Zitiervorschlag

Aus: Martin R. Textor (Red.): Vernetzung von Kindertageseinrichtungen mit psychosozialen Diensten. Zwischenbericht. München: Staatsinstitut für Frühpädagogik 1999, S. 6-10

Mobile Dienstleistungen für Kindertageseinrichtungen - sieben Beispiele

 

Inhalt

  1. Aus der Praxis einer niedergelassenen Psychologin (Martha Girardet)
  2. Eltern-, Jugendlichen- und Erziehungsberatungsstelle des Caritasverbandes für den Landkreis Rhön-Grabfeld e.V. (Bernhard Roth)
  3. Mobiler Heilpädagogischer Dienst der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene Kitzingen (Gisela Freibott)
  4. Psychologischer Dienst für Kindertagesstätten (Wolf-Wedigo Wolfram)
  5. Der Heilpädagogische Dienst (Geschwister-Gummi-Stiftung)
  6. Der mobile Fachdienst der Caritas Frühförderstelle Dachau (Astrild Bierling)
  7. Der Pädagogisch-Psychologische Dienst (Toni Mayr)


1. Aus der Praxis einer niedergelassenen Psychologin

Martha Girardet

Ich habe in München Psychologie studiert und anschließend im Kinderzentrum von Professor Hellbrügge gearbeitet. Seit vier Jahren bin ich als "Verhaltenstherapeutin im Delegationsverfahren" in freier Praxis tätig. Das heißt: Die Behandlungen werden mit den Krankenkassen abgerechnet: Die ersten fünf Stunden der Behandlung sind sogenannte "probatorische Sitzungen". In diesem Behandlungsabschnitt wird die Diagnostik durchgeführt (Anamnese, Testverfahren, Elterngespräch, Behandlungsplan). Sollte eine Therapie notwendig sein und die Eltern eine Behandlung bei mir wünschen, wird bei der Kasse ein Antrag auf "Kurzzeittherapie" gestellt. Damit stehen 25 Behandlungsstunden und sechs Stunden für die Einbeziehung der Bezugspersonen zur Verfügung.

Zum Ablauf der Behandlung

Die Kinder werden mir meist vom Kinderarzt überwiesen. Es kommt auch vor, daß sich Erzieher/innen direkt an mich wenden, das Problem mit mir besprechen und den Müttern dann empfehlen, sich bei mir zu melden.

Der erste Kontakt ist meist telefonisch. Bei diesem Gespräch informiere ich mich über das Problem des Kindes, versuche, der Mutter die Angst vor dem Besuch beim Psychologen zu nehmen, und bespreche mit ihr, wie das Kind informiert werden soll.

Die Diagnostik besteht immer aus der Anamnese und der Durchführung eines Intelligenztests, bei dem die Mutter dabei bleibt. Dieser Test gibt mir Auskunft über die intellektuelle Kapazität eines Kindes. Ich kann u.U. Teilleistungsstörungen erkennen (und erweitert diagnostizieren) und das Arbeitsverhalten des Kindes beobachten. Aussagen über Ausdauer, Anstrengungsbereitschaft, Umgang mit Frustrationen, Konzentrationsfähigkeit und - da die Mutter dabei ist - über die Mutter-Kind-Interaktion sind möglich. Sollte es eine Indikation dafür geben, kann ich eine Mutter-Kind-Interaktionsbeobachtung anschließen, die ich auf Video aufnehme und zum Elterngespräch oder zur Arbeit mit der Mutter einsetzen kann. In einem abschließenden Gespräch mit beiden Elternteilen werden die Ergebnisse der Diagnostik besprochen und ein Behandlungsplan entworfen.

Sollte das Kind von mir behandelt werden, setze ich immer die Eltern als Mediatoren ein. Das heißt: Die Eltern lernen anhand von Videoaufzeichnungen des Problemverhaltens, wie sie bei ihrem Kind Belohnung und Bestrafung einsetzen können, effektiv Hilfestellung geben können u.v.a.m. Dies wird bei mir in der Praxis eingeübt und dann in fest umschriebenen Situationen zu Hause fortgeführt. Anhand eines Protokolls können die Schwierigkeiten bei der Durchführung besprochen, Anfangserfolge sichtbar gemacht werden. Die Generalisation auf andere Erziehungssituationen wird in Abhängigkeit von der Sicherheit der Eltern geplant und durchgeführt.

Sollte das häusliche Umfeld z.B. durch Eheschwierigkeiten der Eltern belastet sein, bin ich bei der Vermittlung von Therapeut/innen behilflich.

Kooperation mit dem Kindergarten

Meine Zusammenarbeit mit dem Kindergarten beginnt - eine Entbindung von der Schweigepflicht ist Voraussetzung - mit einem Telefonat mit der Gruppenleiterin des Kindes. Folgende Aussagen von ihr sind mir besonders wichtig, da ich das Verhalten in der Einzelsituation nicht beobachten kann: Gruppenverhalten des Kindes (aggressiv/gehemmt), Arbeiten neben anderen Kindern, Befolgen von Gruppenaufforderungen, Spielverhalten und Interaktion mit den Eltern. Sollten Beobachtungen zu Wahrnehmungsfähigkeiten, Grob- bzw. Feinmotorik, zum Sprachverständnis und zur Sprachkomplexität gemacht worden sein, sind dies wertvolle Angaben über das Kind. Meine Beobachtungen werden durch diese Aussagen ergänzt, so daß ich mir eine gute Vorstellung von dem Kind machen kann.

Im Falle einer Entwicklungsretardierung ist mir besonders wichtig, vom Kindergarten zu erfahren, ob die Eltern über diese Tatsache unterrichtet wurden und, wenn ja, wann. Sind die Eltern schon länger informiert und haben nichts unternommen, so kann dies für mich ein Hinweis darauf sein, daß die Eltern die "nicht normale Entwicklung ihres Kindes" nicht wahrhaben wollen und Hilfe bei diesem Verarbeitungsprozeß brauchen. Ignorieren der negativen Aussagen über das Kind und das Suchen nach Beweisen, daß diese nicht stimmen können, sind gängige Abwehrmechanismen ("der Nachbarsbub kann das auch nicht" oder "die Kindergärtnerin mag ihn nicht"). Der Kinderarzt wird um seine Meinung gefragt (und oft verschwiegen, daß die Erzieher/innen auf Defizite hingewiesen haben). Ist der Kinderarzt vom Kindergarten nicht informiert, kann seine (beschwichtigende) Aussage dazu führen, daß wertvolle Zeit für eine Intervention vergeht, denn "der Doktor hat gesagt, da ist nichts".

Ich denke, schon aus diesem Grunde ist es notwendig, daß Informationen zwischen Kindergarten, niedergelassener Therapeutin und anderen Diensten ausgetauscht und die Eltern für eine Kooperation gewonnen werden.

Meine Zusammenarbeit mit Kindergärten erstreckt sich also hauptsächlich auf den Bereich der Beobachtung des Kindes und der Interaktion mit seinen Eltern. Therapeutisch in einer Kindertageseinrichtung zu intervenieren ist mir bis jetzt nur einmal möglich gewesen. Voraussetzung dafür war das Engagement der Erzieherinnen und die Bereitschaft, mit mir zusammenzuarbeiten. Ich habe manchmal den Eindruck, daß ein starkes Vorurteil gegenüber Psycholog/innen besteht und daß "man" sich nicht gerne in die Karten sehen läßt. Vielleicht werden die problematischen Fälle aber auch mit den entsprechenden Fachdiensten besprochen?

Aufgefallen ist mir auch, wie stark die Erzieher/innen durch die Gruppengröße von 25 Kindern belastet sind. Die Kindergartenleiterin ist in die Betreuung von Gruppen eingebunden - Zeit für Organisationsaufgaben, Elterngespräche, Gespräche mit Kinderärzten u.ä. bleibt da wohl kaum.

Auch frage ich mich: Warum werden Aussagen von Erzieher/innen z.B. von den Eltern nicht für wichtig erachtet und die Aussagen einer Grundschullehrerin bereits nach wenigen Wochen Schule sehr viel ernster genommen? Ich denke, die Eltern zweifeln die Kompetenz der Erzieher/innen an, wahrscheinlich auch, weil nicht bekannt ist, wie umfangreich deren Ausbildung ist. Dazu kommt, daß die Kindergartenzeit als "Spielzeit" betrachtet wird und die Eltern annehmen, daß man erst zur Einschulung etwas unternehmen sollte. Hier kann ich mit der Erzieherin - nach Absprache, was zu tun ist - Überzeugungsarbeit leisten.

