaktion zwischen Kindern unterschiedlichen Alters wirkt sich erfahrungsgemäß positiv auf ihre kognitiven, sozialen und personalen, aber auch auf motorische Kompetenzen und auf Lernprozesse überhaupt aus. Lamm bestätigt diese Erfahrungen im Hinblick auf die Bedeutung von Geschwisterbeziehungen. Sie nimmt auch Bezug auf die Praxis der Betreuung und das gemeinsame Aufwachsen von kleinen Kindern in altersgemischten Gruppen in afrikanischen und ozeanischen kulturellen Gemeinschaften. Ältere Kinder entwickeln, wie auch Erwachsene ein Fürsorgeverhalten, das ihnen erste Erfahrungen von Verantwortung für Schwächere vermittelt (Lamm 2011, S. 271). Geschwisterkinder würden sowohl die Sprachentwicklung und damit die kognitive Entwicklung, als auch die sozioemotionale Entwicklung fördern. Ältere Kinder würden für die jüngeren sowohl als Modell, als auch in der Rolle des Instrukteurs fungieren (ebd., S. 274ff.). Altersferne Spielpartner wären für Kleinstkinder „Zukunftsmodelle“ und würden eine frühzeitige Anregung individueller Stärken ermöglichen (Nied / Niesel et. al, S 13). Die positive Wirkung von altersheterogenen Gruppenstrukturen auf Lern- und Entwicklungsprozesse der jüngeren Kinder lässt sich sowohl neurobiologisch als auch lerntheoretisch belegen. Die Kinder haben viele soziale Modelle zur Verfügung und sind damit nicht allein auf Anregungen durch die Erwachsenen und in der Regel entwicklungsähnliche Kinder angewiesen. Sie kommen auf natürliche Weise mit Inhalten, Themen und Materialien in Berührung, die schon frühzeitige Sinnbildungen ermöglichen und Vorläuferfähigkeiten oder Bahnungen anregen, z.B. Symbole, Regeln, Musik oder bildnerische Aktivitäten. Durch ihre Neugier bestimmen sie selbst ihr Tun und Lernen. Durch Beobachtung und Ausprobieren können sich stabile neuronale Netzwerke bilden. Leider sind in der neueren Literatur kaum Untersuchungen zu den Chancen für optimale Lern- und Entwicklungsprozesse der älteren Kinder in altersgemischten Strukturen zu finden. In der sog. Frankfurter Studie sind sogar eher Nachteile für die älteren Kinder beobachtet worden. Dazu hätten Riemann und Wüstenberg 2004 angemerkt, dass diese Nachteile weniger durch die Altersheterogenität als mehr durch die pädagogische Praxis hervorgebracht worden seien (ebd.). Deshalb kann an dieser Stelle nur die Hypothese aufgestellt werden, dass altersheterogene Strukturen auch für die älteren Kinder hinsichtlich der Ausprägung ihrer kognitiven Kompetenzen von Vorteil sein können. Es wird davon ausgegangen, dass jüngere Kinder älteren keine kognitiven Anregungen bieten können. Das mag so stimmen. Ein Aspekt des Lernens wird jedoch bei dieser Annahme außer Acht gelassen. Durch die Hirnforschung ist uns bekannt, dass Wiederholungen zur Ausprägung stabiler neuronaler Netzwerke führen und dass an diese Netzwerke neue Erfahrungen andocken können. So könnte man davon ausgehen, dass ältere Kinder, wenn sie mit jüngeren interagieren, ihr eigenes Wissen, ihre eigenen Fähigkeiten wieder aktivieren, sich über eigene Lernfortschritte bewusst werden. Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Ein fünf- oder sechsjähriges Kind, welches dabei ist, wenn ein zwei- oder dreijähriges Bausteine aufeinanderstapelt, Würfel in einander steckt, Sand in Gefäße füllt o. ä., erinnert sich an eigene frühere Lernerfahrungen. Es verfügt inzwischen über andere Möglichkeiten zu verstehen, warum ein großer Würfel nicht in einen kleinen passt, warum ein Turm umstürzt oder der Sand daneben läuft und kann dies jetzt erklären. Das Kind hat damit etwas auf einem höheren Niveau verstanden und kann nun sprachlich ausdrücken, was es zwar früher schon bemerkt hat, jedoch nicht erklären konnte. Es ist also hinter eine Sache gekommen. Dies aufzugreifen und dem Kind als Lernprozess zu verdeutlichen, ist Aufgabe der Pädagogik. Ein weiterer förderlicher Aspekt könnte in der Notwendigkeit der Kommunikation mit mehreren Altersgruppen gesehen werden. Es erfordert von älteren Kindern ziemliche kognitive Leistungen, jüngeren etwas plausibel zu machen. Sie müssen sich gedanklich mit dem Thema beschäftigen und etwas in eigene Worte fassen. Interessant ist dabei der Aspekt, dass ältere Kinder sich in die Probleme jüngerer gut hineindenken können, diese sogar noch ernster als ein Erwachsener nehmen (ebd., S. 13).
