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Zitiervorschlag

"Wasserfarben für die Krippe" - wenige Beispiele, aber großer Effekt

Ingeborg Becker-Textor

 

Wasser, Farben, Papier - ein Traum für Kinder in allen Altersgruppen. Aber Wasserfarben schon in der Krippe? Sind die Kinder nicht noch zu klein? Gibt das nicht eine schreckliche Sauerei? Können sie überhaupt schon malen oder schmieren sie nicht nur herum? Und wie sehen die Kinder nach so einer Aktion aus? Sind da Wachskreiden nicht viel besser?

Diese Reihe der "Fragen" und vorschnellen Behauptungen könnte man endlos fortsetzen. Es sind keine wirklichen Fragen, sondern vielmehr "Befürchtungen" von Erwachsenen, von Müttern, Vätern, Großeltern und leider manchmal auch von Pädagogischen Mitarbeiter/innen in Kindertageseinrichtungen.

Und jetzt schon diese ganze "Farbpanscherei" in der Kinderkrippe? Gibt es nichts Wichtigeres in der frühkindlichen Förderung? Ausmalen wäre doch wichtig oder vielleicht Schwungübungen zur Vorbereitung auf das Schreiben? Mit dem Stift eine Linie nachziehen, das könnte man vielleicht Krippenkindern antrainieren?

Doch jetzt ernsthaft zur Sache. Mit Wasserfarben in der Kinderkrippe fördern wir Kleinkinder in fast allen Bereichen. Das Abenteuer ist es, was schon kleinste Kinder in höchste Lernmotivation versetzt und große Konzentration hervorruft. Ja, Sie haben richtig gelesen, Sie brauchen die Konzentration nicht zu fördern, Sie brauchen die Kinder auch nicht wortreich anzuleiten.Stattdessen sollten Sie die Kinder tun lassen! Bereits in der Krippe sind die Kinder kleine Abenteurer und lernen selbständig, beobachten, betätigen sich aktiv, trauen sich etwas zu und bringen uns Erwachsene nur so zum Staunen.

Hier geht es nun um das Arbeiten mit Wasserfarben. Welche Materialien brauchen wir? Wasser, Lebensmittelfarben, Becher, Zeitungspapier, saugfähiges Papier, vielleicht eine Staffelei, Pinsel, kleine Schwämme, alte saugfähige Lappen, Malkittel ... und natürlich Platz, bevorzugt auf dem Boden (Wasserfarbenexperimente eignen sich auch besonders gut für den Aufenthalt im Freien).

Ganz gleich, wo man mit Wasserfarben arbeitet, sind Vorrichtungen zum Trocknen der Kunstwerke wichtig. So können Stoffbahnen im Raum gespannt werden oder auch Netzstücke. Da lassen sich die Werke zum Trocknen drauflegen. Beim Aufhängen auf einer Leine könnten die Farben nämlich verlaufen.

Und jetzt kann es losgehen! Ein durchsichtiges Plastikgefäß wird mit Wasser gefüllt, und dann wird Lebensmittelfarbe dazugegeben (gelb). Mit einem Löffel verrührt ein Kind die Farbe. Ein zweiter Becher wird angerührt; dieses Mal kommt erst das Farbpulver in den Becher und dann gießt ein Kind mit der kleinen Gießkanne Wasser dazu. Zwei Möglichkeiten, wie man die Farbe anrühren kann. Jetzt haben wir eine Farbe. Katrin, knapp zwei Jahre, bemerkt fragend: "Sonne?"

Auf einer dicken Lage Zeitungspapier wird ein großes weißes Blatt ausgebreitet. Sie schütten etwas von der Farbe in die Mitte des Blattes und warten. Die Kinder kommentieren die Farbe auf dem Blatt mit Lauten oder Wörtern. Sie heben das Blatt vorsichtig an einer Ecke hoch, und da beginnt die Farbe zu laufen. Schon ergreift ein Kind das Papier am anderen Ende, und die Farbe läuft in die andere Richtung. Sie sind jetzt nicht mehr gefordert, denn die Kinder machen solange weiter, bis die Farbe nicht mehr läuft. Jetzt kommt das Blatt auf die Trockenvorrichtung.

Ein neues Blatt wird auf den Boden gelegt. Auf das Blatt legen Sie einen kleinen gelben Wattebausch und beugen sich dann über das Blatt und blasen. Da bewegt sich der Wattebausch. Die Kinder wollen das natürlich auch probieren. Nach einer Weile nehmen Sie den Wattebausch weg und schütten stattdessen etwas gelbe Wasserfarbe auf das Blatt - und schon probiert das erste Kind zu blasen. So "huscht" die Farbe auf dem Blatt hin und her. Jetzt wollen alle Kinder ein Blatt und neue Farbe...

