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Zitiervorschlag

Ganzheitliche graphomotorische Förderung im Kindergarten

Barbara Perras

 

"Heute sind Eltern meist bestrebt, wenn nicht sogar besessen von dem Gedanken, ihr Kind so rasch wie möglich in eine bestimmte Richtung zu drängen. Wenn Vorwärtskommen der neue Inhalt unseres gesellschaftlichen Lebens ist, dann ist das Bestreben, das eigene Kind rascher vorwärts zu bringen als die anderen Kinder, eine höchst charakteristische Begleiterscheinung: das richtige Spielzeug, die richtigen Vorschulaktivitäten, soundsoviele Stunden hiervon und soundsoviele Stunden davon, und immer dem Stundenplan des öffentlichen Schulsystems voraus. In Davids Kindheit begegnen wir einem früheren Erziehungsmodell, das in den unmittelbaren Lebensumständen verwurzelt ist und Selbständigkeit und Kreativität reich belohnt. David ist in einer Umgebung aufgewachsen, in der 'landwirtschaftliche Arbei' ein relativ offenes, lose strukturiertes System war. Es stellte konkrete Anforderungen, brachte konkrete Härten mit sich, umfaßte viele Gebiete, vermittelte viele unerwartete Erfahrungen und bot einem kleinen Kind viele Gelegenheiten, seiner natürlichen Neugier nachzugehen und seine Interessen zu entdecken. Taugt das Modell heute nicht mehr?" (Wilson, Frank R.: Die Hand - Geniestreich der Evolution. Stuttgart 2000, S. 139).

Geschichtliche Entwicklung unserer Vorfahren

Vor 60 Mio. Jahren waren die ersten Primaten maus- bis katzengroße Säugetiere. Komplexe Anpassungen wurden vollzogen, um den Anforderungen der Nahrungssuche durch Jagen und Sammeln gerecht zu werden:

  • Augenhöhlen und Augen rückten an die Vorderseite des Kopfes und ermöglichten das binokulare Sehen - ein Vorteil für die Orientierung im dreidimensionalen Raum und für das Aufspüren oder Ergreifen kleiner Beutetiere auf kurze Entfernung.
  • Unterarm und Schultergürtel entwickelten sich so, dass sie größere Beweglichkeit ermöglichten. Vielleicht sorgten sie dadurch für größere Sicherheit bei der Fortbewegung und Ernährung in den Baumkronen.
  • Die Pfote behielt ihre archaische, aber außerordentlich nützliche Fünfzehenanordnung (pentadaktyle) und erlaubte den Tieren, mit einzelnen Zehen oder Fingern zuzugreifen. Die Lücke zwischen Daumen und Zeigefinger konnte zwar geschlossen werden, aber der Daumen konnte noch nicht in eine Gegenstellung zu den anderen Fingern bewegt werden. Nägel ersetzten die Klauen an der Rückseite der Fingerendglieder, die innere Handfläche überzog sich mit einer empfindlichen, gefurchten Haut: Veränderungen, die die Fähigkeit zum Klettern und zur Fortbewegung an Stämmen und Ästen unterstützten und es dem Tier erlaubten, Früchte, Blätter und Insekten besser fassen und halten zu können.
  • Mit einer Verkürzung der Schnauze begann das Sehen den Geruch als die vorherrschende Sinneswahrnehmung zu verdrängen; Kiefer, Schädel und Zähne wandelten sich entsprechend der veränderten Ernährung.
  • Aus dem Riechhirn hat sich eine bestimmte anatomische Struktur entwickelt: das limbische System - im menschlichen Gehirn eine begrenzte Region oberhalb des Zwischenhirns. "In der Evolutionshierarchie der Tiere tritt es zum ersten Mal bei den Reptilien auf" (Vester, Frederic: Denken, Lernen, Vergessen. dtv München 29. Aufl. August 2002, S. 18ff.).
  • Größe und Struktur des Gehirns veränderten sich, wahrscheinlich um sich auf die geometrisch komplexere (und körperlich gefährlichere) Lebens- und Jagdwelt einstellen zu können.

Diese Veränderungen hatten sich Ende des Eozäns (vor 58-35 Mio. Jahren) weitgehend durchgesetzt (Wilson, Frank R.: Die Hand - Geniestreich der Evolution. Stuttgart 2000, S. 28f.).

Die ersten Menschenaffen lebten auf Bäumen und bewegten sich ausschließlich vierfüßig fort. Noch wies keine Art Veränderungen im Bereich des Brustkorbs und Schultergürtels auf, welche das ungehinderte Schwingklettern auf Bäumen ermöglichten (Wilson 2000, S. 29).

Vor 25 Mio. Jahren hatten sich die Anthropoiden in Affen und Menschenaffen aufgeteilt. Die afrikanischen Menschenaffen verlagerten ihren Lebensraum zurück auf den Erdboden.

Vor 1,6 Mio. Jahren wies die Hand von Affen und Menschenaffen verschiedene Formen auf. Die vier Finger besaßen im Wesentlichen die gleiche Gestalt (Wilson 2000, S. 30). "Eine weitere Entwicklung, die mit den Menschenaffen auftrat, war die Freisetzung des entfernten Endes der Elle (des großen Unterarmknochens, der auf der Seite des kleinen Fingers an das Handgelenk stößt). Diese Veränderung dürfte von entscheidender Bedeutung für die hangelnde Fortbewegung gewesen sein, weil sie die Drehfähigkeit des Arms unterhalb des Ellbogens erhöhte, eine Fähigkeit, die erforderlich war, um den Körper unter dem Arm nach vorne zu schwingen. Ferner erlaubte sie, die Hand am Gelenk vom Daumen wegzukippen" (Wilson 2000, S. 32). Gleichzeitig zeigte sich eine erhebliche Umgestaltung von Becken und Bein: "Das Becken ist kurz, und die Oberschenkelgelenke an Hüfte und Knie sind im Prinzip eine gedrungene Version der menschlichen Anatomie" (Wilson 2000, S. 32).

Die Veränderungen der Hand lagen in den Gelenkflächen der Daumen-, Zeige- und Mittelfingerbasis, in der Größe und Ausrichtung, welche die Gelenkflächen der Handgelenkknochen zeigen, und im längeren Daumen im Vergleich zu den Fingern:

  • "Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger können einen 'Drei-Punkte-Feingriff' bilden, mit anderen Worten, die Hand kann unregelmäßig geformte Körper (zum Beispiel Steine) ergreifen und festhalten.
  • Gegenstände, die man zwischen Daumen und den Spitzen von Zeige- und Mittelfinger hält, können sehr exakt bewegt werden.
  • Man kann Steine in der Hand halten und mit ihnen wiederholt auf harte Gegenstände (beispielsweise Nüsse) einschlagen oder Wurzeln ausgraben, weil das neue Handgelenk besser als die Menschenaffenhand in der Lage ist, den Rückprall harter Schläge zu absorbieren" (Wilson 2000, S. 35).