Damit Kinder aller Altersgruppen von altersheterogenen Strukturen profitieren können, braucht es entsprechende räumliche, strukturelle und personelle Rahmenbedingungen.
5. Rahmenbedingungen für gelingende Lernprozesse in altersgemischten Gruppenstrukturen
5.1 Statistische Daten
Das statistische Bundesamt gibt an, dass 2018 bundesweit 33,1 % der Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren in Kindertagesstätten betreut werden (Statistisches Bundesamt 2018a, S. 7). Mit durchschnittlich 2,2 % ist die Altersgruppe von 0 bis 1 Jahr, mit ca. 36,6 % die Altersgruppe von 1 bis 2 Jahren und mit über 61,9 % die Altersgruppe der 2 bis 3-jährigen Kinder bundesweit vertreten. In den neuen Bundesländern ist die Gruppe der 1 bis 2-Jährigen, die in Kindertagesstätten betreut werden, mit ca. 66 % und der 2 -3-jährigen Kinder mit 85 % angegeben (ebd., S. 12). Der Anteil, der in Tageseinrichtungen betreuten Kinder von 3 bis 6 Jahren beträgt bundesweit 93 % (Statistisches Bundesamt 2018b). Ein beträchtlicher Anteil der Kinder von 1 bis 6 Jahren wird also auch außerhalb der Familie in Kindertagesstätten betreut. Grund genug, den Rahmenbedingungen für Bildung und Betreuung in Kindertagesstätten eine große Bedeutung beizumessen. Denn, ob Lern- und Entwicklungsprozesse für das einzelne Kind gelingen, hängt sehr davon ab, welche Voraussetzungen in Form von Rahmenbedingungen und Qualität in den Einrichtungen vorliegen (Kiper 2012, S. 13). Dies trifft natürlich auch für die Arbeit mit altersheterogenen Gruppen zu.
5.2 Anforderungen an das pädagogische Personal
Die Auseinandersetzung mit lerntheoretischen Betrachtungsweisen hat gezeigt, dass Kinder in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens ganz bestimmte Entwicklungsaufgaben bewältigen. Besonders in den ersten Jahren werden wichtige Grundlagen ausgebildet, die den Kindern einen umfangreichen Kompetenzerwerb ermöglichen. Dazu gehört die Wahrnehmungsfähigkeit als Grundlage für die sensorische Integration, die ja erst eine adäquate Reaktion und Handlungskompetenz ermöglicht. Ebenso gehört dazu die Ausbildung motorischer Fähigkeiten, die dem Kind nicht nur differenzierte Bewegungen erlauben, sondern ihm ermöglichen, seinen Erfahrungshorizont zu erweitern und Schwierigkeiten zu überwinden. Bewegung kann so als Motor der Entwicklung bezeichnet werden (Zimmer 2011, S. 1116). Bewegung und Wahrnehmung bedingen sich gegenseitig. Durch seinen angeborenen Bewegungsdrang fördert das Kind seine Wahrnehmungsprozesse und damit seine Handlungsmöglichkeiten. Zu den Entwicklungsaufgaben gehören auch die Ausbildung der Sprache und des Denkens und damit des Erfassens von Zusammenhängen als Voraussetzungen für Kommunikation und Selbstwirksamkeit.
