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Zitiervorschlag

Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: DIW-Wochenbericht 18/00. http://www.diw.de/deutsch/publikationen/wochenberichte/docs/00-18-1.html, ohne Tabellen, leicht gekürzt

Kindertageseinrichtungen in Deutschland. Ein neues Steuerungsmodell bei der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen

C. Katharina Spiess, Gert G. Wagner und Michaela Kreyenfeld

 

In Deutschland ist lange Jahre über das Recht auf einen Kindergartenplatz gestritten worden. Seit 1996 gibt es einen solchen Rechtsanspruch. Allerdings hapert es bei dessen Umsetzung vor allem aufgrund der leeren öffentlichen Kassen. Die Steuerung des Angebots und die Frage der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen stehen daher weiterhin auf der politischen Agenda und gefragt sind fundierte Analysen für die notwendigen politischen Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund haben die Ergebnisse eines von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projektes zum Thema "Finanzierungsmodelle und Verteilungswirkungen einer bedarfsgerechten Kinderbetreuung in Deutschland" besondere Relevanz. [1] In diesem Projekt wurden verteilungspolitische Analysen des bisherigen Steuerungsmodells durchgeführt, dessen Effizienz- und Effektivitätsgesichtspunkte beleuchtet und Vorschläge für einen Übergang von der bisherigen Objektförderung hin zu einer Subjektförderung in Form von Kinderbetreuungsgutscheinen entwickelt - ein Alternativmodell, das es ermöglicht, nachfrageorientiert die soziale Dienstleistung "Kinderbetreuung" bedarfsgerecht anzubieten und ökonomische Ineffizienzen im bisherigen System zu vermeiden.

Über die Notwendigkeit der öffentlichen Finanzierung der Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen [2] besteht in Deutschland weitgehend Konsens - sei es vor dem Hintergrund bildungspolitischer oder aber immer mehr auch unter arbeitsmarktpolitischen Erwägungen. Kindertageseinrichtungen in Deutschland werden als wichtiger Bestandteil des Elementarbereichs des Bildungssystems angesehen mit der Absicht, Kinder schon frühzeitig auf den Schulbesuch vorzubereiten. Die vielen Halbtagsangebote insbesondere in westdeutschen Kindergärten spiegeln genau diese Zielsetzung wider. Mit steigender Erwerbstätigkeit von Müttern und einem zunehmenden Anteil Alleinerziehender rückt jedoch ein weiterer Aspekt von Kindertageseinrichtungen immer stärker in den Vordergrund: So sind sie ein wichtiger Teil jener Infrastruktur, die notwendig ist, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Dieser Aspekt wird in der Angebotsstruktur deutscher Kindertageseinrichtungen vorrangig in den ostdeutschen Bundesländern sichtbar.

Die Versorgung mit Kindertageseinrichtungen

Die Versorgung mit Kindertageseinrichtungen fällt unter regionalen Aspekten sehr unterschiedlich aus, vor allem im Vergleich zwischen West- und Ostdeutschland. Für den Krippenbereich ist die Versorgungsquote, welche das Verhältnis von Plätzen zur Gesamtzahl der Kinder der entsprechenden Altersjahrgänge wiedergibt, in den östlichen Bundesländern mehr als 20-mal so hoch wie in den westlichen Bundesländern: Während in Westdeutschland die Versorgungsquote für Krippenkinder bei nur 2% liegt, beträgt sie in Ostdeutschland 41%. Auch für den Hort, d.h. für Kinder im (Grund-)Schulalter, sieht es ähnlich aus. Für etwa 60% der Grundschulkinder steht in Ostdeutschland ein Hortplatz zur Verfügung, in Westdeutschland sind es nur 5%; dabei sind die Unterschiede innerhalb der einzelnen Regionen erheblich. Obwohl es bei der Versorgung mit Kindergartenplätzen in Ost- und Westdeutschland keine gravierenden Abweichungen gibt, bleiben erhebliche Unterschiede in der Ausgestaltung des Angebots. Während in Ostdeutschland fast alle Kindergartenplätze eine ganztägige Betreuung inklusive Mittagessen bieten, sind dies in Westdeutschland nur 17%.

