"Erziehung, Bildung und Menschenrechte" - Zur Rolle der Erzieherin/ des Erziehers und anderer sozialer Berufe während der nationalsozialistischen Terrorjahre

Ralph Christian Amthor

Erzieher/innen und andere soziale Berufe, wie beispielsweise Sozialpädagog/innen und Sozialarbeiter/innen, Kinderpfleger/innen, Heilpädagog/innen oder Heilerziehungspfleger/innen, werden heute in unserer Gesellschaft untrennbar mit sozialem Engagement und dem Dienst am Nächsten und an der Gemeinschaft verbunden. So sind Angehörige dieser Berufe denn auch in allen Felder der heutigen Sozialen Arbeit tätig: Ihr Arbeitsbereich reicht vom Kindergarten, der Kinder- und Jugendarbeit, den Hilfen zur Erziehung und vielen anderen Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe über die Familien- und Sozialhilfe bis hin zur Behinderten- und Altenarbeit und der Gesundheitshilfe. Soziale Berufe verfügen über eine besondere fachliche Kompetenz im Umgang mit den Randgruppen unserer Gesellschaft. Schon allein das Wort "sozial" weist auf die besondere, gemeinnützige und sozialpolitische Bedeutung hin: Soziale Berufe sind auf das Wohl der Menschen und der Gesellschaft bedacht; unter "sozial" wird in diesem Sinne vielfach soziale Gerechtigkeit und Wohltätigkeit verstanden.

In Bezug auf unsere nationalsozialistische Vergangenheit gelten Sozialberufe - trotz zahlreicher bereits vorliegender wissenschaftlicher Studien und Veröffentlichungen - in der Öffentlichkeit vielfach als unbefleckt. Während nämlich zum Beispiel Ärzte, Juristen, Theologen oder Unternehmer seit Jahren durch die Medien kritische Beachtung erfahren, wird die Vergangenheit von Erzieher/innen, Kinderpfleger/innen, Heilerziehungspfleger/innen oder Heilpädagog/innen nur wenig hinterfragt.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich dieser unkritische Umgang mit unserer Berufsgeschichte aber auch in der gesamten Sozialen Arbeit selbst: So nehmen geschichtliche Zusammenhänge in der Ausbildung an Fachschulen, Fachakademien und Berufsfachschulen heute nur eine Randstellung ein, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung scheint aber selbst auf Fachhochschulebene nur wenig gegeben. Das Nachdenken über die eigene Vergangenheit erscheint derzeit mehr und mehr als ein notwendiges Übel und liegt vom Niveau oftmals weit hinter der Wissensvermittlung an allgemein bildenden Schulen.

Bezüglich der nationalsozialistischen Vergangenheit werden Dozenten und Professoren damit zum festen Bestandteil gesamtgesellschaftlichen Verdrängens und Verleugnens. Das Nichtthematisieren der eigenen Berufsgeschichte innerhalb der Ausbildung hat nicht nur zur Folge, dass sich berufliche Identität in der Sozialen Arbeit nur unzureichend entwickeln kann. Vielmehr wird den Absolventen damit suggeriert, dass die Rolle sozialer Berufe in der NS-Zeit eine unwesentliche war. Dass es sich hierbei allerdings um eine Missdeutung handelt, soll nachfolgend mit einigen wenigen Beispielen in Erinnerung gerufen werden, um anschließend über unumgängliche Konsequenzen nachzudenken.

Die Kindergärtnerin - Fröbel als "völkisch-politischer Erzieher"

Der Beruf der Erzieherin als typischer Frauenberuf ist heute zweifellos das "historische Flaggschiff sozialpädagogischer Ausbildung in Deutschland" (Beher u.a. 1999) und "der soziale Beruf" schlechthin. Der Erzieherinnenberuf ist nicht nur die am weitesten verbreitete soziale Berufsausbildung der Gegenwart, sondern weist auch die längste geschichtliche Entwicklung auf, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückreicht (Anm. 1). Speziell für den Vorschulbereich, der in Deutschland seit mehr als zwei Jahrhunderten - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern - der Kinder- und Jugendhilfe und damit der Sozialen Arbeit zugeordnet wird, setzte sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts die auf den Pädagogen Friedrich Fröbel (1782-1852) zurückgehende Berufsbezeichnung "Kindergärtnerin" durch.

Welche Rolle spielte dieser Beruf nun während der Zeit des Nationalsozialismus?

Die Kindergärtnerin war bereits vor 1933 ein etablierter Beruf und hatte mit der Kindergartenerziehung einen klar umrissenen Tätigkeitsbereich. Nach der Machtergreifung wurde der Kindergarten sehr schnell zum festen Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie, zu der bereits die Kleinkinder herangeführt werden sollten: "Besonderes Gewicht hatte der Kindergarten darauf zu legen", so berichtet Metzinger (1993) zum Führerkult in der Vorschulerziehung, "bei den Kindern eine emotionale Bindung zum Führer zu erzeugen. Die Kindergärtnerin sollte den Tag mit einem Gespräch über den Führer beginnen, um die 'Herzen der Kleinen' auf ihn zu richten und damit 'Liebe, Ehrfurcht und Treue in der Kinderseele' wachsen zu lassen. Eine Beteiligung der Kinder bei der Hissung und beim Einziehen der Hakenkreuzfahne, gebetsähnliche Sprüche und Lieder, sowie die Gestaltung nazistischer Fest- und Feiertage stellen weitere erwünschte Gelegenheiten dar" (S. 126 f.).

