Ich erzähl‘ dir was – Narrative Materialien in Krippe und Kindergarten

Antje Bostelmann

                              

Geschichten für Kinder

Kleine Kinder brauchen jede Menge Anlässe, um ihr Sprechvermögen und ihr Sprachverstehen zu entwickeln. Es scheint, als wären wir Erwachsenen darauf programmiert, mit Babys und Kleinkindern zu sprechen, erste Laute zu erwidern und mit ihnen in Liedern, Reimen, Fingerspielen oder über Bilderbücher zu kommunizieren. Seit Jahrhunderten werden Reime und Fingerspiele für Kleinkinder von Generation zu Generation weitergegeben. Dabei ist in vielen Kulturen ein Schatz an gesungenen oder gespielten Geschichten entstanden, der so gut wie jedem Kind bekannt ist. Diese Geschichten sind kurz und einfach, haben nur wenige Handlungsschritte und konnten so den Weg in Bilderbücher, Reime, Fingerspiele oder Lieder finden.

Narrative Materialien in der Kita

In der Kleinkindpädagogik arbeitet man schon lange mit narrativen, also ‚erzählenden‘ Materialien, die solch einfache Geschichten aufgreifen. Für Krippenkinder wird damit besonders die Entwicklung der Symbolbildung unterstützt, neue Worte und die Beziehungen zwischen den Akteuren einer Geschichte werden veranschaulicht. Mithilfe solcher Veranschaulichung wird die Entwicklung der Symbolbildung bei den Kleinkindern unterstützt und gleichzeitig vorausgesetzt. Das Kind muss die Abbildung einer Katze richtig zu deuten wissen und zugleich das typische Verhalten des Tieres, seine Lebensumstände, die Nahrung usw. kennen und zuordnen können. Es erkennt die Katze in dem Bild, kann sich die Umgebung vorstellen und auf dieser Grundlage in die Geschichte rund um die Katze eintauchen. Es kann sich also darauf einlassen, in der Geschichte Emotionen zu erleben sowie moralische Urteile und Einordnungen wie richtig oder falsch vorzunehmen.

Für Kindergartenkinder dürfen die Geschichten schon komplexer sein, narrative Wände mit wichtigen Bildern einer Geschichte laden zum Nacherzählen oder zum darüber sprechen ein. Mit narrativen Materialien zu Sachthemen wird im Kindergarten erstes Weltwissen vertieft.

Narrative Materialien stoßen bei Kindern ganz unterschiedliche Entwicklungspotenziale an und sind dadurch unverzichtbare Helfer für Eltern und Pädagogen.

Geschichte des Monats

Für die Planung vielfältiger narrativer Angebote in Krippe und Kindergarten bietet sich die Auswahl einer „Geschichte des Monats“ an. Für vier Wochen bildet diese Geschichte einen Schwerpunkt für alle narrativen Materialien. Es wird ein Geschichtensäckchen oder eine Geschichtenbox und eine narrative Wand angefertigt. Auch Materialien wie Aktionstabletts im Kindergarten oder für das Spiel an der Sandwanne in der Krippe werden der Monatsgeschichte angepasst.

Eine passende Geschichte auswählen

Für die Auswahl der Monatsgeschichte sollten einige Kriterien beachtet werden:

  • Die Bilder müssen für Kleinkinder gut erkennbar sein.
  • Die Geschichte hat eine überschaubare Anzahl an Etappen
  • Die Geschichte ist passend zur Entwicklungsstufe der Kinder ausgewählt
  • Die Geschichte kommt mit möglichst wenig bzw. leicht verständlichem Text aus.

Narrative Materialien selbst herstellen

Ist die Geschichte ausgewählt, wird das narrative Material hergestellt. Dabei kann es sehr hilfreich sein, die Eltern einzubeziehen. Elternbastelnachmittage, an denen pädagogisches Material hergestellt wird, sind gute Gelegenheiten, die Eltern einzubinden und ihnen die Funktionsweise der pädagogischen Materialien deutlich zu machen.

