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Zitiervorschlag

Aus: GEW-Info, Zeitschrift der Kreisverbände Offenbach-Stadt und Offenbach-Land der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Ausgabe 7 - April 2002, S. 7

Die Kindertagesstätten stärken

Michael Köditz

 

Wenn PISA die Bedeutung vorschulischer Förderung deutlich macht, bedeutet dies meiner Meinung nach nicht vordringlich, dass nun früher eingeschult werden müsste. Erfolgreiche Modelle wie die Eingangsstufe sollten zwar gerade in Brennpunktgebieten vermehrt eingeführt werden, und Maßnahmen wie Vorlaufgruppen sind unbedingt notwendig, wo eine gemeinsame Grundlage für den Unterricht in der Grundschule erst hergestellt werden muss. Dies gilt auch zur Förderung des Zweitspracherwerbs bei Kindern, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen.

Insgesamt sollte jedoch nicht übersehen werden, dass Kindertagesstätten in der Regel besser dafür eingerichtet und ausgestattet sind, kleinen Kindern Räume zur spielerischen Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten anzubieten, als die meisten Schulen. Mit dem Situationsansatz, der Grundlage der Konzeption der meisten Kindertagesstätten ist, wird gezielt auf die spezifischen (Entwicklungs-) Bedürfnisse der jeweiligen Klientel eingegangen. Eine derartige auf die individuelle Situation des einzelnen Kindes bezogene Abstimmung des pädagogischen Vorgehens stößt heute noch in der Schule an Grenzen, wo etwa landesweit gültige Lehrpläne beachtet werden müssen.

Der Situationsansatz, der vielfältige Möglichkeiten vorsieht, den Entwicklungsbedürfnissen des einzelnen Kindes gerecht zu werden, muss jedoch in der Praxis ausgebaut und gestärkt werden, einmal durch entsprechende Aus- und Fortbildung, zum anderen durch die Bereitstellung entsprechender Stundenkontingente.

Die eigenständige Erarbeitung eines auf die jeweilige Gruppe bezogenen Curriculums, den der Situationsansatz beinhaltet, macht deutlich, dass die Ansprüche an die Tätigkeiten von Erzieherinnen und Erzieher weit über denen liegen, die normalerweise an eine Fachschulausbildung gestellt werden können. Daher sollte die Ausbildung höher angesiedelt werden. Die Anhebung auf Fachhochschulniveau fordert die GEW seit langem. Es ist nicht einzusehen, warum Bezugspersonen, die mit ihrer Arbeit wesentliche Fundamente für die kindliche Entwicklung legen, weniger gründlich ausgebildet und schlechter bezahlt werden als die Lehrkräfte, die diese Kinder anschließend unterrichten. Das in unserer Gesellschaft geltende Prinzip "je jünger die Kinder/ Jugendlichen, desto kürzer die Ausbildung und schlechter die Bezahlung der Pädagogen" ist ein Anachronismus.

Die Erarbeitung einer auf die jeweilige Gruppe abgestimmten Curriculums benötigt darüber hinaus entsprechende Zeitkontingente für die Vorbereitung.

Die zusätzlichen Angebote in Kindertagesstätten sollten ausgeweitet werden. Entsprechend aus- und fortgebildete Fachkräfte könnten mit gezielten Angeboten z.B. im Bereich der Sprachförderung oder der Psychomotorik auf individuelle Entwicklungssituationen einzelner Kinder eingehen.

Vorschulische Bildung findet nun nicht nur im Kindergarten statt. Daher ist die Elternarbeit zu stärken; die Bildungsarbeit in Kindertagesstätten sollte mit Bildungsarbeit für die Eltern verbunden werden. Hausbesuche sind aufwändig, aber in der Regel besonders effektiv. Auch hierfür sind entsprechende Zeitkontingente zur Verfügung zu stellen. Bei Eltern, die der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig sind, ist überdies die Einbeziehung von Fachkräften, die die entsprechenden Muttersprachen beherrschen, erforderlich.

Zentral ist die Forderung nach Beschränkung der Gruppengröße, wenn individuelle Förderung gestärkt werden soll. Gewerkschaften fordern seit langem eine Obergrenze von 20 Kindern, während die Städte und Gemeinden aus Kostengründen möglichst viele in einer Gruppe unterbringen wollen. In der Praxis sind jedoch auch 20 häufig zu viel, etwa wenn besondere Probleme im psychosozialen Bereich vorliegen.

Und natürlich darf auch an sinnvoller Ausstattung nicht gespart werden. Was die räumlichen Bedingungen (einschl. Außengelände) angeht, sollte nicht vergessen werden, dass die Anpassung der Städteplanung an die Forderung nach Wirtschaftswachstum, speziell auch der sich ständig verdichtende Verkehr, Kindern vielerorts kaum Möglichkeiten mehr lässt, ihre Umgebung selbstständig zu erforschen. Um so mehr besteht eine gesellschaftliche Verpflichtung, die Bereiche, in denen sich Kinder noch selbstständig bewegen können, großzügig zu dimensionieren und auszustatten.

Weitere Informationen

Michael Köditz
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