Von Kindertageseinrichtungen als einem effektiven Instrument zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann insofern allenfalls in den ostdeutschen Ländern gesprochen werden, denn ein Betreuungsplatz ohne Mittagessen ermöglicht es meist der Ehefrau eines vollzeiterwerbstätigen Ehemanns noch nicht einmal, eine Teilzeitbeschäftigung auszuüben. Dies ist in den meisten Fällen nur über die Inanspruchnahme zusätzlicher Betreuungsarrangements, z.B. Tagesmütter, Großeltern, Nachbarn oder Au-pair-Stellen, möglich.

Was die Struktur der Träger von Kindertageseinrichtungen angeht, lässt sich festhalten, dass sie fast ausschließlich von so genannten freien und öffentlichen Trägern bestimmt wird. 1994 betrug der Anteil von öffentlichen Kindergartenträgern in Westdeutschland 59% und in Ostdeutschland 86%, der von freien Trägern 41% bzw. 14%. Privat- gewerbliche Träger werden aufgrund ihres geringen Anteils am Gesamtangebot in der amtlichen Statistik dagegen gar nicht mehr aufgeführt.

Die Sicht der Betroffenen

Verschiedene Auswertungen auf der Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) haben ergeben, [3] dass vor allem flexiblere Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen sowohl in West- wie in Ostdeutschland für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als wichtig bzw. sehr wichtig eingeschätzt werden; hier gaben 80% der befragten Mütter in Ostdeutschland bzw. 65% in Westdeutschland 1996 an, flexiblere Öffnungszeiten von Kindergärten seien für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtig bzw. sehr wichtig. Flexiblere Arbeitszeiten wurden nur von 52% der Betroffenen als wichtig bzw. sehr wichtig angesehen, um Beruf und Familie zu vereinbaren.

In der SOEP-Befragung wird außerdem danach gefragt, ob sich Eltern Sorgen um die Betreuungsmöglichkeiten ihrer Kinder machen. [4] Offensichtlich empfindet mehr als die Hälfte aller Mütter die Betreuungsmöglichkeiten und -perspektiven ihrer Kinder als problematisch. Trotz der höheren Versorgung mit Betreuungsplätzen in Kindertageseinrichtungen in Ostdeutschland fällt auf, dass sich auch dort mehr als die Hälfte der Frauen Sorgen um die Möglichkeiten der Kinderbetreuung macht. Es ist wahrscheinlich, dass ostdeutsche Mütter insbesondere über die künftige Entwicklung besorgt sind [5]

Modelle einer staatlichen Förderung von Kindertageseinrichtungen

Prinzipiell kann eine öffentliche Finanzierung der Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen über verschiedene Modelle erfolgen, und zwar in Form einer Objektförderung, einer Subjektförderung oder einer staatlichen Produktion. Steuerliche Absetzungsmöglichkeiten von Kinderbetreuungskosten, direkte monetäre Transfers oder die Ausgabe von Gutscheinen an die Eltern sind im weiteren Sinne als Modelle der Subjektförderung zu benennen. Ein Blick ins Ausland zeigt die Vielfalt möglicher Modelle. [6] Das deutsche Modell, das mehr oder weniger unverändert bereits seit Jahrzehnten besteht, ist das einer Objektförderung bestimmter Anbietergruppen, gekoppelt mit einer staatlichen "Produktion" von Kinderbetreuungsdiensten in der Form, dass die Kommunen (öffentliche) Kindertageseinrichtungen betreiben. Objektförderung bedeutet, dass die freien bzw. gemeinnützigen Träger (in erster Linie Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbände) gefördert werden. Diese Träger erhalten von den Kommunen öffentliche Zuwendungen. Privat- gewerbliche Träger erhalten keine Zuschüsse. So ist es auch nicht überraschend, dass privat-gewerbliche Träger nicht mehr in der amtlichen Statistik aufgeführt werden.

