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Zitiervorschlag

Aus: Unsere Jugend, Zeitschrift für Jugendhilfe in Praxis und Wissenschaft, Ernst Reinhardt Verlag, München, H. 6/2001, S. 256-259

ErzieherInnenausbildung im Wandel - Projektarbeit als Beitrag zur Schulentwicklung

Hartmut Zern


Im Rahmen der Weiterentwicklung der ErzieherInnenausbildung bemühen sich insbesondere die Fachschulen für Sozialwesen in kirchlicher Trägerschaft seit Jahren kontinuierlich um Entwicklungsmaßnahmen zur Veränderung und damit zur Steigerung der Qualität des Unterrichts. Hierzu gehören immer wieder auch Versuche mit mehr kooperativen und ganzheitlichen Formen des Unterrichts. Ein solche Versuch wird hier dokumentiert...

1. Projektarbeit in der ErzieherInnenausbildung als Beitrag zur Schulentwicklung

Innerhalb der Fachdiskussion um die Reform der ErzieherInnenausbildung und der berufspädagogischen Diskussion generell besteht breiter Konsens darüber, dass Projekte Bestandteil der Ausbildung sein sollten (vgl. Schelten 1993 und Hoppe/Zern 2000). Durch sehr konkrete Aufgabenstellungen besteht für die beteiligten SchülerInnen die Möglichkeit, Kenntnisse und Fertigkeiten entlang einer Problemstruktur zu erwerben, die sich aus der Aufgabe ergibt und nicht mehr, wie vielfach für Schule typisch, auf Grund einer vorgegebenen, oft nicht durchschaubaren Fachstruktur. Es wird langfristig angestrebt, an die Stelle einer quantitativen kenntnisorientierten Wissensvermittlung fortschreitend eine überwiegend qualitativ erkenntnisorientierte Wissensvermittlung treten zu lassen. Dies geschieht in unserer Schule z.B. durch den regelmäßigen Einsatz der Projektmethode während der Ausbildung. Die Auszubildenden/SchülerInnen werden in diesem Verfahren direkt mit realen Problemstellungen konfrontiert; die Lernbereiche entstammen ihrem Erfahrungsbereich, und die Problemstellungen sind umfassend. Eine solche Art des Lernens ist mehrdimensional, d.h. kognitive, affektive und psychomotorische Lernbereiche werden gleichermaßen angesprochen (Ganzheitlichkeit) (vgl. Pätzold 1996 und Frey 1998). Hier findet die Verknüpfung von Wissensvermittlung bzw. -aneignung und praktischer Anwendung statt - die Motivation der beteiligten SchülerInnen ist entsprechend hoch. Probleme so zu bewältigen, bedeutet für die SchülerInnen, letztlich berufsrelevante Handlungskompetenz entwickeln zu können.(Gudjons, 2001) Für die Schule als Gesamtes heißt das, sich auch als lernende Organisation zu begreifen und weiter zu entwickeln.

2. Darstellung erkennbarer Erträge

Anhand des folgenden Beispiels eines Unterrichtsprojekts im Ausbildungsgang für ErzieherInnen sollen die erkennbaren Erträge dargestellt werden. Dieses Projekt hieß: "Wie bewältige ich erfolgreich den Einstieg in das Berufspraktikum?"

2.1. Ausgangspunkt für das dokumentierte Projekt

Die fachliche Auseinandersetzung im Pädagogikunterricht einer Klasse ErzieherInnen im zweiten Ausbildungsjahr mit dem Problem des Einstiegs in Gruppen war Ausgangspunkt dieses Projektes. Es war schnell klar, dass genau diese Situation nach Abschluss des schulischen Teiles der Ausbildung die SchülerInnen gleich zweifach betreffen würde. Zum einen werden sie in einer Gruppe von Kindern, Jugendlichen oder behinderten Menschen ihren Platz als ErzieherIn finden und sich durchsetzen müssen und zum anderen stehen sie dann vor der Aufgabe, sich in ein neues Team zu integrieren. Die SchülerInnen haben versucht, die in dieser Situation oft auftretenden typischen Probleme von Jahrespraktikanten anhand eigener Erfahrungen, mit Erkundungen und Befragungen vor Ort und einschlägiger Literatur zu beschreiben und gleichzeitig konkrete Tipps zur Bewältigung aufzuzeigen. Während der Diskussion um das bevorstehende Jahrespraktikum wurden aber zunehmend auch ganz praktische Fragestellung wichtig. Es zeigte sich, dass viele SchülerInnen zum Teil über zwanzig Bewerbungen und mehr geschrieben hatten, um überhaupt eine Stelle zu bekommen. Orientiert an der gewissermaßen "hautnah" erlebten Bedeutung von Bewerbungen für das eigene Fortkommen, gewannen dann insbesondere die folgenden Fragen an Bedeutung:

  • Wie muss eine erfolgreiche Bewerbung überhaupt aussehen?
  • Wie gehe ich bei der Gestaltung vor?
  • Was kann ich im Vorfeld einer Bewerbung für mich abklären?
  • Wie bereite ich mich auf ein Vorstellungsgespräch vor?

