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Zitiervorschlag

Aus: "KiTa aktuell", Ausgaben NRW und Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Oktober 2003, S. 203-205 bzw. S. 200-203; mit freundlicher Genehmigung der Wolters Kluwer Deutschland GmbH.

Hochbegabung im Kindergarten

Hanna Vock

 

Hochbegabung ist zu einem öffentlichen Thema geworden. Die Medien haben es aufgegriffen und berichten über Vierjährige, die fließend lesen, und über Zwölfjährige, die Vorlesungen an der Uni besuchen. Inzwischen gibt es in allen Bundesländern Überlegungen und Modelle, um hoch begabte Kinder und Jugendliche in der Schule besser zu fördern. Es gibt einige Modell-Grundschulen, es gibt Gymnasien, die sich um Hochbegabtenförderung bemühen, es gibt Modelle, die es besonders leistungsstarken Schülern erlauben, noch während ihrer Schulzeit an der Universität zu studieren, es gibt gezielte Fortbildungen für Lehrer. Das alles geschieht noch längst nicht selbstverständlich und flächendeckend, aber es entwickelt sich.

Wo steht dabei der Kindergarten?

Hochbegabung fängt nicht erst in der Schule an; nur dauert es meist etliche Jahre, bis sie erkannt wird. Die Eltern sind oft unsicher, da sie wenig Vergleichsmöglichkeiten haben und sich scheuen, über ihre Vermutungen zu sprechen. Die Erzieherinnen, die ersten pädagogischen Fachkräfte, die das Kind intensiv kennen lernen, haben in ihrer Ausbildung normalerweise keine Gelegenheit, etwas über Hochbegabung zu lernen. Daraus ergibt sich eine fachliche Unsicherheit, hohe Begabungen abzugrenzen gegen Entwicklungsvorsprünge, die sich wieder verlieren können, und gegen Ergebnisse besonders guter, vielleicht auch ehrgeiziger Förderung durch die Eltern.

Wie zeigt sich Hochbegabung im Kindergartenalltag?

In meiner etwa zehnjährigen Tätigkeit im Kindergarten hatte ich die Gelegenheit und Freude, hoch begabte Kinder zu erleben. Die familiären Hintergründe waren sehr unterschiedlich, und auch die Art und Weise, wie sich die Hochbegabung zeigte. Zwei Beispiele sollen das deutlich machen.

Irena (Name geändert) war 3 Jahre und 6 Monate alt, als sie zum ersten Mal in den Kindergarten kam. Sie war freudig erregt und sehr aufmerksam, als ich ihr erklärte, an welchen Haken sie jetzt immer ihre Jacke hängen sollte, nämlich an den mit dem Segelschiff-Bildchen. Sie flüsterte ihrer Mutter zu: "Mama, das kann ich mir ja leicht merken, dass das Segelschiff mein Zeichen ist, weil da steht ja mein Name daneben." Eine ungewöhnliche Äußerung für ein dreijähriges Kind. Sie zeigt, dass Irena nicht nur ihren Namen lesen konnte, sondern dass sie das Lesen auch bereits als Werkzeug benutzte, um sich in einer neuen Situation zu orientieren.

Frühes Lesen oder auch der frühe Wunsch, Lesen zu lernen, ist ein Hinweis auf eine besondere kognitive und sprachliche Begabung. Die weitere Beobachtung von Irena ergab noch viele andere Hinweise auf außergewöhnliche Fortschritte im Denken und Sprechen.

Kindergartenkinder können aber auch in anderen Entwicklungsbereichen sehr stark von den gewohnten Altersnormen abweichen, zum Beispiel im logisch-mathematischen Bereich:

Am Adventskalender hing für jedes Kind eine Tüte. Jeden Tag durfte ein anderes Kind seine Tüte abschneiden und auspacken. Wer jeweils dran kam, entschied am Vortag das Los: In einer Dose war für jedes Kind ein Kärtchen mit dem Bild, das auch seinen Garderobenhaken kennzeichnet. Jeden Tag zog ein Kind aus dieser Dose ein Kärtchen, ohne hinzusehen. Das Kind, dessen Kärtchen gezogen wurde, kam am nächsten Tag dran und durfte sich seine Tüte holen.