Als unsere frühesten Vorfahren von den Bäumen herabstiegen, waren die minimalen Voraussetzungen, die zum Überleben mit Hilfe von Steinen erforderlich waren, zum ersten Mal vollständig in einer Affenhand versammelt.

Warum verkümmerte der Hominidenarm nicht, nachdem seine ursprüngliche Funktion der Fortbewegung entfallen war?

Gemäß dem Motto der Natur: "Was einmal entwickelt wurde wird auch weiterhin verwendet", waren die komplexen Funktionen in den erweiterten sensomotorischen Systemen des ZNS bereits weiträumig repräsentiert und vernetzt und dürften die Vermehrung der zweifüßigen Hominiden begünstigt haben (Wilson 2000, S. 74).

Der aufrechte Gang und die nachfolgenden Veränderungen der oberen Gliedmaßen waren der endgültige Auslöser für die Abspaltung der Menschen von der Primatenlinie. Die treibende Kraft für die Evolution des Hominidengehirns war das Gehirn selbst durch Anpassung an die Umwelt und passend Machen der Umwelt für das Individuum (Wilson 2000, S. 24).

Assimilation = Aufnahme und Integration von Umweltreizen

Akkomodation = aktive Anpassung an die jeweiligen Umweltbedingungen, woraus erst eine Manipulation der Dinge möglich ist (Piaget)

Der Geist des modernen Menschen hat sich durch eine Reihe größerer Anpassungsschritte aus dem Primatengeist entwickelt:

  • Die Handkontrolle: bedeutete zum ersten Mal in der Evolution die Vereinigung visueller, taktiler und propriozeptiver Rückmeldungen in einem Handlungssystem (Propriozeption: die Wahrnehmung der eigenen Körperlage durch spezielle Rezeptoren in Muskeln, Gelenken, Sehnen, Bändern und Haut). Damit übernahm das Sehen als vorherrschender, weiter von der Körpermitte entfernt liegender Sinn die direkte Kontrolle und Abstimmung der Handlungen (Wilson 2000, S. 58).
  • Das Gleichgewicht: Die entsprechenden Wahrnehmungs- und Kontrollaufgaben sind dem Bewusstsein vollkommen entzogen. "Es sind einfach zu viele Informationen über Gelenkstellungen und Gewichtsverteilungen zu sammeln und zu analysieren, und das Gehirn hat zu viele Trägheits- und Kraftgleichungen gleichzeitig mit einem Minimum an Zeitaufwand zu lösen" (Wilson 2000, S. 77). Ein Mensch, der sich bewegt, muss seinen Schwerpunkt immer wieder neu finden. Dabei helfen ihm die Sinneswahrnehmungen des visuellen Systems über die Augenmuskelkerne in Zusammenarbeit mit dem Vestibulärsystem im Ohr, die Propriozeption oder kinestetische Wahrnehmung und der Schultergürtel mit all seinen motorischen Aufgaben. Das ursprüngliche Zentrum im Körpermittelpunkt nehmen wir heute noch wahr, wenn uns aufgrund von Reizüberflutung z.B. beim Schaukeln übel ist (und wir uns übergeben müssen).
    "Noch immer übt das Schulter-Gehirn seine dynamische Kontrolle der Muskelaktivität aus, wobei es sich in erster Linie auf das Sehen, die Gelenkstellung und den Muskelsinn verläßt. Daran hat sich nichts geändert" (Wilson 2000, S. 92).
  • Koevolution von Hand und Gehirn als folgenreichste vorsprachliche Anpassungsleistung.
  • Entwicklung von Lateralität und Händigkeit.
  • Die Hand wird artikulierendes Ausdrucksorgan.
  • Senso- und perzeptiv-motorische Verbindungen zwischen Hand und Gehirn mit aufgabenspezifischen Lernprozessen.

Wissen bedeutet mehr als nur Wörter oder Fakten im Kopf

"Wissen ist jeder Zustand in einem Organismus, der irgendeine Beziehung zur Welt aufweist" (Wilson 2000, S. 62f.). Durch den genetischen Code verfügt der Körper über bestimmte Strukturen und Funktionen wie Körperbau, spezielle Anpassungen und Instinkte, und alle diese genetischen Voreinstellungen sind Wissen. Für das künftige Überleben wurde neben dem primären Problemlöseverhalten mittels Wissen Intelligenz als sekundäre Heuristik notwendig. Intelligenz bedeutet in erster Linie soziale Intelligenz als Einheit von Bewegung, Denken und Fühlen. "Das Verhältnis zwischen der Größe des Neokortex allein und einer stabilen Gruppengröße ergab fast eine perfekte Progression: je größer der 'Stamm' desto größer der Neokortex" (Wilson 2000, S. 49). Daraus ergab sich eine optimale Gruppengröße von höchstens 150 Mitgliedern, in der langfristige Putzpartner zuverlässige Verbündete waren und die Putzzeit zur Sicherung des individuellen Überlebens in großen Gruppen diente. Heute hat ein einzelner Mensch in der Regel einen losen Freundeskreis von maximal 150 Personen, mit denen er freundschaftliche, sprachliche Kommunikation pflegt, und das Geplauder ersetzt das gegenseitige Putzen.

"Die Ontogenese ist die kurze Wiederholung der Phylogenese" (Ernst Haeckel zitiert in Wilson 2000, S. 187)

Grundvoraussetzungen für Graphomotorik sind die Wiederholung aller bedeutenden Entwicklungsstufen. Kein Schritt wird ungestraft vernachlässigt oder ausgelassen.

Der Mensch entwickelt sich aus einer Eizelle, lebt neun Monate im Wasser. Seine Geburt stellt die Eroberung des Landes und die Auseinandersetzung mit der Schwerkraft dar. Aus dem Vierfüßergang richtet sich das Kind in die Zweifüßigkeit auf. Was für die körperliche Entwicklung gilt ist gleichermaßen für die geistige und sprachliche Entwicklung notwendig. Unser Gehirn reift gemäß der Evolution: die neueren Gehirnschichten wie das Großhirn mit seinen beiden Hemisphären, den vier Cortex-Lappen und den Assoziationsfeldern entwickeln sich zuletzt. Die letzte Gehirnumstrukturierung erfolgt mit etwa 11 Jahren zu Beginn der Pubertät. In diesem Alter trennen sich die Bereiche für Sprache in Muttersprache und Fremdsprache, was beweist, dass die neuesten Errungenschaften der Menschheit wie Zweitsprache auch zuletzt Veränderungen im Gehirn herbeiführen.

