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Zitiervorschlag

Zur Aufgabenstellung von Familienzentren. Erziehung ist Begegnung. Zentrale Aspekte aus der Sicht der Waldorfpädagogik für die Diskussion in Nordrhein-Westfalen

Regina Böhm und Gerhard Stranz

 

Die Aufgabenstellung, die Erwartungen der Kinder, sie auf ihrem Weg zu begleiten, zu erfüllen, verlangt Begegnung mit Menschen in einer Schicksalsgemeinschaft, die als "Familienzentrum" anzusehen ist.

  1. Eine ganzheitliche Betrachtung der Entwicklung eines Kindes im Sinne der Waldorfpädagogik schließt das Schicksal des Kindes in seinem Lebenszusammenhang ein. Damit sind auch alle Handelnden selber unmittelbar Beteiligte dieser Schicksalsgemeinschaft.
  2. Die Begegnung zwischen Menschen ist nicht durch eine Anhäufung von nebeneinander stehenden Dienstleistungen möglich, die auf isolierte Probleme eingehen. Erforderlich ist eine persönliche Begegnung zwischen Individuen, die die Entwicklung des Kindes in seiner Umwelt ganzheitlich betrachten können und dies in eigenen Bezügen erleben. Waldorfkindergärten sind damit Häuser und Orte für die Begegnung einer Gemeinschaft und insofern nicht die Addition von Einzelleistungen.
  3. Mit der Grundhaltung des Kindes: "Die Welt ist gut", geht das Kind immer wieder offen auf Erwachsene zu, so dass die Wendung zum Guten immer möglich ist. Nur durch diese positive Grundhaltung verbindet sich das Kind mit der Welt. Dies setzt ein entsprechendes Grundverständnis der Handelnden und die Offenheit für entsprechende Beziehungen voraus.
  4. Das Kind lebt in einem sozialen Umfeld, in dem es alle Beziehungen integriert. Es erwartet daher auch durch den Erwachsenen, dass er diese Integration sicherstellt und nicht durch organisatorische und curriculare Dienstleistungen lediglich eine Anhäufung von Dienstleistungen organisiert.
  5. Der Zusammenhang dieser Beziehungen stellt sich für das Kind als eine erweiterte "Familie" dar, die es für sein Wohlbefinden benötigt. Für dieses Wohlfühlen ist damit ein Lebensraum bereitzustellen, in dem sich das Kind geborgen fühlt und in dem es alle Lebensanforderungen integrieren kann.
  6. Das Wohlfühlen ist Bestandteil für das Entfalten eines Kohärenzgefühls, auf dessen Basis die seelischen Grundlagen für Resilienz gelegt werden. Diese Widerstandkraft entsteht nicht durch curricular organisierte Prozesse, sondern durch unbewusste Erfahrungen des wohlfühlenden Erlebens.
  7. In der Schicksalsgemeinschaft zwischen Eltern, Kind und Erzieherinnen hat eine durch Instruktionen bestimmte Beziehung zu Eltern keine Platz, die z.B. als "Elternarbeit" bezeichnet wird. Einzelne können nicht vorgeben, was andere vermeintlich noch lernen müssen. Unpassend ist auch eine Orientierung auf Aufgabenstellungen, die sich vorrangig auf die Beseitigung von Defiziten konzentrieren.
  8. Bei der Weiterentwicklung von Tageseinrichtungen zu Familienzentren kann es nicht darum gehen, ausschließlich Missstände beseitigen zu wollen und dafür immer neue "Produkte" zur Verfügung zu stellen. Eine solche Orientierung der Weiterentwicklung würde sogar die Begegnung zwischen den Menschen erschweren oder sogar verhindern. Bedeutsam für die Arbeit in einem Familienzentrum wird damit eine veränderte Haltung zu dem Entwicklungsprozess des Kindes selbst.
  9. Mit der Weiterentwicklung zu Familienzentren darf nicht verbunden sein, dass die Qualität des Lebensorts Familie, der in einem erweiterten Sinne zu erstehen ist, ausgehöhlt wird.
  10. Aus der inneren Verbundenheit mit der einmaligen Identität des Kindes, mit sich selbst und in der Begegnung mit anderen, muss die Grundlage für die Arbeit auch in Familienzentren bestehen. Zur Aufgabenstellung gehört es, das Wesen des Kindes mit seinen Fähigkeiten zu entdecken und es auf seinem Entwicklungsweg zu stärken. Dies stellt instruktionspädagogische Zielrichtungen, die davon ausgehen, dass Menschen wissen, was Kinder lernen sollen, in Frage. In diesem Sinnen fühlt sich die Waldorfpädagogik verantwortlich.
  11. Mit den in der Waldorfpädagogik entwickelnden Mitteln, z.B. der Kinderkonferenz, wird versucht, diesem Anspruch gerecht zu werden, nämlich dem Kind in Achtung zu begegnen und es nicht als Defizitwesen zu betrachten.
  12. Für die Wahrnehmung dieser Aufgabe bedarf es zunächst keiner zusätzlichen Organisationen, sondern der Möglichkeit zur Entwicklung einer entsprechenden Haltung, mit der eine ganzheitliche Förderung gelingen kann.
  13. Menschen, die in diesem Sinnen arbeiten und leben, schaffen die Qualität eines Organismusses , der nicht durch fremdbestimmte Organisationsaspekte behindert werden darf. Damit kommt "Familienzentren" als Organisation eine sekundäre Bedeutung zu. Primär bleibt in den "familiären Lebensgemeinschaften von Kinder- und Familienzentren" die Aufgabenstellung, Kinder auf Ihrem Weg zu begleiten.
  14. Für das Schaffen der erforderlichen Begegnungsmöglichkeiten sind jedoch verbesserte Rahmenbedingungen erforderlich, die auch im Rahmen der Förderung von Familienzentren dazu beitragen können, die Erfüllung der Aufgabenstellung zu erleichtern.
  15. Eine entsprechende Unterstützung für diese Aufgabenstellung durch eine öffentliche Förderung müsste sich von einschränkenden Vorgaben lösen und Vertrauen in das Entwicklungsinteresse aller verantwortlich Handelnden haben. Dies schließt ein, dass im Rahmen der inhaltlichen Fachaufsicht berichtet und Rechenschaft abgelegt werden muss.
  16. Familienzentren, die dort entstehen, wo Menschen Verantwortung übernehmen, müssen auch entsprechende Unterstützung finden und nicht von einschränkenden Förderungsregelungen bestimmt werden.

Anmerkung

Zusammengestellt nach Beratungen zur Vorbereitung der Beteiligung der Waldorfkindergartenvereinigung in der didacta 2007 durch Regina Böhm und Gerhard Stranz.

Herausgeber

Internationale Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V.
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