Das Wissen darum, wie Kinder lernen, auf welcher Basis sich Lernprozesse in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen eines Kindes abspielen und welche Voraussetzungen es dafür braucht, ist eine der wichtigsten Grundlagen für Pädagog/innen, diese Prozesse differenziert begleiten und unterstützen zu können. „Falsches oder fehlendes Verständnis von Lernprozessen in frühen Lebensphasen kann zu Versäumnissen führen, die später kaum durch Bildungssysteme wettgemacht werden können […]“ (Singer 2001 zit. nach Laewen / Andres 2002, S. 38). Das bedeutet, altersheterogene Strukturen stellen - ebenso wie die Arbeit in heterogenen Strukturen überhaupt - besonders hohe Ansprüche an das Wissen und die Fähigkeiten der dort tätigen Pädagog/innen. Unter Berücksichtigung der in Kapitel 4 dargestellten Lern- und Entwicklungstheorien müssen sie u.a. in der Lage sein:
- das Kind in seiner jeweiligen Entwicklungsstufe als aktiven Lerner zu begreifen;
- Bedingungen zu schaffen, die den Kindern altersgemäße Erfahrungen ermöglichen;
- vielfältige Interaktionsmöglichkeiten der gleichaltrigen und unterschiedlich alten Kinder zu ermöglichen, zu unterstützen bzw. bewusst zu fördern;
- zu wissen, welche Angebote und Projekte eher altersübergreifend oder eher in altersähnlichen Gruppen durchgeführt werden sollten. Wie schon in Kapitel 4.2 beschrieben, ist es sinnvoll, bestimmte Angebote wie z.B. Verkehrserziehung, Vorlesen, Wettspiele u. ä. in eher altersähnlichen Gruppen anzubieten, da sonst das Risiko der Unter- oder Überforderung besteht.
Das bedeutet, sie müssen in der Lage sein, Entwicklungsprozesse und Kompetenzerwerb differenziert zu begleiten, zu unterstützen und zu fördern. Eine weitere Voraussetzung gerade in altersgemischten Strukturen ist die Fähigkeit der pädagogischen Fachkräfte zur Teamarbeit und zur Reflexion im Team. Denn Altersmischung kann Chancen auf vielfältige und nachhaltige Lernprozesse am besten in einer gut strukturierten offenen oder teiloffenen Arbeit entfalten. Andernfalls könnten Nachteile, wie sie in Untersuchungen und in der Praxis benannt werden, für die älteren Kinder entstehen, in dem sie möglicherweise nicht auf eine breite Auswahl an gleichaltrigen Spielkameraden treffen, was eine entsprechende Interaktion eher eingeschränken würde. Auch die Jüngeren hätten nicht die Möglichkeit, noch andere Bereiche und Kinder kennenzulernen.
Offene oder teiloffene Konzepte, wie in Kapitel 2.3 dargestellt, bieten gute Möglichkeiten für Kinder und Fachkräfte, Räume zu strukturieren, unterschiedliche und vielfältige Bedürfnisse, Interessen und Interaktionen zuzulassen und zu unterstützen.