Daniel (3;5) und Leo (3;6) (Namen geändert) erlebten dieses jährliche Ritual zum ersten Mal. Leo war ein gut entwickeltes und gut gefördertes Kind. Daniel war hoch begabt, mit einer Vorliebe für Mengen, Zahlen und logische Zusammenhänge, was im Kindergartenalltag mit der Zeit immer deutlicher wurde. Wenn ich nun fragte: "Wer ist denn heute beim Adventskalender dran?", wussten die älteren Kinder Bescheid und riefen den Namen. Daniel blieb dabei stets ruhig und gelassen, Leo dagegen war jedes Mal tief enttäuscht und fragte mich, wenn ein anderes Kind sich seine Tüte geholt hatte, immer wieder: "Warum nimmst du mich nicht dran?"

Eines Tages bat ich die beiden Jungen, noch kurz da zu bleiben, und stellte (vor der Auslosung für den nächsten Tag) zuerst Leo die Frage: "Na, Leo, glaubst du, dass du morgen dran kommst?" Leo (strahlend): "Jaaa!" Nachfrage: "Warum glaubst du das?" Leo: "Weil ich das haben will." Daniel antwortete auf dieselbe Frage: "Kann sein, kann auch nicht sein." Und auf die Nachfrage: "Wie meinst du das?" Daniel: "Na, wenn ich nachher gezogen werde, komme ich dran, und wenn nicht, dann nicht. ...Vielleicht komme ich aber auch erst als Allerletzter dran."

Leo zeigte eine völlig alterstypische Reaktion: Sein Denken war von seinem starken Wunsch beherrscht, endlich dran zu kommen. Jeden Tag war er aufs Neue gespannt, erwartungsfroh und dann wieder enttäuscht und zunehmend böse auf mich als Erzieherin und forderte von mir, dass ich ihn dran nehmen sollte.

Das Prinzip des Zufalls verstand Leo noch nicht. Er verstand auch nicht die Erklärungsversuche der älteren Kinder, fühlte sich aber durch ihre Zuwendung teilweise getröstet. Er war bei diesem Ritual ebenfalls geistig aktiv und versuchte, sich das Geschehen zu erklären. Da ihm aber das Zufallsprinzip als Erklärungsmuster (noch) nicht zur Verfügung stand und er auch noch keinen klaren Überblick über die Zeitbezüge zwischen den Begriffen "gestern", "heute" und "morgen" hatte, konnte er sich die Tatsache, dass er jetzt wieder nicht dran kam, nur so erklären, dass irgendwer willkürlich und grade jetzt sein Drankommen verhindert hatte. Nahe liegender Weise wurde die Erzieherin als die mächtigste anwesende Person dafür verantwortlich gemacht.

Daniel durchschaute das System dagegen klar. Auch er zeigte in den nächsten Tagen immer wieder Enttäuschung, äußerte sie aber anders: "Schon wieder Pech!" / "O nein, kann denn nicht mal wer mein Bild ziehen?"

Was ist Hochbegabung?

Hoch begabt oder besonders begabt ist ein Kind, das in einzelnen oder auch mehreren Bereichen (logisches Denken, kreatives Denken, mathematische Fähigkeiten, kinästhetisch-motorische Fähigkeiten, sozial-emotionale Kompetenz, künstlerisches Gestalten, Musikalität, naturwissenschaftliche Fähigkeiten, Sprache) besonders schnell, effektiv, oft scheinbar mühelos und mit Freude lernt.

Um seine besondere "Lernleichtigkeit" zeigen zu können, braucht das Kind allerdings eine förderliche Umgebung, die genügend Anreiz, Herausforderung und Möglichkeiten zum Tätigsein auf dem bereits erreichten Entwicklungsniveau bietet. In einer für das Kind "langweiligen" Umgebung findet es kaum Möglichkeiten dazu. So kann es passieren, dass die Hochbegabung zunächst unentdeckt bleibt, was zu Dauerfrustration beim Kind führt. Dauerfrustration, der das Kind nicht entkommen kann, wird in vielen Fällen zu negativen Entwicklungen wie depressiver Verstimmtheit oder negativ-auffälligem, störendem Verhalten führen.