Ein gut durchführbares und wenig Zeit beanspruchendes Screening-Verfahren für den Kindergarten könnte dazu dienen, Störungen zu erkennen und frühzeitig Interventionen zu planen. Ich halte diesen Aufwand für gerechtfertigt, wenn ich sehe, wieviel kostbare Zeit vergeht und daß die Prognose für einen Behandlungserfolg bei späterem Behandlungsbeginn ( in der Schulzeit) z.B. durch zusätzliche Faktoren wie dem Leistungsdruck erschwert wird.

Last but not least möchte ich anfügen, daß wir Psycholog/innen Fremdanamnesen oder (Beratungs-) Gespräche mit Erzieher/innen nicht abrechnen können.

Zur Kooperation mit dem Jugendamt

Meine Zusammenarbeit mit dem Jugendamt umfaßt zwei Bereiche:

  1. das Erstellen von Gutachten für die Unterbringung von Kindern in HPTs bzw. Gutachten für Maßnahmen im Rahmen der Eingliederungshilfe, z.B. der Montessori-Therapie, Legasthenie- bzw. Dyskalkulietherapie, sowie
  2. die Betreuung von Pflegefamilien: Im Falle von Verhaltensauffälligkeiten verfahre ich wie bei anderen Kindern auch. Ich setze die Eltern als Co-Therapeuten ein und versuche, mit der Tageseinrichtung des Kindes Kontakt aufzunehmen, um über Schwierigkeiten dort informiert zu sein.
  3. Die Aufnahme eines Kindes in die Familie verändert das Leben der Pflegeeltern sehr. Die damit verbundenen Probleme führen zu Belastungen der Ehe - die Eifersucht des vorher umsorgten Ehepartners oder die Aufopferung der Pflegemutter ("keine Zeit für mich") werden häufig übersehen und führen schließlich zu einer psychischen Belastung der Eltern, die sich auf die Interaktion mit dem Kind auswirkt. Diese Probleme dem Jugendamt gegenüber zu äußern ist durch die Doppelfunktion des Amtes als "Beratungs- und Kontrollinstanz" erschwert, denn die Angst ist groß, daß das Pflegeverhältnis beendet werden könnte.

Zusammenfassend: Nur gemeinsam sind wir erfolgreich in der Behandlung eines Kindes. Das IFP-Projekt zur Vernetzung ist ein guter Anfang, und die große Zahl der Mitarbeitsbereiten gibt Hoffnung - auch in dem Sinne, daß durch gemeinsame Gespräche Schwierigkeiten erkannt werden und an ihrer Beseitigung gearbeitet werden kann.

 

2. Eltern-, Jugendlichen- und Erziehungsberatungsstelle des Caritasverbandes für den Landkreis Rhön-Grabfeld e.V.

Bernhard Roth

Der Landkreis Rhön-Grabfeld ist der nördlichste in Bayern und grenzt an Thüringen und Hessen. Es ist ein ländlich strukturierter Flächenlandkreis mit ca. 87.000 Bewohner/innen und einer Fläche von etwa 1.000 km2. Die größte Stadt, zugleich auch unser Sitz, ist Bad Neustadt mit etwas mehr als 15.000 Einwohnern.

Die Beratungsstelle, in der ich seit 20 Jahren arbeite, ist in Trägerschaft der Caritas. Personell ist sie mit drei Vollzeitfachkräften und einer Teilzeitfachkraft besetzt: einer Dipl.-Sozialpädagogin, einer Heilpädagogin, einem Dipl.-Psychologen und einer Dipl.-Psychologin.

Vorteilhaft für uns ist, daß sich unter dem Dach Caritasverband noch andere Beratungsdienste befinden - z.B. Sozialpädagogische Familienhilfe, Suchtberatung, Aussiedlerberatung, Allgemeiner Sozialer Beratungsdienst und Gemeindecaritas -, so daß hier schon eine gute Vernetzung möglich ist. Es gibt noch einige andere Beratungsangebote wie Ehe-, Familien- und Lebensberatung, Sozialpsychiatrischer Dienst, Schuldnerberatung und freipraktizierende Therapeut/ innen, so daß die psychosoziale Grundversorgung gewährleistet ist.

In unserer Region gibt es außer Kindergärten und drei Heilpädagogischen Tagesstätten keine weiteren Tageseinrichtungen für Kinder, so daß sich meine Aussagen auf die Kooperation mit Kindergärten beschränken. Die Heilpädagogischen Tagesstätten sind psychologisch und heilpädagogisch selbstversorgt. Wenn hier Kooperation stattfindet, dann nur einzelfallbezogen.

Lassen Sie mich kurz begründen, weshalb uns von der Erziehungsberatung die Kooperation mit Kindergärten so wichtig ist:

  1. Der Kindergarten, zumindest in unserer Region, ist der erste Ort, wo Kinder sich außerhalb des privaten Bereichs begeben und sich ihre Lebenswelt im öffentlichen Bereich erarbeiten, wo Kinder aber auch deutlicher vergleichbar werden - sowohl mit ihren Stärken als auch mit ihren Problemen.
  2. Der Kindergarten ist der Ort, wo sich Leben noch ohne Leistungsdruck auf spielerische Art und Weise gestaltet. Gerade Erzieher/innen haben in diesem durch wenig Leistungsorientierung geprägten Ort die Möglichkeit, Veränderungen in den Lebensstilen von Eltern und Kindern zu beobachten. Was 1998 im Kindergarten aktuell ist, erscheint im Jahr 2001 in der Schule.
  3. Der Kindergarten ist mehr oder weniger, zumindest im ländlichen Raum, ein Ort, wo noch Gemeindeleben in unterschiedlichen Ausprägungen sichtbar wird.
  4. Erzieher/innen und Kinderpfleger/innen arbeiten sehr eng mit Kindern und damit auch mit Eltern zusammen. Aus unserer Erfahrung sind es meist sehr kompetente Fachfrauen, die Kinder- und Familienleben genau beobachten. Allerdings sehen wir auch, daß Erzieher/innen und Kinderpfleger/innen nicht immer sehr von der eigenen Kompetenz überzeugt sind.

Aus den gerade genannten Gründen halten wir es für nötig, die Zusammenarbeit mit den Kindergärten zu suchen (ich formuliere dies bewußt so), um in dieser Kooperation unserem Auftrag als Erziehungsberatung noch besser gerecht werden zu können, der sich in § 1 SGB VIII wie folgt definiert:

  1. Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. ...
  2. Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere
    1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen,
    2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen,
    3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen,
    4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.

Wie sieht nun die Zusammenarbeit konkret aus?

Einzelfallbezogene Arbeit

Ist bei uns ein Kind im Kindergartenalter angemeldet, dessen Probleme sich im Kindergarten oder auch in der Familie aktualisieren, suchen wir das gemeinsame Gespräch mit den Erzieher/innen, um sowohl Eltern als auch Erzieher/innen in gemeinsame Lösungsstrategien einzubinden. Auch können sich dann alle gegenseitig unterstützen.

Bereitet ein Kind im Kindergarten Probleme, besteht für die Erzieherin in jedem Fall die Möglichkeit, mit uns Kontakt aufzunehmen. Dabei sind allerdings die Regeln der Schweigepflicht zu beachten. Sollte es sich als sinnvoll erweisen, sind wir gerne bereit, mit ihr zu überlegen, wie sich der Kontakt zu den Eltern anbahnen läßt. Selbstverständlich sind wir auch bereit, wenn es den Eltern wichtig ist, ein Erstgespräch im Kindergarten zu führen, auch in Anwesenheit der Erzieherin.

Grundsätzlich müssen sich Eltern bei uns persönlich anmelden. Trotz der Niederschwelligkeit unseres Beratungsangebotes fällt es manchen Eltern schwer, mit uns Kontakt aufzunehmen. In diesen Fällen ist die Kreativität der Fachleute von Erziehungsberatung und Kindergarten gefordert, um trotzdem den Kontakt herzustellen.

Im schwierigsten Fall verweigern die Eltern die Kontaktaufnahme zur Erziehungsberatung. Dann besteht die Möglichkeit, mit Erzieher/innen zu überlegen, wie das Kind zumindest im Kindergarten angemessene Hilfe, Unterstützung und Verständnis erfährt.

Einzelfallübergreifende Maßnahmen

(1) Themenabende im Kindergarten zu verschiedenen Erziehungsfragen: Diese Art von Elternabend scheint zumindest bei uns nicht mehr sehr attraktiv zu sein. Uns war bisher immer wichtig, diese Veranstaltungen als Gesprächsabende zu gestalten und nicht als Vortragsabende.

(2) Teamsupervision im Kindergartenteam: Teamsupervision kann vereinzelt gemacht werden, ist aber letztlich nicht genuine Aufgabe einer Erziehungsberatungsstelle.