Weil bei diesen konkreten Dingen zum Teil Unsicherheit herrschte, entschloss sich die Klasse, auch diese Fragen möglichst genau zu beantworten und gewissermaßen als Checkliste für Bewerbungen künftiger Jahrespraktikanten zusammenzustellen. Insgesamt war Ziel der SchülerInnen, einen "Leitfaden" für den Einstieg in das Berufspraktikum erstellen, der nachfolgenden Klassen bei der problematischen Übergangssituation von schulischer Ausbildung in das Jahrespraktikum behilflich sein soll. Dieses Produkt "Leitfaden" sollte zu diesem Zwecke in entsprechender Auflage gedruckt verteilt werden.

2.2. Zeitlicher und organisatorischer Rahmen

Für die Bewältigung standen vier geblockte Wochenstunden über einen Monat zur Verfügung, die durch freiwillige Arbeit, etwa bei Erkundungen oder Befragungen vor Ort, ergänzt wurden. Von der Initiative bis zur Präsentation wurden ca. 25 Stunden an diesem Projekt gearbeitet. Die Fächer Kunst und Deutsch waren in diesem Projekt mit angesprochen - Kunst hinsichtlich der Gestaltung des Leitfadens (Lay-out und Zeichnungen) und Deutsch hinsichtlich der Fehlerkorrektur.

2.3. Planung und Durchführung

Die Klasse bildete Arbeitsgruppen zu folgenden Themenbereichen:

Gruppe 1: Bewerbung, Vorstellungsgespräch, Kriterien für die Auswahl von Praxisstellen. Diese Gruppe recherchierte beim BIZ des Arbeitsamtes und bei der Deutschen Angestellten Akademie in Bad Kreuznach.

Gruppe 2: Die Stellung des Berufspraktikums im Rahmen der ErzieherInnenausbildung. Hier wurden die einschlägigen rechtlichen Bestimmungen studiert (vom Lehrer zur Verfügung gestellt), einschließlich ergänzender Literatur, die sich die SchülerInnen selbst organisierten.

Gruppe 3: Problem des Einstiegs in Gruppen (Literaturstudium), Ängste und Bewältigungsmöglichkeiten, Befragung von "Ehemaligen" und Austausch eigener Erfahrungen.

Gruppe 4: Erstellung eines Fragebogens und Durchführung einer kleinen Erhebung in verschiedenen Arbeitsfeldern nach den Anforderungen und Wünschen der Praktiker an Berufspraktikanten. Die Umfrage fand im Raum Bingen und Bad Kreuznach statt.

Die Gruppen arbeiteten selbstständig, trafen sich aber regelmäßig zum Austausch und Berichterstattung über den Stand der Arbeit in der Klassenrunde als Fixpunkt. Weiterhin wurden hier Konflikte innerhalb der Gruppe hinsichtlich der Vorgehensweise oder Mitarbeit einzelnen Gruppenteilnehmer thematisiert. Der Lehrer war weitgehend Prozessbegleiter (Moderator), der mit entsprechenden Lernhilfen wie Texten die Arbeit der SchülerInnen unterstützte.

2.4. Auswertungsphase

Vom Pädagogischen her ist dies eine wesentliche Phase, die bei der Projektarbeit nie fehlen darf (vgl. Schweingruber 1984). Die Auswertung des hier dokumentierten Projektes wurde auf zweierlei Weise vorgenommen. Einmal erfolgte sie durch eine gemeinsame Reflexion im Klassenplenum, wo positive Aspekte der geleisteten Projektarbeit sowie auch kritische Anmerkungen besprochen wurden. Zum anderen erfolgte sie hinsichtlich der internen Gruppenvorgänge während des Projektes mithilfe eines "Bilanzbogens" (nach Klippert 2000).

