Gut ist besser als perfekt – Fehlermutigkeit unterstützt Bildungsprozesse

Heidi Ingemann Jensen

Viele Eltern sind besorgt, dass ihre Kinder und ihre Familie perfekt sein sollten. Kinder werden schon früh von pädagogischen Profis „gemessen und gewogen“. Wenn kleine Kinder laufen lernen, versuchen sie – ohne groß zu zögern – aufzustehen, erste Schritte zu gehen, bis sie fallen, um schließlich wieder aufzustehen und von vorn zu beginnen. Die kleinen Kinder probieren sich aus, üben und zeigen in keiner Weise, dass sie über das Scheitern nachdenken. Doch auch wenn pädagogische Fachkräfte mittlerweile eine ressourcenorientierte, wertschätzende und anerkennende Haltung einnehmen, ist festzustellen, dass Kinder im Alter von ca. 3 bis 4 Jahren deutlich mehr Angst zeigen, Neues auszuprobieren und dabei das Risiko einzugehen, auch mal Fehler zu machen oder sich zu irren. Aber warum ist das so? Als Erzieher/in ist es wichtig das eigene pädagogische Handeln regelmäßig zu reflektieren – sowohl individuell als auch im Team – und sich immer wieder zu fragen, wie die Kinder in ihrer Explorationsfreude unterstützt werden können. Wie können sie dazu ermutigt werden, Fehler und Irrtum als Lernchance und nicht als Versagen zu sehen? Eine gute Pädagogik muss viel Spielraum für Fehler enthalten.

Maker Mentalität

Bei der Maker Mentalität geht es darum, zu lernen, indem man etwas tut, indem man Fehler macht, von diesen lernt und wieder von vorn ausprobiert. Aber es geht auch darum, Dinge zu durchdenken, Hypothesen aufzustellen und diese zu testen. Dabei steht der Weg im Vordergrund und nicht das Ziel. Dieser Weg wird mit Leidenschaft begangen, es werden Hindernisse überwunden, Umwege beschritten, eine Abzweigung genommen ... das heißt Annahmen und Ergebnisse werden überprüft, überarbeitet und neu definiert – gibt es jemals ein Endprodukt?

Dafür muss eine Umgebung gestaltet werden, in der Sicherheit, Vertrauen und entsprechende Ressourcen sowie pädagogische Kompetenzen vorhanden sind. Alle brauchen die Möglichkeit offen zu sein, zu forschen, zu teilen, voneinander abzuschauen, zu „hacken“ – und das möglichst ohne Einschränkung.

Pädagogische Einrichtungen und ihre Fachkräfte müssen reflektieren, ob sie ein „fixed mindset“ (feste Denkweise) oder ein „growth mindset“ (wachsende/flexible Denkweise) haben. Carol Dweck, Professorin für Psychologie an der Stanford University und Expertin für psychologische Denkweisen, stellt fest: Kinder mit einem „fixed mindset“ erleben ihre Intelligenz als unveränderlich. Diese Kinder neigen dazu, bei einer herausfordernden Aufgabe aufzugeben, weil sie Versagen mit geringer Intelligenz gleichsetzen. Kinder mit einem „growth mindset“ erfahren Intelligenz dagegen als formbar. Diese Kinder erleben Widrigkeiten und Niederlagen als Möglichkeiten der Selbstverbesserung und intellektuellen Entwicklung. Pädagogen mit einem „growth mindset“ können ein Wachstumssinn bei den Kindern stärken und fördern, indem sie Erfolge, Anstrengungen und die Gründlichkeit von Kindern für eine bestimmte Aufgabe belohnen, z.B. mit den Worten: ‚Du hattest einige gute Ideen, die du ausprobiert hast‘ oder ‚Sieh, wie du versucht hast, den Reißverschluss zu schließen und jetzt erfolgreich bist.‘ Dies ist weitaus konstruktiver als beispielsweise zu sagen: ‚Du bist sehr gut!‘ Indem Pädagog/innen auf diese Weise loben und vor allem anerkennen, wird die Entwicklung eines „growth mindset“ bei den Kindern gefördert. Gleichzeitig betonen die Erzieher/innen die spezifischen Fähigkeiten, die gelernt wurden oder gerade noch gelernt werden.

