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Zitiervorschlag

Aus: Arbeitskreis "Pro Vorklasse" (Hrsg.): Vorklasse als Chance. Seiten: 7-9, 19-24, 124-128 in Auszügen

Vorklassen in Hessen

Arbeitskreis "Pro Vorklasse"

 

Mit dem vollendeten 6. Lebensjahr wird ein Kind eingeschult, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass es dann den Anforderungen zu erfolgreicher Mitarbeit im Anfangsunterricht der Grundschule gerecht wird. Jedoch sind nicht alle Kinder mit sechs Jahren auch tatsächlich schulfähig. Einige haben aus den verschiedensten Gründen Entwicklungsverzögerungen, oftmals in mehreren Bereichen (emotional, sozial, kognitiv, körperlich, psychomotorisch).

Deshalb wurden Vorklassen eingerichtet; die Erste bundesweit entstand 1906 in Berlin, die Erste in Hessen 1953. In vielen Bundesländern nennt man diese Einrichtung Schulkindergarten. In einem der 1. Klasse vorgeschalteten Schuljahr wird den Kindern entsprechende Hilfe gegeben: Sie werden auf den Besuch der Anfangsklasse vorbereitet, ohne Lerninhalte vorwegzunehmen. Vorklassen haben sich bewährt; das Image hat sich verbessert; von Eltern und Grundschulen wird die Wichtigkeit erkannt. Aus diesem Grund wurden jährlich neue Vorklassen eingerichtet.

Die Arbeit in der Vorklasse beinhaltet einen ganzheitlichen Ansatz. Die Lernsituation greift die Erlebniswelt des Kindes auf. Die Kinder lernen über das Tun und Begreifen. Das Spiel ist dabei ein wichtiges Mittel der Kinder, ihre Umwelt und sich selbst zu erfahren.

Der Ablauf des Tages hat einen eigenen Rhythmus, der durch einen Wechsel von Spiel- und Arbeitsformen gekennzeichnet ist. Abwechselnde Tätigkeiten wie Spielen und Arbeiten, Singen, Erzählen, Basteln, Malen und Bewegung, die nicht an feste Zeitpläne gebunden sind, sollen motivieren und Freude an der Schule wecken. Diese finden sowohl in der Gesamtgruppe, einer Kleingruppe, aber auch in Einzelförderung statt. So kann auf die individuellen Lernvoraussetzungen der Kinder eingegangen werden.

Zu den wichtigsten Aufgaben der Vorklassenarbeit zählen:

  • Besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten werden unterstützt.
  • Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein werden entwickelt.
  • Das Sozialverhalten wird gefördert.
  • Konzentration und Ausdauer werden geübt.
  • Die Entwicklung der Grob- und Feinmotorik wird verbessert.
  • Sprachkenntnisse werden erweitert, die Kommunikationsfähigkeit wird gefördert.
  • Positive Einwirkung auf die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit im kognitiven, emotionalen, psychischen, motorischen und sozialen Bereich wird angeregt.
  • Sinneswahrnehmung wird geschult.
  • Vorschulische Arbeitstechniken bereiten die Kinder auf den Unterricht in der 1. Klasse vor.
  • Zusammenarbeit mit Eltern, Erziehungsberechtigten, Kindergärten und anderen Institutionen wird gepflegt.

Um die Bedeutung der Vorklasse als einen geschützten Raum besser zu verstehen, erscheint es wichtig, ihren pädagogischen Ansatz und grundlegende Unterscheidungen zur Arbeit in der 1. Klasse zu beschreiben.

Die Arbeitsweise in der Vorklasse ist kindorientiert und vorwiegend ganzheitlich ausgerichtet. Kindorientiert heißt, dem Kind Zeit und Raum zu geben, sich in seiner Gesamtpersönlichkeit zu entwickeln und zu entfalten. Für die Sozialpädagogin bedeutet dies, das Kind dort abzuholen, wo es in seiner Entwicklung steht, ohne bestimmte Fertigkeiten vorauszusetzen. Es erfordert ein intensives Beobachten der Kinder und ein individuelles Zusammenstellen von Fördermöglichkeiten.

In der Vorklasse werden den Kindern vielfältige Anreize geboten, die möglichst alle Sinne ansprechen. Dabei wird der ganze Körper mit einbezogen, um ihn ganzheitlich wahrnehmen zu lassen. Nicht die theoretische Wissensvermittlung steht im Vordergrund, sondern das Lernen durch Erleben und Handeln. Förderung ist demnach nicht als isoliertes Funktionstraining zu sehen und ist in die kindliche Erfahrungswelt mit eingebettet. Erst das gute Zusammenspielen der Sinne, der Motorik und einer altersgemäßen Sprachentwicklung lässt die Kinder dann den Anforderungen der 1. Klasse besser gerecht werden.