Während die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten eine untergeordnete Rolle spielte, legte der nationalsozialistische Kindergarten durch Turnen, Gymnastik, sportliche Wettkämpfe und Wett- und Kampfspiele hohen Wert auf körperliche Ertüchtigung. Dabei wurde bereits im Kindergarten auf eine strikte Rollendifferenzierung zwischen den Geschlechtern geachtet.

Obwohl im Vorschulbereich bislang konfessionelle Träger dominiert hatten, sollte sich dieses Übergewicht in den darauf folgenden Jahren entscheidend ändern: Für die "Nationalsozialistische Volkswohlfahrt" (NSV), dem neu gebildeten Verband des NS-Staates, war gerade der Kindergartenbereich angesichts der zentralen Bedeutung des Erziehungsgedankens in der damaligen Ideologie überaus attraktiv. Dabei muss berücksichtigt werden, dass im Mittelpunkt der NS-Sozialpolitik nicht mehr die Förderung von in Not geratenden Individuen, sondern vielmehr die Stärkung des Volkes als Ganzes, die Herstellung eines "gesunden Volkskörpers" stand.

Das Ziel der Reinhaltung von wertvollen kulturschaffenden Rassen, an deren Spitze der "Arier", führte zu einem Prozess der Auslese, die mit einem breit gefächerten Spektrum von Maßnahmen umgesetzt wurde und insbesondere jüdische, behinderte und kranke Kinder, Jugendliche und Erwachsene zunehmend aus Staat, Gesellschaft, der damaligen Sozialen Arbeit wie auch im Vorschulbereich selbst ausgrenzte.

Der Stellenwert der Kindergärtnerin während der nationalsozialistischen Zeit zeigt sich auch daran, dass die Berufsausbildung rasch durch zentralstaatliche Instanzen geregelt wurde. Dies betrifft einerseits die so genannten "Säuberungen" in allen Ausbildungsstätten nach der Machtübernahme; sie führten dazu, dass unerwünschte und vor allem jüdische Dozenten und Schülerinnen die Einrichtung verlassen mussten oder verfolgt wurden. Dies bezieht sich aber auch auf die weitere Ausgestaltung der Ausbildung: So wurden gemäß einer Vereinbarung zwischen dem Hauptamt für Erzieher und dem Hauptamt für Volkswohlfahrt im Jahr 1936 Schulungen für sämtliche soziale Berufe angeordnet, um "eine einheitliche Ausrichtung der weltanschaulichen und fachlichen Erziehung und Ausbildung der sozialpädagogischen Kräfte zu gewährleisten" (Hilgenfeldt/ Wächtler 1936).

Ein Jahr später bestimmte das Hauptamt für Erzieher Richtlinien in einem umfangreichen "Lehrplan für die Ausbildung der Kindergärtnerinnen", und 1942 wurden schließlich die unterschiedlichen Ausbildungsgänge der Länder durch einen Erlass des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für das gesamte Deutsche Reich vereinheitlicht.

Bereits 1941 hatte das Hauptamt für Volkswohlfahrt und die Reichsfrauenführung den Stoffplan zur so genannten "Erb- und Rassenpflege" für angehende Kindergärtnerinnen konkretisiert: Dieser hatte zur Aufgabe, auf der "Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung und Menschenauffassung zu erziehen. Ausgehend von der Weckung des Grundgefühls für die natürliche Gebundenheit des Menschen an Blut und Boden, Familie, Sippe, Rasse, Volk soll es hinführen zu den großen rassenpolitischen Fragen um die Erhaltung und Pflege der Lebenskraft des Volkes. Darauf sollen", so führte der Plan weiter aus, "möglichst anschaulich die mütterlichen Aufgaben erwachsen, denen jede Frau als Hüterin und Erzieherin der kommenden Generationen in einer verantwortungsbewußten gesunden Lebensführung und Kindererziehung zu dienen hat" (Vorländer 1988, S. 439).

Die Volkpflegerin - "Der rastlose Wille zur Erneuerung"

Neben der Erzieherin ist der heutige Beruf der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen von den Fachhochschulen ein weiterer typischer sozialer Beruf, dessen historische Wurzeln bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen. So wurde um 1880 die Ausbildung zur "Jugendleiterin" initiiert und über Jahrzehnte hinweg als Zusatzausbildung für berufserfahrene Kindergärtnerinnen angeboten. Des Weiteren lässt sich eine gesonderte Berufsausbildung für Männer festhalten, die sich während der Weimarer Zeit auf breiter Basis entwickelte und mit dem Wirken Johann Hinrich Wicherns sogar bis zum Jahr 1836 zurückgeht.

Als dritte historische Wurzel, auf die nachfolgend vertiefend eingegangen werden soll, lässt sich schließlich der Beruf der "Wohlfahrtspflegerin" benennen, der sich ab 1893 durch die Berliner Mädchen- und Frauengruppe für soziale Hilfsarbeit begründete, durch die anschließende Errichtung von Sozialen Frauenschulen zu formieren begann und vor allem mit dem Namen Alice Salomon (1872-1948) verbunden ist.

Für Wohlfahrtspflegerinnen brachte der Beginn des Nationalsozialismus einschneidende Veränderungen: So wurde mit der "Volkspflegerin" nicht nur ein neuer Berufstitel vorgegeben, sondern auch die gesamte Berufstätigkeit und der Ausbildungsbereich wurden radikal umgestaltet und den Zielsetzungen der diktatorischen Machthabern unterworfen. Nichtkonforme Schulen wurden geschlossen, wichtige Persönlichkeiten und Lehrende der damaligen Sozialarbeit verfolgt und damit die weitere Entwicklung dieses sozialen Berufes nachhaltig beeinflusst.