(3) Konzeptionsarbeit mit einem Kindergartenteam: Unter dem Gesichtspunkt, daß eine Konzeption immer auf die Kund/innen ausgerichtet sein muß, daß deren Bedarfe zu berücksichtigen sind, ergibt sich hier ein Berührungspunkt zur Erziehungsberatungsarbeit. Einerseits sollte die örtliche Erziehungsberatungsstelle über die Lebenswelten von Familien informiert sein, andererseits ist dies eine Möglichkeit für die Erziehungsberatung, Informationen über die Lebenswelten von Familien zu erhalten.

(4) Suchtprävention im Kindergarten als Angebot vernetzter Beratungsdienste (in diesem Falle Suchtberatung, Gesundheitsamt und Erziehungsberatung): Unser Thema in diesem Bereich ist "Kinder stärken", was zugleich aber auch bedeutet "Eltern stärken". Ziel ist, bereits im Kindergarten Eltern anzuleiten, Kinder in ihrer persönlichen Art so zu stärken, daß sie später als Jugendliche und Erwachsene weniger suchtgefährdet sind. Dabei ist es nötig, Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen, daß sie Kindern helfen, Leben zu bewältigen.

(5) Offene Sprechstunde im Kindergarten: Im Rahmen eines Kaffee-Treffs, bei der ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin der Erziehungsberatung anwesend ist, besteht die Möglichkeit, sich informell über schwierige Erziehungssituationen auszutauschen. Eine andere Form der offenen Sprechstunde ist so organisiert, daß Eltern vor Ort im Kindergarten individuell ein Beratungsgespräch führen können. Beide Maßnahmen sind allerdings nur begrenzt durch eine kleine Beratungsstelle zu leisten, da bei der Anzahl der vorhandenen Kindergärten die personelle Kapazität schnell erschöpft ist.

(6) Projekt Kindergarten - Erziehungsberatung - Schule: Ausgehend vom Problem der Teilleistungsstörung wurde bei einem Treffen zwischen Erziehungsberater/innen und Beratungslehrer/innen überlegt, daß solche Kinder möglichst früh zu fördern wären - nach Möglichkeit bereits im Kindergarten. In einem nächsten Schritt wurden Erzieher/innen in die gemeinsamen Überlegungen und Planungen einbezogen. Zielrichtung des Projektes ist

  1. möglichst frühes Erkennen von Kindern, die unter Teilleistungsstörungen leiden könnten;
  2. möglichst frühe gezielte Förderung dieser Kinder, wobei sich die Förderung primär im Kindergarten auf spielerischer Ebene ereignen sollte;
  3. Bewußtmachung bei Eltern, daß das sogenannte Spielen im Kindergarten grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten von Kindern für die Schule fördert;
  4. Unterstützen von Erzieher/innen, die in diesem Bereich kompetente Arbeit leisten, sowie
  5. Verbessern der Kooperation zwischen Schule und Kindergarten, was gerade auch den Kindern beim Übergang vom Kindergarten zur Schule wieder zugute kommen kann (Langfristig kann dieser Projekt auf politischer Ebene mithelfen, die Kooperation zwischen Kultusministerium und Sozialministerium zu verbessern).

(7) Fortbildung zum Thema "Kindergarten und Gemeinde, Kindergärten in der Gemeinde, Kindergärten für die Gemeinde": Der Kindergarten ist nach unserer Meinung eine wichtige zentrale Einrichtung in einer Gemeinde. Er ist wichtiger, als dies oft von der Öffentlichkeit und auch von der Einrichtung selbst gesehen wird. In dieser Fortbildung wurden gemeinsam mit den Teilnehmer/innen Strategien erarbeitet, die dazu beitragen, das Gemeindeleben zu aktivieren und in einen Prozeß der Öffnung einzutreten. Das setzt voraus, die eigene Gemeindestruktur genauer kennenzulernen, zu analysieren und Möglichkeiten zu erarbeiten, damit zum Wohl der Kinder und ihrer Familien, aber auch zur Entlastung der Einrichtung, Vernetzung mit anderen Institutionen, sozialen Einrichtungen und Diensten bewußt gestaltet werden kann.

Träume, die wir gerne realisieren würden

Mit Sicherheit gibt es noch viele Möglichkeiten der Kooperation zwischen Erziehungsberatung und Kindergarten, die beide Einrichtungen nutzen können. Einer meiner Träume ist z.B. die Initiierung einer Veranstaltung, bei der Erzieher/innen und Eltern gemeinsam überlegen, wie sie die Einrichtung "Kindergarten", diesen Lebensraum ihrer Kinder, gemeinsam planen und strukturieren. Aufgabe der Erziehungsberatung könnte es sein, diesen Prozeß moderierend zu begleiten.

Es gibt also viele Kooperationsmöglichkeiten zwischen Erziehungsberatung und Kindergarten. Lassen Sie mich zum Abschluß ein Bild gebrauchen: Erziehungsberatung und Kindergarten sind Knoten in einem sozialen Netzwerk vor Ort. Haben Sie den Mut, auch von Ihrer Seite Fäden zur Erziehungsberatung zu knüpfen und dieses Netz dichter werden zu lassen. Von Seiten der Erziehungsberatung habe ich die Hoffnung, daß alle meine Kolleg/innen vor Ort bereit sind, diese Fäden aufzugreifen und mitzuknüpfen, um - und jetzt zitiere ich nochmals das vorher erwähnte Gesetz - dazu beizutragen, "positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen" (§ 1 Abs. 3 SGB VIII).

 

3. Mobiler Heilpädagogischer Dienst der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene Kitzingen

Gisela Freibott

Im Regelkindergarten stellen Kinder mit Problemen in der Persönlichkeitsentwicklung, mit Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten eine besondere Anforderung für Erzieher/innen dar. Der Mobile Heilpädagogische Dienst der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bietet den Erzieher/innen Beratung und Begleitung an. Die Beratungsstelle ist eine gemeinsame Einrichtung des Diakonischen Werkes und des Kreiscaritasverbandes Kitzingen e.V.

Vorgeschichte

Die Beratungsstelle pflegt eine langjährige Kooperation mit den Kindergärten in Form von Fortbildungen, Beratungen, Supervisionen und fallbezogener Zusammenarbeit.

Die 1994 im Landkreis Kitzingen durchgeführte Umfrage zum Thema "Einschätzung der Situation von auffälligen Kindern im Kindergarten" machte den Bedarf der Erzieher/innen an einer erweiterten und speziellen Beratungsmöglichkeit deutlich. Von Seiten der Eltern wurde dieses Anliegen mit der Gründung und mit den Aktionen einer Elterninitiative unterstützt. Daraus resultierte die Entscheidung des Kreistages, einen besonderen Dienst für die Kindergartenberatung einzurichten.

Im Januar 1997 konnte die Beratungsstelle ihr bisheriges Beratungsangebot durch den Mobilen Heilpädagogischen Dienst erweitern. Für diese Tätigkeit wurde eine halbe Planstelle mit 19,25 Wochenstunden eingerichtet. Diese Stelle ist mit einer Diplom-Sozialpädagogin (FH) besetzt.

Konzeption

Der Zuständigkeitsbereich des Mobilen Heilpädagogischen Dienstes umfaßt den Landkreis Kitzingen mit 64 Kindergärten. Die Erzieher/innen können sich nach ihrer eigenen Einschätzung an den Dienst wenden, wobei die Anmeldung über die Beratungsstelle erfolgt. Die Beratung findet vor Ort im betreffenden Kindergarten statt und ist kostenfrei.

Ziele des Mobilen Heilpädagogischen Dienstes sind die Beratung und Begleitung der Erzieher/innen in ihrer pädagogischen Arbeit, um

Die Arbeitsschwerpunkte sind:

Der Ablauf der Beratung wird individuell auf den Einzelfall abgestimmt. In gemeinsamen Gesprächen werden diagnostische Ergebnisse ausgewertet, Therapie- und Hilfsmöglichkeiten besprochen.

Die Tätigkeit des Mobilen Heilpädagogischen Dienstes ist eine Einzelfallberatung mit pädagogisch-psychologischen Inhalten und ist gegenüber anderen Fachberatungen des Kindergartenwesens und Supervisionen deutlich abgegrenzt.

Unsere Konzeption sieht unterschiedliche Formen der Beratung vor:

Es besteht eine Informationspflicht der Eltern über die Einbeziehung des Mobilen Heilpädagogischen Dienstes, sobald während der Beratung Kontakt mit dem Kind entsteht.

Die Dauer der Beratung wird von den individuellen Gegebenheiten bestimmt. In Einzelfällen ist eine langfristige Beratung sinnvoll.

Eine Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen - z.B. Therapeuten, Ärzten, anderen Beratungsstellen und Fachdiensten - ergibt sich aus den Notwendigkeiten des Einzelfalls.