Um fest zu stellen, ob das Kind zu den zwei bis drei Prozent Kindern eines Jahrgangs gehört, die im engeren Sinne als hoch begabt gelten, ist eine Begabungstestung bei erfahrenen Psychologen nötig. Für die Förderung im Kindergarten ist so eine Diagnose nicht unbedingt erforderlich; Erzieherinnen, die sich in Fortbildungen ausführlich mit dem Thema Hochbegabung befassen, können lernen, besondere Begabungen durch gezielte Beobachtungen zu erkennen.

Warum ist es wichtig, hohe Begabungen früh zu entdecken?

Es gibt dafür einen guten Grund: Hoch begabte Kinder haben Spiel- und Lernbedürfnisse, die im Prinzip dieselben sind wie bei allen anderen Kindern. Sie wollen verstehen, was um sie herum geschieht, was mit ihnen selbst geschieht, sie sind ständig auf der Suche nach neuem Wissen und interessanten Menschen und Medien, von denen sie etwas Faszinierendes über die Welt erfahren können. Sie wollen mit anderen Kindern zusammen spielen, mit anderen Kindern und Erwachsenen Spaß haben, sich mit ihnen austauschen, gemeinsam etwas gestalten, Entscheidungen treffen, etwas schaffen, Anerkennung finden.

Die konkrete Ausprägung dieser Bedürfnisse kann sich aber völlig unterschiedlich zeigen. Ein motorisch-kinästhetisch hoch begabtes vierjähriges Kind hat vielleicht großes Interesse und viel Spaß daran, komplizierte Tanzfolgen zu erlernen und zu improvisieren, wogegen viele andere Vierjährige erst lernen (und Spaß daran haben), bei einer einfachen Melodie so ungefähr im Takt zu klatschen oder zu gehen. Das hoch begabte Kind wird sich notgedrungen langweilen und stark unterfordert sein, wenn über Jahre immer wieder nur diese nach seinem Empfinden einfachen Dinge in seiner Umgebung vorkommen. Es findet keine Nahrung für die Entfaltung seiner Begabung.

Das naturwissenschaftlich besonders interessierte und begabte fünfjährige Kind kann sich hochgradig frustriert fühlen, wenn "spannende Experimente" angekündigt werden und das Experiment dann darin besteht, eine brennende Kerze zu beobachten, zu fühlen, wie heiß die Flamme ist und sie schließlich auszupusten; eine Sache, die ihm eh schon lange klar ist. Nicht anders geht es Schulanfängern, die mit großen Erwartungen in die Schule kommen und nach kurzer Zeit vom (für sie viel zu) geringen Tempo z.B. beim Rechnen oder Schreibenlernen enttäuscht sind.

Es geht also für die Arbeit der Erzieherin darum, die weit vom Durchschnitt abweichenden Interessen und das große Entwicklungspotenzial und schnelle Entwicklungstempo des Kindes zu erkennen, wert zu schätzen und nach Möglichkeit angemessen zu beantworten. Es ist leider nicht so, dass alle hoch begabten Kinder ihre Interessen und Fähigkeiten im Kindergarten deutlich zeigen. Oft haben sie schon früh die Erfahrung gemacht - vielleicht auch in den ersten Kindergartentagen - dass sie mit ihren Ideen und Ansprüchen oder mit ihrer Art zu sprechen nicht gut ankommen. Eine mögliche und häufig gezogene Schlussfolgerung des Kindes: Ich muss mich hier anders benehmen, ich weiß aber nicht so richtig wie. In der Folge verbergen sie Fähigkeiten, so dass Erzieherinnen oft ungläubig staunen, wenn ihnen die Eltern vertrauensvoll erzählen, was das Kind zu Hause alles macht und kann. Um Hochbegabung trotzdem zu erkennen, braucht es solides, einschlägiges Fachwissen zum Thema Hochbegabung.