  • Die Zusammenarbeit in der Gruppe wurde von den Teilnehmern hinsichtlich des Zufriedenheitsgrades als gut bis sehr gut einsgestuft. Es ist jedoch zu beobachten, dass es praktisch in allen Arbeitsgruppen etwa zwei Gruppenmitglieder gab, die sich der Arbeit entzogen und sich offenbar auch über andere lustig machten. Aus diesen Gründen kam es (natürlich) zu Spannungen während der Arbeit.
  • Bei der Vorgehensweise während der Gruppenarbeit herrschte weitgehend ein hohes Ausmaß an Zufriedenheit, da nach eigener Einschätzung meistens effektiv und zügig gearbeitet wurde. Hier zeigt sich wahrscheinlich auch die Erfahrung der Klasse mit Gruppenarbeit.
  • Die Mitarbeit der einzelnen Gruppenmitglieder wurde kritisch bewertet, weil einige wenige sich nach Einschätzung der anderen Teilnehmer nicht hinreichend beteiligt haben. Hier wurde schon während der Klassenrunden (Fixpunkte) immer wieder moniert, dass diese praktisch auf Kosten der anderen lebten und auch bei der Bewertung durch den Lehrer zu gut "weg kämen". Die Mehrzahl der Teilnehmer war jedoch trotzdem zufrieden.
  • Die Umgangsformen in der Gruppe werden mehrheitlich als zufrieden stellend bewertet, ("die Vorschläge wurden diskutiert und akzeptiert"), wenngleich es auch hier z.T. zeitweise "rau" zuging. Ein Teilnehmer formuliert: "Untereinander gab es große Konflikte" oder: "Es war ein berufliches Verhältnis".
  • Am interessantesten ist die Einschätzung des Arbeitsergebnisses durch die beteiligten SchülerInnen. Das Arbeitsergebnis wird von allen Beteiligten, bis auf zwei Ausnahmen, trotz der angetretenen Spannungen, als zufrieden stellend bis sehr zufrieden stellend bewertet. Das heißt, die SchülerInnen waren durchaus in der Lage, trotz der zeitweilig offenkundigen Spannungen in der Gruppe, auf einer sachlichen Ebene zielgerichtet zu arbeiten und ein Ergebnis zu erarbeiten, auf das der Einzelne stolz sein kann. Diese Fähigkeit, trotz der Konflikte die Sachaufgaben gezielt anzugehen, ist durchaus nicht in jeder Gruppe selbstverständlich und deutet professionelles Verhalten an, das später im Berufsalltag dringend erforderlich sein wird. Es zeigt aber auch, wie wichtig das systematische Einüben von Teamarbeit im Schulalltag ist.
  • Bewertung des stofflich-sachlichen Ertrages: Die inhaltliche Gestaltung und Herstellung des Leitfadens wurde von den SchülerInnen als gelungen betrachtet. Besonders stolz war die Klasse darauf, den "Leitfaden" in gedruckter Form vor sich liegen zu haben mit der Möglichkeit, ihn an andere SchülerInnen weitergeben zu können.

Die Präsentation und Diskussion des Leitfadens im Internet war darüber hinaus für die SchülerInnen noch ein besonderer Höhepunkt, da hier weder bei den SchülerInnen noch bei den LehrerInnen auf wesentliche einschlägige Vorerfahrungen zurückgegriffen werden konnte, das Problem aber dennoch gemeinsam bewältigt wurde. Der "Internetauftritt" erfolgte im "Fachforum ErzieherInnenausbildung" (http://www.erzieherinnenausbildung.de). Dieses Fachforum bietet allen an der Ausbildung interessierten SchülerInnen und LehrerInnen die Möglichkeit, Fachdiskussionen rund um das Thema ErzieherInnenausbildung auch über die Grenzen von Bundesländern, Berufsverbänden, Gewerkschaften, Fachverbänden und den einzelnen Fachschulen hinweg gemeinsam und online zu führen. Wie sehr diese Plattform von Fachkräften genutzt wird, zeigen die Zugriffszahlen. Sie liegen seit März 2000 bei 10.463 BesucherInnen. Die Klasse wartet gespannt auf das Echo anderer MitschülerInnen über das Internet und ist darüber hinaus stark motiviert, dieses Medium zu nutzen und sich tiefergehend mit ihm auseinander zu setzen.

Literatur

Dubs, R.: Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. Zürich 1995

Frey, K.: Die Projektmethode. Der Weg zum bildenden Tun. Weinheim/ Basel, 8. Aufl. 1998

Gudjons, H.: Handlungsorientiert lehren und lernen. Schüleraktivierung - Selbständigkeit - Projektarbeit. Bad Heilbrunn, 6. Aufl. 2001

Hoppe, J./Zern, H.: Projekte verändern Schule. Erzieherausbildung im Umbruch. Frankfurt am Main 2000

Klippert, H.: Teamentwicklung im Klassenraum. Übungsbausteine für den Unterricht. Weinheim/ Basel, 4. Aufl. 2000

Fachforum ErzieherInnenausbildung, http://www.erzieherinnenausbildung.de/

Pätzold, G.: Leitfaden zur Vorbereitung beruflichen Unterrichts. Hrsg. vom Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) e.V. München/ Karlsruhe 1994

Pätzold, G.: Lehrmethoden in der beruflichen Bildung. Heidelberg, 2. Aufl. 1996

Prenzel, M.: Autonomie und Motivation im Lernen Erwachsener. In: Zeitschrift für Pädagogik 1993, 39. Jg., H. 2, S. 239-253

Schelten, A.: Zukunftsperspektiven des beruflichen Schulwesens - Herausforderung für die Berufsausbildung. In: Die berufsbildende Schule 1993, 45. Jg., S. 277-282

Schweingruber, R.: Das Projekt in der Schule. Ein unterrichtsbegleitendes Arbeitsbuch für Lehrer. Bern, 2. Aufl. 1984

Autor

Hartmut Zern, Jg. 1944, Dipl.-Pädagoge, lehrt Pädagogik und Medienpädagogik an den Fachschulen für Sozialwesen der kreuznacher diakonie.

Adresse

Hartmut Zern
kreuznacher diakonie
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