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Zitiervorschlag

Rezension

Antje Bostelmann (Hrsg.): Praxisbuch Krippenarbeit. Leben und lernen mit Kindern unter 3. Mülheim: Verlag an der Ruhr 2008, 130 Seiten, EUR 21,99 - direkt bestellen durch Anklicken

 

In den letzten Jahren wurden vier KLAX-Kinderhäuser in Krippe und Kindergarten aufgeteilt, während in den anderen Einrichtungen Kinder unter zwei Jahren in Nesträumen betreut werden und von diesen aus allmählich die Angebote im offenen Bereich kennen lernen. In den Krippen arbeiten zum Teil Fachkräfte, die noch in der DDR gezielt als Krippenerzieherinnen ausgebildet worden waren. Zusammen mit ihren Kolleginnen dokumentierten sie von Anfang an ihre Arbeit - und diese Unterlagen bilden zusammen mit Erfahrungsberichten die Grundlage des von Antje Bostelmann herausgegebenen Buches. Ein Praxisbezug ist also garantiert!

Zunächst wird das KLAX-Konzept vorgestellt: das Bild vom Kind, die Einrichtungen, die Arbeitsweise und die Qualifizierung der Fachkräfte. Im ersten Kapitel geht es dann darum, was ein Kind in den ersten drei Lebensjahren braucht - nicht nur die Mutter bzw. den Vater, sondern auch die Krippe! Hier gibt es "Spielkameraden als 'Ko-Konstrukteure', die auf Augenhöhe mit dem eigenen Kind ein Bild von der Welt entwickeln. Großzügige Raumecken zum Rutschen, Kramen, Herumschieben von Dingen, eine Wasserplanschecke. Ritualisierte Tagesstrukturen, die sich vor allem nach kindlichen Bedürfnissen richten. ... Routinierte Griffe, eine routinierte Ansprache, immer gute Kinderbücher und Spielzeuge. Ein erprobt sicheres Raumkonzept. All dies ist kein Ersatz für die Familie, aber eine äußerst gute Ergänzung" (S. 16). In der Krippe werden Kinder von Fachkräften betreut, die sich selbst als Expert/innen für deren Entwicklung sehen, aus ständigen Beobachtungen Rückschlüsse für dessen Förderung ziehen und didaktisch denken. Zudem befolgen sie bestimmte Grundwerte, z.B. dass

  • sie die Perspektive der Kinder teilen,
  • ihre Entwicklungstätigkeit wahrnehmen und bereichern,
  • sie Gemeinschaft erleben lassen, ihnen aber auch Spielraum für individuelles Tun bieten,
  • ihr Tun den Kindern verständlich machen, sodass diese ihren Willen äußern können, und
  • ihnen "Welt in größtmöglicher Vielfalt" bereitstellen (S. 23).

Deutlich wird, dass Kinder unter drei Jahren weder eine "kleine" Betreuung durch schlecht ausgebildete Tagesmütter in einer kleinen Wohnung noch "verkleinerte" Kindergartenbildungsangebote brauchen: "Kleine Kinder benötigen großartige Pädagoginnen mit einem umfassenden Fachwissen und vielen hervorragend entwickelten Kompetenzen. Wenn Krippen, dann richtig, dann auch mit dem Anspruch auf eine Qualität, die den europäischen Vergleich nicht scheuen muss" (S. 24).

Im zweiten Kapitel stellen die KLAX-Pädagoginnen ihre Krippenräume und deren Ausstattung vor: den Raum der 0- bis 1-Jährigen, die Spiel- und Aktionsräume der 1- und 2-Jährigen, den Bewegungs- und Schlafraum, das Atelier, den Essplatz, das Badezimmer, das Material-Fühl-Bad und den Garten. Der erstgenannte Raum wird z.B. so gestaltet, dass er von der Perspektive eines liegenden, krabbelnden oder robbenden Babys aus anregungsreich ist (z.B. unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten). Die Zimmer sind eher spärlich ausgestattet, sodass die Kinder viel Bewegungsraum haben. Auch die Menge an Materialien ist sehr begrenzt - die Kinder werden im Umgang mit ihnen genau beobachtet, und wenn sie z.B. bei der Steckbüchse alle Lernmöglichkeiten genutzt haben, wird diese gegen einen anderen Gegenstand ausgetauscht.

Im dritten Kapitel wird der Tagesablauf von Babys in einer Kinderkrippe beschrieben, wobei an vielen Beispielen gezeigt wird, wie die Kinder Dinge erkunden und Lernerfahrungen machen. Die Fachkräfte orientieren sich an deren Verhalten. Sie nutzen Situationen wie das Wickeln oder das Füttern ganz gezielt, um Nähe herzustellen, immer wieder Körperteile, Aktivitäten usw. zu benennen, auf die Mimik des Babys zu reagieren und ständig mit ihm zu sprechen.