Allzu oft lässt sich eine Bereitschaft nachweisen, die nationalsozialistische Ideologie zu übernehmen: "Die Nationale Erhebung und die staatlichen Umwälzungen vom Jahre 1933 haben in den sozialen Frauenschulen, die immer zeit- und lebensnah sein wollten, einen starken Widerhall gefunden", berichtete eine Dissertation zur geschichtlichen Entwicklung der deutschen Frauenschulen für Volkspflege im Rahmen des weiblichen Bildungswesens. Diese hob besonders hervor: "Die Schulen nahmen lebhaften Anteil am sozialen Aufbauprogramm des neuen Staates und halfen vielfach im Winterhilfswerk mit" (Glaenz 1937, S. 54).

Die neue Stellung und Aufgabe von Wohlfahrtspflegerinnen umriss Elisabeth Nitzsche (1888-1964), Direktorin der Sozialen Frauenschule der Inneren Mission in Berlin und Vorsitzende des Reichszusammenschlusses der staatlich anerkannten Schulen für Volkspflege im Jahr 1933, wie folgt: "Es ist wohl heute allen denen, die mit der Wohlfahrtspflegerin zu tun haben, ganz klar, daß hier eine Armee für den Aufbau unseres Volkes zur Verfügung steht, auf die man sich fest verlassen kann ... Sie sieht ihre Arbeit eingebaut in einem Staat, der die Zügel kräftig in die Hand genommen hat. Sie sieht, wie eine ernsthafte Sozialpolitik, eine gesunde Arbeitsbeschaffung und ein rastloser Wille zur Erneuerung des ganzen Lebens am Werk ist", formulierte sie in der "Deutschen Zeitschrift für Wohlfahrtspflege" und führte weiter aus: "Wir denken an die Fragen der Erbpflege, an die Fragen der Verhütung des erbkranken Nachwuchses und vieles andere. Die Fürsorgerin wird mit aufgerufen als Hüterin der Zukunft des deutschen Volkes; sie muß in der Gegenwart mit klarem Wissen und mit der Ehrfurcht vor den herben Forderungen des Volkslebens dem Staat und dem Volk wahrhaft treue Dienste leisten" (1933, S. 377 ff.).

Nach der Machtergreifung galten die bisherigen Ausbildungsregelungen zunächst weiter; ergänzende Regelungen kamen dazu, um eine Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse und das nationalsozialistische Gedankengut zu gewährleisten. Ab 1933 wurde "nicht arischen" Bewerbern der Zugang erschwert und von einer besonderen Genehmigung abhängig gemacht, schließlich aber gänzlich versagt. In Preußen kamen den "Übergangsbestimmungen für die Gestaltung des Unterrichts an den sozialen Frauenschulen" von 1934 eine besondere Bedeutung zu, weil sie nun neue Leitlinien vorgaben: "I. Aufgabe der nationalsozialistischen Volkspflegerin ist: in ihrem Arbeitsbereich durch helfende Tat und durch tatkräftige Anleitung zu Selbsthilfe und Nächstenhilfe ein frohes Bewußtsein zu wecken, daß alle Deutschen nunmehr in einer echten Volks- und Schicksalsgemeinschaft zusammenstehen. II. Die grundlegende Aufgabe der nationalsozialistischen Frauenschulen für Volkspflege ist daher, die Schülerinnen fest zu verwurzeln im Nationalsozialismus und sie aus nationalsozialistischer Geisteshaltung zu einheitlicher und eindeutiger Lösung der volkspflegerischen Aufgaben zu führen" (Glaenz 1937, S. 55).

Damit war, wie auch bei der Ausbildung von Kindergärtnerinnen, die ideologische Ausrichtung Kern der Berufsausbildung: Rassenkunde, Rassengeschichte, Adolf Hitler und die Geschichte der NSDAP, Deutsche Volkskultur oder Erbgesundheitspflege wurden feste Bestandteile des Lehrplans. Mit der preußischen Neuregelung, die zunächst lediglich vorübergehenden Charakter bis zur Aufstellung endgültiger Richtlinien haben sollte, veränderten sich die Ausbildung zu diesem sozialen Beruf grundlegend: "Stoffgebiete der bis 1934 geltenden Lehrpläne an sozialen Frauenschulen wie Sozialpolitik, Psychologie und Pädagogik sollten mit der ideologischen Umwertung der sozialstaatlichen Fürsorgeprinzipien zugunsten einer 'völkischen Aufartung' durch nationalsozialistische Rassen- und Gesinnungspflege aufgegeben werden" (Zeller S. 1987, S. 52).

Die Ausbildung zu diesem sozialen Beruf sollte nunmehr auf eine veränderte Berufspraxis vorbereiten, in der vor allem zuarbeitende Funktionen im Mittelpunkt standen: So waren Volkspflegerinnen als Hilfskräfte für Ärzte in die erb- und rassenpflegerischen Aktivitäten der Gesundheitsämter mit einbezogen und hatten widerspruchslos den Anweisungen des höheren Personals Folge zu leisten. Die Ausbildung sollte aber auch reichseinheitlich geregelt werden, was allerdings bis 1945 nicht gelang.

Des Weiteren sollten die Bestimmungen an das neue Berufsbild der Einheitsfürsorgerin angepasst werden, denn die Familie galt in der nationalsozialistischen Ideologie als Zentrum aller Bestrebungen der Volkspflege: "Ausgangspunkt aller fürsorgerischen Arbeit muß die Familienfürsorge sein. In der Familie sieht der Nationalsozialismus die Keimzelle des Staates. Erstrebt er eine wahre Volksgemeinschaft, so ist die Erziehung zur Familiengemeinschaft die erste Voraussetzung dazu" (Althaus 1933, S. 22) (Anm. 2).

