Zitiervorschlag

Frauen in der Geschichte des Kindergartens: Lina Morgenstern

Manfred Berger

Am 25. November 1830 wurde Lina als drittes von sechs Kindern des jüdischen Kaufmanns Albert Bauer und seiner Frau Fanny, Tochter des Krakauer Senators Jakob Adler, in Breslau geboren. Ab dem sechsten Lebensjahr besuchte sie in ihrer Geburtsstadt die "Wernersche Höhere Töchterschule":

"Die große Lebhaftigkeit und Leichtigkeit, mit der sie alles erfasste, ließen sie in den unteren Klassen nicht zum rechten Fleiße kommen; hingegen entfaltete sie in den oberen Klassen einen solchen Eifer, ganz besonders in Literatur, Geschichte und Naturwissenschaften, dass sie bald zu den besten Schülerinnen zählte" (Roth 1930, S. 69).

1854 heiratete Lina Bauer, trotz jahrelangem Widerstand der Eltern, den Kaufmann Theodor Morgenstern. Das junge Paar übersiedelte nach Berlin. Bereits 1857 geriet ihr Mann in geschäftliche Schwierigkeiten. Lina Morgenstern ergriff die Initiative, um für den Lebensunterhalt der Familie, mit zunächst drei, dann fünf Kindern, zu sorgen. Sie nutzte ihre literarische Begabung, schrieb Kindergeschichten und Märchen. Ferner übersetzte sie noch polnische Nationallieder in die deutsche Sprache.

Als Mutter galt ihr Interesse der Erziehungsliteratur, insbesondere dem Werke Fröbels. Mit Entschiedenheit setzte sie sich in Berlin, trotz des noch bestehenden Kindergartenverbots, für die Errichtung von Fröbelkindergärten ein und engagierte sich aktiv im "Berliner Frauen-Verein zur Beförderung Fröbelscher Kindergärten". Wie viele andere liberal gesinnte Juden auch, sah sie "in der Idee des Kindergartens eine Möglichkeit, die sozialen und religiösen Spannungen innerhalb der Gesellschaft zu vermindern" (Klöppel 1998, S. 19).

Bereits schon kleinen Kindern wollte Lina Morgenstern die Größe und Bedeutung Fröbels näher bringen. Über den Begründer des Kindergartens berichtete sie in ihrem Kinderbuch "Aus der Storchenstraße. Hundert Bilder aus der Kinderwelt":

"Kein Mensch liebte die Kinder mehr, als Vater Fröbel. Keiner wurde von den Kindern mehr geliebt, als er. Vater Fröbel lebte im Thüringer Walde, immer umgeben von einer Schar kleiner Menschen und junger Mädchen ... Vater Fröbel dachte immer daran, den Kindern Freude zu bereiten. Er erfand Baukästen, Flechtarbeiten, Stäbchenspiele, er lehrte die Bälle werfen und dazu singen, die Kugeln rollen, Bilder schnitzen. Aber das Schönste, was er den Kindern gab, das war der Kindergarten, wo ein gemeinsames Spiel und gemeinsames Arbeiten die Kinder vereinigen. Nichts war ihm trauriger, als ein Kind zu sehen, das sich langweilte. Ihr wisst ja, man langweilt sich nur, wenn man müßig geht; darum ersann er den Kleinen die vielen Spielgaben, sich zu unterhalten und dabei auch klüger zu werden. Vater Fröbel ist längst gestorben ... Aber alle schönen Gaben, die er für die Kinder schuf, die erfreuen noch heute Tausende kleiner Menschen auf der ganzen Erde, und in seinen Kindergärten spielen und singen und lernen immer andre Kinder froh und heiter, wie in der Zeit, da Vater Fröbel lebte" (Morgenstern 1860, S. 17).

Im Jahre 1861 publizierte Lina Morgenstern "Das Paradies der Kindheit", das als eines der ersten Fachbücher zur Fröbel- und Kindergartenpädagogik anzusehen ist. Darin betonte sie folgerichtig die Bedeutung des Kindergartens als familienergänzende Institution, deren Aufgabe und Ziel sein sollte:

"Diese Anstalten sind nichts weiter als Familienvereinigungen, um ihre 3-6jährigen Kinder für einige Stunden in Aufsicht einer hierzu ausgebildeten Kindergärtnerin zu geben, welche sie in gesunden Räumen ihrem Alter und ihren Fähigkeiten nach angemessen beschäftigt, ihren Körper durch Bewegungsspiele kräftigt, ihre Sinne richtig leitet, ihrem erwachenden Geist die notwendige Nahrung reicht und ihr Gemüt bildet, indem sie dieselben denkend und schaffend in die Natur und Menschenwelt einführt und sie zur Selbstbefriedigung und Selbsttätigkeit anregt. Der Kindergarten ergänzt das Familienleben durch seine gemeinsamen Spiele und Beschäftigungen und bereitet die Kinder durch harmonische Entwicklung all dieser Anlagen auf die spätere Schule des Lebens vor. Er muss jedoch in seinem Streben von der elterlichen Erziehung unterstützt und gefördert werden und macht dieselbe in keiner Weise überflüssig" (Morgenstern 1861, S. 30).