Dann "kleben" Sie mit etwas Wasser ein Blatt auf die Platte an der Staffelei. Anschließend nehmen Sie einen Pinsel und tragen etwas Farbe an der oberen Seite auf. Und schon bewegen sich die ersten kleinen Rinnsale auf dem Papier. Sie geben einem Kind den Pinsel, und es lässt auch Rinnsale auf dem Blatt laufen. Mit ihren Armen zeigen die Kinder, wie die Farbe von oben nach unten läuft. Die Kinder sind begeistert und wollen gar nicht aufhören (An der unteren Blattseite fangen wir die überflüssige Farbe mit alten Lappen auf).

An einem der nächsten Tage rühren wir blaue Farbe an und wiederholen alle vorgenannten Experimente mit blauer Farbe.

Wieder sind einige Tage vergangen, und wir setzen die Farbexperimente fort. Dieses Mal haben wir gelbe und blaue Farbe zur Verfügung. Auf dem Boden liegt ein Blatt Papier. Mit einem Schwamm wird es nass gemacht. Jetzt ein Kleks gelber Farbe in eine Ecke. Die Farbe verfließt auf dem nassen Papier. Jetzt kommt ein Kleks blauer Farbe in die gegenüber liegende Ecke. Die blaue Farbe beginnt zu fließen. Es fällt Ihnen vielleicht schwer, nichts zu sagen, aber Erklärungen sind wirklich überflüsssig! Und da berührt die blaue die gelbe Farbe. Von den Kindern hört man nur ein "Oh, Oh". Voller Konzentration verfolgen sie, was jetzt passiert. Sie können es noch nicht mit Worten beschreiben, aber sie sehen und erleben, was geschieht. Noch auf vielen Blättern wird der "Zauber" von den Kindern beobachtet.

Das Zwei-Farbenexperiment erfolgt natürlich auch mit Pusten. Und siehe da, wenn sich die beiden Farben berühren, dann entsteht eine neue Farbe. Auch an der Staffelei lassen wir die beiden Farben herunterrinnen, und ab und zu berühren sich Gelb und Blau. Grün entsteht.

Beim Abholen ziehen die Kinder ihre Mütter und Väter zu ihren Experimentierbildern und berichten auf ihre ganz individuelle Weise von ihren Farbexperimenten.

Je mehr die Kinder bei solchen Arbeiten selbst erkunden und entdecken, desto erfolgreicher ist dieses Angebot für ihre Entwicklung. Die Konzentration erwächst aus Beobachten, die Freude aus dem eigenen Tun. Der Prozess, den Kinder dabei durchmachen, ist der eigentliche Gewinn - nicht ein Bild als Endprodukt. Wenn die Bilder trocken sind, dann haben sie nicht nur an Leuchtkraft verloren, sie sind auch nicht mehr lebendig. Für ein neues Erlebnis brauchen die Kinder neues Papier, Wasser und Farbe.

Im Übrigen ist es nicht notwendig, den Kindern Farbkästen mit einer breiten Farbpalette zur Verfügung zu stellen. Beginnen Sie gerade in der Krippe mit nur einer Farbe. Wann Sie die zweite Farbe dazunehmen, entscheiden Sie nach Interessenslage der Kinder. Und insgesamt reichen nach einiger Zeit die Grundfarben. Schon kleine Kinder lieben die Beobachtung der Entstehung einer neuen Farbe.

Kindergartenkinder sehen im Farbenmischen eine Sebstverständlichkeit und erkennen sehr schnell die Chance der Farbdifferenzierung. Wer z.B. Gelb und Blau vermischt, erhält eine Vielzahl von Grüntönen. Und Kinder können bald erklären, dass viel Gelb zu einem Hellgrün führt usw.

Es ist auch überflüssig, den Kindern zu erklären: "Also, wenn du Gelb und Blau mischst, dann wird das Grün". Die Kinder können die Farben Gelb, Blau und Grün noch gar nicht benennen und wissen dennoch bereits, dass aus Gelb und Blau Grün wird. So einfach ist das.

Sie meinen, dass das nicht interessant für die Kinder wäre? Dann haben Sie es noch nicht ausprobiert. Schwierig ist es für uns Erwachsene, uns zurückzunehmen. Viel lieber sind wir nämlich "Erklärer" oder "Lehrer" anstatt Impulsgeber für eigene Entdeckungen der Kinder...

Ein Bilderbuchtipp: Leo Leonni: "Das kleine Blau und das kleine Gelb". Oetinger Verlag.

Ein weiteres Experiment mit Wasserfarben in der Kinderkrippe

Im Flur liegt eine lange Papierbahn. An ihrem Beginn liegt ein großer Lappen, der mit Wasserfarbe getränkt ist. Ob sich jemand von den Kindern traut, barfuss über das Papier zu laufen? Die eineinhalbjährige Susi zieht ihre Sandalen und Söckchen aus und stellt sich auf den Farblappen (Niemand hat auf die Farbe hingewiesen oder Erklärungen abgegeben). Und dann läuft sie los. Schon nach zwei Schritten zeigen die anderen Kinder auf ihre Spur, die sie auf dem Papier hinterläßt. "Fuß", ist der Kommentar eines Kindes. Und schon entblößen alle ihre Füße und stehen an dem Farblappen an. Viele Spuren sind mittlerweile zu sehen. Und interessante Dinge passieren. Lisa versucht immer, auf die Spur eines anderen Kindes zu treten, während Klaus immer nach einem noch freien Fleck sucht. Und wenn die Kinder merken, dass sie keine Spur mehr hinterlassen, dann laufen sie ganz von alleine zurück zum Lappen. Und da, da experimentiert Katrin mit den Händen!