Narrative Boxen

Narrative Boxen sind einfache Kästen, mit deren Hilfe eine Geschichte dargestellt und erzählt wird. Narrative Boxen werden von den Erzieherinnen selbst hergestellt. Im Unterschied zu den Geschichtensäckchen wird die Geschichte nicht durch das Herausholen der Gegenstände aus dem Kasten und den Aufbau der Figuren auf dem Tisch oder auf dem Boden erzählt. Der Kasten selbst stellt eine Geschichte dar, in dem er wie eine Bühne gestaltet ist, auf der Ereignisse dargestellt werden können. Die Spielfiguren sind Teil der Bühne und häufig fest mit dem Kasten verbunden.

Strukturiertes und unstrukturiertes Material

Bei allen narrativen Materialien ist es sinnvoll, den Grad der Symbolbildung bewusst zu steuern. So kann eine Geschichte komplett ohne reale Figuren erzählt und alle Charaktere und Gegenstände durch Symbole – also unstrukturiertes Material – ersetzt werden. Wird eine Figur durch ein Stöckchen oder einen Stofffetzen dargestellt, verlangt das von den Kindern viel Vorstellungskraft und Konzentration. Einfacher ist es, wenn die symbolischen Dinge die Form oder die Farbe der Figuren oder Gegenstände aufweisen, die sie darstellen sollen: zum Beispiel ist das Schwein ein rosa Wollknäuel oder die Wiese ein grünes Tuch.

Geschichtensäckchen

In einem Geschichtensäckchen kann, wie auch in einer narrativen Box, alles Mögliche enthalten sein: ein Lied, eine Geschichte, ein Reim oder eine mathematische Aufgabe. Im Unterschied zur Box befinden sich die Figuren und Requisiten in einem Säckchen. Das Säckchen sollte ungefähr dreißig Zentimeter lang und zwanzig Zentimeter breit sein. Die äußere Gestaltung ist nur eingeschränkt möglich. Daher ist es sinnvoll, das Geschichtensäckchen mit einem Bild der Geschichte, welches laminiert wurde und außen am Säckchen befestigt ist, zu kennzeichnen.

Der Beutel wird an der Öffnung mit einer durchgezogenen Schnur verschlossen. Die Farbe der Säckchen kann Aufschluss geben über deren Inhalt. So können zum Beispiel gelbe Säckchen Lieder enthalten, grüne Säckchen Geschichten, blaue Reime und rote mathematische Aufgaben.

Für die Arbeit mit dem Geschichtensäckchen sitzen die Kinder im Kreis um die Erzieherin herum. Sie hat das Geschichtensäckchen in die Mitte gelegt. Die Erzieherin öffnet das Säckchen und beginnt, während sie die Geschichte erzählt, nach und nach die Figuren und Requisiten herauszuholen. Die Dinge werden auf den Fußboden oder auf dem Tisch aufgebaut und von der Erzieherin im Verlauf der Geschichte handelnd bewegt.

Die narrative Wand

Für Kinder ist es gut, wenn sie zusätzlich zum Bilderbuch, in dem die Geschichte des Monats erzählt wird, auch eine Möglichkeit haben, die Geschichte von Anfang bis Ende zu überblicken. Es gibt ihnen Sicherheit, den geordneten Ablauf der Handlung vor sich zu sehen. Sie wissen schon, dass eine Geschichte auch beängstigende Momente enthalten kann. Diese im Voraus zu erkennen und gleichzeitig zu sehen, wie es weitergeht, ist eine gute Hilfe. Im Bilderbuch wird geblättert. Die Geschichte baut sich Seite für Seite auf. Wer wissen will, wie die Geschichte endet, muss direkt zur letzten Seite blättern. Das Prinzip der einzelnen Seite hilft dabei, sich auf das momentane Geschehen zu konzentrieren. An der narrativen Wand wird dieses Prinzip aufgelöst.

Für das Herstellen der narrativen Wand wird das Bilderbuch Seite für Seite kopiert und auf einem großen Poster oder in einem Wechselrahmen an zugänglicher und auch für die Kinder gut sichtbarer Stelle ausgehängt. Die Kinder setzten sich im Kreis vor die narrative Wand. Zunächst erzählt die Erzieherin die Geschichte und zeigt auf das jeweilige Bild. Text unter den Bildern hilft der Erzieherin, stets dieselben Textbausteine zu verwenden. Das ist wichtig, weil die Kinder sehr darauf achten, dass die Geschichte immer auf dieselbe Art und vor allem mit denselben Worten vorgetragen wird. Sie merken sich die Worte und beginnen, die Geschichte nachzuerzählen.