Diakone und Diakonissen - "Überschäumende Begeisterung"

Bei der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus mag es heute immer noch überraschen, wie aufgeschlossen sich Angehörige sozialer Berufe zumindest zu Beginn dem Faschismus gegenüber zeigten. Dies gilt insbesondere für christlich orientierte Berufe, allen voran für evangelische Diakone und Diakonissen, deren Handeln an religiösen Werten ausgerichtet ist und - damals wie heute - hohe gesellschaftliche Wertschätzung erfährt.

Historisch geht der Diakonissenberuf auf den evangelischen Theologen Theodor Fliedner (1800-1864) zurück, der in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Kaiserswerth wirkte und als "Erneuerer des apostolischen Diakonissenamtes" in die Geschichte der Diakonie und Kindergartenpädagogik einging, während die Diakone sich zwar zeitgleich entwickelten, aber auf den Theologen und Sozialpädagogen Johann Hinrich Wichern (1808-1881) zurückgehen. Zu Beginn der nationalsozialistischen Unkultur konnte die evangelische Diakonie damit bereits auf eine fast hundertjährige Geschichte zurückblicken.

Mit Blick auf die stets als Enttäuschung empfundene Weimarer Zeit sympathisierten evangelische Einrichtungen und Ausbildungsanstalten gerade während der ersten Jahre des Nationalsozialismus mit der neuen Regierung und zeigten sich gegenüber den politischen Veränderungen weitgehend offen. So berichtete die Karlsruher Oberin Helene Zeller (1935): "Wir hatten unsern heiligen Auftrag an unser mit Liebe und oft mit Trauer umfasstes Volk, und wenn sich viele uns fremd stellten, wir standen mitten im Volk, evangelische Erziehungsarbeit kann ja nicht hinter Klostermauern geschehen ... Da hat Gott eingegriffen, indem er unsrem Volk eine Zeitwende schenkte. Der nationale Umbruch durch die starke Hand des Führers griff auch bei uns ein. Willig, tapfer und freudig haben auch wir mitgeholfen in unsrem Kreise am großen Aufbau der Erneuerung" (S. 176), und schreibt dann schließlich: "Der Nationalsozialismus hat neue Hoffnung geweckt. Zwar ist er selbst ganz klar eine politische Erneuerungsbewegung des Volkes, keine religiöse, aber wir können nachweisen, daß sich NS-Gestaltungswille weitgehend mit Gottes heiligen Gesetzen in Übereinstimmung befindet, z.B. im Blick auf die zehn Gebote" (S. 183).

Im Jahr 1933 schlossen sich die verschiedenen und konkurrierenden Diakonissenverbände zur "Diakoniegemeinschaft" zusammen, die etwa 50.000 Schwestern umfasste. Als "Führerin" stand diesem Zusammenschluss Auguste Mohrmann (1891-1967) vor, die der NSDAP und zahlreichen weiteren nationalsozialistischen Organisationen beigetreten war. Die nationalsozialistische Machtergreifung wurde von den evangelischen Diakonissen mit - aus heutiger Sicht - völlig unverständlicher und geradezu überschäumender emotionaler Hingabe aufgenommen.

Im Gegensatz zum Vorschulbereich, aber auch der Jugendarbeit oder der Familienpflege, war das Interesse der Nationalsozialisten an der Anstaltspflege, und damit auch an behinderten und verhaltensauffälligen Kindern, sehr gering; diese wurde denn auch weitgehend konfessionellen Trägern überlassen: "Nationalsozialistische Volkswohlfahrt wird die Sorge für alle Erbgesunden, die durch ihre Leistungsfähigkeit von Bedeutung für die Gesamtheit des Volkes sind, beanspruchen, während die Betreuung der Erbkranken und Asozialen aus dem Barmherzigkeitsmotiv heraus eine Aufgabe der kirchlichen Liebestätigkeit in Verbindung mit der Mindestleistungen gewährenden behördlichen Fürsorge sein wird" (Althaus 1937, S. 26). Allerdings darf nicht übersehen werden, dass evangelische Einrichtungen und Ausbildungsanstalten im erheblichen Maße vom nationalsozialistischen Gedankengut durchtränkt waren.

So kann auch auf Seiten der evangelischen Diakone eine fanatische Hinwendung festgehalten werden: 1933 richtete der 9. Diakonentag anlässlich des 100-jährigen Bestehens des "Rauhen Hauses" in Hamburg folgenden Huldigungsgruß an Adolf Hitler: "Dem Führer unseres Volkes und Retter unseres Vaterlandes vor dem Untergang im Bolschewismus senden 1000 Diakone, versammelt zur 100-Jahr-Feier der männlichen Diakonie und zum 9. Deutschen Diakonentage, namens der gesamten Deutschen Diakonenschaft das Gelöbnis alter deutscher Mannestreue und des Einsatzes aller ihrer Kräfte für den Aufbau und die Vollendung des Dritten Reiches" (Weigt 1933, S. 31).

Horst Schirmacher (1892-1956), der damalige Direktor des "Centralausschußes für Innere Mission", rief den Diakonen in geradezu herzzerreißender Blasphemie zu: "Wir grüßen Euch alle als die SA Jesu Christi und die SS der Kirche, ihr wackeren Sturmabteilungen und Schutzstaffeln im Angriff gegen Not, Elend, Verzweiflung und Verwahrlosung, Sünde und Verderben. ... Der echte Nationalsozialist ist Protestant, und der echte deutsche Protestant ist Nationalsozialist" (Weigt 1933, S. 80 f.).