Die nächste Bahn mit Papier wird aufgerollt. Alle probieren, mit ihren Händen Zeichen zu setzen. Und dann, dann krabbelt Peter auf allen Vieren über das Papier...

Wie lange solch eine "Übung" dauern kann? Im beschriebenen Fall vergingen 40 Minuten wie im Flug. Dann musste ein Ende sein. Wiederholung war noch an vielen Tagen angesagt.

Was hat die Kinder so fasziniert und begeistert? Sie konnten völlig auf sich gestellt aktiv werden. Es gab weder Anleitungen oder Erklärungen; sie machten alles richtig und konnten sich über ihren Erfolg freuen. Mit jeder Wiederholung wurden sie sicherer - und was sie alles aufgenommen und gelernt haben! Sie haben Prozesse durchlebt, noch lange bevor sie die Worte dafür hatten. Solche Erfahrungen und Prozesse gehen nicht mehr verloren. Die Kinder bauen immer wieder darauf auf bzw. greifen auf das Gelernte zurück.

Vielleicht denken Sie jetzt: "Das habe ich doch schon alles mit Kindern gemacht. Wir drucken doch immer mit Händen und Füßen". Aber es ist etwas anderes, ob Sie Kinder zu einer Aktivität durch Erklärungen anleiten oder ob Sie Kinder zum Erleben führen. Was der Mensch sich selbst erarbeitet hat, das bleibt ihm. Was man hingegen mit dem Kurzzeitgedächtnis lernt, ist nach kurzer Zeit nur noch bruchstückhaft verfügbar.

Aber nicht nur unsere Füße und Hände hinterlassen Spuren. Vieles kann man in Farbe tauchen: kleine Schwämme mit unterschiedlicher Struktur, eine Bürste, Stoffstückchen, Blätter, Gras... Aber jetzt bloß nicht die Kinder ein Bild stempeln lassen! (Was ein Glück, dass Kleinkinder noch keine Lust an der Gestaltung von Kartoffelstempelmosaikbildern u.ä. haben!) Es wird spannend, wenn Sie die Kinder ausprobieren lassen.

Den Eltern die Lernprozesse verdeutlichen

Das für Sie größte Problem dürfte aber die Elternarbeit sein. Die "Produkte", die entstanden sind, sind völlig unbedeutend für das Elterngespräch. Sie müssen den Eltern die Prozesse offenlegen, die die Kinder durchlaufen haben - die unzähligen Lernschritte, die die Kinder ohne Dazutun des Erwachsenen gegangen sind. Am besten wird es sein, Sie machen all die Übungen mit Eltern und reflektieren dann gemeinsam die Lernerfahrungen. Auch das wird ein Abenteuer! Gelingt es Ihnen, dann haben Sie viel zum Wohle der Kinder beitragen können. Wie wichtig ist es für Kinder, dass Eltern und andere Erwachsene Verständnis für ihre Entwicklung haben und diese fördern!

Lust am Lernen, Freude am Experiment - Wasserfarben bieten dazu viele Möglichkeiten. Und, mit Wasser kann man alle Farbe wieder wegwischen. Was die Kinder erfahren haben, das aber bleibt...

Autorin

Ingeborg Becker-Textor ist Kindergärtnerin und Hortnerin. Sie studierte Diplom-Sozialpädagogik an der Fachhochschule Würzburg und Diplom-Pädagogik an der Universität Würzburg und hat mehrere Zusatzqualifikationen wie z.B. den Abschluss als Fachlehrerin für Werken und das Montessori-Diplom erworben.
Frau Becker-Textor arbeitete als Kindergartenleiterin in Würzburg, als Regierungsfachberaterin für Kindertageseinrichtungen in Unterfranken, als nebenberufliche Dozentin in der Ausbildung für Kinderpfleger/innen und Erzieher/innen, in der Fortbildung für Erzieher/innen und Fachkräfte in der Jugendhilfe sowie mehr als 20 Jahre lang als Referatsleiterin im Bayer. Sozialministerium (nacheinander in den Bereichen Jugendhilfe, Kindertagesbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit). Im Ministerium war sie auch für zahlreiche Forschungsprojekte auf Landes- und Bundesebene zuständig. Von 2006 bis 2018 leitete sie zusammen mit ihrem Mann das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg.
Ingeborg Becker-Textor ist Autorin bzw. Herausgeberin von mehr als 20 Büchern und über 40 Medienpaketen. Sie hat ca. 140 Fachartikel in Zeitschriften, in Sammelbänden und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de