Neben den Kommunen beteiligen sich die Länder nur teilweise an einzelnen Aufgabenbereichen mit pauschalen Zuschüssen. Von den freien Trägern wird erwartet, dass sie einen Eigenanteil von ungefähr 10% erbringen. Diese fast vollständige Finanzierung von Kinderbetreuungseinrichtungen über die kommunalen Haushalte hat in Deutschland primär historische Gründe. [7]

"Selbstbeteiligung" an der öffentlichen Finanzierung

Obwohl in Deutschland zwar weitgehend Konsens darüber besteht, dass sich der Staat an der Finanzierung der Betreuung in Kindertageseinrichtungen beteiligen soll, muss dies jedoch noch nicht heißen, dass der Staat diese Finanzierung komplett übernimmt. Tatsächlich beteiligen sich die Eltern in Abhängigkeit vom Einkommen und der Zahl weiterer betreuter Geschwister über landesweit unterschiedlich geregelte Beiträge an den Kosten der Betreuungseinrichtungen. Insbesondere aus verteilungspolitischen Gesichtspunkten sind gerade diese Einkommensstaffelung und damit die politisch beabsichtigte Berücksichtigung der Zahlungsfähigkeit von Eltern von großem Interesse [8].

Verteilungseffekte des bisherigen Steuerungsmodells

Mit den Daten des SOEP und der amtlichen Statistik sowie den Ergebnissen anderer Untersuchungen [9] konnten zum einen die Kosten eines Platzes in einer Kindertageseinrichtung und zum anderen die Höhe der Elternbeiträge geschätzt werden. [10] Im Durchschnitt, so die Ergebnisse der Schätzungen, betrugen die Kosten pro Platz in einer Kindertageseinrichtung jährlich etwa 6 300 DM. Insgesamt bedeutet dies, dass bei etwa 3 Millionen betreuten Kindern in Kindertageseinrichtungen [11] die öffentlichen Kassen 1996 fast 20 Milliarden DM für Kindertageseinrichtungen (brutto) ausgegeben haben. Erwartungsgemäß ist die Betreuung jüngerer Kinder am kostenintensivsten.

Über Elternbeiträge auf gesamtdeutscher Ebene ist nur wenig Gesichertes bekannt. Detaillierte Daten über die Eigenbeteiligung liegen nur für ausgewählte Regionen vor, die nicht ohne Weiteres für Gesamtdeutschland repräsentativ sind. [12] Die auf einer repräsentativen Stichprobe beruhenden Daten des SOEP 1996 zeigen, dass bei der Berechnung der Elternbeiträge erhebliche Abweichungen zu den Daten der amtlichen Statistik bestehen. Während Berechnungen auf der Basis des SOEP zu dem Ergebnis kamen, dass Eltern im Monat durchschnittlich 116 DM für die Betreuung ihrer Kinder in Kindertagseinrichtungen ausgaben, ist der entsprechende Wert der amtlichen Statistik mit 47 DM pro Monat deutlich geringer. Da jedoch auch Berechnungen und Schätzungen aus anderen Quellen vermuten lassen, dass die Höhe der mit den SOEP-Daten geschätzten Elternbeiträge realistisch ist, [13] wurden diese Werte auch für die weiteren Verteilungsrechnungen verwendet.

Mit Hilfe der Kosten von Kindertageseinrichtungen, der öffentlichen Bruttoausgaben und der Elternbeiträge, konnten die öffentlichen Leistungen geschätzt werden, die einem Haushalt zugute kommen, wenn er für eines oder mehrere Kinder eine Betreuung in einer Kindertageseinrichtung in Anspruch nimmt. Dieser "Nettorealtransfer" ergibt sich aus den Ausgaben der öffentlichen Hand für die Einrichtung abzüglich der Elternbeiträge. [14] Die an die Ermittlung der Nettorealtransfers anschließende entscheidende Frage lautet, ob die Höhe dieser Transfers, die dem Haushalt durch die Inanspruchnahme einer Betreuung in einer Kindertageseinrichtung zukommen, durch die Einkommensposition der Haushalte bestimmt wird und falls dies gegeben ist, ob dieser nachgewiesene Effekt in die verteilungspolitisch gewünschte Richtung zeigt.