Wie können wir hoch begabte Kinder im Kindergarten fördern?

In einer berufsbegleitenden Zusatzausbildung zum Thema Hochbegabung arbeiteten die teilnehmenden Erzieherinnen drei Ebenen der Förderung heraus, die alle wichtig sind und hier kurz zusammengefasst wieder gegeben werden:

1. Ebene: Begabungsförderliche Einstellungen und Verhaltensweisen von Erzieherinnen

Hier geht es vor allem darum, dass die Erzieherin die Selbstständigkeit und die Neugier aller Kinder stärkt, jedes Kind in seiner Persönlichkeit wert schätzt, sich von Altersnormen verabschiedet, Spontaneität zulässt, ihre eigene Lernfreude pflegt, offen für neue Themen ist. Für das Wohlbefinden hoch begabter Kinder in der Gruppe ist entscheidend, ob die Erzieherin es versteht, auch die intellektuellen Interessen der Kinder, auch ihr Interesse an Zahlen und Buchstaben, an naturwissenschaftlichen, technischen und philosophischen Fragen Ernst zu nehmen und ihre Freude darüber zu zeigen. Die Erzieherin muss selbst nicht alles wissen, sollte sich aber für vieles interessieren. Sie sollte sich die Zeit nehmen, darüber zu staunen, was die Kinder alles können. Kreative Prozesse beginnen oft mit einer guten Frage. Erzieherinnen können lernen, auch den hoch begabten Kindern die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen, um eigenständige kreative Prozesse in Gang zu setzen.

2. Ebene: Begabungsförderliches Spiel- und Lernumfeld im Kindergarten

Damit der Kindergarten für die unterschiedlichsten Begabungen der Kinder anregend ist, müssen viele ganz unterschiedliche Tätigkeiten möglich sein und unterstützt werden: viele verschiedene Bewegungsmöglichkeiten, Theaterspielen, Tanzen, Experimentieren, Lesen, Erzählen, Diskutieren, Knobeln, Gestalten mit vielen verschiedenen Materialien, Werken, Malen, Kochen, Musik machen, am Computer spielen...

Das Spielmaterial darf nicht nur auf den vermuteten Durchschnitt der Kinder ausgerichtet sein, es muss auch "Schwieriges" vorhanden sein; und es muss den Kindern gezeigt werden, wie man damit umgehen kann. Forschendes und kreatives Spielen soll einen großen Raum einnehmen. Hervorragend geeignet sind Erkundungsgänge in die nähere Umgebung: "Mal sehen, was wir unterwegs entdecken!" Diskussionsrunden, in denen Erlebtes besprochen wird, fordern zum eigenständigen Denken und Formulieren heraus. Es sollte grundsätzlich an den Stärken und schon vorhandenen Fähigkeiten der Kinder angeknüpft werden, nicht an möglichen Defiziten.

All das erfordert geringe Gruppenstärken, viel Platz zum (ausgelassenen und ruhigen, ungestörten) freien Spiel und ausgedehnte Möglichkeiten zu Kleingruppenarbeit. Wenn die Personalbesetzung und das Raumprogramm zum Beispiel Kleingruppenarbeit nicht ständig ermöglichen, ist Begabungsförderung kaum möglich. Dies sollten Politiker bedenken, die immer größere Gruppen zulassen, oder sogar vorhaben, die Standards für den Betrieb von Kindergärten aufzuheben.

3. Ebene: die spezifische Förderung der hoch begabten Kinder

Durch genaue und gezielte Beobachtung und eine intensive Kommunikation mit dem Kind kann die Erzieherin herausfinden, was das Kind wirklich interessiert. Ein Mädchen erzählte, als es längst den Kindergarten hinter sich gelassen hatte: "Die wollten immer, dass ich was spiele. Mich hat aber interessiert, was die Anderen machen und vor allem, was die Erzieherin machte und warum sie das tat." Diese Aussage lässt ein frühes pädagogisch-psychologisches Interesse vermuten. Nie hat jemand dieses Kind im Kindergarten gefragt, worüber es nachdenkt. Es hätten sich vielleicht gute Anknüpfungspunkte für das Gruppengeschehen finden lassen.

