Henriette Goldschmidt (1825-1920)Frauen in der Geschichte des Kindergartens

Manfred Berger

Henriette Goldschmidt wurde am 23. November 1825 als sechstes Kind des jüdischen Kaufmanns Levin Benas und seiner Ehefrau Eva, geb. Laski, in Krotoschin (Posen) geboren.

Im Alter von fünf Jahren verlor das Mädchen die geliebte Mutter. Bald darauf heiratete der Vater ein zweites Mal. Die Stiefmutter war Analphabetin, eine stolze Frau und wenig mütterlich. Mit 14 Jahren war Henriette Benas schulische Ausbildung mit Abschluss der Höheren Töchterschule, die letztlich nur mangelhafte Bildungsmöglichkeiten vermittelte, abgeschlossen. Auf diese Erfahrung führte sie ihr späteres Engagement für eine verbesserte Mädchenbildung zurück.

1853 heiratete Henriette Benas ihren verwitweten Vetter, Rabbiner Dr. Abraham Meyer Goldschmidt, der drei Söhne in die Ehe brachte. Die Familie wohnte zuerst in Warschau, ab 1858 in Leipzig. Letztgenannte Stadt mit ihrem regen deutsch-jüdischen Vereinsleben wurde für Henriette Goldschmidt die eigentliche Heimatstadt. Hier beteiligte sie sich zusammen mit Louise Otto-Peters, Auguste Schmidt und Ottilie von Steyber an der Gründung des "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins", der sich vor allem agitatorisch für die berufliche Emanzipation des weiblichen Geschlechts einsetzte. Von 1867 bis 1906 war sie Vorstandsmitglied und geschätzte Rednerin des Vereins.

Bei einem Spaziergang durch die Straßen Leipzigs entdeckte Henriette Goldschmidt zufällig einen Kindergarten, von dessen pädagogischer Wichtigkeit sie sofort überzeugt war. Fortan galt ihr Interesse der öffentlichen Institution Kindergarten. Dabei lernte sie Bertha von Marenholtz-Bülow, eine der eifrigsten Fröbelepigoninnen kennen. Henriette Goldschmidt verehrte die adelige Frau, nannte diese "auserwählt" und lobte besonders deren "internationale Wirksamkeit" für den Kindergarten und die Fröbelsche Erziehungslehre.

Angeregt durch die Baronin studierte Henriette Goldschmidt die Schriften Fröbels "und erkannte in ihnen nicht nur einen Reformator der kindlichen Entwicklung, sondern den Schöpfer eines Fortbildungswesens für die weibliche Jugend" (Kemp 1993, S. 34). Aus dieser Erkenntnis heraus gründete Henriette Goldschmidt Dezember 1871 den "Verein für Familien- und Volkserziehung", der sich insbesondere um die Verbreitung Fröbelscher Kindergärten und die Ausbildung von Kindergärtnerinnen bemühte. 1872 übernahm der Verein die Trägerschaft für ein neugegründetes Kindergärtnerinnenseminar, das junge Mädchen und Frauen zu Trägerinnen einer neuen Frauenkultur heranbildete:

"Für viele Berufe mag es genügen, die Schüler in äußerer Technik zu schulen, für den Beruf der Kindergärtnerin genügt es nicht. In ihr muss der innere Sinn für die Bestimmung des weiblichen Geschlechts geweckt sein, sie muss das spezifische Wesen der Frau erkannt, innerlich erlebt haben, sie muss im Kinde die Kindheit, das Göttliche ahnen: wie kann sie sonst Pflegerin der Kindheit werden? Wie kann sie sonst Mädchen und Frauen zum Bewusstsein ihrer menschenpflegenden Bestimmung verhelfen?" (zit. n. Siebe/Prüfer 1922, S. 140).

Immer wieder setzte sich Henriette Goldschmidt auch publizistisch für Friedrich Fröbel und den Kindergarten ein. Dabei verdient ihr Buch "Was ich von Fröbel lernte und lehrte" (1909) eine besondere Hervorhebung. Ausgangspunkt ihrer Ausführungen ist die Erkenntnis, die erziehlichen Kräfte der Frau müssten in einer anderen Weise herangezogen werden, als es bisher geschah, "damit der Naturberuf des Weibes vergeistigt und in einen Kulturberuf verwandelt, ihre instinktmäßiges Tun zu einem vollbewussten Handeln geführt werde" (zit. n. Ries 1917, S. 73).