Abschließend ist festzuhalten, daß die Besonderheit unserer Kindergartenberatung in der Mobilität liegt. Die Beratung "vor Ort" erweitert unsere diagnostischen Möglichkeiten und wirkt sich positiv auf die Elternarbeit aus. Wir können das Kind und seine Problematik in seinem gewohnten sozialen Umfeld kennenlernen und Problemsituationen im sozialen Kontext erfassen. Die schon bestehende Zusammenarbeit von Elternhaus und Kindergarten bietet eine gute Basis für Elterngespräche. Die Eltern erleben intensiv, daß alle beteiligten Einrichtungen im Interesse ihres Kindes zusammenarbeiten.

Bisherige Arbeitsergebnisse

34 Kindergärten haben bereits den Mobilen Heilpädagogischen Dienst in Anspruch genommen. Das entspricht über 50% von 64 Kindergärten im Landkreis Kitzingen. In diesen 34 Kindergärten wurden insgesamt 115 Beratungen durchgeführt. Es ergaben sich am häufigsten Betreuungszeiten von zwei bis sechs Terminen. Bei komplexeren Problemen - z.B. Hyperaktivität - konnten wir bis zu zehn Terminen anbieten.

In der Mehrzahl der Fälle entschieden sich die Erzieher/innen für die gemeinsame Beratung mit den Eltern. Das bedeutet, daß auch die Eltern mit der Einbeziehung des Mobilen Heilpädagogischen Dienstes einverstanden waren. Es bestand direkter Kontakt mit dem Kind; Beobachtungen und Screenings wurden durchgeführt; Elterngespräche fanden statt.

Das Alter der Kinder lag zwischen 3,7 und 6,8 Jahren. Die Gruppe der fünf- bis sechsjährigen Kinder war am häufigsten vertreten, gefolgt von den Vier- bis Fünfjährigen und den Sechs- bis Siebenjährigen. Zur Altersgruppe der drei- bis vierjährigen Kinder gab es die wenigsten Anfragen.

Unsere Beratungen wurden zu folgenden Themenbereichen in Anspruch genommen:

Während unserer bisherigen Beratungstätigkeit konnten wir mit Ärzten, Ergotherapeut/innen, Logopäd/innen, Frühförderstellen, anderen Beratungsstellen und den Kindergartenfachberatungen im Landkreis Kitzingen und Würzburg zusammenarbeiten.

Ausblick

Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, daß die Tätigkeit des Mobilen Heilpädagogischen Dienstes erhebliche ausbaufähige Potentiale beinhaltet. Die diagnostischen Ergebnisse und Beratungsthemen verdeutlichen, daß bestimmte Auffälligkeiten verstärkt auftreten. Es ist sinnvoll, hierzu Arbeitskreise und Projektgruppen anzubieten, um Fördermöglichkeiten für den Kindergartenalltag zu erarbeiten.

Zusammenfassend können wir feststellen, daß unsere Arbeit schnell und intensiv angenommen wurde. Die Eltern und Erzieher/innen begegnen uns mit großer Offenheit, worüber wir sehr erfreut sind. Unsere bisherigen Arbeitsergebnisse bestätigen uns, daß der Mobile Heilpädagogische Dienst zum richtigen Zeitpunkt eingerichtet wurde, da in den Kindergärten ein großer Bedarf für diese spezielle Beratung besteht.


4. Psychologischer Dienst für Kindertagesstätten

Wolf-Wedigo Wolfram

Mit meinem Bericht über einen Psychologischen Dienst für Kindertagesstätten in Stuttgart möchte ich versuchen, Antworten auf folgende Fragen zu geben:

  1. Ist ein gesonderter Psychologischer Dienst für Kindertagesstätten sinnvoll und notwendig?
  2. Werden die Zielgruppen eines solchen Dienstes nicht auch durch andere psychosoziale Einrichtungen erreicht?
  3. Welche Konsequenzen können aus den Stuttgarter Erfahrungen bezogen auf Konzeption und Trägerschaft eines solchen Dienstes gezogen werden?

Die erste Frage will ich zu beantworten versuchen, indem ich die Konzeption, die Inanspruchnahme und die Vorgehensweise des Psychologischen Dienstes betrachte.

Zur Konzeption

Der Psychologische Dienst für Kindertagesstätten in Stuttgart ist mit einer Psychologenstelle ausgestattet. Er arbeitet eng mit der Fachberatung für die Tageseinrichtungen zusammen und ist mit ihr bei einem Trägerdachverband für Tageseinrichtungen (Evangelischer Stadtverband Stuttgart) organisatorisch angesiedelt (Wolfram 1984, 1989). Er ist zuständig für die 120 Tageseinrichtungen für Kinder, die sich in evangelischer Trägerschaft in Stuttgart befinden und in denen ca. 5.000 Kinder betreut werden.

Zielgruppe des Psychologischen Dienstes ist in erster Linie die Erzieher/innen in Tageseinrichtungen für Kinder, die sich aus eigener Entscheidung an den Psychologen wenden können, wenn sie Probleme mit Kindern haben oder solche bei ihnen sehen. Für die Zusammenarbeit mit dem Psychologischen Dienst sind Freiwilligkeit und Verschwiegenheit sichergestellt.

Inanspruchnahme

Die Auswertung der Fallstatistik eines Arbeitsjahres ergibt, daß Beratungen mit den Erzieher/innen über 155 Kinder durchgeführt wurden. Es handelte sich um 115 Jungen (74%) und 40 Mädchen (26%); 74 waren Deutsche (48%) und 81 Ausländer/innen (52%). 85% der Kinder waren zwischen vier und sieben Jahren alt.

94 dieser Kinder (61%) befanden sich in einem Regelkindergarten (mittags geschlossen), was 2,2% aller Kinder in dieser Betreuungsform entsprach. Die übrigen 61 Kinder (39%) besuchten eine Ganztageseinrichtung; das sind 14% aller Kinder in diesen Tagesstätten.

Das auffällige Verhalten war in 59 Fällen (38%) Expansivität, in 33 (21%) Gehemmtheit und in 59 (38%) Entwicklungsstörungen. Als Ursachen wurden in 77 Fällen (50%) Erziehungsprobleme und psychosoziale Belastungen, in 78 Fällen (50%) vermutlich organische Dysfunktionen ermittelt.

Aus der Statistischen Übersicht lassen sich folgende Erkenntnisse ziehen:

  1. Das Verhältnis von Jungen und Mädchen beträgt hier 3:1. Dies entspricht anderen Untersuchungen. Das Ergebnis hat aber für die Frauendomäne Kindergarten besondere Bedeutung: In welcher Weise werden typische Interessen von Jungen in den Einrichtungen angemessen berücksichtigt (Wolfram 1994)?
  2. Der Ausländeranteil liegt bei 50%. Das bedeutet, daß Familien, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben als den hiesigen deutschen, wohl unter einem besonderen Druck stehen, sich mit den Lebensgewohnheiten in der Fremde auseinanderzusetzen (Lanfranchi 1993; Kürsat-Ahlers 1995). Und Erzieher/innen sehen hier wohl außerdem größere Schwierigkeiten der Verständigung, wenn Probleme in der Entwicklung der Kinder auftauchen.
  3. Von Ganztageseinrichtungen wird der Psychologische Dienst in wesentlich höherem Maße in Anspruch genommen als von Regelkindergärten. Kinder aus Ganztageseinrichtungen erleben vermutlich höhere psychosoziale Belastungen, da beide Eltern arbeiten - manche in Wechselschicht - und/oder Mütter durch die traditionelle Rollenverteilung in der Familie überlastet sind oder ein Elternteil alleinerziehend ist. Bei den Erzieher/innen ist der Problemdruck größer, weil die Kinder sechs bis acht Stunden in der Einrichtung sind und sie sich deswegen auch in höherem Maße verantwortlich für ihre Entwicklung fühlen als in Regeleinrichtungen, in denen sich viele Kinder nur drei Stunden am Tag aufhalten.
  4. Die Ursachen für die Auffälligkeiten des Kindes werden in 50% der Fälle (auch) in organischen Dysfunktionen (z.B. Teilleistungsschwächen) vermutet. Solche Entwicklungsstörungen, die eine organische Ursache vermuten lassen, sind für Erzieher/innen schwieriger zu erfassen oder zu durchschauen als psychosoziale Einflüsse (Wolfram 1995a).

Damit wird deutlich, daß der Psychologische Dienst nicht nur eine einzelfallbezogene Beratungstätigkeit ausübt, sondern auch allgemein sozio-kulturelle Aspekte in der Zusammenarbeit mit den Eltern und Fragen der pädagogischen Konzeption in der Tageseinrichtung bearbeitet. Gerade für die zwei zuletzt genannten Themen erweisen sich die enge Zusammenarbeit mit der Fachberatung und meine Tätigkeit in der Fortbildung als sehr fruchtbar.