5.3 Räume und Gruppenstrukturen
Die Bertelsmann-Stiftung empfiehlt für 15 Kinder einen Gruppenraum sowie einen Nebenraum von insgesamt 74 qm, zuzüglich Schlafraum und weitere Spielflächen für unter Dreijährige (Bertelsmann Stiftung 2010, S. 4). Leider gibt es kaum Empfehlungen zu Gruppenstrukturen und Räumen hinsichtlich altersgemischter Konzepte. Deshalb kann an dieser Stelle nur von eigenen Erfahrungen ausgegangen werden. Beide Beispiele in Kapitel 2.3 zeigen eine gewisse Struktur, in welcher sich der Tagesablauf der Kinder ihrem Alter entsprechend sowohl abwechslungsreich als auch inhaltsreich gestalten kann. Aus lerntheoretischer Sicht bietet die Raum- und Gruppengestaltung den Kindern in diesen Einrichtungen viele Gelegenheiten für Lernprozesse auf unterschiedlichen Ebenen. So können z.B. die Jüngsten durch vielfältige Bewegungsmöglichkeiten innerhalb der Räume, wie beispielsweise auf Hochebenen, Treppen, Matten u.a., im ganzen Tagesablauf ihre motorischen Fähigkeiten entwickeln. Zusätzlich stehen dafür ein großer Garten sowie ein Bewegungsraum zur Verfügung. Herausfordernde Bewegungsmöglichkeiten für die Älteren, wie z.B. Klettern, Hangeln, Hindernisse bewältigen usw., sind im Bewegungsraum und im Garten gegeben. Dabei wird das Gefühl für den eigenen Körper, die eigene Kraft und die Wahrnehmungsfähigkeit insgesamt angeregt. In den altersheterogenen Bereichen kommt es außerdem dazu, dass die jüngeren durch das Beobachten der älteren Kinder versuchen viele Bewegungsformen nachzuahmen und auf diese Weise Anregung finden. Wichtige Aspekte sind auch der Erwerb kognitiver Fähigkeiten und der Erwerb von Schlüsselkompetenzen in diesen Raum- und Gruppenkonstellationen. Die häufig angesprochene Sorge, dass die kognitiven Fähigkeiten der älteren Kinder nicht ausreichend gefördert würden, kann schon dadurch ausgeräumt werden, dass diese Entwicklung nicht erst im vierten oder fünften Lebensjahr einsetzt, sondern bereits von Beginn an. Die Erkenntnisse der Hirnforschung beweisen, dass es bei der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten darauf ankommt, welche Erfahrungen wir in unserer frühen Kindheit machen konnten. So sind sich Neurologen und Pädagogen sicher:
„Je komplexer und reichhaltiger unsere frühen Welt-Erfahrungen, desto größer unsere Bereitschaft, auch als Heranwachsende und Erwachsene nach komplexen, differenzierten Herausforderungen Ausschau zu halten und uns nicht mit simplen Einsichten zufrieden zu geben“ (Laewen / Andres 2002, S. 21).
Kinder finden in heterogenen Gruppenkonstellationen von Anfang an viele Anregungen durch Materialien und Interaktionsmöglichkeiten mit Kindern verschiedenen Alters, die es ihnen erlauben, sich ein Bild von der Welt zu machen und zu lernen. Dieser Prozess bleibt nicht stecken, nur weil Kinder älter werden. Im Gegenteil, sie haben beste Voraussetzungen für die Fortsetzung des Lernens. Natürlich brauchen ältere Kinder andere Herausforderungen als jüngere, wie z.B. Projektarbeit als Forschungsauftrag, Teilhabe an Entscheidungen und Aufgaben innerhalb der Gruppe oder des Bereiches, wie z.B.der Patenschaft für ein jüngeres Kind. Sie können dadurch ihren „Vorsprung“ bewusst erleben. Auch für die Ausbildung der sprachlichen und kommunikativen Kompetenzen können altersheterogene Gruppenstrukturen von Vorteil sein. Allein durch die unterschiedlichen Interaktionsprozesse sind kommunikative Fähigkeiten notwendig. Die „Kleinen“ haben nicht nur die pädagogische Fachkraft sondern auch andere Kinder als Sprachvorbild. Die älteren Kinder üben sich nicht nur in der Kommunikation mit Gleichaltrigen, sondern erklären sich und die Welt auch Jüngeren. Damit festigen sie ihr eigenes Wissen und Können.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in offenen oder teiloffenen Bereichen, die den Kindern unterschiedlichen Alters sowohl ausreichend Kontakte mit gleichaltrigen als auch mit älteren oder jüngeren Kindern ermöglichen, in denen gewährleistet ist, dass Räume alters- und themenspezifisch eingerichtet sind, in denen es Rückzugsmöglichkeiten gibt, gute Voraussetzungen für Lern- und Entwicklungsprozesse bestehen. Diese Bereiche sollten, ähnlich, wie die Beispiele in 2.3 es veranschaulichen, überschaubar und damit handhabbar für die Kinder sein.