Nachdem der unkritischen Begeisterung allmählich Ernüchterung wich, blieb auch die weitere Entwicklung der männlichen Diakonie im Nationalsozialismus zwiespältig, hier insbesondere in der Sozialen Arbeit in den Anstalten für psychisch Kranke, Behinderte und Suchtkranke. So wurden Fragen der Zwangssterilisation und Tötung "Minderwertiger" und "die damit zusammenhängenden Fragen ... in jeder Brüderschaft diskutiert. Abgesehen von einigen Ausnahmen stimmte man der staatlichen Gesundheitspolitik zu und wurde so zum Mordgehilfen. Gutgläubig, und dem Grundsatz obrigkeitlicher Unterordnung folgend, verriet man die anbefohlenen Kranken und Behinderten" (Sutter 1988, S. 51).

In der "Treysaer Erklärung" bekannte sich im Jahre 1946 die männliche Diakonie zu dieser Schuld: "Nicht wenige unserer Brüder sind zu der neuen Irrlehre mit ihrer gottlosen Weltanschauung übergelaufen. Sie haben ihre Erstgeburt im Reiche Gottes gegen das Linsengericht des Weltgeistes eingetauscht. Sie haben sich in verschiedenen Abstufungen gleichgeschaltet, um gottwidrigen Idealen zu dienen oder um die eigenen Zukunftsmöglichkeit auf dieser Erde zu sichern. Warnungen und Bitten, rechtzeitig vom falschen Wege abzulassen, fruchteten kaum" (Sutter 1988, S. 66) (Anm. 3).

Weitere soziale Berufe im Nationalsozialismus

Am Ende der Weimarer Republik gab es neben der Kindergärtnerin, der Volkspflegerin und dem Volkspfleger sowie den Diakonissen und Diakonen noch weitere soziale Berufe innerhalb eines überaus vielfältigen Ausbildungssystems, das bereits zu diesem Zeitpunkt große Ähnlichkeiten mit dem heutigen aufwies.

So gab es im Vorschulbereich seit langer Zeit neben der Kindergärtnerin den Beruf der "Kinderpflegerin", der zwar traditionell stets der Erziehung von Kleinkindern in der Familie als Arbeitsfeld zugeordnet war, im Nationalsozialismus allerdings aufgrund des Ausbaus des Elementarbereichs sowie der erhöhten Arbeitstätigkeit von Müttern im Rahmen der Kriegsvorbereitungen zunehmend an Nachfrage erfuhr. Auch hier kam es im Jahr 1939 zu einer reichsweiten Regelung der Berufsausbildung als festem Bestandteil des Berufsfachschulwesens; interessanterweise hatte diese in verschiedenen Bundesländern der BRD bis weit in die 1960er Jahre hinein Gültigkeit.

Während allerdings dieser Erlass keine ideologische Ausrichtung enthielt, war die tatsächliche Ausbildung der angehenden "Kinderpflege- und Haushaltsgehilfinnen" geprägt durch die nationalsozialistische Weltanschauung: "Die schicksalhafte Bedeutung der Vererbung einerseits, die Verantwortung des Erziehers andererseits sind Probleme, mit denen sich bereits die junge Kinderpflegerin auseinandersetzen muß. Die Erkenntnis, daß die Kinderpflegerin insbesondere auch auf dem Lande in starkem Maße in der Lage sein muß, gesundheitspflegerisch tätig sein zu können, ist bestimmend für die Behandlung dieser Fragen auf breiter Grundlage... Der größte Wert jedoch wird auf die praktische Arbeit in den NSV-Kindergärten, Krippen und Säuglingsheimen gelegt. Hier erleben die Schülerinnen die Verwirklichung der nationalsozialistischen Erziehungsidee: körperliche Ertüchtigung, Bildung des Charakters, Weckung der geistigen Anlagen, Erziehung zu Kameradschaftlichkeit der ihnen anvertrauten Kinder" (Schrank 1939, S. 40).

Mit der "Jugendleiterin" vervollständigt sich die Palette der Berufe in der Kleinkindererziehung. Die Jugendleiterin war allerdings keine eigenständige Berufsausbildung, sondern vielmehr eine Zusatzausbildung für berufserfahrene Kindergärtnerinnen, die ihre Fachkenntnisse vertiefen und sich in die Verwaltungsarbeit als Vorbereitung für eine leitende Tätigkeit einführen lassen wollten. Auch hier waren die Ausbildungsinhalte ganz erheblich ideologisch eingefärbt. So wurde einerseits die Zugehörigkeit zu nationalsozialistischen Organisationen vorausgesetzt. Die Fachzeitschrift "Kindergarten" schrieb hierzu Mitte der dreißiger Jahre: "Voraussetzung für die Aufnahme in eine sozialpädagogische Lehranstalt sollte bei der Ausbildung zur Kindergärtnerin und Hortnerin von jetzt an sein, daß diese möglichst vom 10. Lebensjahr ab der HJ - zuerst Jungmädel, dann als BDM-Mädel - angehört hat und daß sie auch während dieser Ausbildung die Arbeit im BDM in gewissem Umfang und in der rechten Weise fortsetzt. Für die Ausbildung zur Jugendleiterin kommen folgende Umstände hinzu: a) der Arbeitsdienst wurde unterdessen durchlaufen, b) bisweilen ist die betr. Erzieherin inzwischen zur NS-Frauenschaft übergetreten, c) die werdende Jugendleiterin wird fast ausnahmslos bereits dem NSLB angehören, sehr oft außerdem der NSV" (Volkelt 1936, S. 104).