Vorgehensweise in der Psychologischen Beratung

Die psychologische Beratung zielt in ihren Aktivitäten auf drei Personengruppen:

  1. Die Erzieherin soll eine Hilfe erhalten, um das auffällige Verhalten des Kindes möglichst zutreffend einschätzen zu können, einen förderlichen Umgang mit dem Kind zu praktizieren, diese Aktivitäten mit der pädagogischen Arbeit für die ganze Gruppe sinnvoll zu koordinieren und die Zusammenarbeit mit den Eltern konstruktiv zu entwickeln.
  2. Dadurch soll es dem Kind besser gehen.
  3. Und schließlich sollen die Eltern eine Hilfestellung und/oder Entlastung erfahren.

Bei dieser Vorgehensweise stellt sich die Frage, wann und in welcher Weise die Eltern einbezogen werden müssen. Darf ich tätig werden, ohne daß die Eltern informiert und einverstanden sind? Für den Regelfall muß hier die Antwort "nein" lauten. Die Erzieherin steht also vor der schwierigen Aufgabe, wie sie den Eltern die Hinzuziehung des Psychologen erklären soll, so daß diese zustimmen. Um das zu erreichen, praktiziere ich mit den Erzieher/innen unterschiedliche Vorgehensweisen. Und hier liegt die erste Hürde in meiner Tätigkeit: Wenn Eltern gefragt werden, ob sie mit der Hinzuziehung eines Psychologen wegen ihres "schwierigen" Kindes einverstanden sind, werden viele davor zurückschrecken; einige wenige begrüßen das allerdings auch sehr als Hilfe für sich selbst. Den anderen fällt es leichter zuzustimmen, wenn der "Berater" - nicht der "Psychologe" - zu einem "Routinebesuch" kommt und die Erzieherin diese Gelegenheit nutzen will, um für sich selbst Orientierung zu erhalten.

Wenn die Erzieherin befürchtet, die Zustimmung der Eltern auch so nicht erreichen zu können, kann in Ausnahmefällen der Besuch des Psychologen in der Gruppe erfolgen, ohne daß die Eltern informiert und einverstanden sind. Dann ist es ein "Besuch zur Beratung der Erzieherin" und nicht ein "Besuch zur Beobachtung eines Kindes". Das halte ich für legitim, denn wenn der Träger den Erzieher/innen psychologische Beratung anbietet und dazu einen Psychologen einstellt, sollten diese auch davon Gebrauch machen können, ohne die Eltern um Erlaubnis fragen zu müssen. Die Anonymität der Familie bleibt dadurch gewahrt, daß die Erzieherin mir Familienname und Anschrift nicht nennt.

In der Beratung tauchen immer wieder folgende fünf Fragen auf, bei denen Erzieher/innen Hilfe wünschen (siehe auch Hackstein 1989):

  1. Wie ist das auffällige Verhalten des Kindes zu verstehen? Warum verhält sich das Kind so? Ich kann ja erst dann einen sinnvollen pädagogischen Umgang mit dem Kind planen und durchführen, wenn ich eine Vorstellung von den Hintergründen und Ursachen habe. Um das zu erreichen, muß ich Einflüsse aus vier verschiedenen Bereichen gegeneinander abgrenzen und gewichten: Einflüsse aus der Kindergartensituation, Beziehung zwischen Erzieherin und Kind, familiäre Situation und/oder eventuell beeinträchtigte organische Funktionsfähigkeit.
  2. Wie gehe ich mit dem einzelnen auffälligen Kind um?
  3. Wie vereinbare ich mein Engagement für das einzelne auffällige Kind mit meiner Verantwortung für die ganze Gruppe?
  4. Wie führe ich Gespräche mit den Eltern zur Erfassung der Hintergründe, zur gemeinsamen Entwicklung pädagogischer Maßnahmen und zur Vermittlung weiterführender Hilfen außerhalb des Kindergartens?
  5. Wie gehe ich mit der Belastung und manchmal wohl auch Überforderung um, die ich als Erzieherin diesen Aufgaben gegenüber spüre?

Meine Beratung bezieht sich also auf diese Fragen, d.h., daß ich selbst keine Behandlungen oder Förderungen einzelner Kinder vornehme oder intensivere Elternberatung durchführe. Vielmehr vermittle ich solche Hilfen, wenn sie notwendig sind (im Vergleich dazu siehe Diakonisches Werk 1993; Kautter/Laupheimer 1988; Leber et al. 1989; Maucher, 1992).

Die zweite Frage läßt sich nun so beantworten, daß es im Spektrum der psychosozialen Dienste sonst kein spezielles Angebot gibt, das sich in erster Linie an Erzieher/innen wendet und das die dafür notwendige fachliche Kompetenz entwickelt hat.

Und die dritte Frage will ich mit einem Resümee meiner Ausführungen beantworten.

Resumee

Folgendes Resumee läßt sich aus meinen Erfahrungen ziehen:

  1. Das Angebot des Psychologischen Dienstes ist für Erzieher/innen niederschwellig: Sie erfahren schnell und innerhalb ihres Tätigkeitsbereiches eine Hilfestellung, die auch einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Entlastung leisten kann: Nicht sie sind allein "schuld" daran, daß das Kind schwierig ist; und nicht sie allein müssen für eine Besserung sorgen!
  2. Wenn der Psychologische Dienst zusammen mit der Fachberatung bei einem Träger-Dachverband von Tageseinrichtungen angesiedelt ist, kann der Psychologe u.U. ohne Einverständnis der Eltern tätig werden.
  3. Die Niederschwelligkeit des Zugangs gilt auch für die Eltern: Bei Beratungsgesprächen innerhalb der Einrichtung können sie ihr Selbstwertgefühl relativ unangetastet bewahren, da sie sich mit den Schwierigkeiten ihres Kindes noch im Bereich der Normalität bewegen. Mit dem Gang zu einer Beratungsstelle o.ä. müßten sie diesen Bereich der Normalität verlassen. Davor schrecken viele Eltern zurück, besonders solche, die aus einem anderen kulturellen Hintergrund stammen.
  4. Für die Kinder (und die Eltern) kann relativ frühzeitig eine wirksame Hilfe einsetzen, um bestehende Probleme zu vermindern und zukünftigen vorzubeugen.
  5. Durch die psychologische Beratung kann die richtige Weichenstellung bei der Frage erfolgen, ob die Maßnahmen innerhalb der Familie und im Kindergarten ausreichen - und wenn nein, zu welcher Institution außerhalb der Tageseinrichtung die Eltern gehen sollten. Dadurch kann mancher Irrweg für die Eltern vermieden werden.
  6. Die psychologische Beratung bezieht auch den soziokulturellen Hintergrund der Familien und das pädagogische Konzept der Tageseinrichtung mit ein und ermöglicht so eine Orientierung am Lebensfeld der Familien und am Gemeinwesen.

Literatur

Diakonisches Werk der Evangelischen Landeskirche Baden e.V. (Hrsg.): Heilpädagogik im Kindergarten. Heidelberg: Diakonisches Werk der Evangelischen Landeskirche Baden e.V. 1993

Hackstein, H.-J.: Verhaltensauffälligkeiten im Kindergarten. Eine empirische Untersuchung über auffälliges Verhalten in Kindergärten des Gladbecker und Bottroper Raumes - NRW - aus der Sicht der Erzieherinnen. Dissertation. Bremen: Universität Bremen 1989

Kautter, H./Laupheimer, W.: Konzept und Praxis der Förderung in Regelkindergärten. In: Kautter, H./Klein, G./Laupheimer, W./Wiegand, H. (Hrsg.): Das Kind als Akteur seiner Entwicklung. Idee und Praxis der Selbstgestaltung in der Frühförderung entwicklungsverzögerter und entwicklungsgefährdeter Kinder. Heidelberg: Edition Schindele 1988, S. 318-332

Kürsat-Ahlers, E.: Migration als psychischer Prozeß. In: Attia, I. et al. (Hrsg.): Multikulturelle Gesellschaft - monokulturelle Psychologie? Antisemitismus und Rassismus in der psychosozialen Arbeit. Tübingen: DGVT 1995, S. 157-171

Lanfranchi, A.: Immigranten und Schule. Transformationsprozesse in traditionalen Familienwelten als Voraussetzung für schulisches Überleben von Immigrantenkindern. Opladen: Leske + Budrich 1993

Leber, A./Trescher, H.-G./Weiss-Zimmer, E.: Krisen im Kindergarten. Psychoanalytische Beratung in pädagogischen Institutionen. Frankfurt/Main: Fischer 1989