Das vierte Kapitel befasst sich mit dem Spiel der Krippenkinder - wie sie die Rotation entdecken, Dinge fortbewegen, mit dem Fall experimentieren, sich verstecken, Gegenstände zusammenfügen, im Atelier verschiedene Materialien entdecken usw. Ferner werden verschiedene Spielformen beschrieben.

Wie der Tag in der Krippe bei Einjährigen verläuft, wird im fünften Kapitel skizziert. Alle wichtigen Fixpunkte werden mit Liedern und entsprechenden Gesten der Erzieherin eingeleitet (Rituale). Beim Morgenkreis werden Materialien präsentiert, Lieder gesungen oder Spiele gemacht. Im Vergleich mit dem dritten Kapitel wird deutlich, wie unterschiedlich nun das Atelier genutzt wird - vor allem zum Experimentieren mit Farben und Materialien, wobei das "Endprodukt" letztlich bedeutungslos ist. Beim Waschen, Naseputzen, Vorbereiten zum Essen usw. wird betont, dass die Körpergrenzen der Kinder zu achten seien - zunächst wird Kontakt aufgenommen und kommuniziert: "Darf ich dir die Nase putzen?"

Im sechsten Kapitel werden die Aktionstabletts vorgestellt, die bestimmte eindeutige Aufgaben beinhalten. Mit ihrer Hilfe lernen die Krippenkinder beispielsweise, wie man Flüssigkeiten umschüttet, Steckmaterial nach Formen sortiert einsteckt oder kleine Gegenstände umfüllt. Mit einem Aktionstablett können sich ein oder zwei Kinder beschäftigen. Das Gelernte kann dann auf Alltagssituationen übertragen werden (z.B. Eingießen des Tees).

Der Krippentag von Dreijährigen wird im siebten Kapitel skizziert. Hier decken die Kinder schon eigenständig den Frühstückstisch, schenken sich selbst Getränke ein und lernen, mit dem Besteck richtig umzugehen. Beim Morgenkreis werden die Kinder einzeln von einer Kasperfigur berührt und mit Namen angesprochen, werden Lieder gesungen und kommt ein Geschichten-Körbchen mit Püppchen und anderen Materialien zum Einsatz. Die Kinder können nun auch schon mit Klangholz, Trommel und Glöckchen Rhythmen spielen und Lieder begleiten. Beim Freispiel greifen die Fachkräfte die Impulse der Kinder auf und steuern neue Ideen bei, bereichern so die Aktivität und ermöglichen neue Lernerfahrungen. Ferner wird beschrieben, was bei dieser Altersgruppe hinsichtlich Wickeln, Mittagessen, Ruhezeit, Aufräumen usw. zu berücksichtigen ist.

Im achten Kapitel wird auf die Bedürfnisse junger Krippeneltern eingegangen, die als Experten für ihr Kind ernst genommen werden wollen, mitarbeiten möchten und die Welt ihres Kindes verstehen wollen. Regelmäßige Elterngespräche, das gemeinsame Gestalten des Portfolios, Poster zur Dokumentation der pädagogischen Arbeit, ein für Eltern einsehbares Tagebuch für jede Gruppe, gemeinsame Aktionen usw. sind wichtige Aspekte der Zusammenarbeit mit Eltern.

Das Kapitel 9 befasst sich mit dem Beobachten der Kinder, dem Sortieren der Beobachtungen und der auf die Auswertung folgende Planung von Aktivitäten. Dabei kommt es vor allem darauf an, Möglichkeiten und Wege zu finden, wie den Kindern bei "ihren" Themen weitergeholfen werden kann.

Das letzte Kapitel hat die Überschrift "Was ein Kind nicht braucht: Über unnötige Helfer und echte Gefahren". Zum Unnötigen gehören Frühstücksdose, Rückhalte-Lätzchen und Trinklernflaschen, Füttertricks, Laufställe, Gummihandschuhe beim Wickeln, feste Wickel- oder Toilettenzeiten, Babywipper, Babywalker u.a. In einer Tabelle werden dann echte Gefahren gelistet. Das Buch endet mit einem Brief von Krippeneltern, in dem die Arbeit der Erzieherinnen gewürdigt wird.

Das hervorragende, farbig gelayoutete und mit bunten Fotos reich bebilderte Buch kann Fachkräften wärmstens empfohlen werden, die in einer Krippe (-ngruppe) arbeiten oder eine solche einrichten wollen. Aber auch Erzieher/innen, die in weit altersgemischten Gruppen arbeiten, und Tagesmütter/ -väter werden viele für sie relevante Aussagen und Ideen in diesem Praxisratgeber finden. Ein exzellentes Buch!

Martin R. Textor