Die Geschichte wird jeden Morgen von der Erzieherin vorgetragen. Die Kinder beginnen von selbst, im Tagesverlauf zur Wand zu gehen und die Geschichte selbständig nachzuerzählen.

Grade für ältere Kinder kann es spannend sein, wenn die einzelnen Seiten der Geschichte nicht festgeklebt sondern laminiert und mit Magneten versehen werden. Die Kinder erzählen mithilfe der laminierten Karten die Geschichte nach und bringen sie an einer Magnettafel in die richtige Reihenfolge.

Die narrative Sandwanne

Besonders in der Krippe bieten Sandwannen oder der sogenannte ‚Landschaftsspieltisch‘ viele Spielanlässe. Sie eignen sich hervorragend für das symbolische Spiel und geben den Kleinkindern vielfältige Möglichkeiten, ihr Weltwissen in einem abgegrenzten Bereich spielend darzustellen.

Sandwannen werden zu narrativen Materialien, wenn sie mit den Charakteren und Kulissen einer Geschichte bestückt werden. Die Kinder können mit ihnen die Geschichte nachspielen oder frei verändern.

So geht’s:

Die Erzieherin spielt im Morgenkreis oder zur Angebotszeit die Geschichte in der Sandwanne vor. Ähnlich wie bei der Arbeit mit den Geschichtensäckchen wird jede Figur und jede Requisite nacheinander aus der Materialschale genommen und in die Sandwanne gesetzt. Auf diese Weise entsteht eine Landschaft, in der die Charaktere agieren.

Ist die Geschichte zu Ende, wird alles wieder in die Materialschale zurückgeräumt. Es ist aber auch möglich, die Landschaft, die zur Geschichte gehört, in der Sandwanne zu lassen, um die Kinder anzuregen, die Geschichte im Tagesablauf noch einmal nachzuspielen.

Aktionstabletts passend zur Geschichte

Auch die Materialien, die den Kindern im Freispiel zur Verfügung stehen, können der Geschichte des Monats angepasst werden. Auf einem Aktionstablett zum Beispiel lassen sich Themen der Geschichte aufgreifen und mit neuen Herausforderungen kombinieren. Liest die Kindergruppe grade „Die Raupe Nimmersatt“, kann ein Fädeltablett erstellt werden, auf dem die Raupe als Pfeifendraht und Schnur dargestellt wird. Bilder verschiedener Lebensmittel, durch die die Raupe sich hindurchfrisst, werden laminiert und auf dem Tablett bereitgelegt. Die Kinder fädeln nach und nach die Lebensmittel auf und vertiefen die Handlung der Geschichte auf spielerische Weise.

Auszug aus:

Das Spiel der Kleinkinder - Frühes Lernen verstehen, begleiten und fördern
von Antje Bostelmann

Verlag Bananenblau 2019
Umfang 124 Seiten, mit DVD (48 Min. Spieldauer)
Format A4 Broschur
ISBN 978-3-942334-65-5

Kurzbeschreibung:

Das Spiel von Kleinkindern ist eine ernst zu nehmende Tätigkeit. Schritt für Schritt erlangen sie dabei grundlegendes Wissen über die Welt und entwickeln sich vom unselbstständigen Baby zum selbstaktiven Kleinkind. Kinder im Krippenalter durchlaufen verschiedene Phasen der Spielentwicklung. Welche Merkmale die einzelnen Spielphasen auszeichnen, woran man erkennen kann, in welcher Phase sich das Kind gerade befindet, und welche Anregungen es jetzt braucht, erklären wir in diesem Buch. Um das Lernen von Kleinkindern verstehen und unterstützen zu können, sind elementare Kenntnisse über das kindliche Spiel notwendig. Der beigefügte Film zeigt Beobachtungen von Spielsituationen, die vor allem auch Auszubildenden in pädagogischen Berufen dabei helfen, diese zu erlangen.

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