Zur Rolle sozialer Berufe im Nationalsozialismus ließen sich weitere Beispiele aufführen, so zur Familienpflegerinnen und zu Heimerziehern, nicht zuletzt auch zur Bedeutung der Hitlerjugend und deren ausgeklügeltem Schulungssystem für Jugendliche und junge Erwachsene als Vorbereitung zu leitenden Aufgaben und Positionen. Zuletzt sei aber im Rahmen dieses Beitrages auf entsprechende Aktivitäten an deutschen Hochschulen hingewiesen, zu denen ein Beitrag in der Zeitschrift "Nationalsozialistischer Volksdienst" im Jahr 1937 einen Überblick gab: "Aus der Durchsicht der Vorlesungsverzeichnisse der deutschen Universitäten für das Wintersemester 1937/38 ergibt sich die Feststellung, daß insgesamt an sechs deutschen Hochschulen Institute oder Seminare bestehen oder Vorlesungen abgehalten werden, die Wohlfahrtspflege und Fürsorgewesen als den Gegenstand ihrer Arbeit bezeichnen... Nur die Universität Berlin besitzt jetzt in dem neu errichteten Sozialwissenschaftlichen Institut für Volkswohlfahrtspflege eine wissenschaftliche Lehr- und Forschungsstätte, die in unmittelbarer Arbeitsgemeinschaft mit der NS-Volkswohlfahrt steht, die die finanzielle Trägerschaft übernommen hat und aus den Reihen ihrer Mitarbeiter Leitung und Dozenten stellt" (Betcke 1937, S. 49 f.).

Dieses Institut war von der NSV errichtet, mit einem Erlass des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1937 der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin angegliedert und von Erich Hilgenfeldt (1897-1945), dem damaligen Leiter der NSV, geführt. Das Lehrangebot richtete sich an die Hörer aller Fakultäten und sollte insbesondere das Gebiet des Fürsorgerechts, der allgemeinen Wohlfahrtspflege und der Jugendhilfe abdecken. Damit wollte man gewährleisten, dass in engster Zusammenarbeit mit dem Hauptamt für Volkswohlfahrt die Ideologie der NSDAP auf die Wohlfahrtspflege der Weimarer Zeit übertragen wurde (Anm. 4).

Barbarei und Widerstand in der Sozialen Arbeit

Auch wenn entsprechende Inhalte bereits in der Weimarer Republik in die Wohlfahrtspflege mit einflossen, bedeuteten die Jahre nach 1933 für die weitere Entwicklung sozialer Berufstätigkeit einen radikalen Einschnitt mit weitreichenden Auswirkungen: Die Soziale Arbeit und die Kindergartenpädagogik entwickelten sich zu einem tragenden Element nationalsozialistischer Politik. Sowohl Angehörige sozialer Berufe als auch die Ausbildungsstätten selbst waren - weit verbreitet - Bestandteil des nationalsozialistischen Terrorregimes, waren infolgedessen mitverantwortlich für die Umsetzung nationalsozialistischen Gedankenguts, für Rassenhass und Auslese.

So hielt denn auch das "Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege" in der damaligen Zeit zu den sozialen Berufen fest: "Durch die Ausrichtung der gesamten Volkswohlfahrtspflege nach den Grundsätzen nationalsozialistischer Weltanschauung sind die sozialen Berufe in vorderster Front mit eingesetzt zur Erfüllung der großen Erziehungsaufgaben, die uns heute gestellt sind. Denn das muß jedem in der Volkswohlfahrtspflege Arbeitenden stets bewußt sein: welche Teilaufgabe er auch zu bearbeiten hat, in erster Linie ist seine Aufgabe Erziehungsarbeit! Soziale Arbeit verlangt stets den Einsatz der ganzen Persönlichkeit. Nur wirklich Berufene sollten sich daher diesen Aufgabengebieten zuwenden, sei es nun der Arbeit der Kindergärtnerin oder Hortnerin, der Jugendleiterin, der Volkspflegerin oder des Volkspflegers!" (Althaus/ Betcke 1937/39, S. 964 f.).

Aus der heutigen Perspektive, die sozialen Berufen grundsätzlich eine ethisch positiv ausgerichtete und für die Adressaten der Sozialen Arbeit engagierte Haltung zuschreibt, erschüttert es zweifellos, dass Kindergärtnerinnen, Jugendleiterinnen oder Volkspflegerinnen und andere Sozialberufe, zu jener Zeit das damalige System stützten, diesem zuarbeiteten und zu dessen Aufstieg beitrugen. Soziale Arbeit mutierte zur ideologisch ausgerichteten "Volkspflege" am arischen, erbgesunden, leistungsfähigen und politisch angepassten Volksgenossen und dessen Familie.

Die unterschiedlichen Formen der Berufsausbildung qualifizierten zur Selektion von so genannten "Staatsfeinden", "minderwertigen fremden Rassen" und "lebensunwertem Leben", wie Kommunisten, Sozialdemokraten, Juden, Sinti und Roma und Homosexuellen, aber auch von geistig, körperlich und psychisch behinderten und kranken Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Alle während dieser Zeit erlassenen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen sowie die diversen anderweitigen Erlasse und Verfügungen dienten den ideologischen Zielsetzungen und waren Teil des Krieges, den Adolf Hitler und sein nationalsozialistischer Machtapparat sowohl nach außen gegen andere Staaten als auch nach innen im Deutschen Reich führte.