Maucher, K.: Menschen stärken. Prävention durch Interaktion. "Psychologischer Dienst für Kindertagesstätten". Frankfurt/Main: Peter Lang 1992

Wolfram, W.-W.: Im Vorfeld der Erziehungsberatung: Psychologischer Dienst für Kindertagesstätten. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 1984, 33, S. 239-243

Wolfram, W.-W.: Auffällige Kinder im Kindergarten: Zur Beratung und Fortbildung von Erzieherinnen. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 1989, 38, S. 201-204

Wolfram, W.-W.: Jungen und Mädchen im Kindergarten. Wie festgelegt sind unsere Rollenbilder? Kindergarten heute 1994, 24 (1/2), S. 44-49

Wolfram, W.-W.: Das pädagogische Verständnis der Erzieherin. Einstellungen und Problemwahrnehmungen. Weinheim: Juventa 1995a

Wolfram, W.-W.: Präventive Kindergartenpädagogik. Grundlagen und Praxishilfen für die Arbeit mit auffälligen Kindern. Weinheim: Juventa 1995b

Wolfram, W.-W.: Hyperaktive und unruhige Kinder im Kindergarten. Hilfen für Erzieherinnen. Freiburg: Herder 1998

 

5. Der Heilpädagogische Dienst

Geschwister-Gummi-Stiftung

Seit der Einrichtung des Heilpädagogischen Dienstes durch die Geschwister-Gummi-Stiftung im Jahr 1992 haben im zunehmenden Maße Kindertageseinrichtungen auf diese präventive Maßnahme zurückgegriffen. Derzeit beteiligen sich 16 Tagesstätten an diesem Projekt.

Getragen wird der Heilpädagogische Dienst von Evangelischen Kirchengemeinden, dem Land Bayern, den beteiligten Städten und Gemeinden und der Geschwister-Gummi-Stiftung. Personalverwaltung und Sachkostenabrechnung obliegen den Kirchengemeinden Mangersreuth und dem Kirchengemeindeamt. Die Einsatzplanung und fachliche Leitung ist an die Geschwister-Gummi-Stiftung angegliedert. Grundsätzlich steht eine Projektbeteiligung allen Gemeinden und Kindertageseinrichtungen im Landkreis Kulmbach offen.

Als Schwerpunkte im Heilpädagogischen Dienst haben sich folgende Aufgaben ergeben:

Bei den seitens des Heilpädagogischen Dienstes im Zeitraum September 1996 bis März 1997 betreuten 66 Kindern mit sozialen Auffälligkeiten waren folgende Problemstellungen vorhanden: übergroße Aggressivität, problematische Ängstlichkeit, extrem regressives (kleinkindhaftes) Verhalten, auffällige Anforderungsvermeidung sowie deutliche Redartierung (Entwicklungsverzögerung). Aufgrund der Interventionen des Heilpädagogischen Dienstes und des entsprechenden Fachpersonals in der Kindertagesstätte selbst haben sich in 90% der Fälle Verbesserungen der Problemsituationen ergeben.

Zusammenfassung

Die Arbeit des Heilpädagogischen Dienstes war insgesamt erfolgreich. Durch frühzeitige Interventionen konnte einer Manifestation der Störungen vorgebeugt und somit spätere Jugendhilfemaßnahmen verhindert werden. Langfristig gesehen hat diese Maßnahme, neben dem pädagogischen Erfolg, auch einen kostendämpfenden Effekt im Bereich der Jugendhilfeaufwendungen.

 

6. Der mobile Fachdienst der Caritas Frühförderstelle Dachau

Astrild Bierling

Frühförderung enthält mobile und ambulante Angebote für Säuglinge, Kleinkinder und Vorschulkinder, die in ihrer Entwicklung auffällig, verzögert, von Behinderung bedroht oder behindert sind, und ebenso Angebote für Eltern.

Als Oberbegriff umfaßt Frühförderung folgende Teilaspekte:

Frühförderung bezieht das soziale Umfeld der Kinder und ihrer Familien mit ein. Zentrale Prinzipien der Frühförderarbeit sind Ganzheitlichkeit, Interdisziplinarität, Familien- und Lebensweltorientierung.

Ausstattung und Arbeitsweise des Fachdienstes

Durch vermehrte Anfragen aus Kindergärten aus dem Stadt- und Landkreisgebiet von Dachau ergab sich die dringende Notwendigkeit, eine eigene Abteilung für deren Betreuung zu installieren, vor allem in Bezug auf Finanzierung und Zeitkapazität. Seit dem 01.10.1996 gibt es nun an der Frühförderstelle Dachau den Fachdienst mit dem Schwerpunkt pädagogische und psychologische Beratung und Unterstützung von Erzieher/innen, trägerübergreifend für alle Kindertageseinrichtungen im Stadt- und Landkreis Dachau.

Das Bayerische Sozialministerium finanziert für den Fachdienst eine ganze Stelle, die in Dachau auf drei Personen gesplittet worden ist:

Ferner ist eine Verwaltungsangestellte dem mobilen Fachdienst stundenweise zugeordnet. So entstand ein Team, in dem effektiv und ergänzend gearbeitet werden kann. Es trifft sich einmal pro Woche, um inhaltliche und organisatorische Angelegenheiten zu besprechen (Konzeption, Ausschreibungen, Dokumentation, praxisorientierte Gespräche, etc.). Zusätzlich nimmt dieses Team am Gesamtteam - mit allen anderen Mitarbeiter/innen der Frühförderstelle - einmal pro Woche teil, um Austausch und Zusammenarbeit zu gewährleisten. Alle Personen des Fachdienstes sind neben den Arbeitsstunden für den Fachdienst weiterhin im Frühförderbereich tätig (Finanzierung nach BSHG).

Der Unterschied zwischen Frühförderung und Fachdienst besteht im wesentlichen darin, daß bei der Frühförderung die Eltern die Auftraggeber sind und sich das Arbeitsfeld auf das Kind im familiären und häuslichen Bereich bezieht. Beim Fachdienst sind hingegen die Kindergärten bzw. die Erzieher/innen in der Gruppe des auffälligen Kindes die Auftraggeber. Zudem bieten wir keine fortlaufende Therapie in den Kindergärten (falls notwendig, Weiterempfehlung zu entsprechenden Stellen oder Therapeut/innen). Außerdem werden weder Organisationsberatung noch Teamsupervision durchgeführt.

Der Arbeitsauftrag des Fachdienstes bezieht sich auf die Beratung und Unterstützung der Erzieherin, z.B. wie sie auf die Gruppe/das auffällige Kind eingehen kann, wie sie anhand einer Fallbesprechung oder Beobachtung des betreffenden Kindes dessen Entwicklung einschätzen und bewerten kann, was sie den Eltern raten könnte usw. Es wird also vor allem versucht, die Kompetenz der Erzieherin zu stärken und aus der Sicht des Kindergartens das Problem anzugehen. Bei der Frühförderung wird hingegen die Kompetenz der Eltern gestärkt. Symptomträger oder Fall ist - jeweils als Ausgangspunkt und Ziellösung - "das Kind".

Als Schwerpunkte des mobilen Fachdienstes lassen sich festhalten:

Der Fachdienst der Frühförderstelle bietet zweimal jährlich ein Forum für Erzieher/innen aus dem Stadt- und Landkreis Dachau trägerübergreifend an - zum Austausch, zur gegenseitigen Information und zur Erarbeitung bestimmter Themen. In diesem Forum bildet sich jeweils eine Arbeitsgruppe, die ein gewünschtes Thema für die nächste Veranstaltung inhaltlich vorbereitet und dort vorstellt. Bisherige Themen waren z.B. "Pfiffigunde", "Selbstwertstärkung von Mädchen im Vorschulalter" und "Integration". Der Fachdienst übernimmt die Organisation des Forums, die Ausschreibung und Einladung und unterstützt diese Art von Veranstaltungen.

Die Frühförderstelle und der Fachdienst sind bemüht, mit den ortsansässigen Institutionen eng zusammenzuarbeiten und sich zu ergänzen, um das Angebot für Eltern und Erziehungspersonal überschaubar zu halten. So wurde auch ein gemeinsam mit der mobilen Hilfe und der ambulanten Förderung der Schule zur individuellen Lern- und Sprachförderung ein Infoblatt erstellt. Mit den zuständigen Mitarbeiter/innen dieser Schule finden zweimal jährlich Besprechungen statt - ebenso immer wieder mit der Erziehungsberatungsstelle und der Familienhilfe.