Zum Schutz hoch begabter Kinder vor negativer Etikettierung müssen noch viele Vorurteile abgebaut werden. Die Sprache ist zu prüfen: Welche Worte werden benutzt, um intellektuell hoch begabte Kinder zu beschreiben: "vorlaut", "altklug", "überschlau", "vorwitzig", "neugierig", "verkopft" (= besonders scheußlich). Warum nicht "klug", "intelligent", "pfiffig", "wissensdurstig", "denkfreudig"?

Ein weiterer Grund, weshalb Erzieherinnen für das Aufspüren von hohen Begabungen sensibel sein sollten: Auch ein Kind, das sich nicht offensichtlich langweilt oder über Langeweile klagt, kann chronisch unterfordert sein. Manche klugen Kinder passen sich an, vertreiben sich unauffällig die Zeit und amüsieren sich häufig ganz gut (manchmal auch auf Kosten Anderer). Die Unterforderung ist dann nur zu entdecken, wenn das Kind mit anspruchsvollen, seinem Entwicklungsstand und seinen Lernmöglichkeiten entsprechenden Anforderungen konfrontiert wird; wenn es wählen kann zwischen passender Anregung und Langeweile. Oft verschwinden Verhaltensprobleme und negative Stimmungen, wenn die Herausforderung und die Möglichkeiten zum selbstbestimmten Tun drastisch angehoben werden.

Gerade hoch begabte Kinder sollten frei entscheiden können, ob sie an Gruppenaktivitäten teilnehmen oder lieber eigene Pläne verfolgen wollen. Wichtig ist, eine gute Balance zu finden zwischen dem Bestehen auf Einhaltung der Regeln und der (auch vor der Gruppe begründeten) Duldung von Ausnahmen.

Außer permanenter Unterforderung kann das hoch begabte Kind im Kindergarten noch andere Probleme bekommen. Es kann Spielfreunde vermissen, mit denen es seine oft recht komplexen Spielideen verwirklichen und seine Gedanken über "Erwachsenenthemen" austauschen kann; es kann unter Ablehnung und Abweisung leiden, wenn die anderen Kinder (und vielleicht auch die Erzieherin) seine besonderen Fähigkeiten und Interessen oder seine Art zu sprechen nicht positiv sehen, sondern sie eher unpassend und unverständlich finden. Es kann dadurch nachhaltig verwirrt werden, dass es sein Anderssein in der Kindergartengruppe erstmalig selbst bemerkt, es sich aber allein nicht erklären kann - warum es zum Beispiel nicht denselben Spaß bei bestimmten Spielen empfindet wie die anderen Kinder. Missverständnisse zwischen dem hoch begabten Kind und den anderen Kindern der Gruppe sind sehr wahrscheinlich. Auch hier kann die Erzieherin (quasi als Übersetzerin) hilfreich sein.

Es ist sehr schön für hoch begabte Kinder, wenn sie - über die Gruppengrenzen hinaus - auch konzentriert mit ähnlich motivierten und befähigten Kindern zusammen spielen können. Hier Spielfreundschaften anzubahnen, ist sehr verdienstvoll. Denn im Kindergarten werden die Weichen gestellt für spätere soziale Zufriedenheit und Kooperationsfähigkeit. Die Erfahrungen, die das hoch begabte Kind im Kindergarten im Zusammenspiel mit anderen Kindern macht, können entscheidend dafür sein, ob es Einzelgänger wird oder den Austausch mit Anderen sucht.

Die Erzieherin, die sich mit Hochbegabung befasst hat, kann dem hoch begabten Kind viele Hilfestellungen geben, sich im Kindergarten wohl zu fühlen. Sie kann ihm wertvolle Erklärungsmuster anbieten, die ihm helfen, trotz seiner empfundenen Andersartigkeit ein realistisches und positives Selbstkonzept aufzubauen. Sie kann auch die oft verunsicherten Eltern kompetent beraten, nicht zuletzt in der Frage des besten Einschulungstermins.