Die damalige Soziale Arbeit und mit ihr die Kindergartenpädagogik wurde rigoros den nationalsozialistischen Zielen unterworfen und in jeder Hinsicht bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Es kam zur Schließung wichtiger Einrichtungen, beispielsweise der Berliner Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, dem Berliner Verein Jugendheim oder der Arbeiterwohlfahrt, es kam zur "Säuberung" und Gleichschaltung von Einrichtungen und Ausbildungsstätten. Jüdische und anders denkende Lehrende wurden entlassen, zur Emigration gezwungen oder verfolgt. Wie auch viele andere gesellschaftliche Bereiche hatte die damalige Soziale Arbeit dadurch einen Verlust an bedeutenden Persönlichkeiten zu verzeichnen, unter diesen beispielsweise Elisabeth Blochmann (1892-1972), Friedrich Siegmund-Schultze (1885-1969), Carl Mennicke (1887-1959), Curt Bondy (1894-1972) oder Anna von Gierke (1874-1943).

Stellvertretend für viele sei an dieser Stelle an Alice Salomon (1872-1948) erinnert, der die Soziale Arbeit in Deutschland wesentliche Impulse verdankt: Noch 1932 erhielt sie das Ehrendoktorat der Berliner Universität und wurde anlässlich ihres 60. Geburtstages vom preußischen Staatsministerium geehrt; die von ihr gegründete Soziale Frauenschule wurde in "Alice-Salomon-Schule" umbenannt. Alice Salomon prägte ganz entscheidend die Ausbildung zur Wohlfahrtspflegerin, veröffentlichte 27 Monographien sowie etwa 250 Beiträge in den unterschiedlichsten Zeitschriften. Am Höhepunkt ihrer Karriere angekommen, hatte sie 1933 aufgrund der nationalsozialistischen Rassenideologie alle öffentlichen Ämter niederzulegen. 1937 wurde sie schließlich aus Deutschland ausgewiesen, emigrierte über England in die USA und lebte bis zu ihrem Tod in New York.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bestand bis 1939 in Berlin ein jüdisches Kindergärtnerinnenseminar, das von Nelly Wolffheim (1879-1965) gegründet und unter größten Schwierigkeiten geleitet wurde: "Als 1933 die Nazizeit begann, gab es in Berlin zwei von sozialen Organisationen geführte Kindergärtnerinnen-Seminare: Das Pestalozzi-Fröbel-Haus und ein Jugendheim, die beide von vielen jüdischen Mädchen besucht wurden. Diese bereiteten sich dort auf eine sozialpädagogische Arbeit vor. Als bald diese Ausbildungsstätten Jüdinnen verboten waren, begann ich mit einem Seminar für Kindergärtnerinnen..." (Wolffheim 1997, S. 79). 1939 musste Nelly Wolffheim das Ausbildungsseminar schließen, weil die Mehrzahl der Schülerinnen und Lehrer auswanderten, und auch sie selbst konnte sich durch ihre Emigration nach England vor dem nationalsozialistischen Terror retten.

Erinnert sei auch an den großen Arzt, Schriftsteller und Pädagogen Janus Korczak (1878-1942), der sich um Arme und Waisen in Elendsviertel in Warschau gekümmert und bereits 1911 ein Waisenhaus begründet hatte. Als das Ghetto errichtet wurde, lebte Korczak mit seinen Kindern und Jugendlichen unter unsäglichen Bedingungen, bis die Nationalsozialisten 1942 mit der Massentötung der Bevölkerung des Warschauer Ghettos durch die so genannte "Umsiedlung" nach Treblinka begannen. Am 5. August 1942 war das bisher verschont gebliebene Waisenhaus an der Reihe. Korczak, der mehrere Versuche zu seiner eigenen Rettung abgelehnt hatte, ging mit seinen Mitarbeitern und etwa 200 Kindern in das Vernichtungslager.

Abschließend soll noch der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) Erwähnung finden, der Anfang der 1930er Jahre u.a. in der "Sozialen Arbeitsgemeinschaft Berlin Ost" mitwirkte, die der Gründer des christlichen Versöhnungsbundes, Sigmund-Schultze, eingerichtet hatte. Bonhoeffer übte von Beginn an schärfste Kritik am Nationalsozialismus wie auch an der Haltung der eigenen Kirche, hier insbesondere der "Deutschen Christen". Aus seinem Glauben heraus verstand er sein Christsein in den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen als aktiven politischen Widerstand. Im Jahr 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet und noch kurz vor Kriegsende im KZ Flossenbürg hingerichtet.

Reflektivität als Teil der Fachlichkeit in der Kindergartenpädagogik

Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun 60 Jahre nach dieser unmenschlichen Barbarei speziell für die Kindergartenpädagogik ziehen?

Aus der Fülle an möglichen Aspekten können im Rahmen dieses Beitrages nur wenige hervorgehoben werden. Die einen betreffen die kritische Selbstreflexion: Anspruch muss hierbei sein, sich überhaupt diesen geschichtlichen Tatsachen zu stellen, diese zu thematisieren und ihnen bereits in der Berufsausbildung an Fachhochschulen, Fachschulen, Fachakademien und Berufsfachschulen einen festen Platz einzuräumen. Ein Berufsstand, der seine eigene Geschichte wenig oder nur in Fragmenten kennt, der seine Vergangenheit nicht in vollem Umfang erklären kann, erscheint orientierungslos und ohne Fundament.

In Bezug auf die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit müssen die Forderungen aber weitergehen: Insgesamt nötig ist ein anderes Verhältnis zur Geschichte selbst. Nach der Überhöhung des geisteswissenschaftlich-hermeneutischen Forschens bis weit in die 1960er Jahre hinein, der darauf anschließenden Abkehr von der historischen Perspektive und der Hinwendung zur naiven Gegenwartsgläubigkeit von heute scheint ein neues Verständnis zur Geschichte unumgänglich.