 

7. Der Pädagogisch-Psychologische Dienst (PPD)

Toni Mayr

Konzeption und aktueller Ausbaustand des Pädagogisch-Psychologischen Dienstes sind das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, der vor über 20 Jahren im Jahr 1975 damit begann, daß ein Sprachheillehrer der Frühförderstelle Passau in einigen Kindergärten der Stadt Passau Kinder mit Sprachstörungen zusätzlich betreute.

Der Pädagogisch-Psychologische Dienst (PPD) hat es sich zum Ziel gesetzt, Kinder mit besonderen Bedürfnissen im Kindergarten heilpädagogisch zu betreuen und zu fördern. Er ist ein Angebot für Kindergartenkinder mit leichteren Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten bzw. -störungen ("Grauzonenkinder"). Diese werden zwar im Kindergarten oft als "Problemkinder" identifiziert, eine angemessene Förderung durch die Erzieher/innen ist aber bislang nur in Ausnahmefällen möglich.

Der Dienst ist seiner Konzeption nach kein Ersatz für die intensive Förderung von im engeren Sinn behinderten Kinder durch die allgemeine Frühförderung oder für die Betreuung solcher Kinder in Schulvorbereitenden Einrichtungen oder Integrationsgruppen. Er wird vielmehr im Vorfeld dieser Dienste und Angebote tätig und versteht sich in diesem Sinn als Bestandteil eines abgestuften Angebots für Problemkinder. Die vorliegenden langjährigen Erfahrungen zeigen aber, daß es oft möglich ist, durch ein solches stark präventiv ausgerichtetes Angebot im Vorfeld andere Maßnahmen (etwa die Zuweisung an eine Sondereinrichtung) zu vermeiden, welche sehr viel tiefer in die Entwicklung von Kindern und das Leben von Familien eingreifen.

Umgekehrt kann ein solches Angebot auch Kindern helfen, die früher sehr intensiv (z.B. durch die Allgemeine Frühförderung oder in einer Schulvorbereitenden Einrichtung) betreut wurden, für die eine so intensive Förderung aber nicht mehr erforderlich ist. Auch solche Kinder können nunmehr ganz normal den Kindergarten besuchen. Sie werden dort durch den therapeutischen Fachdienst, soweit notwendig, weiter gestützt.

Die Arbeit des Fachdienstes erstreckt sich auf alle 94 Kindergärten in der Stadt und im Landkreis Passau, d.h. insgesamt rund 250 Gruppen und ca. 6.900 Kinder (Stand 1997). Der Pädagogisch-Psychologische Dienst hält regelmäßig Kontakt zu diesen Einrichtungen: In jedem Kindergarten erscheint zu einer festgelegten Zeit einmal pro Woche eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter des therapeutischen Fachdienstes.

Charakteristika des PPD

Es ist vor allem diese regelmäßige Anwesenheit in der Einrichtung, die den Fachdienst im Bewußtsein von Erzieher/innen, Eltern und Kindern verankert und ihn im alltäglichen Ablauf der Institution zu einem Bestandteil der Lebenswelt Kindergarten macht. Erst die regelmäßige Präsenz schafft auch die Voraussetzungen für den organisatorischen Abgleich von Arbeitsabläufen und für die Erarbeitung aufeinander abgestimmter Arbeitskonzepte; auf der persönlichen Ebene eröffnet sie den Raum für gemeinsame Entwicklungsprozesse.

Die Fachkräfte des Dienstes arbeiten mobil. Sie suchen die Kindergärten auf, fördern dort Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten und sind Ansprechstationen für Erzieher/innen und Eltern. Kennzeichnend für den Pädagogisch-Psychologischen Dienst ist also die Präsenz vor Ort. Die Hilfe erfolgt nicht zentral in einer Einrichtung mit "Kommstruktur", sondern dezentral und gemeindenah als Angebot der Regeleinrichtung. Aufsuchendes Vorgehen und leichte Erreichbarkeit für Klient/innen sichern ein niedrigschwelliges Angebot mit kurzen Wegen. Die Hilfe für die Kinder ist damit nicht mehr gebunden an die Bereitschaft und Fähigkeit von Eltern, Unterstützung selbst zu organisieren und aufzusuchen.

Diese Anwesenheit des therapeutischen Fachdienstes vor Ort ist insbesondere deshalb besonders wichtig, weil die zu versorgende Region teilweise stark ländlich strukturiert ist. In dünnbesiedelten ländlichen Räumen sind aber die Barrieren für Hilfesuchende aus verschiedenen Gründen wesentlich höher als in städtischen Regionen: Ländliche Bereiche sind generell schlechter mit entsprechenden Hilfsangeboten versorgt, die Entfernungen zu zentralen Einrichtungen sind wesentlich größer, aber auch die psychologischen Vorbehalte gegen psychosoziale Angebote sind deutlich stärker ausgeprägt als in städtischen Regionen.

Personelle Ausstattung und Arbeitsorganisation

Der Dienst ist personell mit Heilpädagogen bzw. Erzieherinnen (4 Stellen), Sonderpädagogen (Magister oder Lehramt; 2,3 Stellen) und einem Psychologen ausgestattet. Diese Kräfte stehen voll für die inhaltliche Arbeit des Dienstes zur Verfügung. Anfallende Verwaltungsarbeiten werden vom Personal der Frühförderstelle und des Kindergartenreferats übernommen. Die Leitung des Dienstes wird kooperativ vom Leiter der Frühförderstelle Passau und der Leiterin des Referats Kindertagesstätten im DCV Passau wahrgenommen. Beide leiten abwechselnd die 14-tägigen Treffen des Großteams und vertreten den Dienst nach außen, z.B. bei Verhandlungen mit den Kostenträgern oder mit dem Jugendamt.

Der gesamte Betreuungsbereich ist in fünf Regionen aufgeteilt. Dieser regionalen Aufgliederung entspricht die Aufteilung der pädagogischen Fachkräfte des PPD in fünf sogenannte "Regionalteams". Jedes Regionalteam - bestehend aus zwei Personen, einer Heilpädagogin bzw. Erzieherin und einem Sonderpädagogen bzw. einer Sonderpädagogin (Lehramt, Magister) - arbeitet unabhängig und betreut die Kindergärten einer bestimmten Region. Primäre Ansprechpartner des Fachdienstes sind die Gruppenleiter/innen in diesen Kindergärten und - über diese - die Kinder und Eltern. Der Psychologe des PPD ist übergreifend im gesamten Betreuungsbereich des PPD tätig.

Die Kinder werden aufgrund von Beobachtungen der zuständigen Gruppenerzieher/innen dem Fachdienst vorgestellt. Voraussetzung ist das schriftliche Einverständnis der Eltern. Nach einer genaueren Abklärung durch den Fachdienst wird dann unter Einbeziehung der Gruppenleiter/innen und der Eltern entschieden, welche Maßnahmen in jedem Einzelfall angemessen sind.

Voraussetzung für die intensivere Betreuung eines Kindes durch den PPD ist, neben dem schriftlichen Einverständnis der Eltern, eine gründliche systematische Beobachtung durch die Gruppenleiterin mit Hilfe des Beobachtungsbogens für Erzieher/innen zur Groberfassung von Entwicklungsauffälligkeiten und -störungen bei Kindergartenkindern (BEK). Dieser Bogen soll ein umfassenderes Bild vom Entwicklungsstand eines Kindes liefern und so verhindern, daß bestimmte Probleme übersehen werden, die bei der diagnostischen Begutachtung durch den PPD (noch) nicht erkennbar sind.

Grundsätzlich ist es für die Erzieherin jederzeit möglich, ein Kind dem Fachdienst vorzustellen. Es gibt aber zwei Phasen im Kindergartenjahr, in denen Kinder schwerpunktmäßig gesichtet und diagnostiziert werden: Am Ende jedes Kindergartenjahres werden Kinder begutachtet, die im nächsten Jahr in die Förderung aufgenommen werden sollen. Zu Beginn des neuen Kindergartenjahres finden Diagnosewochen für jene Kinder statt, die aktuell in den Kindergarten aufgenommen wurden. Diese Sichtung wird in jeder Region von den beiden zuständigen Fachkräften des jeweiligen Regionalteams gemeinsam vorgenommen.

Auf der Grundlage dieser Diagnosen wird für den Gesamtbereich ein Einsatzplan erarbeitet, der regelt, welche Kindergärten von den Fachkräften des PPD angefahren werden und zu welchen Zeiten sie dort präsent sind. Diese Einsatzpläne werden den kooperierenden Kindergärten bekannt gegeben. Die beiden Mitglieder jedes Regionalteams teilen sich die in ihrem Zuständigkeitsbereich anfallenden Arbeiten auf; sie sind gleichberechtigt und arbeiten selbstverantwortlich.