Konkret wurden verteilungspolitische Effekte dahingehend geprüft, inwiefern die von den Eltern entrichteten Elternbeiträge mit deren Einkommen [15] korrelieren. Der Determinationskoeffizient zwischen dem Haushaltseinkommen und den entrichteten Elternbeiträgen weist beispielsweise darauf hin, dass die Höhe des Haushaltseinkommens nur etwa 4% in der Variation der Elternbeiträge erklärt. Das heißt, dass bei der Festsetzung der Elternbeiträge die Einkommensposition der Haushalte im Durchschnitt nur in sehr geringem Maße berücksichtigt wird. Haushalte im niedrigsten und höchsten Einkommensquintil nutzen Kindertageseinrichtungen unterdurchschnittlich. Kindertageseinrichtungen werden insbesondere von den mittleren Einkommensgruppen genutzt. Mit steigendem Einkommen sinkt der Anteil der Ausgaben für den Besuch einer Kindertageseinrichtung. Bei den unteren Einkommensgruppen macht dieser Anteil 4% aus, während er im höchsten Einkommensquintil nur noch gut 2% beträgt. Die mittleren Einkommensgruppen erfahren die höchste staatliche Unterstützung. Mit 2 310 DM kommen dem zweiten Einkommensquintil die höchsten Nettorealtransfers zu. Vor dem Hintergrund der höheren Zahlungsfähigkeit bei den oberen Einkommensquintilen ist es bemerkenswert, dass die Nettorealtransfers selbst des 4. Quintils geringfügig über denen des unteren Einkommensquintils liegen [16].

Monistische Angebotsplanung auf regionaler Ebene

Die Jugendämter begnügen sich in der Regel mit der Ermittlung der Zahl der benötigten Betreuungsplätze in Kindergärten. Diese Zahlen werden meist auf Basis von nichtstandardisierten Bevölkerungsprognosen und Erfahrungswerten festgelegt. Elternbefragungen, die ein präziseres Bild der Betreuungswünsche der Eltern ergeben, sind selten. Hinzu kommt, dass eine solche Bedarfsplanung vorrangig für den Kindergartenbereich und nur in seltenen Fällen auch für den Krippenbereich durchgeführt wird [18].

Ingesamt bedeutet dies, dass die öffentliche Mittelvergabe langen Planungsphasen unterliegt und es daher zu Unstimmigkeiten zwischen den Planungsdaten und den realen Anforderungen kommt. Entsprechend schwierig ist die Abstimmung mit den freien Trägern.

Die drei entscheidenden Mängel des bisherigen Systems

Zusammenfassend lässt sich für das gegenwärtige deutsche Steuerungsmodell von Kindertageseinrichtungen festhalten: Erstens haben Eltern kaum die Möglichkeit, auf das quantitative und qualitative Angebot in Kindertageseinrichtungen Einfluss zu nehmen. Ihnen wird das Angebot zwar überwiegend kostengünstig zur Verfügung gestellt (Objektförderung), angesichts der bisherigen Angebotsknappheit insbesondere in den westlichen Bundesländern müssen sie aber als "Leistungsempfänger" agieren, die kaum Möglichkeiten haben, durch ihr Nachfrageverhalten auf das Angebot einzuwirken. Empirisch lässt sich außerdem belegen, dass Eltern mehrheitlich eine größere Flexibilität des bisherigen Systems befürworten. Zweitens kann in der einseitigen Unterstützung von gemeinnützigen Anbietern eine Diskriminierung von privat-gewerblich organisierten Kindertageseinrichtungen gesehen werden. [19] Drittens schließlich führt das bisherige System zu einer Umverteilung zugunsten mittlerer Einkommensgruppen. Wenn die Zahlungsfähigkeit der verschiedenen Einkommensgruppen bei der Kindererziehung berücksichtigt werden soll, dann entspricht diese ungleiche Belastung keinem sparsamen Einsatz öffentlicher Ressourcen. Eine Reformierung des bisherigen Systems läge demnach auf der Hand.

