Antje Bostelmann
Pädagogik als Zukunftsbegriff
Pädagogik ist immer auf die Zukunft ausgerichtet. Unter dem Begriff fassen sich Werte, Haltungen, Methoden und Instrumente zusammen, die sich auf die Bildung und Erziehung der nachwachsenden Generationen beziehen.
Viele Pädagog/innen gehen heute davon aus, dass sie im aktuellen Zeitalter der Digitalisierung vor besonderen, noch nie da gewesenen Herausforderungen stehen. Aber dem ist nicht so. Zu allen Zeiten standen Pädagog/innen vor der Aufgabe, die Welt, in der ihre Schützlinge einmal als Erwachsene leben werden, vorauszusehen und ihr Handeln darauf einzustellen. Diese Aufgabe ist zu keiner Zeit ohne Anspruch, Mut und Verantwortungsbewusstsein zu meistern gewesen.
Im Zeitalter der Digitalisierung fühlen sich viele heute erwachsene Menschen, die in einer analogen Welt groß geworden sind, besonders gefordert. Liegt es vielleicht daran, dass die Zukunft so stark von digitalen Technologien bestimmt zu sein scheint, dass es überfordernd wirkt? Die aktuellen Diskussionen deuten darauf hin.
Digitale Technologien haben die Arbeitswelt der Menschen, die Art und Weise, wie Menschen zusammenleben und miteinander kommunizieren, stark verändert. Wir sind zu Weltbürger/innen geworden und leben die Globalisierung in unserem individuellen Denken und Handeln. Informationen, Waren und kulturelle Elemente aus allen Ecken der Welt sind für fast jeden, fast überall auf der Welt verfügbar. Moderne Kommunikationsmedien verstärken das Individualisierungsbestreben moderner Menschen. Jede/r kann mitreden sowie die eigenen Gedanken und Emotionen mitteilen. Menschen nutzen diese Möglichkeiten der persönlichen Darstellung in vielfältiger Form. Sie wollen einzigartig sein und folgen doch Influencer/innen auf Youtube, quetschen sich in Kreuzfahrtschiffe, um in Massen an Restaurants anzustehen und gehen rund um den Globus in denselben Geschäften einkaufen.
Der nach Individualität strebende Mensch sucht nach Dingen, die in ihrer Gleichheit und Wiedererkennbarkeit Sicherheit vermitteln und Zugehörigkeit garantieren. Weltkonzerne sammeln Daten über das Verhalten von Menschen, analysieren diese sehr genau und nutzen die daraus gewonnenen Erkenntnisse dafür, Menschen nach ihren Interessen zu formen, zu verleiten und zu manipulieren. Die Mehrheit der Menschen verfügt bei Weitem nicht über das Wissen, welches notwendig wäre, um digitale Informationstechnologien verantwortungsvoll zu nutzen, sich selbst und andere zu schützen.
Gesellschaftlich tradierte Formen des Umgangs mit Lernen und Wissen werden im Zeitalter der Digitalisierung zu einem Problem mit gesellschaftlichem Ausmaß. Traditionell trennen wir Wissen in Allgemeinbildung (also weniger hoch bewertetes Wissen für Jedermann) und Expertenwissen (also spezielles Wissen, das besondere Bildung voraussetzt). Wir haben gelernt, dass Experten über Wissen verfügen und dass deren Expertise zu vertrauen ist. Wissen ist etwas, was durch Abschlüsse und Titel verifiziert ist und in seiner hohen Form kleinen, elitären Gruppen vorbehalten bleibt. Die Mehrheit der Menschen vertraut auf Expertenwissen und ist es nicht gewöhnt, selber Wissen zu generieren und zu verifizieren.
Doch genau dieses tradierte Vertrauen in Expertenwissen passt nicht mehr in die heutige globale Kommunikations- und Informationsmaschinerie, der Menschen in einer Art neuer Unmündigkeit gegenüberstehen, die unsere Demokratie gefährdet. Wer in der Welt von Facebook, Twitter, YouTube, Google und Amazon bestehen will, braucht vor allem Wissen darüber, wie die digitale Informationswelt funktioniert, Urteilsvermögen, um zu erkennen welche Informationen richtig, nützlich, echt und sinnvoll sind und die Fähigkeit, das eigene Verhalten auf der Grundlage dieses Wissens anzupassen. Die Welt des verifizierten Expertenwissens ist längst von einer Wissens- und Meinungsschwemme abgelöst worden, die von Algorithmen in hoch leistungsfähigen Rechenmaschinen in wahnsinnigen Geschwindigkeiten produziert und empfängergenau zugestellt werden. Wir leben in einer Welt, in der die Menschen ein Allgemeinwissen entwickeln welches von Marktinteressen bestimmt wird. Es ist wirklich an der Zeit, hier etwas zu unternehmen.