"Wenn auch die Gesamtzahl der Neuronen wohl nicht mehr zunimmt, so entstehen doch in der 'Hardware' dieser lokalen Hirnbereiche - wahrscheinlich ausgelöst durch hormonelle Veränderungen - eine Fülle neuer Verdrahtungen, sogenannte dendritische Verzweigungen, vergleichbar mit dem Aufrüsten eines Computerchips mit neuen Anschlüssen" (Vester 2002, S. 54). Genau diese Kenntnisse sammelte Maria Montessori vor einhundert Jahren und teilte deshalb ihre Entwicklungsstufen eines Kindes in die Altersstufen 1 bis 6, 6 bis 12 und 12 bis 18 Jahre ein.

Selbständigkeit in Form von selber stehen können unter Einhaltung aller vorher erwähnten bedeutender Entwicklungsschritte, dem Aufrichten aus dem Krabbeln, dem vierfüßigen Gehen zum Zweifußstand und Selbstbewusstsein als Körperbewusstsein und entwickeltes Körperschema bilden die Grundlage für die ganzheitliche Bewegungsentwicklung.

Gehen - ein ständiger Wechsel von der Stabilität zur Labilität

"Nach Lensing-Conrady sucht jeder Mensch sein Gleichgewicht zwischen den vier großen Naturimpulsen. Die 'Revolution' entspricht dem Planetensystem als Kreisen um andere, sich einordnen, begrenzen und birgt Angst vor Ich-Verlust und Abhängigkeit. Die 'Schwerkraft' will sich niederlassen, bedeutet Dauer und Beständigkeit, auch Angst vor Endgültigkeit und Freiheitsverlust. Die 'Fliehkraft' beinhaltet das Bedürfnis nach Veränderung, Risiko und Wandlung sowie die Angst vor Vergänglichkeit und Unsicherheit. Die 'Rotation' schließlich entspricht der Eigendrehung der Erde mit 'Individuation' und Persönlichkeit, dem Nicht austauschbar sein und der gleichzeitigen Angst vor Einsamkeit und Isolation" (Neumarkter Tagblatt, Parsberg, 01.10.1998).

Lensing-Conrady bezeichnet das Laufenlernen als größte Auflehnung des Menschen gegen die Schwerkraft. Das Gehen an sich ist ein ständiger Wechsel zwischen Labilität und Stabilität; die Kunst des Laufens zeige sich in der Kunst des Fallens. Dieses Wechselspiel, welches das Kleinkind als Teilstück der Evolution wiederholt, kann ihm keiner abnehmen. Jedes Fallen, bei dem das Kind lernt, sich mit seinen Händen abzustützen, wirkt stark auf die Tiefensensibilität und ermöglicht einen Aufbau und Einsatz von Muskelkräften. In der Therapie kann diese Erfahrung nur durch entsprechende Abfangübungen mühsam nachgeholt werden (Lensing-Conrady: Fortbildung "Von der Heilsamkeit des Schwindels" am 25./26.09.1998 in Parsberg).

Mit dem aufrechten Gang kamen zwei weitere bedeutsame Fortschritte der Evolution: Der Kehlkopf bekam Raum für die differenzierte Lautbildung der Sprache, und die Hände wurden frei für Betätigung und die Nutzung von Werkzeug (Michael Wendler, Graphomotorische Fortbildung in Parsberg 2001).

Die Entwicklung des Horchens und Hörens

Das Ohr besteht aus drei Hauptteilen: dem äußeren Ohr, dem Mittelohr und dem inneren Ohr. Äußeres Ohr und Mittelohr sind luftgefüllt. Im Innenohr befindet sich eine Flüssigkeit (Lymphe). Das Gleichgewichtsorgan (Vestibulum) und die Hörschnecke (Cochlea) bilden das Innenohr.

Das Streben nach der aufrechten Haltung veränderte die gesamte innere Struktur des Gleichgewichtorgans (Vestibulärapparat), des Sinnesorgans, das die Köperbewegungen auffängt und das Gleichgewicht nach und nach in alle Körperteile integriert. Zwei Säckchen - Utriculus und Sacculus - machen die Orientierung im Raum möglich. "Der Utriculus arbeitet auf horizontaler Ebene, während der Sacculus schon bei den Reptilien einen ersten Ansatz von Vertikalität, von aufrechter Haltung einführt, sodass die 'Kopf-Hals-Achse' mit der bisher allein maßgeblichen Horizontalität brechen kann" (Tomatis, Alfred: Der Klang des Lebens. Reinbek bei Hamburg 1990/1997, S. 109). Vertikalität und Lateralität (Seitigkeit, Händigkeit) beschreiben, wie wir uns im Raum und gegenüber der Schwerkraft verhalten. Den Kampf gegen die Schwerkraft unterstützen drei Bogengänge: zwei vertikale (oberer und hinterer Bogengang) und ein horizontaler (seitlicher Bogengang). Sie bilden die Grundlage der dreidimensionalen Wahrnehmung.

Entsprechend dieser biologischen Vorgabe entwickelt sich ein Kind aufbauend in den Raumrichtungen unten - oben, vorne - hinten, links - rechts. Auch wenn die Seitigkeit für unsere Gesellschaft am wichtigsten ist, kann sie nur auf den vorangegangenen Erfahrungen aufbauen.

Die Cochlea (Schnecke) verbessert die Körperhaltung und analysiert die im Labyrinth empfangenen Schallinformationen. Über die nun vergrößerte Wahrnehmungsfläche wird vermehrt Energie an die Großhirnrinde weitergegeben. Die Schnecke dient vor allem der Kommunikation mit der Außenwelt, dazu muss sie zunächst Störgeräusche aus dem Körperinneren filtern. Der Aufbau des knöchernen Labyrinths spielt eine sehr wichtige Rolle für die Wahrnehmung von Innen und Außen. Das häutige Labyrinth ist ein Tastorgan mit dynamisierender Funktion geblieben, es vollzieht jede Bewegung des Körpers mit, sorgt für das Körperbild und verstärkt die Wirkung der tonisierenden Kräfte (in Muskeln, Knochen, Gelenken und der Haut), vor allem der akustischen Sinnesreize. (vgl. Perras-Emmer, Barbara: "Umgang mit Gleichgewicht und Angst im Erzieheralltag", http://www.kindergartenpaedagogik.de/424.html).