Subjekt- statt Objektförderung

Mit einem Wechsel von einer Objektförderung bzw. einer staatlichen Produktion hin zu einem Finanzierungsmodell im Sinne einer Subjektförderung, die den Verbrauchern mehr Nachfragemacht gibt, könnte eine Vielzahl der bestehenden Mängel beseitigt werden. Der entscheidende Vorteil dieser Finanzierungsmodelle ist, dass das Angebot nicht über eine monistische Mittelzuwendung gesteuert wird, sondern über die Nachfrage der Konsumenten, so dass die Anbieter einen hohen Anreiz haben, sich am Bedarf der Konsumenten zu orientieren. Freilich kommt auch eine Subjektförderung nicht ohne eine zentrale Planung aus, da entschieden werden muss, für welchen Bedarf und in welcher Höhe Subjektförderungen vom Staat geleistet werden sollen. Im Gegensatz zur staatlichen Produktion und Objektförderung ist der Staat dabei jedoch eher gezwungen, seine Ziele präziser mit denen der eigentlichen Verbraucher abzustimmen.

Ein Gutscheinmodell

Im Falle einer staatlichen Förderung der Kinderbetreuung in Tageseinrichtungen ist als Subjektförderung ein Gutscheinmodell aus den unterschiedlichsten Gründen geeignet. So besteht z.B. ein großer Vorteil eines Gutscheinmodells gegenüber dem Modell steuerlicher Absetzungsmöglichkeiten darin, dass nicht erst am Jahresende die den Nachfragern bzw. Eltern entstandenen Kosten erstattet werden. Dies würde gerade für Haushalte in niedrigen Einkommensgruppen zu erheblichen Zahlungsschwierigkeiten führen. Außerdem haben Steuererleichterungen den Nachteil, dass Haushalte, die aufgrund ihres niedrigen Einkommens keine Steuern zahlen, überhaupt nicht in den Genuss dieser Förderung kommen. Jedoch auch gegenüber möglichen direkten Geldtransfers an die Eltern weist ein Gutscheinmodell Vorteile auf. Da Geldzahlungen eine höchst liquide Form von Leistungen darstellen, ist es problematisch, sie an bestimmte Verhaltensweisen zu binden bzw. sicherzustellen, dass das Geld auch für die vorgesehenen Zwecke verwendet wird. Dem Gutscheinmodell ist dagegen eine explizite Zweckbindung und Verwendung für Kinderbetreuungsdienste immanent.

In einem Gutscheinmodell sollten die Gutscheine nur bei akkreditierten Kindertageseinrichtungen eingelöst werden können, welche bestimmte Mindeststandards erfüllen. Um einen "Schwarzhandel" zu verhindern, sollten die Gutscheine außerdem nicht übertragbar sein ("vinkulierte Namenspapiere"), und sie sollten in jedem Fall die gesamten Betriebs- und Investitionskosten eines Betreuungsplatzes, dessen Anforderungen an Qualität und Quantität politisch definiert werden müssen, abdecken (monistische Finanzierung). [20] Insbesondere aus verteilungspolitischen Gesichtspunkten wird eine einkommensabhängige Staffelung des Gutscheingegenwertes als zweckgemäß erachtet. Im Rahmen einer Mikrosimulation konnten in der genannten Studie "Finanzierungsmodelle und Verteilungsrechnungen für eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung" erste Hinweise dafür gefunden werden, dass - ceteris paribus - bei einer Änderung der Einkommensstaffelung des bisherigen Systems die öffentliche Hand sogar leichte Einsparungen erzielen könnte, weil die ungleiche Belastung unterschiedlicher Einkommensgruppen ausgeglichen wurde.

Da abhängig vom Alter eines betreuten Kindes die Kosten eines Betreuungsplatzes variieren, sollte der Gegenwert des Gutscheins ferner vom Alter des Kindes abhängen. Darüber hinaus sollte die Festlegung in Abhängigkeit des zeitlichen Umfangs der Betreuungszeiten, die gefördert werden sollen, spezifiziert werden. Außerdem sollte es möglich sein, Gutscheine durch private Mittel ergänzen zu können ("open-ended vouchers"), um dadurch auch den Wettbewerb zwischen den Anbietern um zusätzliche Zuzahlungen der Eltern zu fördern. Um jedoch zu verhindern, dass eine soziale Segregation dadurch entsteht, dass zahlungskräftige Eltern für höhere Qualität mehr ausgeben können als einkommensschwächere Haushalte, wäre es sinnvoll, den Gegenwert der Gutscheine so zu bemessen, dass er auch für Eltern höherer Einkommensgruppen keine übermäßigen Anreize setzt, Zuzahlungen zu tätigen.