Wenn die pädagogische Praxis unter einer Lupe betrachtet wird, wird erkennbar, dass oft eher reproduktiv und weniger kreativ und innovativ gearbeitet wird, wobei der Erfahrungsgrad der pädagogischen Fachkräfte eine eher geringe Rolle spielt. Pädagog/innen haben oft das Ergebnis, also das Lernziel, im Auge. Dem Lernprozess wird hingegen weniger Bedeutung zugeschrieben. Das liegt zum Teil an den hohen gesellschaftlichen Anforderungen. Aber auch die Eltern haben heutzutage hohe Erwartungen an Kindertageseinrichtungen. Viele Eltern wünschen sich zum Beispiel, dass die Kinder ein sichtbares Ergebnis mit nach Hause bringen, welches ihnen zeigt, was das Kind gemacht oder hergestellt und gelernt hat. So basteln die Kinder beispielweise in der Weihnachtszeit Christbaumschmuck oder andere dekorative Kunstwerke. Bei diesen ästhetischen Bildungsangeboten, steht oft der künstlerische oder kreative Ausdruck des einzelnen Kindes im Mittelpunkt, anstatt eines gemeinsamen Projekts. Natürlich soll sich auch jedes Kind individuell ausdrücken und ausleben und sich mit eigenen Dingen beschäftigen. Kinder können aber auch in gemeinsamen Projekten eigene Ideen entwickeln, einbringen und umsetzen.

Pädagog/innen sollten öfter vom "Jetzt sind wir kreativ" zu einer Maker Mentalität übergehen, bei der es nicht um fragmentierte Aktivitäten geht, sondern wo Erzieher/innen gemeinsam mit einer Kindergruppe Ideen, Prototypen und Dinge erfinden, z.B. für die Gemeinschaft in der Kita.

Die Grundvoraussetzung für die Maker Mentalität ist eine forschende Haltung. Pädagogische Fachkräfte denken zusammen mit den Kindern in ihrem Tempo, testen, machen Skizzen, stellen Prototypen her, entwickeln weiter. Hierbei liegt der Fokus auf den Prozessen, dem Spielerischen und dem Experimentellen. Wenn wir experimentieren, haben wir auch keine Angst zu versagen, weil wir feiern, dass wir uns geirrt haben und nicht perfekt sind. Irrtum bedeutet Lernen und Weiterentwicklung.

Das Spiel als Universum, in dem der Fehler geübt wird

Nach Lars Geer Hammershøj müssen die pädagogischen Fachkräfte die Kinder auf Bildungsreisen mitnehmen und Spielwelten sowie die Welt der Natur und Kultur für die Kinder öffnen. Er erachtet das Spiel als besonders wichtig, weil die Kinder hier nicht nur ihre Kreativität ausleben können, sondern auch „formen“ im Sinne von bilden. Sie formen Ihre Persönlichkeit und sich selbst. Und einige der vielen Probleme, die viele junge Leute heute haben, sind begründet in der Tatsache, dass sie nicht über sich selbst hinausschauen können. Wenn sie dies im Spiel trainieren, während sie klein sind, können sie es auch, wenn sie größer werden.