Bewegung ist das erste Lernen

Erst wenn Kinder sich bewegen, können sie den Seh- und Hörvorgang überprüfen. Das räumliche bzw. dreidimensionale Sehen wird bis zum Alter von sieben Jahren entwickelt und ist dann so gut wie abgeschlossen. Untersuchungen haben gezeigt, dass spätere Operationen zwar die volle Fähigkeit von Augen und Ohren herstellen können, dass jedoch die entsprechenden Nervenbahnungen im Gehirn kaum mehr nachgeholt werden können. Wichtig ist, dass die Sinnesorgane so früh wie möglich fachärztlich untersucht werden und voll funktionsfähig sind.

Körper-, Tiefen- und Raumlagewahrnehmung benötigen Förderung. Grundvoraussetzung dafür ist die Bewegung. Ein Kind muss ein eigenes Körperschema (= Orientierung am eigenen Körper; Repräsentation des eigenen Körpers, die durch kinestetische, taktile und optische Reize vermittelt ist) entwickeln, einen Gegenstand begreifen, eine Entfernung überprüfen, Höhe erleben und eine Form spüren können. Nur wenn es weiß, wo seine Füße, Arme usw. sind, ohne sie zur Kontrolle bewegen zu müssen ("zappeln"), und wo es sich im Raum befindet, kann es sich in fremden Räumen zurechtfinden. Zu den fremden Räumen zählt auch das Zurechtfinden auf einem Blatt oder in einem Buch.

Das Körperschema ist das erste räumliche Vorstellungsbild, welches sich im Individuum entfaltet. Es geht zurück auf Bewegungserfahrungen und Sinnesempfindungen, aber auch Wunschbilder und umgrenzte, plötzlich entstehende und kurz dauernde, intensive Gefühlsregungen (Affekte) wirken darauf ein. Deshalb kann es z.T. erheblich von der Wirklichkeit abweichen (z.B. bei Magersüchtigen, die sich als zu dick empfinden) und ist auf wiederholende Bewegungen und Wahrnehmungen angewiesen. Objektivität, welche trotz allem immer subjektiv sein muss, da sie ja vom Subjekt ausgeht (Konstruktivismus), kann nur durch stete Kontrolle und Vergleich der Dinge selbst, aber auch mit den Wahrnehmungen anderer, erworben werden.

Um die Sicherheit der Augen beim Lesen in einer Zeile zu fördern, findet das Kind viele eigene Ideen, wenn man es nur lässt: Hängen kopfüber, schaukeln, Trampolinspringen... Diese Tätigkeiten bereiten dem Kind Freude, es macht sie aus eigenem Antrieb und ohne Zweckbindung. Leider neigen wir Erwachsenen dazu, diese Aktivitäten als sinnlose Unruhe abzutun, und wollen das Kind nach unseren Methoden und Zielen fördern. Dabei ist diese Entwicklung natürlich im Menschen angelegt. Früher waren vor allem bewegte Bilder am Horizont eine Gefahr, die Augen mussten trainiert werden, und die Wahrnehmung wurde fixiert. Aus diesem Grund ist unser Sehen horizontal besser entwickelt: Die untergehende Sonne erscheint uns größer, obwohl sie etwa gleich weit von uns entfernt ist wie am Mittag. Wäre Lebensgefahr aus der Luft gekommen, hätte sich unser Sehapparat sicher anders entwickelt. Die Vorliebe der Menschen für bewegte Bilder - entstanden aus Überlebenswillen - zeigt sich heute vor allem beim Fernsehen. Kinder lernen jedoch nicht, die Bilder zu fixieren, weil sie zu schnell ablaufen, und damit geht eine wichtige Entwicklungsstufe verloren.

Beim Sehen entsteht ein toter Winkel, begründet durch das Zusammenfügen der Informationen von beiden Augen. Das Gehirn ist immer bemüht, möglichst vollständige Bilder wahrzunehmen, und ergänzt deshalb die "fehlenden" Teile. So lassen sich viele optische Täuschungen erklären, wo z.B. Dreiecke geschlossen und somit als solche erkannt werden (vgl. Perras-Emmer, Barbara: "Geometrie in der Grundschule - Eine Herausforderung für den Bewegungskindergarten", http://www.kindergartenpaedagogik.de/597.html)

Der Körper kann unbegrenzt geeignete Muskelaktivitäten kombinieren, um eine gewünschte Bewegung zu realisieren. Dazu werden ständig einzelne Muskeln vom Gehirn zur Hilfestellung für eine endlose Vielfalt und Bandbreite von Bewegungen herangezogen. Eine spezifische Verhaltensanforderung kann im Allgemeinen auf verschiedene Weise befolgt werden. Für eine bestimmte Lösung entscheidet sich das ZNS durch den Einsatz bestimmter Skelettmuskeln.

Die neue Hand gab dem Homo sapiens nicht nur die mechanischen Voraussetzungen für exaktere Manipulation und verbesserten Werkzeuggebrauch, sondern auch den Anstoß zur Umgestaltung und Neuordnung der Schaltkreise im Gehirn. Die neue Ordnung der Welt war eine Erweiterung alter neuronaler Repräsentationen und trug dem Bedürfnis des Gehirns Rechnung, die den Gesetzen der Schwerkraft und Massenträgheit unterworfene Fortbewegung zu kontrollieren. "Natürlich waren dem Gehirn und Rückenmark der Säugetiere die elementaren physikalischen Gesetzmäßigkeiten schon vor sehr, sehr langer Zeit eingeschrieben worden." Die Gliedmaßen der Affen erhielten ihre schlafwandlerisch sicheren und akrobatischen Fertigkeiten, die Hände erwarben die Fähigkeit, wie computergesteuerte Magneten zu funktionieren. "Doch nun brauchte das Gehirn eine neue Physik, eine neue Methode, das Verhalten von Objekten zu registrieren und zu repräsentieren, die sich unter dem Einfluß der Hand bewegten und veränderten. Haargenau dieses Repräsentationssystem - eine Syntax von Ursache und Wirkung, von Geschichten und Experimenten, alle mit einem Anfang, einem Hauptteil und einem Ende - existiert auf den tiefsten Organisationsebenen der menschlichen Sprache" (Wilson 2000, S. 72).

Hand und Auge als Sinnesorgane entwickeln sich beide durch Übung. Das Gehirn veranlasst sie, gemeinsam zu lernen. Willkürliche Bewegungsfolgen der Extremitäten von beliebiger Komplexität lassen sich flüssiger und genauer ausführen, je öfter sie wiederholt werden. Dabei bildet der Körper Myelinscheiden um die einzelnen Nervenbahnen gleich einer Isolierung von Stromkabeln, welche ein Abspringen von Impulsen immer mehr verhindern und die Nachrichtenübermittlung beschleunigen (Vester 2002, S. 31).