Die Gutscheine könnten durch die regionalen Jugendämter an die Eltern ausgegeben werden. Diese sollten den Gutschein in der von ihnen ausgewählten akkreditierten Kindertageseinrichtung - unabhängig davon, ob es sich um einen gemeinnützigen, öffentlichen oder privat-gewerblichen Träger handelt - einlösen können. Die Kindertageseinrichtung wiederum sollte den Gutschein beim Jugendamt einlösen können. Dadurch würden dem Jugendamt zwangsläufig alle akkreditierten Kindertageseinrichtungen bekannt, was zusätzlich eine Qualitätskontrolle erheblich erleichtern würde. Dies ist ein weiterer Vorteil eines Gutscheinmodells gegenüber anderen Modellen der Subjektförderung: Bei einer Steuer- bzw. Geldtransferlösung ist es entsprechenden Kontrollinstanzen nur über zusätzliche Mechanismen möglich, die für eine Qualitätskontrolle notwendige Kenntnis über die tatsächlich anbietenden Kindertageseinrichtungen zu erhalten. Und dass eine solche Qualitätskontrolle notwendig ist, steht außer Frage.

Auch die Qualität bleibt nicht auf der Strecke

Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Bildungsfunktion von Kindertageseinrichtungen lässt sich einwenden, dass Eltern die pädagogische Qualität in Kinderbetreuungseinrichtungen nicht allein bestimmen sollen bzw. nicht können. [21] Daher ist eine zentrale staatliche Regulierung von Qualitätsmindeststandards von großer Bedeutung. Eine Objekt- und eine Subjektförderung unterscheiden sich also nicht dadurch, dass - wie viele Befürworter des Status quo annehmen - bei einer Subjektförderung auf gesetzliche Qualitätsstandards verzichtet werden muss. Vielmehr lässt sich gerade ein Gutscheinmodell mit einer staatlich garantierten Mindestqualität kombinieren, oder es kann in ein System der staatlichen Qualitätssicherung und -kontrolle eingebunden werden. Somit könnten staatliche Qualitätsmindeststandards mit einer effektiven Förderung der Bedarfsgerechtigkeit des Angebots kombiniert werden.

Sorgfältiger Wechsel

Fest steht aber auch, dass ein solcher Wechsel auf ein anderes Steuerungsmodell sorgfältig geplant und sukzessiv umgesetzt werden muss. Ein förderlicher Wettbewerb um das beste "Gutscheinmodell" würde sicherlich neue und hilfreiche Lösungsansätze für so manches in der Praxis auftretende Umsetzungsproblem hervorbringen. Lernen könnte man vom Schritt des Stadtstaates Hamburg, der vielleicht künftig auch in anderen Bundesländern Schule macht. In Hamburg werden gegenwärtig Schritte zur Einführung von öffentlich geförderten Betreuungsschecks - in Form von "Kita-Cards" - vorbereitet. Eltern sollen damit bald in die Lage versetzt werden, mit den Trägern von Kindertageseinrichtungen direkt einen privat-rechtlichen Betreuungsvertrag abzuschließen, der ihnen eine ihrem individuellen Bedarf entsprechende Betreuungsleistung sichert [22].

Anmerkungen

[1] Der Abschlussbericht des Projektes "Finanzierungsmodelle und Verteilungsrechnungen für eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung von Vorschul- und Schulkindern in Deutschland" (Projekt-Nr. 96-812-4) kann beim DIW angefordert werden. Außerdem wurden die Projektergebnisse in einer Abschlussveranstaltung am 3. Juli 2000 am DIW diskutiert.

