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Zitiervorschlag

Enzkreis: Nachfrageorientierung und ständige Flexibilität als Leitlinie in der Kindergartenentwicklung: Bereits ein Viertel aller Kindergärten nutzen kostenloses Projektbegleitungsangebot des Jugendamtes

Andrea Riegraf und Matthias Karl

 

Kindertageseinrichtungen leisten wichtige Beiträge bei der Betreuung und Entwicklungsförderung unserer Kinder. Noch vor wenigen Jahren, bei der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren, mussten letzte Platzreserven genutzt, um im Enzkreis ohne Stichtagsregelungen den Rechtsanspruch erfüllen zu können. Das Fachpersonal hielt den Qualitätsstandard trotz randvoller Gruppen.

Heute entspannt sich die Situation. Rückläufige Kinderzahlen zwingen einzelne Kindertageseinrichtungen bereits zur Schließung von Gruppen. Für die Einrichtungen eine ungewohnte Situation, konnten sie doch in der Vergangenheit davon ausgehen, dass immer mehr Kinder angemeldet wurden, als Plätze zur Verfügung standen. Die Kindertageseinrichtungen unterliegen nun einem raschen Bedarfswechsel, bezogen auf Kapazität und Angebotsform. Sie müssen ihre Angebotsstruktur flexibel an der Nachfrage ausrichten.

In der Vergangenheit stand die inhaltliche Auseinandersetzung mit pädagogischen Fragestellungen im Vordergrund. Heute ist eine organisatorische Anpassungsleistung gefordert. Wenn Eltern andere Betreuungszeiten benötigen oder ihre unter-dreijährigen Kinder versorgt wissen wollen, ist für sie das inhaltliche Konzept zunächst zweitrangig. Allerdings auch: Wenn mehr Plätze zur Verfügung stehen, als drei- bis sechsjährige Kinder angemeldet werden, ist für die wirtschaftliche Betrachtung das beste pädagogische Konzept nachrangig. Die Folge kann der Abbau von Kindergartenplätzen sein, einhergehend mit Personalreduzierung.

Die Folgen des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz bescheren den Kindergärten, ihren Trägern und dem Jugendamt die historische Chance, bei rückläufigen Kinderzahlen in Landkreisen mit wenig großen Gemeinden bisher nicht gekannte, ortsbezogene, nachfrageorientierte und dauerhaft flexible Lösungen zu schaffen.

Wie immer, wenn Veränderungen anstehen, können diese als Bedrohung oder Chance erlebt werden, je nach persönlichem Blickwinkel. Fakt ist jedoch, die Veränderungen sind auch ohne aktive Mitgestaltung im Gange. Diese Zeit des Umbruchs nutzt die Fachberatung für Kindertageseinrichtungen des Kreisjugendamtes, um Hilfen und Unterstützung jenen Einrichtungen anzubieten, die sich aktiv an den Gestaltungsprozessen beteiligen wollen. Die nötigen Veränderungen von den Einrichtungen einzufordern, ist nur eine Seite des Prozesses. Sie zu unterstützen, den Einrichtungen zu helfen, den Wandel erfolgreich zu gestalten, kommt dazu.

In der Regel haben die Einrichtungen keine eigenen finanziellen Ressourcen, um Organisationsentwicklung extern begleiten zu lassen. Auch sind in personeller Hinsicht wenig Zeitkontingente hierfür verfügbar. Da Organisationsentwicklung aber kein punktuelles, einmaliges Unterfangen bleiben darf, um dauerhaft positive Ergebnisse zu erzielen, wird Kontinuität zur Pflicht.

Verfolgt werden deshalb schwerpunktmäßig zwei Ziele:

  • die Entwicklung eines bedarfsgerechten, differenzierten Tagesbetreuungsangebots, zugeschnitten auf das jeweilige Einzugsgebiet, bevorzugt als Gesamtprojekt aller Kindergärten einer Gemeinde;
  • ein kontinuierliches Angebot über einen längeren Zeitraum, um Organisationsentwicklung als Bestandteil neben dem Alltagsgeschäft zu etablieren.

Das Projekt des Enzkreises gliedert sich in zwei Phasen und steht allen Kindertageseinrichtungen im Enzkreis, gleich welcher Trägerschaft offen. Voraussetzungen für die Teilnahme sind:

  • die schriftliche Einwilligung des Trägers der Einrichtung zum Projekt Organisationsentwicklung sowie
  • die schriftliche Anmeldung durch die Leitung der Einrichtung, mit der Zusicherung, dass alle Fachkräfte über den gesamten Zeitraum teilnehmen dürfen.

Die Startphase

Das Projekt beginnt mit der Startphase, die sich über etwa 1,5 Jahre erstreckt. Sie ist wie folgt strukturiert: An den drei ganztägigen Gesamttreffen nehmen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der beteiligten Kindertageseinrichtungen teil. Der erste Termin wird für allgemeine Inputs zum Verlauf und einer Einführung in die Organisationsentwicklung genutzt. Themenspezifische Ausarbeitungen in Kleingruppen und die Präsentation der Ergebnisse bringen die Fachkräfte in Kontakt und Austausch. Alle Teilnehmerinnen erhalten einen Arbeitsordner zur Vertiefung und Dokumentation der bearbeiteten Themen.