"Die Hand wird vom Auge geleitet, ist dazu aber erst in der Lage, wenn der Kopf zu einer zuverlässigen Plattform für das Sehsystem geworden ist" (Wilson 2000, S. 114). Die Kopfhaltung ist bei der Entwicklung eines wirksamen Bezugssystems für Orientierungsbewegungen im extrapersonalen Raum und für die Wahrnehmungsstabilisierung der visuellen Welt enorm wichtig. Deshalb und weil die Kopplung von Hand- und Augenbewegungen eine außerordentlich komplexe Aufgabe ist, sollte sich das Kind erst aufrichten, sitzen, stehen und gehen, wenn sein Gehirn ein entsprechendes Bezugssystem entwickelt und integriert hat.

Das Gehirn des Kleinkindes muss in der Lage sein, Weg = Geschwindigkeit x Zeit als elementare physikalische Gleichung zu bewältigen. Die frühesten Erfahrungen des Kindes in praktischer Physik veranlassen das Nervensystem, Lösungen für Verarbeitungsprobleme, welche durch koordinierte Bewegungen aufgeworfen werden, auszuarbeiten und zu speichern.

"Tatsächlich hat es keinen Zweck, das Kind hinzustellen, bevor das Gehirn in der Lage ist, die Flut von optisch-räumlichen Informationen zu bewä1tigen, die sich aus diesem Positionswechsel ergeben. Sobald das Gehirn der neuen Mobilität gewachsen ist, entdeckt es durch unmittelbare Erfahrung die Folgen seiner eigenen unablässigen Ortsverlagerung im Raum, der Destabilisierung von waagerechten und senkrechten Orientierungspunkten und der unabhängigen Bewegung von Zielobjekten, die eigenen Bahnen folgen und ihre Richtung ändern können (und ändern), wann es ihnen paßt. Sobald sich das Gehirn auf seinen zwei Beinen bewegt, ergeben sich fortwährende Veränderungen im Zustand des Körpers und in den Beziehungen zwischen dem Körper und der Welt - Veränderungen, die jede Sekunde neu berechnet werden müssen" (Wilson 2000, S. 115).

Das visuelle Fixieren umfasst unterschiedliche Schwierigkeitsgrade:

  • eines fest stehenden Punktes bei ruhiger Kopfhaltung (Der Säugling fixiert feste Punkte im Raum)
  • eines beweglichen Punktes bei ruhiger Kopfhaltung (Der Säugling betrachtet ein Mobile)
  • eines fest stehenden Punktes bei bewegter Kopfhaltung (Trampolinspringen in ruhiger Umgebung mit Unterscheidung in aktive und passive Bewegung)
  • eines beweglichen Punktes bei gleichzeitig bewegter Kopfhaltung (Schaukeln in der Hängematte mit gleichzeitiger Beobachtung einer Kugelbahn)

Zu dem entwicklungsgeschichtlich sehr alten Orientierungssystem, dem dorsalen Sehen, kam das neue Modell des ventralen Sehens. Während das erste sehr wichtig ist für Zielidentifikation und -verfolgung und die Art und Weise, wie das Ziel der Bewegung repräsentiert wird, haben im ventralen Sehsystem Informationen über Objektfarbe und Objektbeschaffenheit Zugang zu den Sprachzentren der Schläfenlappen. "Mit anderen Worten, das ventrale System unterstützt möglicherweise die höhere Integration des Sehens mit motorischen Aktivitäten, die auf Erkennung (oder 'Etikettierung') von spezifischen Objekteigenschaften beruhen, und die Vorausplanung exakter Hand- und Fingerbewegungen, die Teil kognitiv anspruchsvoller Aufgaben sind" (Wilson 2000, S. 124). Auf ein erweitertes Repertoire von Handbewegungen haben sich vermutlich spezialisierte Untergliederungen des Sehens herausgebildet.

Bevor jedoch die Finger unabhängig arbeiten können, muss der Arm gelernt haben, sich unter Anleitung des Auges auf ein Ziel hin zu bewegen, und die Hand muss gelernt haben, sich auf das Ergreifen eines Zielobjektes vorzubereiten. Bei nahezu allen Spielarten des Kraftgriffs sind alle Unterarmmuskeln aktiv, hingegen ändern sich die Aktivierungsmuster der in der Hand gelegenen Muskeln erheblich von Aufgabe zu Aufgabe. Die adaptiven Veränderungen der Griffkraft hängen offenbar sehr stark von Tastreizen ab (Wilson 2000, S. 134f.).

Handdominanz und Gehirnseitenspezialisierung

Die Präsenz der rechten Körperseite in der linken Gehirnhälfte und umgekehrt basiert auf der Kreuzung der Nervenbahnen beim Eintritt ins Gehirn. An einer verdichteten Stelle oberhalb des Rückenmarks, der so genannten Brücke, kreuzen sich alle motorischen und sensorischen Bahnen, sodass die rechte Körperseite von der linken Hirnhälfte gesteuert wird und umgekehrt (Zinke-Wolter, Petra: Spüren - Bewegen - Lernen. Dortmund 3. unveränd. Auflage 1994, S. 28).

Werfen mit dem rechten Arm setzte vermutlich eine innere Uhr in der linken Hirnhälfte voraus. Das Werfen mit immer demselben Arm verschaffte Wettbewerbsvorteile beim Jagen. Bei Frauen, welche in erster Linie gejagt haben, wird davon ausgegangen, dass sie ihr Baby auf dem linken Arm - in Herzschlagnähe - trugen und deshalb den rechten Arm zum Werfen benutzten. Wenn die verbesserte Kontrolle bewirkt, dass dieselbe Extremität vergleichbare Fertigkeiten schneller lernt und dann offenbar ein stereotypes Aktivierungsschema besitzt, ist es wahrscheinlich, dass beiden Seiten unterschiedliche Aufgaben zugewiesen wurden.

Zudem war vermutlich im frühen Primatengehirn in der rechten Hirnhälfte bereits eine besondere Fähigkeit zur räumlich-visuellen Verarbeitung vorhanden, sodass die sequentielle und nicht Muster orientierte neuronale Verarbeitung ganz selbstverständlich in der entgegengesetzten Gehirnhälfte stattfand.

