Werner Eitle
Zu wissen dass wir zählen
mit unserem Leben
mit unserem Lieben
gegen die Kälte
für mich, für Dich, für unsere Welt"
(Aus: Ruth C. Cohn: "Zu wissen dass wir zählen", Zytglogge, Bern, 1990, Vorspann)
Ruth Cohn (*27. August 1912 in Berlin; † 30. Januar 2010 in Düsseldorf) wäre im Jahr 2012 100 Jahre alt geworden. Sie gilt als die Begründerin der Themenzentrierten Interaktion (TZI), die auch für sozialpädagogische Fachkräfte, die z.B. mit Gruppen und Teams arbeiten, von hilfreicher Bedeutung ist.
Ruth Charlotte Cohn wurde am 27.08.1912 in Berlin als Tochter und zweites Kind eines Bankiers geboren und wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen (mit Dienstboten) auf. Ruth Cohn gilt als eine bedeutende Vertreterin der Humanistischen Psychologie und hat die TZI (Themenzentrierte Interaktion) begründet. Bei der Humanistischen Psychologie (neben Ruth Cohn ist der allseits bekannte Carl Rogers (1902-1987) ein weiterer bedeutender Vertreter dieser Fachrichtung) handelt es sich um eine Psychologische Schule, die das Ziel hat, dass Menschen psychisch gesund bleiben und sich selbst verwirklichen und entfalten können.
1931/1932 studierte Cohn Nationalökonomie und Psychologie an den Universitäten Heidelberg und Berlin. Ruth Cohn war Jüdin und hat in Berlin der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhundersts erlebt, wie z.B. jüdische Mitstudenten während einer von ihr besuchten Vorlesung von Hitlers SA (Sturmabteilung und paramilitärische Kampforganisation der Nationalsozialisten) verprügelt wurden. Diese menschenverachtenden Erlebnisse und sicherlich noch weitere in diesem Zusammenhang stehende Ereignisse haben Ruth Cohn nachhaltig geprägt, beeinflusst und schließlich mit zur Entwicklung der Themenzentrierten Interaktion geführt. Die TZI zielt auf ein aktives und lebendiges Lernen und Arbeiten von Menschen. Sie strebt ein dynamisches Gleichgewicht an zwischen den Bedürfnissen der einzelnen Personen, der Gruppe, deren Aufgabe und dem Umfeld.
Nach der Machtergreifung der Nazis (1933) flüchtete die deutsch-jüdische Studentin dann von Berlin nach Zürich. Hier studierte sie Psychologie, Pädagogik, Theologie, Literatur und Philosophie und ließ sich in Psychoanalyse durch die Internationalen Gesellschaft für Psychoanalyse ausbilden. 1941 wanderte sie in die Vereinigten Staaten aus. Dort erlebte sie allerdings zunächst als Emigrantin die Nicht-Anerkennung ihrer therapeutischen Qualifikation (Cohn war keine Medizinerin), was in der Folge auch materielle Sorgen brachte. Ruth Cohn musste daher zunächst als Kinder- und Jugendtherapeutin arbeiten und wurde erst später auch als Psychoanalytikerin für Erwachsene anerkannt. In den USA arbeitete Cohn z.B. mit Fritz und Laura Pearls (Begründer der Gestalttherapie), Virginia Satir (Familientherapie) und Carl Rogers (klientenzentrierte Gesprächstherapie) zusammen. 1974 erfolgte dann ihre Rückkehr nach Europa. 1979 erhielt Ruth Cohn die Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg (Psychologische Fakultät). Der damals noch junge Friedemann Schulz von Thun (1944) und spätere Professor für Psychologie an der Universität Hamburg hielt die Laudatio. Viele Jahre hatte Ruth Cohn ihren Wohnsitz in Hasliberg in der Schweiz. Ruth Cohn verstarb im Jahr 2010 97-jährig in Düsseldorf.
Vielen sozialpädagogischen Fachkräften ist sicherlich aus der Ausbildung oder durch die praktische Anwendung das sog. "Vier-Faktoren-Modell" der ICH-WIR-ES-Globe bekannt.
Mit diesem Modell, zu dem auch die von Cohn entwickelten TZI-Regeln gehören, können z.B. Gruppen und Teams geleitet werden. Das Modell bietet vielfältige Möglichkeiten, Aufgaben und Sachthemen unter Beachtung der Rahmenbedingungen Umfeld/Globe effektiv und lebendig zu bearbeiten. Es steht für Sachanforderungen, Ich für die Kompetenzen des Einzelnen und das Wir für die Gesamtgruppe.
Anliegen einer TZI-Gruppenleitung ist die Wahrung der "dynamischen Balance" (sog. Fließgleichgewicht) zwischen diesen vier Faktoren, die in der TZI als gleich wichtig angesehen werden.
Die wichtigsten TZI Regeln lauten:
1. Sei dein eigener Vorsitzender.
Dies bedeutet, dass jeder selbst verantwortlich ist für seine Handlungen.
2. Vertritt dich selbst in deinen Aussagen. Sprich per "ich" und nicht per "wir" oder "man".
Wenn man sich selbst mit einer Aussage vertritt, kann man sich z.B. nicht hinter einem anonymen "wir" oder "man" verstecken.
3. Teile Fragen als Fragen mit und Meinungen als Meinungen.
Auch Fragen können z.B. eine Möglichkeit sein, sich und seine eigene Meinung nicht zu zeigen.
4. Es kann nur einer zur gleichen Zeit reden!
Wenn mehrere zur gleichen Zeit sprechen wollen, sollte die Gruppe erst eine Einigung über den Gesprächsverlauf herbeiführen.
5. Sei zurückhaltend mit Interpretationen anderer!
Beispielsweise könnten diese Interpretationen falsch sein...
6. Sei zurückhaltend mit Verallgemeinerungen.
Verallgemeinerungen könnten z.B. leicht den Gruppenprozess unterbrechen.
7. Störungen haben Vorrang.
Diese Regel hilft z.B. dabei, dass jemand, der ärgerlich ist, nicht wirklich am Gruppengeschehen teilnehmen kann.
8. Werte dich und die anderen, deine Möglichkeiten und Fähigkeiten und die der anderen nicht ab.
Gerade die Humanistische Psychologie mit dem Anliegen der Humanisierung der Welt ist gesellschaftspolitisch für alle Menschen wichtig. Daher wird Ruth Cohn und die TZI auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag für die Ausbildung und die praktische Anwendung im Feld der sozialpädagogischen Fachkräftehaben. Denn so Ruth Cohn:
"Zu wissen, daß ich zähle.
Zu wissen, daß du zählst.
Zu wissen, daß jeder Mensch zählt,
ob schwarz, weiß, rot oder braun.
Die Erde zählt.
Das Universum zählt.
Mein Leid zählt.
Dein Leid zählt.
(Wenn du dich nicht um mein Leid scherst und mir dein Kummer gleichgültig ist, werden wir beide von Hunger, Krankheit und Massenmord ausgelöscht werden)."
(Quelle: http://www.hagalil.com/deutschland/berlin/frauen/ruth-cohn.htm (27.03.2012)
Quellen:
Ruth C. Cohn: "Zu wissen dass wir zählen". Zytglogge, Bern, 1990, Vorspann
http://www.hagalil.com/deutschland/berlin/frauen/ruth-cohn.htm (27.03.2012)
Peter Rohner: Gruppen als Chance, Wie gelingt lebendiges Lernen?, Unterlagen zur Praxis und Weiterbildung im pädagogisch-therapeutischen Bereich, Arbeitsmanuskript, München 1979