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Zitiervorschlag

Aus: Financial Times Deutschland vom 12.10.2007, mit Genehmigung der Geschäftsführung

Unternehmen Nachwuchs

Annika Behrmann

 

Wohin das Auge reicht, ragen gigantische Bürotürme in den Himmel, und beinahe übersieht man den Sandkasten, der verborgen hinter Bäumen und Büschen neben einem roten Gebäude steht. Über der Eingangstür hängen bunte Luftballons, Kinderlachen schallt heraus. Die Kita City-Nord liegt mitten in einem Hamburger Gewerbegebiet.

Ein Betriebskindergarten, für den sich fünf Hamburger Unternehmen, darunter Tchibo, Edeka und die Hamburg-Mannheimer, auf Initiative der Grundeigentümer-Interessengemeinschaft City Nord (GIG) zusammengetan haben. Für jede Firma allein hätte sich der Betrieb nicht gelohnt, sagt Thomas Schmidt, GIG-Geschäftsführer und Initiator des Kindergartens, aber alle zusammen stemmen insgesamt 50 Plätze.

307 betriebliche Kindertagesstätten gibt es in Deutschland; die Zahl steigt. Trotzdem bieten lediglich drei Prozent aller Unternehmen eine eigene Kinderbetreuung an. Viele schrecken vor hohen Investitionen zurück; immerhin kostet ein ganztägiger Krippenplatz bis zu 1.700 Euro monatlich. Obendrein sind die öffentlichen Auflagen für einen Kindergarten hoch: Die Fenster müssen eine bestimmte Höhe haben, es muss mehrere Ausgänge geben. Niedersachsen erwartet sogar in der Hannoveraner Innenstadt eine Außenfläche.

Qualifizierte Mitarbeiter durch Kinderbetreuung binden

Auch die Firmen in der City Nord waren zunächst skeptisch. "Als wir die Idee bei den Unternehmen vorgestellt haben, war die Resonanz zunächst alles andere als positiv", sagt Thomas Schmidt. "Die meisten hatten große Zweifel, ich hörte typische Sätze wie: Warum denn ausgerechnet wir?" Schließlich gelang es ihm, die Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten als Träger zu gewinnen und die Stadt Hamburg von einem Neubau zu überzeugen. Damit und mit dem Argument Mitarbeitermotivation hat es Schmidt geschafft, gleich mehrere Unternehmen mit an Bord zu holen. "Anfangs hatten wir nur eine Zusage für 15 Plätze", sagt Schmidt, "doch es dauerte nicht lang, bis wir ausgebucht waren."

In Zeiten des Fachkräftemangels wollen Arbeitgeber fähige Mitarbeiter gewinnen und halten. "Durch die betriebliche Kinderbetreuung gelingt es uns, qualifizierte Mitarbeiter und ihr Know-how an Tchibo zu binden", sagt Christian Voigt, Personalchef bei Tchibo. Sein Unternehmen beteiligt sich an 23 Plätzen. Ein Platz kostete einmalig 15.000 Euro. Gerade für kleine Unternehmen ist das viel Geld. Und in Gegenden mit hoher Betreuungsdichte - etwa in Ostdeutschland - auch nicht unbedingt notwendig. Hier lohnt es sich für Betriebe eher, sich in bestehenden Einrichtungen Plätze zu kaufen, statt selbst einen Kindergarten zu eröffnen. Oder aber, wie in der Hamburger City Nord, sich mit mehreren Firmen zusammenzuschließen und in eine gemeinsame betriebliche Kinderbetreuung zu investieren.

Kindergärten einfach anmieten

Die meisten Unternehmen tun sich bei der Gründung einer Betriebskita mit einem Partner zusammen: In Bayern etwa ist die Arbeiterwohlfahrt der größte Anbieter betrieblicher Kindergärten. Auch die Kinderzentren Kunterbunt des Nürnberger Unternehmers Björn Czinczoll betreiben für Firmen Kitas.

Bundesweiter Marktführer in diesem Bereich ist der PME Familienservice mit über 350 Kunden und 12 Mio. Euro Umsatz. Der private Anbieter hat sich besonders auf die Vermittlung von Public-Private Partnerships spezialisiert. "Es macht für Unternehmen Sinn, statt eines reinen Betriebskindergartens eine betriebsnahe Einrichtung anzubieten", sagt Nils Hofert vom Familienservice. In diesem Fall übernimmt die Kommune 90 Prozent der Kosten - im Gegenzug muss der Kindergarten einen bestimmten Anteil von Kindern aus der Umgebung aufnehmen.

Vor allem berufstätige Väter und Mütter sind auf Flexibilität angewiesen, auf Betreuungszeiten, die sich ihren Arbeitszeiten anpassen lassen. Vor diesem Problem stand auch Viola Pollak. Seit 16 Jahren arbeitet sie bei der Hamburg Mannheimer. Als sie schwanger wurde, sah sie zunächst keine andere Möglichkeit, als zwei Jahre lang in Elternzeit zu gehen. Gerade rechtzeitig begannen die Anmeldeverfahren für die Kita City-Nord, und Viola Pollak ergatterte einen der begehrten Plätze. "Ich wäre ein Jahr länger zu Hause geblieben, wenn es die Kita nicht geben würde", sagt die junge Mutter.

Laut Bundesfamilienministerium steigen die Kosten für die Wiedereinarbeitung nach dem Erziehungsurlaub von Monat zu Monat an: Sind es nach sechs Monaten Pause noch 15 Prozent der Kosten, die eine Neueinstellung bedeuten würde, so muss der Arbeitgeber nach 36 Monaten bereits 75 Prozent dessen investieren, was er für eine neue Arbeitskraft zahlen müsste. Für ein Unternehmen mit 1.500 Mitarbeitern hat das Marktforschungsinstitut Prognos vor zwei Jahren einen Return on Investment von 25 Prozent errechnet. Bei kleinen und mittleren Unternehmen beträgt er 15 Prozent.

Bereits bestehende Einrichtungen zeigen, dass sich die Investition in Betriebskindergärten lohnt: Die Unfallklinik Murnau zum Beispiel spart durch ihre betriebsinterne Kinderbetreuung jährlich 82.800 Euro ein, wie die Kosten-Nutzen-Analyse des Betriebs ergab. Auch die MVV Energie AG in Mannheim ist ein finanzielles Positivbeispiel: Seit 2005 betreibt das Unternehmen eine eigene Kinderkrippe; die erste Zwischenbilanz des Energielieferanten ergab, dass für jeden investierten Euro das Zweieinhalbfache eingespart wurde.