"Unser Großhirn entwickelt mit zunehmendem Alter eine eindeutige Arbeitsteilung zwischen den beiden Hirnhälften. So liegt zum Beispiel bei 90 bis 95 Prozent aller unserer Artgenossen das 'aktive' Sprachzentrum in der linken Hemisphäre, während das 'passive', welches gesprochene Worte aufnimmt, rechts lokalisiert ist. Interessant ist auch, dass im rechten Hörzentrum Geräusche und Musik besser verarbeitet werden können als im linken und dafür im linken wieder sprachliche Äußerungen besser als im rechten" (Vester 2002, S. 27).

"Im Hinterkopf, sowohl in der linken als auch in der rechten Hemisphäre, liegen die Hirnrindenbezirke, in denen uns über spezielle Nervenleitungen die Informationen, die wir über unsere Augen aufnehmen, bewusst gemacht werden. Trotz der symmetrischen Anordnung dieses Sehzentrums kann man auch hier eine funktionale Asymmetrie feststellen: Der linke Rindenbezirk ist vor allem für Schriftbilder (Wörter und Buchstaben) der zuständige Eingangskanal, der rechte mehr derjenige für Figuren und Formen. Die Gehirnforschung hat längst erkannt, dass diese Lokalisation der Eingangskanäle nicht bedeutet, dass nun an das dort zunächst Wahrgenommene auch dort und nur dort gedächtnishaft gespeichert ist. Die ankommenden Impulse werden lediglich über jene Bezirke aufgenommen und weitergeleitet. Durch vielfache Verknüpfungen werden sie dann über das ganze Gehirn verstreut gespeichert" (Vester 2002, S. 27f.).

Die vergleichsweise neue Fertigkeit des Schreibens ist vermutlich so extrem Seiten spezialisiert,

  • weil sie eine enge Verwandtschaft zu einer Vielzahl von Fertigkeiten aufweist, welche die geübte Verwendung kleiner Werkzeuge im Präzisionsgriff verlangen.
  • weil sie die Mischung von langsamen, statischen und schnellen, kurzen, meist repetiven Muskelkontraktionen voraussetzt.
  • weil die Aktivität der dominanten Hand mikrometisch geübt und intern bestimmt ist im Gegensatz zu der nichtdominanten Hand, welche makrometisch, improvisatorisch und extern bestimmt ist.

"Die extreme Seitenspezialisierungstendenz des Schreibens und der Umstand; daß es sich kaum auf die nichtdominante Hirnhälfte übertragen läßt, erklären sich möglicherweise aus einer Verknüpfung der betreffenden Bewegungen mit einer anderen recht speziellen Operation der dominanten Hirnhälfte: Die Schreibbewegungen sind irgendwie vom 'Sprachchip' 'eingefangen' worden. Mit dieser hochinteressanten Möglichkeit begründen viele Forscher die ansonsten rein zufällige Verschmelzung des seitenspezialisierten Schreibens mit der ebenfalls seitenspezialisierten Sprachfunktion in der 'dominanten' Hirnhälfte. Zu den Vertretern dieser Auffassung gehört Doreen Kimura, die ursprünglich die These vertrat, diese Funktionen seien in vergleichbarer Weise von Sequenzierungsoperationen abhängig" (Wilson 2000, S. 179).

Polarisation von Hand und Gehirn

Jeder Spieler benötigt einen Gegenspieler, jeder Muskel Beuger und Strecker, jeder Magnet zwei Pole...

Das Tragen des Säuglings auf dem linken Arm nahe beim Herzen bedeutet Leben - der Gegensatz dazu, das Werfen und Jagen mit rechts, bringt den Tod. Gemeinschaften, die den Tod verleugnen, erleben keine Lebendigkeit.

In gleichem Maße sind beide Hände und beide Gehirnhälften aufeinander angewiesen, um sich sinnvoll ergänzen zu können. Nur die organisierte Zusammenarbeit beider Hände führt zum besten Ergebnis. Beim Kindergartenkind kommt dies am besten zum Ausdruck, wenn es das Malblatt (z.B. beim Mandala) mit der linken Hand weiterdreht, um so der rechten genau dieselbe Ausgangsposition zu ermöglichen.

Die "Rückkehr zur Beidhändigkeit" erfolgte bereits mit der Erfindung der Schreibmaschine als dem Vorläufer des Computers: Viele der häufig vorkommenden Buchstaben wie E, R und S werden mit der linken Hand geschrieben. Und wäre der Zusammenhang zwischen Handbewegung, Wortbildung und Denken nicht nahe liegend, wären sicher Computer erfunden worden, welche Gesprochenes in Schrift umsetzten.

Polarisation der Aufmerksamkeit oder Flow-Erlebnis

Interesse und Motivation des Kindes führen zur Aufmerksamkeit. Wir unterscheiden dabei zwischen intrinsischer Motivation, welche in der Sache selbst liegt, und extrinsischer Motivation, welche von außen kommt. Die vorbereitete Umgebung als extrinsisch bahnt ein intrinsisches Interesse beim Kind an. Sie hat deshalb eine große Bedeutung, während z.B. eine Belohnung (von außen) als pädagogisch wenig sinnvoll anzusehen ist. Aufmerksamkeit kann zu Konzentration führen, wogegen Konzentration ohne Aufmerksamkeit nicht möglich ist. Ebenso kann Konzentration zu Polarisation führen und eine Verhaltens- oder Charakteränderung beim Kind ermöglichen; Polarisation ohne Konzentration ist jedoch auch nicht möglich.

Kinder können nur dann in Freiarbeit entlassen werden, wenn sie sich konzentrieren können. Diese Aufmerksamkeit mit Konzentration muss entwickelt und gefördert werden. Die weiteren Schritte bis hin zur Charakteränderung kann dann das Kind aufbauend nur selbst vollbringen, wenn die entsprechende Basis geschaffen ist.

Gewohnheiten schaffen Strukturen und Verhaltensmuster. Sie führen zu Entlastung, weil nicht jeder Schritt, jede noch so kleine Handlung neu überlegt werden muss. Die Summe dieses "Herausbildens" (aus dem Griechischen) bezeichnen wir Charakter. Die Polarisation der Aufmerksamkeit ermöglicht, Schemata neu zu ordnen und Starrheiten zu variieren.