[2] Der im Folgenden verwendete Begriff "Kindertageseinrichtungen" umfasst Kinderkrippen, Kindergärten und Hortangebote für Kinder bis zum Alter von 10 Jahren. Kindergärten haben die größte Bedeutung innerhalb der Gruppe aller Tageseinrichtungen; allerdings bedeutet Tageseinrichtung nicht automatisch Ganztagsbetreuung.

[3] Das SOEP ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung, die auch Informationen zu der Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und Einstellungsfragen enthält. Die Analyse basiert auf den Antworten zu der Frage: Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht die folgenden Maßnahmen oder Forderungen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern? (...) Flexiblere Arbeitszeitgestaltung, (...) Flexiblere Öffnungszeiten von Kindergärten. Die Antwortvorgaben waren: Sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig, ganz unwichtig.

[4] Folgende Frage wird allen Eltern mit kleinen Kindern in der Familie gestellt: Wie ist es mit den folgenden Gebieten - machen Sie sich da Sorgen? (...) Um die Möglichkeiten der Kinderbetreuung? Die Antwortvorgaben sind: Große Sorgen, einige Sorgen, keine Sorgen.

[5] So zeigen die Ergebnisse anderer Untersuchungen, dass 50% der ostdeutschen Mütter mit Problemen aufgrund zu teurer Kindergartenplätze rechnen, 20% rechnen mit Problemen aufgrund ungünstiger Öffnungszeiten, und 30% rechnen damit, dass in Zukunft zu wenig Ganztagsbetreuungsplätze in Kindergärten zur Verfügung stehen werden (vgl. Ohde, Julia (1992): Kinderbetreuung in Deutschland. Brigitte Untersuchung 92, Hamburg).

[6] In der Studie "Finanzierungsmodelle ...", a.a.O., wurde insbesondere die Finanzierung der institutionellen Betreuung in Großbritannien, Schweden, den USA und auch der ehemaligen DDR analysiert (Kapitel 5 und 6.3).

[7] Da Kinderbetreuung Anfang des 20. Jahrhunderts als Armenfürsorge begriffen wurde, wurde sie wie andere Bereiche der Fürsorge zur kommunalen Aufgabe erklärt, was bis zur heutigen Regelung im Kinder- und Jugendhilfegesetz anhält.

[8] Aus diesem Grund wurde in der Studie "Finanzierungsmodelle ...", a.a.O., ein Schwerpunkt auf verteilungspolitische Analysen gelegt. Diese Schwerpunktsetzung ist auch insofern bedeutsam, da sich bisher nur wenige Analysen mit verteilungspolitischen Effekten im Bereich von Kindertageseinrichtungen beschäftigt haben. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Studie von Kaufmann, Franz-Xaver, Alois Herlth, Klaus Peter Strohmeier und Wolfgang Wirth (1982): Verteilungswirkungen sozialer Dienste. Das Beispiel Kindergarten. Frankfurt, New York.

[9] Vgl. Deutsches Jugendinstitut (1998): Tageseinrichtungen für Kinder. Pluralisierung von Angeboten, Zahlenspiegel, München sowie Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (1992): Finanzielle Folgen der Verbesserung der Tagesbetreuung von Kindern. Sonderausschuss Schutz des ungeborenen Lebens 12. Wahlperiode, Ausschussdrucksache 008.

[10] Für eine detaillierte Beschreibung der Schätzverfahren und der zugrunde liegenden Annahmen vgl. dazu die Ausführungen im Abschlussbericht der Studie "Finanzierungsmodelle ...", a.a.O. Kapitel 7 und Anhang. Die Schätzung der Kosten eines Betreuungsplatzes basieren auf den Angaben des Statistischen Bundesamts (1996) zu Betriebs- und Investitionskosten in Kindertageseinrichtungen (vgl. Statistisches Bundesamt (1996): Sozialleistungen. Ausgaben und Einnahmen der Öffentlichen Jugendhilfe. Fachserie 13, Reihe 6.4).

[11] Dieser Schätzwert konnte sowohl auf der Grundlage der Daten des SOEP wie auch der amtlichen Statistik ermittelt werden.