Der zweite Termin steht unter einem Schwerpunktthema und verbindet durch weitere Übungen die Teilnehmenden. Neben den Inputs wird das in den unterschiedlichen Einrichtungen verfügbare Know-how für alle bekannt gemacht.

Der dritte Termin dient der Präsentation, der im Projektzeitraum umgesetzten Aktivitäten. Ein kleiner Festakt, zu der die örtliche Presse geladen wird, und die öffentliche Präsentation der Ergebnisse für ca. 14 Tage im Landratsamt bilden den Schlusspunkt der Startphase.

Zwischen diesen Gesamttreffen gehen wir mindestens ein Mal pro Halbjahr (in der Regel öfter) in jede Einrichtung und führen eine halbtägige Veranstaltung durch. Hierbei orientieren wir uns an den konkreten Fragestellungen vor Ort. Wir erarbeiten gemeinsam, welche Entwicklungen gefördert werden müssen, um eine auf die Bedürfnisse der Gemeinde abgestimmte Angebotsstruktur sicherzustellen.

Je nach den Erfordernissen der Einrichtungen sind wir als Trainerin und Trainer tätig (Methodenvermittlung), als Beratende (Sachfragen, Informationsübermittlung, Erfahrungswerte) oder übernehmen die Moderation bei der Begleitung eingeleiteter Prozesse.

In den Führungsseminaren werden einerseits leitungsrelevante Themen bearbeitet und wird andererseits in Methoden und Konzepte eingeführt, die die Leiterinnen und Leiter als Multiplikatoren in ihre Teams einbringen können.

Ferner besteht die Möglichkeit zur Supervision. Wir empfehlen den Einrichtungen, dieses Instrument vorwiegend zur Reflexion des Organisationsentwicklungsprozesses zu nutzen, da einzelne Fragestellungen in den halbtägigen Treffen nicht ausreichend bearbeitet werden können. Diese Vorgehensweise bietet einerseits die Möglichkeit für die Einrichtungen, das Instrument Supervision kennen zu lernen, und schlägt andererseits eine Brücke zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Beratungsstellen, die bei auftretenden Problemen dann in der Regel schneller kontaktiert werden.

Die Begleitphase

Nach der Startphase können sich die Kindertageseinrichtungen entscheiden, ob sie an einer weiteren dreijährigen Begleitphase teilnehmen wollen. Sie müssen sich auch hierzu schriftlich zur Teilnahme verpflichten, und ihr Träger muss erneut zustimmen. Wie in der ersten Phase des Projektes steht die Weiterentwicklung des Bedarfsangebotes vor Ort im Vordergrund. Dabei soll Organisationsentwicklung als Teil des Alltagsgeschäfts etabliert werden. Besonderer Augenmerk wird auf die Einbindung der Angebotsentwicklung einer Einrichtung in die Entwicklung aller Einrichtungen einer Gemeinde gelegt.

Im 1. Jahr der Begleitphase finden wiederum mindestens zwei halbtägige Veranstaltungen in jeder Einrichtung statt. Die Treffen werden inhaltlich von der Projektleitung vorbereitet und in Seminarform durchgeführt.

Ab dem 2. Jahr wird nur der Inhalt einer Veranstaltung vorgegeben und von da an erwartet, dass die Einrichtungen selbst die weiteren Inhalte einbringen, an denen gearbeitet werden soll. Unabhängig von diesem Rahmen können die Kindertageseinrichtungen weitere Arbeitstreffen abrufen, sofern sie Training, Beratung oder Moderation benötigen.

Für die Leiterinnen und Leiter finden jährlich zwei ganztägige Seminare statt (mittlere Zeitschiene), die von der Projektleitung durchgeführt werden. Dazwischen treffen sie sich alleine zu vorher vereinbarten Themen, die sie selbst ausarbeiten.

Am Ende des 2. Jahres ist ein erstes Seminar für die Leiterinnen und Leiter der Start- und Begleitphase vorgesehen. Die vielfältigen Aktivitäten der Einrichtungen sollen damit kreisweit bekannt gemacht werden. Wo bereits Erfahrungen mit neuen Ansätzen gemacht wurden, stellen sich die Fachkräfte ihr Wissen zur Verfügung. Erste Vernetzungskontakte entstehen.

Während der gesamten dreijährigen Begleitphase können die Einrichtungen weiterhin Supervision in Anspruch nehmen.

Teilnehmer

Anfang 1998 begann mit 13 Kindertageseinrichtungen die erste Startphase. Sie wurde Mitte 1999 abgeschlossen. Von diesen 13 Einrichtungen haben sich 12 entschlossen, an der Begleitphase teilzunehmen, die seit Anfang 2000 läuft.

Ebenfalls Anfang 2000 hat mit 23 weiteren Kindertageseinrichtungen eine neue Startphase begonnen, so dass z.Zt. 35 Einrichtungen mit ca. 240 Fachkräften beteiligt sind. Die Einrichtungen sind mit großem Engagement dabei und konnten zahlreiche Verbesserungen (Flexibilisierung der Öffnungszeiten, Betreuung von Schulkindern, Anpassungen bei Schließtagen, gemeinsame Projekte mit externen Fachkräften, Umsetzung von Sponsoringkonzepten) für ein bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsangebot in ihrer Gemeinde einführen.

Autor/in

Andrea Riegraf/Matthias Karl
Jugendamt Enzkreis
Zähringerallee 3
75177 Pforzheim
Website: http://www.enzkreis.de
Email:
[email protected], [email protected]