Flow-Erlebnis jenseits von Angst und Langeweile oder zwischen Bekanntem und Unbekanntem als Motivator für Lernen

"Ich bin mit dem was ich tue eins" als Subjekt-Objekt-Verschmelzung bedeutet für das Kind, im Tun aufzugehen. Dieses autotelische Verhalten ist unabhängig von extrinsischer Motivation. "Neben dem üblichen Weg über Sinneswahrnehmung, Analyse und Synthese der Sinnesdaten gibt es auch die Möglichkeit, in einem außergewöhnlichen Bewusstseinszustand durch direkte Identifikation etwas über verschiedene Aspekte der Welt zu erfahren" (Grof 2003, S. 22f.). Lernen durch Identifikation bedeutet, Gegebenes wird weitgehend mit den einzelnen Sinnesdaten, d.h. den Instanzen von Sinnesqualitäten identifiziert. "Jeder von uns scheint so etwas wie ein Mikrokosmos zu sein, in den Informationen über den Makrokosmos eingeschrieben sind" (Grof, Stanislav: Außergewöhnliche Bewusstseinszustände, in Grof, Stanislav u.a.: Wir wissen mehr als unser Gehirn. Freiburg im Breisgau 2003, S. 23).

Innen und Außen heißen, das Äußere ist das Innere und das Innere ist das Äußere.

Entwicklung ist das Ergebnis des Zusammenwirkens von inneren und äußeren Faktoren. Unser Tor zur Welt sind unsere Sinne, nur durch sie können wir wahrnehmen, was außen ist. Wahrnehmung ohne Bewegung ist nicht möglich. Die Wahrnehmung als sensorischer Reiz steht mit der motorischen Handlung und den Denkvorgängen unmittelbar in Verbindung. "Durch die Wahrnehmung wird eine Handlung ausgelöst und durch diese setzen wiederum Denkvorgänge ein" (Regel, Gerhard, Hrsg): Psychomotorik im Kindergarten II. Hamburg 1988, S. 240).

Primäre und Sekundäre Qualitäten von Sinneswahrnehmungen

Die zunächst aufgenommenen Erfahrungen der primären konstanten (objektiven) Materialeigenschaften werden durch das Subjekt bewertet. Dadurch entstehen sekundäre Sinneswahrnehmungen. Mit dem motopädagogischen Anspruch, Standorte und Sichtweisen zunächst räumlich zu verändern, lernen die Kinder auch, die Denkrichtungen zu wechseln, was eine wesentliche Voraussetzung für Empathie bedeutet (Perras-Emmer, Barbara in "Die Kindergartenpraxis an der Schwelle der Industrie- und Konsumgesellschaft zur Wissensgesellschaft", http://www.kindergartenpaedagogik.de/753.html).

Maria Montessori unterscheidet zwischen

  • Analyse: es gibt nur wenige Eigenschaften > schafft Ordnung, und
  • Synthese: alles ist mit allem vernetzt und damit ein unüberschaubares Chaos > kosmische Erziehung.

Sie setzt die analytische Förderung während der ersten Entwicklungsphase im Alter bis zu 6 Jahren ein. Darauf baut die Vernetzung in der kosmischen Erziehung in der zweiten Entwicklungsphase von 7 bis 12 Jahren auf. Demnach dient die erste Phase dem Aufbau von Fähigkeiten und Wissen, die zweite Phase dem Ausbau deren und die dritte (etwa ab dem 13. Lebensjahr) dem Umbau.

Zusammenfassung

Entsprechend der Evolution muss sich ein Säugling/ Kind über Fixieren mit den Augen, Begreifen, Klettern und Hangeln ins aufrechte Gleichgewicht bringen. Erst dann ist es ihm möglich, alle aufbauenden Wahrnehmungen und Bewegungen, wie z.B. Orientierung im Raum und konkrete feinmotorische Handlungen, zu lernen.

Speziell Werfen und Fangen werden heute oft vernachlässigt. Meines Erachtens entstand Fangen durch Zufall beim "Üben" der Kinder. Es ist doch praktischer, gegenseitig zu fangen, als dem geworfenen Gegenstand immer hinterherzulaufen.

Arbeitsblätter und Tests dürfen im Kindergarten nur Kontrollfunktionen haben. Es ist nicht sinnvoll, ein und dieselbe Übung monoton zu wiederholen, weil dabei am Defizit der Kinder angesetzt wird und diese die Lust verlieren. Besser ist es, an den Stärken anzusetzen und die elementaren Voraussetzungen für späteres schulisches Können zu schaffen, gemäß einem bedeutenden Inhalt des Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplanes: Die Stärken der Kinder stärken und die Schwächen schwächen (Fthenakis, Tagung München am 30.9.2003).

Praktische Beispiele

Bei allen Beispielen habe ich versucht, vom Großen zum Kleinen, von der Bewegung zur Arbeit am Tisch vorzugehen und für alle Bereiche Spiele und Übungen zu finden. Die Bezeichnung "weitere Spiele" kann auch mit weiteren Übungen oder Angeboten ersetzt werden. Die Sammlung umfasst ca. 50 detailliert beschriebene Ausführungen und etwa genau so viele Darstellungen nur auf Fotos (Alle Beispiele sind als Loseblattsammlung bei unten genannter Anschrift zu bestellen).

  1. Spiele für die partnerschaftliche Zusammenarbeit beider Hände
  2. Spiele für die Verbindung von Kreis und Dreieck (wie bei einer Sonne)
  3. Achter-Schleifen und Doppel-Dreiecke
  4. Rund, oval und andere Formen
  5. Spiele zur Wahrnehmung der Kreisform - groß und klein in unterschiedlichen Raumlagen
  6. Dinge auf den Punkt bringen, Bögen formen, Bögen an Kreise anlegen
  7. Schuppen- und Dachziegelmuster erleben und darstellen, Bögen und Reifen kreuzen
  8. Fenster und Flächen unterteilen, Wege zwischen zwei (natürlichen) Begrenzungen erleben
  9. Umgang mit unterschiedlichen Längen
  10. Spiele mit Spiralfedern aus verschiedenen Materialien

Beispiele zu 2.:

Sonne mit Teppich und Meterstäben oder Faltblättern legen
Material:
Je 1 runden gelben und roten Teppich, kleine Meterstäbe (1 m), große Meterstäbe (2 m) und/oder quadratische Faltblätter.
Ziele:
Bewegungskoordination
Handgeschicklichkeit, Lockerung des Handgelenks
Erkennen und Zuordnen von Formen
Indirekte Vorbereitung:
Zeichnen von verschiedenen Kreisumrandungen
Darbietung:
Die beiden Teppiche liegen auf dem Boden. Das Kind (die Kinder) formen mit den Meterstäben Zacken. Diese legen sie an die "Teppichsonne" an, sodass Dreiecke entstehen.
Punkt des Interesses:
direkter Anschluss an die Kreisform