Für viele Kinder ist es eine Herausforderung an einem gemeinsamen Spiel teilzunehmen, weil sie die dafür notwendigen sozialen Kompetenzen erst noch entwickeln oder weiter ausbauen müssen. Aus diesem Grund besteht eine Aufgabe pädagogischer Fachkräfte darin, diese sozial-emotionalen Fähigkeiten zu fördern, indem sie geeignete Lernumgebungen schaffen, welche den Kindern Möglichkeiten bieten, ihre Spielfähigkeiten zu tüben. Dabei sollten die Kinder nicht einfach sich selbst überlassen werden. Wenn das freie Spiel und seine Bedeutung „romantisiert“ werden, besteht die Gefahr, dass die starken Kinder immer stärker werden und die schwächeren Kinder den Wunsch verlieren, am Spiel teilzunehmen, weil sie beispielsweise feststellen, dass ihre Initiativen und Ideen keine Rolle spielen. Pädagogische Fachkräfte begleiten die Kinder, indem sie beobachten, sie vielleicht beim Einstieg in das Spiel unterstützen und auch im weiteren Verlauf Impulse geben, wenn die Gruppe zum Beispiel bei dem Aushandeln von Regeln nicht weiter kommt. Kinder, die teilnehmende Erzieher/innen im Kindergarten erlebt haben, die auf dem Boden sitzen und „Spieluniversen“ für sie entwickeln und anbieten, haben weitaus größere Chancen, sich später wertvoll zu fühlen, wenn sie eigene Ideen anbieten und es wagen, etwas herauszufinden, obwohl es auch schief gehen kann.

Die Erwachsenen als Vorbilder

Eine gute Vorbereitung ist das A und O im pädagogischen Alltag vieler Erzieher/innen. Nicht umsonst wird oft noch nach Feierabend gebastelt und geplant, wenn die Vorbereitungszeit nicht ausgereicht hat. Egal, ob mit den Kindern gemalt wird oder sonstige Aktivitäten angeboten werden: Es wird oft erwartet, dass alles von Anfang an gut abläuft und bloß kein Chaos entsteht. Das ist auf der einen Seite verständlich, denn schließlich stecken Erzieher/innen viel Herz in ihre pädagogische Arbeit. Auf der anderen Seite bringt der Wunsch nach Perfektion auch immer einen gewissen Druck mit sich und es besteht die Gefahr, dass eine perfekte Planung wenig Raum für die Ideen und Impulse der Kinder lässt. Außerdem kann bei Kindern, die sich perfekten Erwachsenen gegenüber sehen, der Eindruck entstehen, dass es keinen Platz für Fehler gibt. Aber gerade in einer pädagogischen Einrichtung muss es diesen Raum für Fehler geben: Wenn auch mal etwas schief gehen darf oder Dinge nicht wie erwartet ablaufen können, sind alle Beteiligten viel experimentierfreudiger und trauen sich auch an Neues heran. Und so funktioniert lernen.

Wenn der 3D-Drucker einen Klumpen statt einen LEGO-Block ausdruckt oder wenn der Roboter, mit dem wir spielen wollten, nicht so läuft, wie wir es uns vorgestellt haben, ist es wichtig, dass die Erwachsenen den Kindern neue Handlungsmöglichkeiten zeigen. Gehen Sie gemeinsam auf die Suche nach möglichen Ursachen! Ein Beispiel aus der Praxis soll dies abschließend verdeutlichen: „Die Erzieherin Sofie und die fünfjährige Louise bauen in LEGO Education ein batteriebetriebenes Auto. Sofie regt mit hypothetischen Fragen Louises kreatives Denkvermögen an: "Nun, aber was passiert deiner Meinung nach, wenn du es dort anlegst?" Louise sitzt lange an ihrem kleinen Projekt, ist aber völlig mit dem Prozess beschäftigt. Sie kennt das Endprodukt nicht, aber sie weiß, dass der Erwachsene ihr experimentelles Vorgehen und ihren Denkprozess unterstützt, auch wenn es schief gehen kann. Um Fehlermutigkeit bei den Kindern zu fördern, braucht es mutige Erwachsene, die sich selbst Fehler erlauben und sich oder die Kolleg/innen feiern, wenn Fehler geschehen.

Autorin

Heidi Ingemann Jensen hat einen Bachelor in Pädagogik in Dänemark sowie ein Diplom in Management. Außerdem ist sie Supervisorin im Bereich Narration und hat 15 Jahre Erfahrung als Pädagogin und Einrichtungsleiterin (Krippe und Kindergarten).

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