Früheinschulung oder optimale Förderung im Kindergarten?

Für manche weit überdurchschnittlich begabte Kinder ist es ein guter Ausweg aus schmerzlicher Unterforderung, wenn sie früher oder gleich in die 2. Klasse eingeschult werden, falls sie zum Beispiel schon lesen können. Früheinschulung ist sinnvoll für Kinder, die vielseitig begabt und selbstbewusst sind und die sich deutlich für die Schule und die dort vermittelten Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen interessieren. Es gibt inzwischen etliche hoch begabte Kinder, die erfolgreich vor dem 5. Geburtstag eingeschult wurden und sich in der Schule am richtigen Ort fühlen.

Andererseits hat der Kindergarten gute Möglichkeiten zur Begabungsförderung. Er ist sogar von seinen Strukturen her ein besonders guter Ort, um hoch begabte Kinder ganzheitlich zu fördern: keine Fächergrenzen, keine Pausenklingel, unzerteilte Zeiträume für intensives Spiel und intensive Projekte, meist weitaus häufigerer Kontakt zu den Eltern, gute Möglichkeiten zur Arbeit in kleinen Gruppen, wenn zwei Fachkräfte in der Gruppe anwesend sind.

Neben diesen günstigen Strukturen müssen aber vor allem die Erzieherinnen die Möglichkeit haben, sich mit Fragen der frühen Hochbegabtenförderung auseinander zu setzen.

Fortbildung tut not

Nur 5 von über 400 Erzieherinnen, die bei Fortbildungsveranstaltungen von mir befragt wurden, haben angegeben, dass sie in ihrer Ausbildung etwas über Begabtenförderung erfahren haben, und auch das dann nur ganz beiläufig und am Rande. Dieses ist aus Sicht der hoch begabten Kinder und ihrer Familien ein bedauerlicher Zustand. Selbst wenn das Thema Hochbegabung jetzt in die Ausbildung einziehen würde, könnte mit positiven Effekten im Kindergartenalltag erst in etlichen Jahren gerechnet werden. Fortbildung kann schneller wirken.

Engagierte Erzieherinnen berichten schon nach wenigen Stunden Fortbildung über Aha-Erlebnisse und das Entschwinden von Vorurteilen. Ebenso ist eine allgemeine, stärkere Sensibilisierung für die besonderen Bedürfnisse hoch begabter Kinder in relativ kurzen Fortbildungseinheiten zu erreichen. Um aber ein sicheres Gefühl und gute methodische Kenntnisse für die angemessene Förderung der Kinder zu erlangen, um Eltern kompetent zu beraten und die Belange hoch begabter Kinder gegenüber Kolleginnen und anderen Eltern zu vertreten, sind umfangreichere Fortbildungen nötig.

Das Institut zur Förderung hoch begabter Vorschulkinder hat es sich zur Aufgabe gemacht, Curricula für solche Fortbildungen zu entwickeln und zu erproben. Es macht Sinn, diejenigen Erzieherinnen für längerfristige Kurse zu gewinnen, die schnell ein starkes und positives Interesse am Thema Hochbegabtenförderung aufbauen, die fasziniert von den Möglichkeiten sind, die sich in der Kommunikation mit hoch begabten Kindern entwickeln lassen. Dies zeigen erste Erfahrungen aus dem Zertifikatskurs "Hochbegabtenförderung im Vorschulbereich". In diesem Kurs lernen seit März 2003 zwölf Kölner Erzieherinnen - mit freundlicher Unterstützung der Kölner Imhoff Stiftung - sehr praxisnah und sehr engagiert. Erste positive Reaktionen von Kolleginnen und Eltern wurden bereits berichtet.

Inzwischen (im März 2007) wurde der 11. Zertifikatskurs gestartet.

Autorin

Hanna Vock leitet das Institut zur Förderung hoch begabter Vorschulkinder (IHVO) in Bonn.
Homepage: www.IHVO.de
Email: [email protected]