Manfred Berger
Johanna Huber hatte insbesondere die katholische Kindergartenpädagogik beeinflusst. Sie war u.a. Mitinitiatorin und Vorsitzende des "Bayerischen Verbandes katholischer Kinderhorte und Kleinkinderanstalten, Krippen und Säuglingsheime inbegriffen", der 1917 in München ins Leben gerufen wurde, gehörte ferner als aktives Mitglied der "Arbeitsgemeinschaft katholischer Jugendleiterinnen, Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen" (gegr. 1923) sowie der "Arbeitsgemeinschaft katholischer Seminare für Kindergärtnerinnen und Jugendleiterinnen" (gegr. 1925) an. 1918 gründete sie zusammen mit Alexe Hegemann die katholische Fachzeitschrift "Kinderheim", die noch heute unter dem Titel "Welt des Kindes" existiert. Aber auch als Fachschriftstellerin genoss sie hohes Ansehen. Dabei war einer ihrer Schwerpunkte die "religiös-sittliche Unterweisung" der Kindergartenkinder. Auf die Frage "Gehört die Religion in den Kindergarten oder nicht?" vertrat sie die Ansicht:
"Wir wollen Religion auch im Kindergarten, da er ja bloß helfenden Charakter hat für die Familie, für die zuviel beschäftigte Mutter. Was aber die christliche Mutter mit dem Kinde tut, das soll im Kindergarten auch geschehen. Die Kinder sollen den lieben Gott kennenlernen als den alliebenden Himmelvater, sie sollen die Hände falten lernen und zu diesem guten Vater in Einfalt beten, sie sollen etwas vom Schutzengel, vom Christkind, vom leidenden und wirkenden Heiland hören, alles, was der weisen Erzieherin ihr kindliches, und frommes Herz eingibt und sie drängt, es dem Kinde zu geben ... Man muß es nur verstehen, die Religion den Kindern in einer Weise zu bieten, daß sie mit uns den Weg zum Himmel auch gehen können. Wegbereiter müssen wir sein wie einst St. Johannes, damit der Heiland einziehen kann in die Herzen, die vor ihm liegen. Wer das kann, wird die sogenannte 'Profanisierung' der Religion durch Übung derselben mit den Kleinen als eine oberflächliche oder böswillige Pharse erkennen" (zit. n. Berger 1993, S. 405 f).
Johanna wurde am 9. Juni 1869 als jüngstes von neun Kindern des Oberrevisors Xaver Huber und dessen Ehefrau Franziska Huber, geb. Menhart, in München geboren. Im Kreise der großen Familie verlebte sie eine glückliche Kindheit. Besonders innigen Kontakt hatte die Jüngste zur Mutter, die eine schlichte und tiefreligiöse Frau war. Vielleicht war es jene mütterliche Kraft, die sie später auch von der ausgebildeten Kindergärtnerin forderte. Im Sinne der seinerzeit in katholischen Kreisen vorherrschenden Anschauung von "höherer Mütterlichkeit" schrieb Johanna Huber:
"Es müssen Persönlichkeiten sein, die dem Kinde das Familienleben und in erster Linie die Mutter ersetzen können, also Persönlichkeiten von ausgesprochener Mütterlichkeit. Daß deshalb nur eine Frau für die Erziehung unserer Kleinsten in Frage kommen kann, ist selbstverständlich ... Mütterlichkeit ist etwas Angeborenes und hängt durchaus nicht von der natürlichen Mutterschaft ab ... Worin besteht sie denn eigentlich, diese vielgenannte Mütterlichkeit ...? Sie besteht in erster Linie in einem intuitiven Erfassenkönnen der Kindernatur, das der künstlerischen, phantasievollen, gemütstiefen und selbst kindlichen Art der Frau von ganzem Herzen liegt. Sie besteht in dem daraus entspringenden Verständnis für die kindlichen Bedürfnisse körperlicher und geistiger Art. Sie besteht in den feinen und unaussprechlichen Wechselbeziehungen, die zwischen Kinder- und Frauenseele vorhanden sind, kurz und gut, sie besteht in dem innigen Zusammenhange zwischen Frau und Kind. Diese höhere Art der Mütterlichkeit verlangt Fähigkeiten, die nicht erworben, nicht erlernt werden können" (Huber 1918, S. 236).
Darum sollten ihrer Ansicht entsprechend die Ausbildungsstätten für Kindergärtnerinnen (Kleinkinderlehrerinnen) keine wissenschaftlich orientierten Bildungsinstitutionen sondern Fachschulen sein, die Menschen konkret für die praktische Arbeit befähigen und heranbilden.