Mit der Zeit zog sich Lina Morgenstern von dem aktiven Einsatz für die Idee des Kindergartens immer mehr zurück. Trotzdem setzte sie sich weiterhin publizistisch für Fröbel und seinen Kindergarten ein.

Lina Morgenstern war äußerst sozial aktiv. Ein bedeutender volkswirtschaftlicher Fortschritt war ihre Gründung des "Vereins der Berliner Volksküchen" (1866), derentwegen sie den Beinamen "Suppenlina" erhielt. Zusammen mit Henriette Tibertius gründete sie im Rahmen des "Vereins zur Sittlichkeit" in Berlin eine "Mägdeherberge"; 1868 entstand der Berliner "Kinderschutzverein", der die hohe Säuglingssterblichkeit unehelich geborener Kinder bekämpfte; 1869 rief sie eine "Akademie zur Fortbildung junger Damen" ins Leben, die jedoch bald wieder ihren Betrieb einstellen musste. Neben weiteren sozialen Aktivitäten gab Lina Morgenstern ab 1874 die "Deutsche Hausfrauenzeitung" heraus, die sie über 30 Jahre redigierte. Die Zeitung war auch ein Forum für Fragen allgemein den Kindergarten und seine Pädagogik betreffend.

Zum 100. Geburtstag von Friedrich Fröbel (1882) publizierte Lina Morgenstern eine vielbeachtete Festschrift. Dabei sind ihr leider mehrere grobe Fehler unterlaufen. Beispielsweise vermerkte sie auf Seite 19, dass der Kindergarten 1848 (statt 1840) eröffnet wurde. Ebenso datierte Lina Morgenstern die Veröffentlichung der "Mutter- und Kose-Lieder" falsch (statt 1844 auf 1848). Auch gab sie verfälschende Hinweise zu Ida Seele, der ersten Fröbelkindergärtnerin. Genannte weilte nicht vier, sondern 14 Jahre in Darmstadt, und sie starb nicht 1881, sondern 1901.

Ein besonderes Verdienst von Lina Morgenstern war die Einberufung des "Internationalen Kongresses für Frauenwerke und Frauenbestrebungen" (vom 19. bis 26. September 1896) nach Berlin, der damit erstmals auf deutschem Boden stattfand. Dazu konnte sie eine Anzahl von "hochkarätigen" Frauen als Referentinnen gewinnen, wie Maria Montessori, Henriette Goldschmidt und Clara Zetkin, um nur einige zu nennen.

Am 16. Dezember 1909 starb Lina Morgenstern in Berlin. An ihrer letzten Ruhestätte, auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee, nannten sie ihre Freunde und Kinder in der Grabinschrift eine "große Menschenfreundin" (Etzold 1987, S. 125).

Literatur

Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995

ders.: Führende Frauen in sozialer Verantwortung: Lina Morgenstern, in: Christ und Bildung 1996/H. 5

Etzold, A. u.a.: Jüdische Friedhöfe in Berlin, Berlin 1987

Köppel, S.: Lina Morgenstern als Vertreterin jüdischer Sozialarbeit im 19. Jahrhundert, Leipzig 1998 (wissenschaftl. Hausarbeit)

Morgenstern, L.: Die Storchenstraße. Hundert Bilder aus der Kinderwelt in Erzählungen und Liedern für erzählende Mütter, Kindergärtnerinnen und kleine Leser, Stuttgart 1860

dies.: Das Paradies der Kindheit durch Spiel, Gesang und Beschäftigung. Friedrich Fröbels Spielbeschäftigungen als zusammenhängendes Ganzes nebst Erzählungen und Liedern zur Spielanwendung. Ein Handbuch für alle Freunde der Kinderwelt, Stuttgart 1861

dies.: Friedrich Fröbel. Festschrift zur hundertjährigen Geburtstagsfeier, Stuttgart 1882

Roth, C.: Lina Morgenstern - Zu ihrem 100. Geburtstag am 25. November 1930, in: Blätter des Jüdischen Frauenbundes für Frauenarbeit und Frauenbewegung, 1930/H. 11



In: Klax International GmbH: Das Kita-Handbuch.

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