[12] Zu entsprechenden Studien, die Elternbeiträge in Ballungsgebieten darstellen, vgl. z.B. Hagen, Kornelia (1987): Soziale Infrastruktur in Berlin (West). Bestandsaufnahme und Analyse der Entwicklungstendenzen im interregionalen Vergleich. Gutachten im Auftrag des Senators für Finanzen Berlin, S. 152 ff., bes. 160,161.

[13] Leipert und Opielka (1998) stellten z.B. die Höchstsätze für Kindergartenplätze in den verschiedenen Bundesländern zusammen. Dabei liegen die Höchstgrenzen für Elternbeiträge zwischen 86 und 450 DM für einen Halbtagskindergartenplatz und zwischen 180 und 750 DM für einen Ganztagsbetreuungsplatz (vgl. Leipert, Christian und Michaela Opielka (1998): Erziehungsgehalt 2000, Institut für Sozialökologie (Hrsg.), Bonn).

[14] Würde man dabei die Angaben des Statistischen Bundesamtes für die Elternbeiträge zugrunde legen, wären die Nettorealtransfers mehr als doppelt so hoch.

[15] Zur Charakterisierung der Einkommenssituation des Haushaltes wurde das Netto-Haushaltsäquivalenzeinkommen verwendet.

[16] Allerdings könnten Unterschiede zwischen den verschiedenen Einkommensgruppen teilweise auch darin begründet liegen, dass eine Korrelation zwischen Einkommenshöhe und Kinderzahl besteht und daher bestimmte Haushaltsgruppen aufgrund von "Geschwisterrabatten" niedrigere Elternbeiträge zahlen.

[17] Vgl. dazu z.B. Colberg-Schrader, Hedi und Anne Zehnbauer (1996): Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Bedarfsplanung, Notlösungen, alternative Angebote. Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.), München sowie Werthmanns-Reppekus, Ulrike (1996): Jugendhilfeplanung und Neue Steuerungsmodelle. In: Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung e.V.: Das Neue Steuerungsmodell, Remscheid.

[18] Vgl. dazu die Untersuchung von Tietze, Wolfgang, Hans-Günther Roßbach und Karin Roitsch (1993): Betreuungsangebote für Kinder im vorschulischen Alter. Ergebnisse einer Befragung von Jugendämtern in den alten Bundesländern. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Frauen und Jugend, Stuttgart.

[19] Vgl. dazu auch Monopol-Kommission (1996/1997): 13. Hauptgutachten der Monopolkommission, Bonn.

[20] In der oben genannten Studie "Finanzierungsmodelle ...", a.a.O., wird vorgeschlagen, die Gutscheine über einen Parafisci in Form einer "Kinderkasse" zu finanzieren. Prinzipiell wäre auch eine Steuerfinanzierung möglich.

[21] Zum einen zeigen verschiedene Studien, dass Eltern teilweise eine sehr genaue Vorstellung über Aspekte der Kinderbetreuung haben, die sie selbst direkt betreffen (wie Erreichbarkeit, Öffnungszeiten usw.), darüber hinaus aber häufig keine konkreten Vorstellungen einer qualitativ hochwertigen Betreuung vorliegen. Zum anderen kommt hinzu, dass Kinderbetreuung wie alle Dienstleistungen kein "Erfahrungsgut" ist und die Eltern diese Dienstleistung nicht selbst konsumieren, sondern ihre Kinder. Eltern treffen somit eine Kaufentscheidung auf der Basis einer unzureichenden Informationsgrundlage und können Fehlentscheidungen nur mit erhöhten Transaktionskosten oder gar nicht korrigieren.

[22] Vgl. dazu die Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft vom 21. September 1999, Drucksache 16/3047 (Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg - 16. Wahlperiode). Auch die Zukunftskommission Gesellschaft 2000 der Landesregierung Baden-Württemberg schlägt in ihrem Abschlussbericht eine Finanzierung von Kindertageseinrichtungen über Kinderbetreuungsgutscheine vor (vgl. Zukunftskommission Gesellschaft 2000 der Landesregierung Baden-Württemberg (1999): Solidarität und Selbstverantwortung. Von der Risikogesellschaft zur Chancengesellschaft, Stuttgart, S. 93 f.).

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