6. Fazit
Es soll an dieser Stelle die Behauptung aufgestellt werden, dass Lernprozesse und Kompetenzerwerb in jeglicher Konstellation, ob in homogenen oder heterogenen Strukturen, nur dann optimal gelingen können, wenn diese durch motiviertes, engagiertes und kompetentes Fachpersonal begleitet und unterstützt werden und wenn entsprechende Rahmenbedingungen im Hinblick auf räumliche, materielle sowie personelle Ausstattung gegeben sind. Die Altersmischung hält, wenn diese Voraussetzungen bestehen, viele zusätzliche Chancen für den Erwerb von Kompetenzen bereit. Liegle, der die Frage stellt, ob Altersmischung ein innovatives Konzept oder eine Notlösung sei, stellt fest, der Mehrwert der Altersmischung würde mit der Qualität der Rahmenbedingungen stehen oder fallen (Liegle 2007, S. 3). Er spricht immerhin vom Mehrwert der Altersmischung und man muss sich mit Hinblick auf zukünftige Aufgaben in einer sich verändernden Welt fragen, ob nicht heterogene Strukturen mehr Kompetenzerwerb in vielerlei Hinsicht ermöglichen.
Die Altersmischung könnte mit Hinblick auf die in Kapitel 4 angeführten lern- und entwicklungstheoretischen Sichtweisen ein Königsweg sein, weil sie für Kinder viele zusätzliche Chancen für Lern- und Entwicklungsprozesse, aber auch für den Erwerb von Schlüsselkompetenzen bereithält. Voraussetzung dafür ist die Gewährleistung,
- dass Räume und Gruppenstrukturen die unterschiedlichen altersspezifischen Bedürfnisse und Interessen aller Kinder berücksichtigen,
- dass das pädagogische Team hinter dem Konzept steht und über ausreichende Kompetenzen verfügt, Lern- und Entwicklungsprozesse von ein- bis sechsjährigen Kindern differenziert begleiten und unterstützen zu können und
- dass im Team ein Bild und ein Fachwissen darüber präsent ist, was und wie Kinder wann lernen können und auf welche Weise sie Kompetenzen erwerben können, die sie für zukünftige Lebensabschnitte benötigen.
Es könnte sich also lohnen, dem Konzept 'Altersmischung' mehr Aufmerksamkeit zu widmen, vorhandene Untersuchungsergebnisse zu hinterfragen und Modelle altersheterogener Strukturen unter den beschriebenen Aspekten neu zu beleuchten. Stamm begründet z.B. die Schwierigkeit, objektive Untersuchungen zu verschiedenen Konzepten und deren Wirkung im pädagogischen Bereich damit, dass sie u.a. die Wirkungen der individuellen pädagogischen Fachperson für stärker hält, als die Wirkung eines bestimmten Curriculums. Damit ist wohl gemeint, dass die Umsetzung bestimmter Konzepte auch immer an Fachpersonen und an deren Haltung, Verständnis und Kompetenz gebunden ist (Stamm 2010, S. 110).
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