Weitere Spiele:
Umranden von Teppichen mit Wimpelgirlanden

Kartonvorlage (Kreis) mit Dreieckpuzzleteilen anlegen
Material:
Karton (Papier) mit großem Kreis und 16 kleinen Dreieckzacken (DIN A 3 Kopie)
Achteckpuzzle aus Holz mit je 8 kleinen Dreiecken in 9 Farben: Gelb, Orange, Hellrot, Dunkelrot, Lila, Blau, Blaugrün, Grasgrün und Hellgrün.
Ziele:
"Begreifbare" dreidimensionale Form derselben auf dem Blatt zuordnen.
Anlegen der inneren Kante genau an die Kreislinie.
Geschlossener Griff (Puzzledreieck mit ganzer Hand - beiden Händen umfassen)
Dreifingergriff
Indirekte Vorbereitung:
Wiedererkennen dreidimensionaler Formen auf Abbildungen
Pinzettengriff > Schreibfinger/Stifthaltung
Darbietung:
Das Holzpuzzle und die Vorlage werden auf den Tisch gestellt. Die Erzieherin bespricht mit dem Kind, was es auf dem Bild sieht. Sie nimmt ein Dreieck und legt es auf die entsprechende vorzeichnete Form auf dem Blatt. Das Kind legt weiter.
Später kann das Kind die Zacken und die Dreiecke in einer Farbe zählen. Durch entsprechende Zuordnung merkt das Kind, dass es zwei Farben abwechseln kann.
Punkte des Interesses:
Genaues Anlegen an der Kreislinie und Abdecken der Linien mit dem Puzzleteil.
später: Abwechselnde Verwendung von zwei (oder 4) Farben.
Selbstkontrolle:
Linien auf der Vorlage beachten.

Weitere Spiele:
Puzzle, Anlegen weiterer Dreiecke...

Spiele mit Igelbällen
Material:
Genügend Igelbälle für alle Kinder.
Ziele:
Spüren der stacheligen Oberfläche mit den Händen.
Spüren der stacheligen Oberfläche auf den Unterarmen, dem Rücken ... > Massage.
Vergleichen der Eigenschaften mit glatten Bällen.
Indirekte Vorbereitung:
Bildnerische Darstellung unebener Oberflächen.
Darbietung:
Freies Experimentieren, Freispiel.
Punkte des Interesses:
Gezielte, bewusste Wahrnehmung der speziellen Oberflächeneigenschaft.

Weitere Spiele:
Unterschiedliche Bälle in Größe und Oberfläche (z.B. Noppen usw.)

Beispiele zu 5.:

Kreise und "Schnecken" mit kurzen und langen Seilen legen
Material:
Seile in verschiedenen Längen (und Farben).
Ziele:
Beweglichkeit der Handgelenke
Auge-Hand-Koordination
Darstellen der runden Formen
Indirekte Vorbereitung:
Geometrie - Kreis
Physik - Inhalt
Darbietung:
Die Kinder werden entweder im freien Spiel oder im Rahmen einer Turnstunde aufgefordert, mit den Seilen Schnecken und Kreis zu legen.
Punkte des Interesses:
Korrekte runde Form
Selbstkontrolle:
Vergleich mit Reifen

Weitere Spiele:
Gleiche Übung mit anderen Materialien

Kegeln mit 5 großen und 4 kleinen Kegeln
Material:
5 große und 4 kleine Holzkegel, Ball.
Ziele:
Aufstellen der Kegel nach Anleitung ( 4 kleine in die Ecken, 5 große in die Mitte und dazwischen)
Indirekte Vorbereitung:
Würfelmuster '5' und '4'
Darbietung:
Übliches Kegelspiel mit Aufstellen der Kegel nach jedem Wurf.
Punkte des Interesses:
Exaktes Aufstellen der Kegel in drei Reihen zu je drei Kegel (groß - klein - groß, klein - groß - klein, groß - klein - groß), die großen Kegel in die Mitte und an jede Ecke
Selbstkontrolle:
Abwechselnde Größe

Weitere Spiele:
Kegel in 2 Farben verwenden

Reifenparcours in verschiedenen Größen abwechseln
Kugelbahn mit verschieden großen Tellern
Material:
Kugelbahn mit 3 verschieden großen Tellern mit mittigem Loch und Glasmurmeln.
Ziele:
Visuelles Verfolgen der Murmeldrehbewegungen
Indirekte Vorbereitung:
Geometrie - Kreise
Physik - Revolution (Drehen um eine fremde Achse)
Darbietung:
Freier Umgang
Punkte des Interesses:
Beobachten des Ablaufs von oben bis unten - vom Anfang bis zum Ende.
Selbstkontrolle:
Murmeln machen keine Drehbewegungen und fallen sofort durch die Lochöffnung.

Weitere Spiele:
Spiele mit Kugeln in unterschiedlichen Größen und aus verschiedenen Materialien (physikalische Dichte).

Spiele zu 7.:

Seile als Dachziegelreihe an ein Wäscheseil hängen
Material:
Dünne Seile, Wäscheklammern
Ziele:
Handgeschicklichkeit
Druckdosierung
Auge-Hand-Koordination
Indirekte Vorbereitung:
Auf das Schreiben
Mathematik - bilden ungerader und gerader Zahlenreihen
Darbietung:
Die Erzieherin befestigt ein Seil quer im Raum und beginnt mit der ersten Reihe. In der zweiten Reihe legt sie zunächst das Seil in den durchhängenden Bogen und lässt die Kinder weitermachen.
Später kann sie mit dünnen Seilen die Bögen ebenfalls mit Wäschenklammern befestigen lassen.
Punkte des Interesses:
Versetzter Anschluss an die obere Reihe
Selbstkontrolle:
Visuell durch das Kind/die Kinder
Evtl. anhand einer angelegten Senkrechten

Weitere Spiele:
Übertragung aus der Vertikalen auf den Boden (= Abschreiben von der Tafel auf das Blatt)

"Büroklammer-Igel"
Material:
Igel aus Fotokarton, Büroklammern
Ziele:
Fingerfertigkeit der Schreibfinger
Druckdosierung
Indirekte Vorbereitung:
Auf das Schreiben
Mathematik - Serienbildung mit gleichen Abständen
Darbietung:
Freispiel in der vorbereiteten Umgebung: Bogen des Igelrückens mit Büroklammern "bestacheln"
Punkte des Interesses:
Gleichmäßige Anordnung der "Stacheln"
Selbstkontrolle:
visuell

Adresse

Barbara Perras
Birkhof 1
93133 Burglengenfeld
Tel.: 09473/1278
Fax: 09473/950305
Email: [email protected]

Die Bestellung der Loseblattsammlung kann nur schriftlich unter Anlage von EUR 15,- (inklusive Versandkosten) in bar erfolgen.