Nach dem Besuch der Volksschule und anschließenden Tätigkeiten in verschiedenen vornehmen Haushalten, absolvierte Johanna Huber in München das "Kgl. Kreis-Lehrerinnenseminar". Ihre erste Stelle übernahm sie in Bergen bei Traunstein. Von 1889 bis 1916 wirkte sie als Hauptlehrerin an verschiedenen Münchener Volksschulen. Eine schwere Hererkrankung zwang Johanna Huber den Lehrerinnenberuf aufzugeben. Fortan widmete sie sich verstärkt der Kindergartenpädagogik. Sie gründete in München einen "Versuchskindergarten", in dem u.a. Fremdsprachenunterricht erteilt und die Montessori-Methode erprobt wurden. Was beispielsweise den Ansatz der italienischen Ärztin und Pädagogin betraf, war Johanna Huber folgender Ansicht:
"Es ist noch zu untersuchen: Haben die Montessorigaben einen allgemein menschlichen Zug oder sind sie doch von speziell italienischer Färbung? Beides ist zu bejahen. Jedoch scheint mir das letztere dennoch vorzuwiegen. Ich beziehe mich dabei auf die Schilderung Montessoris über die durchschlagende Wirkung ihrer Gaben, die sie speziell bei italienischen Kindern beschreibt, im Vergleich zu den Wirkungen, die ich an deutschen Kindern beobachtete. Meine Erfahrungen über das Wesen italienischer Kinder, - es sind dies allerdings nur etwa ein Dutzend, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte, - zeigten als gemeinsame Eigenschaft derselben folgende: Sie sind frühreifer und scheinbar geistig geweckter; sie sind erregbarer, beweglicher, unruhiger und lauter - aber keineswegs phantasievoller wie die deutschen Kinder. Es fehlt ihnen vor allem das ... deutsche 'Gemüt' ... Es fehlt den italienischen Kindern bei ihrem lauten Spielen die tiefere Innerlichkeit des deutschen Kinderspiels, das soviel mit dem deutschen Märchenzauber gemeinsam hat, ohne das wir uns ein echt deutsches Kind eben nicht denken können. Demgemäß verhalten sich unsere Kinder gegenüber den nüchternen und verstandesmäßigen Tätigkeiten mit den Montessorigaben wesentlich anders als die italienischen ... Der Art des deutschen Kindes kommt entschieden der deutsche Fröbel mehr entgegen (Huber 1920, S. 139 f).
Johanna Huber war Erfinderin mehrerer Beschäftigungsspiele für den Kindergarten u.a. der Klebeblättchen aus gummiertem Buntpapier, die seinerzeit äußerst beliebt waren:
"Es werden den Kindern in vielen schönen Farben gestanzte Formen dargeboten: Kreis, Halbkreis, Quadrat, gleichseitige und gleichschenkelige Dreiecke, Tropfenformen und Ovale in verschiedenen Größen. Damit können nun die Kinder so richtig spielen und arbeiten. Die Formen, die in kleinen Säckchen bunt durcheinander gemischt sind, müssen geordnet werden nach Größe, Form und Farbe, eine prächtige Übung für unsere Kleinsten. Sie können dann nach Herzenslust damit schaffen, noch dazu, weil ihnen das Kleben keinerlei Schwierigkeiten macht ... Es lohnt sich wirklich eine Betrachtung, was alles mit diesen kleinen, unscheinbaren Formen entstehen kann ...: einmal Streifenmuster verschiedener Gestaltung, ferner Ornamente, die wie große fremde Wunderblumen aussehen, Blumen, Kränze, gewunden aus Margeriten und Kornblumen ..., kurz alles, was Geschick und Zufall daraus machen" (Huber 1930, S. 50 ff).
Johanna Huber, seinerzeit in Fachkreisen bekannt als "bayerische Kleinkindertante", starb am 3. April 1935 in München.
Literatur
Berger, M.: Johanna Huber (1869-1935) - Eine vergessene katholische Pädagogin, in: Deutscher Caritasverband (Hrsg.): caritas '94. Jahrbuch des Deutschen Caritasverbandes, Freiburg 1993
ders.: Johanna Huber. Eine Pionierin der Kleinkindererziehung, in: Welt des Kindes 1994/H. 1
ders.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995
ders.: Huber, Johanna, in: Maier, H. (Hrsg.): Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg 1998
Huber, J.: Die religiös-sittliche Unterweisung des Kleinkindes im Kindergarten und in der Familie, Kempten 1916
dies.: Zur Vorbildung der Kleinkindererziehung, in: Pharus 1918/H. 8
dies.. Fröbel und Montessori, in: Kinderheim 1920/H. 6
dies.: Das Buch der Kinderbeschäftigungen, Ravensburg 1930