Was sollten Kinder heute lernen
Über dieses Thema wird viel diskutiert. Weltweit werden Zukunftskompetenzen vorgestellt, die auf den ersten Blick wenig mit digitalen Technologien zu tun haben.
Zusammenarbeiten, Wissen konstruieren, Informationstechnologie in Lernprozessen anwenden, kompetent kommunizieren, kreativ sein, die Fähigkeit, Probleme zu lösen, kritisches Denken, „Media and Information Literacy“, dies sind die Kompetenzen, um die es in der pädagogischen Arbeit heute geht. Die Begleitung und Förderung der kindlichen Entwicklung in Kindergarten und Schule bleibt das Kernziel der pädagogischen Institutionen. Die Kinder lernen die Welt verstehen, lesen, schreiben und rechnen. Sie lernen sich in der sozialen Gemeinschaft sicher zu bewegen, das eigene Verhalten und die eigenen Bedürfnisse zu regulieren. Es bleibt bei dem Ziel die Kinder zu mündigen und zu verantwortungsfähigen Menschen heranwachsen zu lassen.
Diese aktuell diskutierten Zukunftskompetenzen bestätigen insgesamt unser bisheriges pädagogisches Handeln. Es ging doch schon immer darum, gut zusammenzuarbeiten und verantwortungsvoll in der Gruppe zu kommunizieren. Allerdings lassen die Zukunftskompetenzen eine Schwerpunktverschiebung erkennen, die durchaus ernst genommen werden sollte und ein Umdenken der Erwachsenen von heute verlangt.
Die Art des Lernens hat sich verändert. In traditionellen Lernsettings lernen die Kinder zuzuhören und die erwartete Antwort zu geben, sie lernen für Klassenarbeiten und Prüfungen. Im Kontext der Zukunftskompetenzen reicht es jedoch nicht Lerninhalte zu erinnern und wiedergeben zu können. Heute muss Wissen entdeckt, kritisch hinterfragt und effektiv eingeordnet werden können. Wer Wissen erwerben will, muss sich im weltweit angebotenen Wissen orientieren können, in der Lage sein, das Wissensangebot zu beurteilen und zu ordnen. Die Kinder von heute lernen für multiperspektivische Berufe, von denen wir heute zum Teil noch gar nichts wissen. Sie müssen daher in der Lage sein stets aufs Neue zu lernen, bereits Gelerntes zu verlernen und neue Erkenntnisse zu integrieren.
Damit dies gelingt, muss sich in Kindergärten und Schulen einiges verändern. Bildungsinstitutionen müssen zu einem Ort des gemeinschaftlichen Forschens und Fragens werden. Nicht das Herausfiltern der besten Zuhörer/innen und Wiedergeber/innen ist das Ziel, sondern das gemeinsame Lernen und Verstehen von Prozessen, das Herausfinden der persönlichen Lernfähigkeit und des effektiven Umgangs damit. So lernen Kinder heute, sich als Teil einer sozialen Gemeinschaft zu begreifen. Sie lernen, von der Gemeinschaft zu profitieren und in die Gemeinschaft einzuzahlen. Dies stärkt die Fähigkeit zum kompetenten Kommunizieren, zum im Sinne der Gemeinschaft verantwortlichen Handeln und zum Konstruieren und Reflektieren von Wissen.
Die Bildungsinstitutionen ändern ihr pädagogisches Vorgehen besonders in Bezug auf das Lernen. Lernen wird zu aktivem, gemeinschaftlichem Forschen, Kreativität und Leidenschaft in Lernprozessen rücken in den Vordergrund, Lernen wird spielerisch. Die soziale Interaktion rückt zum zentralen Treiber im didaktischen Vorgehen auf, damit verbunden werden soziale und personale Kompetenzen zu entscheidenden Erfolgsfaktoren des Lernens und erhalten eine zentrale Stellung in der Beurteilung des Lernerfolges.