Kindorientierung und ganzheitliches Lernen sind somit Hauptpfeiler der Arbeitsweise mit Vorklassenkindern und werden nicht durch einen vorgegebenen Lernplan eingeschränkt. Zwar ist der Rahmenplan für die Vorklassenarbeit in verschiedene Handlungsfelder gegliedert, jedoch stellt er vielmehr eine Orientierungshilfe dar, die auf die spezifische Situation der jeweiligen Vorklassengruppe abgestimmt werden muss.

Von entscheidender Bedeutung für die Kinder ist die persönliche Bindung an eine feste Bezugsperson, die ihr höheres Zuwendungsbedürfnis befriedigen kann. Die Sozialpädagogin gibt den Kindern durch einen rhythmisierten Tagesablauf mit verlässlichen Strukturen Sicherheit, sich in einem anregungsreich eingerichteten Klassenraum im Klassenverband zu erleben. Sie trägt Sorge für das Wohlergehen der einzelnen Kinder und kann sich die Zeit nehmen, um auf die Bedürfnisse und Fragen einzugehen. Auch dem Bedürfnis nach körperlicher Nähe und emotionaler Unterstützung wird in höherem Maße Rechnung getragen.

Unseren Erfahrungen nach besuchen die Kinder die Vorklasse mit viel Freude und starten danach gestärkt, aber auch neugierig in das 1. Schuljahr.

Aktuelle Gedanken zur 4. Auflage unserer Dokumentation

Nach wie vor hat die Vorklasse ihre Berechtigung im Angebot der Grundschule!

  • Seit der Veröffentlichung der ersten Auflage unserer Dokumentation beobachten wir, wie sich die allgemeinen Bedingungen in der Grundschule Zug um Zug verschärfen:
  • Die Klassengröße bis zu 28 Kinder muss "auf Anweisung von oben" immer öfter konsequent ausgeschöpft werden.
  • Klassen werden auch noch am 1. oder 2. Tag des neuen Schuljahres zusammengelegt, wenn sich die Schülerzahl verringert hat.
  • Die Auffälligkeiten der Schulanfänger in den unterschiedlichen Entwicklungsbereichen nehmen in den letzten Jahren eher zu.
  • Immer häufiger wird über die Schließung einer Vorklasse nachgedacht, wenn die wahrscheinliche Gruppengröße zu Beginn des Schuljahres unter 10 liegt.

Immer wiederkehrenden Argumente gegen die Vorklasse

"Kinder werden zu spät eingeschult"

In einzelnen Fällen kann es tatsächlich passieren, dass Kinder mit acht Jahren in die erste Klasse eingeschult werden. Das geschieht dann, wenn das Kind nach dem 1. Juli im Sommer sieben Jahre alt wird und mit den Anforderungen einer ersten Klasse überfordert ist. Normalerweise kommen Vorklassenkinder mit sieben Jahren in die erste Klasse. Eine erfolgreiche Schullaufbahn misst sich nicht am Alter, sondern am Entwicklungsverlauf des Kindes.

Wenn die Vorklasse als solche nicht mehr existieren würde, benötigte ein Kind mit den klassischen Entwicklungsrückständen für den Lernstoff der ersten beiden Schuljahre ganz sicher auch drei Jahre, wobei sich die Frage stellt, in welchem Rahmen das Kind am Anfang seiner Schulzeit besser gefördert werden kann.

"Vorlaufkurse machen Vorklassen überflüssig"

Kinder mit geringen deutschen Sprachkenntnissen sollten auch unserer Meinung nach einen Vorlaufkurs besuchen. Aber Kinder, die in die Vorklasse gehen, haben Probleme in den unterschiedlichsten Entwicklungsbereichen. Neben Sprachauffälligkeiten sind - häufig parallel - Auffälligkeiten im motorischen, sozial-emotionalen und/oder im kognitiven Bereich zu beobachten.

Es zeigt sich nach zweijähriger Erfahrung mit den Vorlaufkursen, dass ausländische Kinder, die drei Jahre einen Kindergarten besuchten und trotzdem nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen, häufig auch Probleme in anderen Bereichen haben. Diese Probleme können während eines Schuljahres in einem Vorlaufkurs allein nicht gelöst werden.

"Die Vorklasse selektiert die Kinder schon vor der Einschulung"

Kinder empfinden ihre Einschulung in die Vorklasse in den allermeisten Fällen nicht als Selektion. Sie werden ganz im Gegenteil motiviert, weil sie den Anforderungen gerecht werden können und mit den Erfolgserlebnissen auch Lernfreude entwickeln.

Die Vorklassenleiterin bzw. der Vorklassenleiter kann einzelne Kinder viel effektiver fördern. Nicht die Kinder empfinden Vorklasse als selektive Maßnahme, sondern Erwachsene, die diese Form der Förderung ablehnen.

Wir sind aus den o.g. Gründen nach wie vor der Meinung, dass es zur Förderung in der Vorklasse für Kinder mit Entwicklungsverzögerungen keine Alternative gibt!

Anmerkung

Weitere Informationen erhalten Sie über unsere Homepage http://www.vorklasse.de oder unsere Email Adresse: [email protected].