1898 verfasste Henriette Goldschmidt zusammen mit Auguste Schmidt im Auftrag des "Bundes Deutscher Frauenvereine" eine Petition zur "Einordnung der Fröbelschen Erziehungs- und Bildungsanstalten (Kindergarten und Kindergärtnerinnenseminar) in das Schulwesen der Gemeinde und des Staates". Die beiden Frauen forderten u.a., die Kindergärten und privaten Kindergärtnerinnenseminare der staatlichen Aufsicht zu unterstellen, sowie den Kindergartenbesuch für alle Kinder verpflichtend zu machen. Die Petition blieb erfolglos, rief aber große Empörung hervor. Insbesondere im geforderten verpflichtenden Kindergartenbesuch entdeckten Andersdenkende einen Angriff auf die bürgerliche Familie, befürchteten deren Zersetzung. "Kindergartenzwang" bedeutete für die Gegner der Petition zufolge, familiäre Erziehung nicht etwa sinnvoll zu ergänzen, sondern gleichsam zu ersetzen. Der Gothaer Schuldirektor K. O. Beetz ging in seiner Kritik soweit, den Kindergarten als eine familienzerstörende Einrichtung zu bezeichnen. Diese Verurteilung wollte Henriette Goldschmidt so nicht stehen lassen. In teilweise ironischer Weise widerlegte sie die Behauptungen des "Schulmannes" und verteidigte die Institution Kindergarten, ferner die Notwendigkeit des Kindergärtnerinnenberufs, welchen Henriette Goldschmidt mit der Instinktunsicherheit der Mütter begründete:

"Redensarten wie die, 'die Mutter erzieht mit dem Herzen, sie ist in ihrem dunklen Drange sich des rechten Weges bewusst, sie ist zur Erzieherin geboren', gewinnen nicht an Bedeutung, wenn sie ein 'Schulmann' ausspricht. Alle ... Redensarten von der Unfehlbarkeit des Instinkts der Frau schaffen die Tatsache nicht aus der Welt, dass der weitaus größere Teil der Mütter - auch aus höheren Gesellschaftskreisen - es nicht versteht, sich mit den Kleineren zu beschäftigen. Die Frauen engagieren die Kindergärtnerinnen nicht aus Menschenfreundlichkeit, sie fühlen, und zwar oft schmerzlich, dass ihr 'Instinkt' nicht ausreicht ..., die gewiss gern ihre Kinder mit dem 'Herzen erziehen möchten'" (Goldschmidt 1901, S. 11).

1911 gründete Henriette Goldschmidt die "Hochschule für Frauen", die zweifellos als die Krönung ihres Lebenswerkes gesehen werden kann. Das von der Schulgründerin entworfene Programm beabsichtigte:

"1. Allen nach Bildung strebenden Frauen verständnisvolle Teilnahme am Geistesleben unserer Zeit und unseres Volkes zu ermöglichen;
2. der Frau für die Ausübung des mütterlichen Erziehungsberufes eine auf gründlicher Einsicht beruhende Vorbereitung zu geben und
3. die Frau zu befähigen, sich den mannigfaltigen gemeinnützigen Aufgaben, die innerhalb der Gemeinde, des Staates und der Gesellschaft erwachsen, mit weitem Blick und mit vollem Verständnis für die Bedürfnisse der Gegenwart zu widmen" (Goldschmidt 1911, S. 31).

Nach ihrem 90. Geburtstag legte Henriette Goldschmidt die Fortführung ihres Lebenswerkes in jüngere Hände:

"Sie erlebte noch, dass die Hochschule einen staatlichen Charakter erhielt. Im Wintersemester 1916/17 wurde diese unter die Aufsicht des Sächsischen Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts gestellt ... Fast gleichzeitig errichtete Henri Hinrichsen eine Stiftung unter dem Namen 'Stiftung Hochschule für Frauen', die durch eine Verordnung der Landesregierung vom 6. März 1917 bestätigt und später als 'Henri-Hinrichsen-Stiftung' fortgeführt wurde" (Kemp 1994, S. 50).

Im Alter von 94 Jahren endete Henriette Goldschmidts schaffensreiches Leben. Sie starb am 30. Januar 1920 in Leipzig.

Literatur

Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995

ders.: Im Dienste der Fröbel-Pädagogik. Zum 175. Geburtstag von Henriette Goldschmidt, in: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik 2000/H. 6

Goldschmidt, H.: Ist der Kindergarten eine Erziehungs- oder eine Zwangsanstalt? Zur Abwehr und Erwiderung auf Herrn K. O. Beetz's "Kindergartenzwang! Ein Weck- und Mahnruf an Deutschlands Eltern und Lehrer", Wiesbaden 1901

dies.: Was ich von Fröbel lernte und lehrte. Versuch einer kulturgeschichtlichen Begründung der Fröbel'schen Erziehungslehre, Leipzig 1909

dies.: Denkschrift. Vom Kindergarten zur Hochschule für Frauen, Rückschau auf vier Jahrzehnte 1871-1911, Leipzig 1911

Kemp, A.: Henriette Goldschmidt - Ein Leben für die Frauenbildung und Volkserziehung, in: Verein Frauen in der Geschichte, Leipzig 1993

dies.: Henriette Goldschmidt. Vom Frauenrecht zur Kindererziehung, in: Ephraim Carlebach Stiftung (Hrg.): Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, Leipzig 1994

Ries, H.: Geschichte des Gedankens der Frauenhochschulbildung in Deutschland, Münster 1927

Siebe, J./Prüfer, J.: Henriette Goldschmidt. Ihr Leben und ihr Schaffen, Leipzig 1922

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