Beim Umgang mit geschichtlichen Zusammenhängen stoßen wir in dieser Hinsicht zunächst auf Kurioses: In der Kindergartenpädagogik, aber auch in der gesamten Sozialen Arbeit - sei es in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Behindertenarbeit, in der Altenhilfe oder in den entsprechenden Angeboten im Gesundheitsbereich -, gilt es heute als Selbstverständlichkeit, den bisherigen Lebenslauf und damit die Vergangenheit von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als diagnostische Grundlage für weiteres fachliches Handeln zu berücksichtigen.

Im Gegensatz zur Individualgeschichte findet die Vergangenheit der Sozialen Arbeit jedoch weit weniger Berücksichtigung, bleibt allenfalls schmückendes Beiwerk. Geschichte besteht aber nicht nur aus verstaubten Büchern und vergangenen Ereignissen, die keine Relevanz in der Gegenwart haben. Die Geschichte zeigt uns auf, woher wir kommen, und lässt uns dadurch erst richtig begreifen, wer wir eigentlich sind.

Viele Schüler und Studenten sowie Berufsanfänger nehmen heute den Status quo in der Kindergartenpädagogik wie auch in der gesamten Sozialen Arbeit, die sozialen Problemstellungen und unsere Antworten hierauf als gegeben hin, anstatt nach deren Ursachen und Werden in der Vergangenheit zu fragen. Vergangenheit ist jedoch kein abgeschlossener Sachverhalt, den wir nicht mehr zu beachten brauchen, sondern wirkt maßgeblich in die Gegenwart hinein - die Gegenwart ist letztendlich Produkt vergangener Ereignisse und Verläufe und bildet gleichzeitig den Ausgangspunkt für Zukünftiges. Die Geschichte des eigenen Berufes zu kennen und zu begreifen, eröffnet uns die Möglichkeit, uns selbst zu verstehen und eigenes Handeln in übergeordnete Zusammenhänge einzuordnen.

Die Auseinandersetzung mit der Rolle sozialer Berufe und der Sozialen Arbeit im Nationalsozialismus zwingt uns schließlich, den Blick auf unsere grundlegenden ethischen Werte zu richten und deutlich zu formulieren, für was die entsprechenden sozialen Berufe einstehen müssen. Bezüglich der nationalsozialistischen Vergangenheit heißt das: die eigene Schuld, das eigene Versagen zu thematisieren.

Die Nationalsozialismus brachte Diktatur, Hetze, Terror, Ausgrenzung, Hass, Unmenschlichkeit und millionenfachen Tod, war entsetzliche und grausame Barbarei. Der Nationalsozialismus ist die größte Schande der Menschheit! Und betrachten wir die Geschichte sozialer Berufe, so stellt diese Zeit ohne jeden Zweifel den absoluten Tiefpunkt unserer Jahrhunderte langen Vergangenheit dar.

Bei einer pauschalen Abrechnung dürfen wir allerdings nicht verharren, sondern müssen jenen unseren Tribut zollen und unsere innere Verbundenheit mit denjenigen ausdrücken, die sich gegen die damaligen Verhältnisse gewandt haben, sich dem damaligen System entgegenstellten und - um es mit den Worten Dietrich Bonhoeffers zu formulieren - "dem Rad in die Speichen gefallen sind".

Die Reflexion unserer ethischen Prinzipien muss aber auch Konsequenzen für unsere Gegenwart mit sich bringen: Vor diesem Hintergrund müssen wir heute von einer apolitischen, naiv an der Erziehung und am Helfen ausgerichteten Haltung wieder zurückfinden zu klarer Parteilichkeit, müssen angesichts der Benachteiligung immer größer werdender Bevölkerungsteile und zunehmenden Abbaus sozialstaatlicher Leistungen wieder lernen, laut Positionen zu beziehen und fachliche Standards einzufordern.

Erzieherisches Handeln kann sich niemals als ein neutrales Element unserer Gesellschaft verstehen, sondern muss vielmehr auf ethischen Normen und Werten beruhen. Allein der Blick in die Geschichte fördert hierzu ganze Hundertschaften von bekannten und weniger bekannten Persönlichkeiten der Kindergartenpädagogik und der Sozialen Arbeit an den Tag, die sich in vergangenen Zeiten gegen die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse gestellt hatten und uns als Vorbilder dienen können. Der Erzieherinnenberuf und mit ihr die anderen sozialen Berufe müssen sich heute in diesem Sinne als eine emanzipatorische, gesellschaftskritische und -verändernde Kraft verstehen und sich nachhaltig und ganz entschieden als "Menschenrechtsprofessionen" begreifen.

Anmerkungen

  1. Vgl. zum Erzieherinnenberuf Amthor 2003, S. 323 ff., Metzinger 1993 sowie Berger 1986.
  2. Siehe zur Sozialarbeitertradition Zeller 1994, Amthor 2003, S. 363 ff. und Amthor 2005 sowie Baron 1989.
  3. Vgl. Klee 1989, Amthor 2003, S. 379 ff. sowie Häusler 1995 und Sutter 1988 zur evangelischen Wohlfahrtspflege.
  4. Vgl. Amthor 2003, S. 332 ff. und 392 ff.

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Autor

Dr. Ralph Christian Amthor ist Dipl.-Pädagoge und Diplom-Sozialpädagoge und arbeitet hauptberuflich in der Kinder- und Jugendhilfe sowie als Lehrbeauftragter an verschiedenen Fachhochschulen im süddeutschen Raum.

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Dr. Ralph Christian Amthor
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