Die Finanzierung des Dienstes erfolgt nicht einzelfallbezogen, sondern in einer pauschalierten Form. Für die Eltern entstehen keine Kosten. Die pauschale Finanzierung ist ein zentraler Unterschied zu den gängigen Modellen einer am einzelnen Kind orientierten Finanzierung von Förderungs- und Behandlungsmaßnahmen. Der pauschale Finanzierungsmodus ist spezifisch zugeschnitten auf die stark präventiv orientierten Zielsetzungen des Fachdienstes. Sie erlaubt eine rasche, sehr unbürokratische Hilfe ohne Etikettierung und Stigmatisierung der Kinder. Unterstützung für Eltern und Erzieher/innen und Förderung für die Kinder werden nicht mehr davon abhängig gemacht, daß ein Kind vorher als "behindert" oder "von Behinderung bedroht" deklariert wird. Ein am Behindertenrecht ausgerichteter Abrechnungsmodus ist, verglichen mit diesem pauschalen Finanzierungsmodell, eher starr und wird der typischen Problematik von "Grauzonenkindern" oft nicht gerecht.

Für den Fachdienst ermöglicht diese Art der Finanzierung eine große Flexibilität im Vorgehen. Er finanziert sich nicht über die Abrechnung von Behandlungseinheiten und kann seine Maßnahmen deshalb - im Rahmen der gegebenen Kapazität - allein an den Erfordernissen der jeweiligen Problemsituationen ausrichten. Über kindzentrierte heilpädagogische Fördermaßnahmen hinaus wird damit Spielraum gewonnen für eine breite Palette von Vorbeugungsmaßnahmen und Interventionen im Vorfeld einer Therapie im engeren Sinn, also z.B. für Früherkennungsuntersuchungen, für die anonyme Beratung von Erzieher/innen, für Hilfestellungen für Familien in schwierigen Lebenssituationen oder für eine qualifizierte, gut geplante und vorbereitete Vermittlung von Kindern an bestimmte therapeutische Einrichtungen.

Ermöglicht wird dieser Finanzierungsmodus des Pädagogisch-Psychologischen Dienstes durch eine Mischfinanzierung, an der sich insgesamt vier Kostenträger beteiligen:

  1. Die Kommunen zahlen eine Umlage entspechend ihrer Einwohnerzahl (im Augenblick 0,80 DM pro Einwohner). Damit werden 40% der Kosten des pädagogischen Fachpersonals und die Hälfte der Kosten für den Diplom-Psychologen bezahlt.
  2. Das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit finanziert nach dem Bayerischen Kindergartengesetz 40% der Kosten des pädagogischen Fachpersonals und aus Mitteln der Behindertenhilfe die Hälfte der Kosten für den Diplom-Psychologen.
  3. Das Bayerischen Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst stellt Mittel aus dem Sonderschuletat für eine Magisterstelle zur Verfügung.
  4. Der Caritasverband für die Diözese Passau e.V. bringt Eigenmittel ein.

Der vorliegende Finanzierungsmodus ist nicht nur innovativ, was die pauschale Zuteilung von Mitteln betrifft, er ist auch insofern neuartig, als hier vier Kostenträger ihre Mittel zusammenführen und daraus ein gemeinsames Angebot bereitstellen.

Klientel und Vorgehensweise des PPD

Die vom PPD betreuten Kinder weisen eine relativ breite Palette unterschiedlichster Probleme auf. Am häufigsten sind Störungen in der Entwicklung der Artikulation, verschiedene Verhaltensauffälligkeiten (Schüchternheit/Gehemmtheit, motorische Unruhe usw.), Sprachstörungen im engeren Sinn, kognitive Entwicklungsrückstände (z.B. bei Unterscheidungsfähigkeit, Merkfähigkeit/Gedächtnis) und Störungen der Grob- und Feinmotorik. Es gibt aber auch relativ viele Kinder mit gesundheitlichen Problemen (z.B. mit schweren und langdauernden bzw. chronischen Erkrankungen) oder mit Belastungen im familiären Umfeld.

Die Aufgaben, die bei der Betreuung und Förderung dieser Kinder zu bewältigen sind, lassen sich nach vier größeren Schwerpunkten unterscheiden:

  1. Früherkennung: Die Anwesenheit eines Fachdienstes im Kindergarten ermöglicht eine deutliche Verbesserung der Qualität der Früherkennung von Entwicklungsstörungen: Filtereffekte, wie sie bei zentralen Einrichtungen mit Kommstruktur notwendig wirken, können abgeschwächt sowie Entwicklungsprobleme frühzeitig identifiziert und unter Berücksichtigung fachlicher Standards diagnostiziert werden. In anderen Fällen - auch dies zeigt der Modellversuch - wird es durch ein effizientes Früherkennungssystem möglich, manche zu unrecht bestehende Beunruhigungen von Eltern oder Erzieher/innen rasch und ohne großen Aufwand aufzulösen.
  2. Beratung und Anleitung der Bezugspersonen von Problemkindern: Es ist angesichts der Häufigkeit von Entwicklungsauffälligkeiten und ihrer inhaltlichen Vielfalt, aber auch angesichts der unterschiedlichen Möglichkeiten der Entstehung solcher Probleme weder sinnvoll noch notwendig, Interventionen ausschließlich als Arbeit unmittelbar mit den Kindern zu verstehen. Einem qualifizierten Beratungsangebot in der Regeleinrichtung kommt insbesondere unter präventiven Gesichtspunkten besondere Bedeutung zu. Zielgruppen sind einmal die Eltern von Kindergartenkindern. Die Spannweite möglicher Beratungsleistungen ist relativ breit und umfaßt neben der Einzelberatung von Eltern auch stärker präventiv ausgerichtete Angebote, etwa die Gestaltung von Elternabenden über Erziehungsprobleme. Die zweite Zielgruppe für Beratungsangebote ist das Personal des Kindergartens. Die Themen solcher Beratungsgespräche sind vielfältig und reichen von der Vorbereitung schwieriger Elterngespräche über den Umgang mit problematischen Verhaltensmustern bis hin zur Bearbeitung von Teamproblemen.
  3. Therapeutische Arbeit mit den Kindern: Bei einem Teil der Kinder sind Behandlungsmaßnahmen im engeren Sinn notwendig. Es geht hier um Einzelförderung innerhalb oder außerhalb der Gruppe, aber auch um spezifische Angebote für Kleingruppen. Die sachgerechte Durchführung solcher Fördermaßnahmen setzt teilweise sehr spezifische Kenntnisse und Fertigkeiten voraus, über die Erzieher/innen in der Regel nicht verfügen. Allein der hohe Anteil von Kindern mit Artikulations- und Sprachstörungen und Kindern mit grob- und feinmotorischen Defiziten macht deutlich, daß dafür zeitlich wie personell erhebliche Kapazitäten bereitgestellt werden müssen.
  4. Weitervermittlung: Konkret geht es darum, mit anderen Stützsystemen konstruktiv zusammenzuarbeiten und Problemkinder, für die im PPD kein adäquates Angebot gemacht werden kann, an andere Hilfesysteme weiterzuvermitteln. Gerade weil der PPD häufig die erste Anlaufstelle darstellt, müssen seine Mitarbeiter/innen in der Lage sein, Klient/innen qualifiziert weiterzuvermitteln und diesen damit Irrwege zu ersparen.

Die Analyse der Behandlungsprotokolle zeigt, daß dem größten Teil der betreuten Kinder durch den Pädagogisch-Psychologischen Dienst wirkungsvoll geholfen werden kann. Bei fast 70% der Kinder wird die Förderung als "erfolgreich" oder "sehr erfolgreich" eingestuft. Bei knapp 10% aller Fälle hat sich das Eingreifen des PPD nach Angaben der behandelnden Fachkräfte als wenig erfolgreich erwiesen.

Diese Einschätzungen der Mitarbeiter/innen des PPD werden durch die objektiven Daten über den weiteren Verbleib der Kinder bestätigt: Fast alle Kinder, die durch den Dienst betreut wurden und aus dem Kindergarten in die Schule kamen, wurden ganz normal in die Grundschule eingeschult. Nur sehr wenige, nämlich neun Kinder - das sind insgesamt etwa 1,3% aller im Kindergartenjahr 1995/96 intensiver betreuten Kinder oder rund 2,8% aller intensiver betreuten schulpflichtigen Kinder - wurden in eine Sonderschule (Diagnose- und Förderklasse) eingeschult.

Literatur

Mayr, T.: Pädagogisch-Psychologischer Dienst im Kindergarten. Abschlußbericht. Berichte 5/98. München: Staatsinstitut für Frühpädagogik 1998



In: Klax International GmbH: Das Kita-Handbuch.

https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/kinder-mit-besonderen-beduerfnissen-integration-vernetzung/vernetzung-und-kooperation/101/